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Damenbesuch

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04.04.2008
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Damenbesuch

Damenbesuch


Drei Jahre lang hatte niemand an Herberts Haustür geklingelt. Bis zu diesem warmen Frühlingstag. Herbert öffnete gerade mit einem Ruck die verzogene Hintertür, die von der Küche in den handtuchschmalen Garten führte, als der scheppernde Ton erklang.
Dreimal kurz hintereinander.
Herbert sah sich ungläubig um, sein Zeigefinger fuhr in den Hemdkragen, und einen Moment lang dachte er daran, den oberen Knopf einfach zu öffnen.
Da musste sich jemand mit der Hausnummer geirrt haben, sagte er sich. Drei Häuser in der Siedlung waren noch bewohnt und Fatma klingelte nie, sie hatte einen Schlüssel.
Er wandte sich entschlossen der Hintertür zu und drückte sie gegen die Wand. Ächzend schob er ein Stück brüchige Pappe unter das Holz. Dieses Jahr geht es noch, dachte Herbert zufrieden, nächstes Jahr würde die Pappe zu flach sein, dann musste er ein neues Stück zurechtknicken. Bodensenkung. Wird immer schlimmer, alles krumm und schief. Da bleibt keine Tür mehr offen.
Herbert schaute hinaus. Er sah in den milchigen Himmel. ‚Schönwetterdunst’ hatte Mama die Wolkenschlieren genannt, die sich gegen Mittag auflösten. Es war noch früh, erst halb elf. Herbert wollte jetzt in den Schuppen gehen und seinen Klappstuhl auf die Wiese tragen.
Um elf stand die Sonne über dem viereckigen Rasenstück, für fünfzig Minuten. Danach wanderte sie weiter, über die Buchsbaumhecke zu Cem. Herbert hatte das mit der Küchenuhr überprüft.
Das Klingeln war schon vergessen. Herbert trat auf die obere der drei bröckeligen Stufen, die auf den erdigen Gartenweg führten. Er hielt sein verschwitztes Gesicht in die Höhe und schloss die Augen. Als hätte jemand ein paar Eimer heißes Wasser in einen kalten See geschüttet, dachte er, so fühlt sich die Luft an.
In der Frühe, gegen fünf, war Herbert vom übermütigen Gesang einer Amsel geweckt worden. Mit geschlossenen Augen lauschte er dem Trällern.
Herberts Schlafzimmer lag über der Küche. Die Amsel saß im Kirschbaum von Theo Schröder. Natürlich, da ist sie wieder, dachte Herbert zufrieden, da sitzt sie und singt, und wie in jedem Jahr wird sie ihr Nest bauen. Dabei ist der alte Schröder im letzten Herbst gestorben, seitdem sind das kleine Siedlungshaus und der Garten verwaist.
Die Amsel singt eben für die Ewigkeit. So lange sie im Frühling zu uns kommt, dreht sich die Welt weiter. Herbert sah hinter seinen Augäpfeln Mamas lächelndes Gesicht. Er nickte ihr zu und für einen Moment roch er sogar Papas Pfeifentabak.
Er mochte es, wenn sein Tag mit guten Bildern begann.
Herbert versuchte, seinen Bauch einzuziehen. Er müsste bald seine Pantoffeln sehen können. Mit angehaltenem Atem beugte er den Kopf so weit es ging vor. Alles, was er sah, war die klaffende Stelle zwischen zwei Knöpfen seines weißen Hemdes, darunter ein winziges Stück Feinripp. Enttäuscht stieß Herbert die Luft aus und japste kurzatmig, um die tanzenden Pünktchen vor seinen Augen zu verjagen.
Seit zwei Wochen trank er abends keine Limo mehr und aß nur noch am Wochenende Chips. Fatma brachte ihm morgens ein Vollkornbrötchen mit und hatte vor zwei Wochen seine Nutella, die Cornflakes und die Schokoriegel verschwinden lassen. So was würde sie nicht mehr für ihn einkaufen, hatte sie gesagt und ihn dabei streng angesehen.
Mittags tischte sie ihm eine große Portion Gemüse oder Salat auf, nur selten ein Stück Fleisch, gar kein Kotelett mehr, schon mal Hähnchenbrust.
Cem und Fatma waren der Meinung, dass Herbert viel zu dick sei. Wahrscheinlich stimmte das auch, Herbert dachte über so etwas nicht nach. Mama und er hatten immer gerne Süßes gegessen, abends beim Fernsehen.
„Du musst deine Pantoffeln sehen können, Kumpel, verstehst du?“ Cem hatte gut reden! Er war klein und drahtig, ständig in Bewegung. Bestimmt zwanzig Jahre jünger als Herbert.
Na ja, sie meinten es beide gut mit ihm.
Herbert zog ein kariertes Stofftaschentuch aus der Hosentasche und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Er faltete es nicht auseinander. Bügeln konnte er, das sah man sofort. Herbert freute sich an den akkurat aufeinanderliegenden Ecken. Kein Fältchen, glatt wie Seide. Zufrieden schob er das Taschentuch zurück.
Es würde heiß werden heute. Viel zu heiß für einen Tag Anfang Mai. Herbert drehte seine Hand vor den Augen hin und her. Alle Finger waren bereits angeschwollen. Papas Siegelring machte schon jetzt einen tiefen Einschnitt in den Ringfinger. Viel trinken, Junge, hatte Mama immer gesagt, damit du nicht austrocknest. Herbert tastete mit dem Fuß den oberen Treppenrand ab, damit er nicht die bröckelige Stelle erwischte. Gerade war er sicher, eine feste gefunden zu haben, als die Klingel erneut anschlug.
Verblüfft hielt er in der Bewegung inne und steckte den Zeigefinger in den Mund. Sein ganzer Kopf kribbelte. Ein langer drängender Ton. Eben wusste Herbert noch, was er zu tun hatte, doch jetzt geriet alles durcheinander. Er blieb wie angewurzelt stehen. So hatte er es in der Schule schon gehalten, früher, wenn die Kinder ihre Scherze mit ihm machten. Irgendwann wurde es ihnen zu langweilig und sie ließen ihn in Ruhe.
Er kaute auf dem Fingernagel und starrte sehnsüchtig zum Schuppen.
Gleich würde alles vorbei sein, dann könnte er endlich auf der Wiese sitzen. Herbert traute sich nicht, den Kopf zu drehen und auf die Küchenuhr zu schauen. Die Sonne schien auf den verwilderten Garten von Theo Schröder, es war sicher schon kurz vor elf.
Das Wasser wollte er doch noch kühlen und den staubigen Klappstuhl abwaschen.
Der Schweiß rann Herbert in die Augen, er blinzelte, doch sein Blick blieb auf den Schuppen gerichtet. Er schluckte.
Das Klingeln erstarb, alles war wieder still. Er hielt die Luft an.
Sein Zeigefinger war weiß und schrumpelig, als er ihn aus dem Mund nahm. Ein Spuckefädchen seilte sich auf sein Hemd ab. Vorsichtig wischte er es mit dem Handrücken weg. Über ihm löste sich gerade die letzte Wolkenschliere auf. Der Himmel war blau, mit einer funkelnden Sonne in der Mitte.
Herbert stieg seitwärts die Treppe hinab und hielt schnaufend inne, sobald er beide Füße auf einer Stufe hatte. Das wackelige Eisengeländer bot keinen zuverlässigen Halt mehr. Die Treppe und das Geländer, beides hatte Papa vor vielen Jahren selbst gebaut, damals war Herbert noch ein Junge. Dann war Papa verunglückt und niemand hat sich seitdem um die Gartentreppe gekümmert. Er nahm sich vor, Cem zu fragen. Cem war ein guter Handwerker, er konnte sicherlich die Stufen ausbessern und das Geländer neu zementieren.
Im Nachbargarten war niemand. Cem würde Frühschicht haben, Fatma war sicher mit dem Rad zum Markt gefahren. Das tat sie an Markttagen immer. Dienstags, donnerstags und samstags. Herbert war schon seit Jahren nicht mehr in Hamborn gewesen. Früher hatte er Mama immer geholfen, die Taschen zu tragen, der Altmarkt war nicht weit weg, doch seit Mama tot war, fehlte ihm einfach die Lust.
Was sollte er alleine auf dem Markt? Und ohne Mama schmeckte das Erdbeereis irgendwie fad. Er hatte es noch einmal ausprobiert nach Mamas Tod, war die Gottliebstrasse hochgelaufen, doch mit jedem Schritt weg von zuhause war die Luft mehr und mehr mit summenden Geräuschen erfüllt gewesen und seine Füße begannen zu schmerzen. Herbert fühlte sich nicht mehr wohl unter den Menschen, ohne Mama ging das nicht, er musste auf zu vieles aufpassen. Die Leute schoben und drängelten ihn, vorbei an den schreienden Markthändlern, und er hatte einfach nicht die Kraft, sich bis zu einem Stand vorzuarbeiten. Sein Kopf summte wieder, die Gedanken fielen durcheinander und er machte, dass er so schnell es ging zur Eisdiele kam, wo er mit Mama nach dem Einkauf jedes Mal ein Erdbeereis gegessen hatte. Herbert ließ sich auf einen der zierlichen Stühle fallen und hielt seinen Einkaufsbeutel mit beiden Händen umklammert. Tonio erkannte ihn sofort, drückte ihm die Hand, er wusste, dass Mama gestorben war. Woher?
Herbert war verlegen geworden, er konnte Tonio nicht ansehen, was hätte er sagen sollen? Als er dann den ersten Löffel Erdbeereis mit geschlossenen Augen in den Mund schob, wunderte er sich, wie fade es schmeckte. Herbert schüttelte den Kopf und probierte es noch einmal. Es war, als füllte aufgeweichte Pappe seinen Mund. Plötzlich liefen ihm Tränen über das Gesicht und er schob den Becher mit einem Ruck von sich weg. Er kippte um und das Eis zerfloss auf den braunen Fliesen.
Herbert konnte nicht aufhören zu weinen, die Leute sahen tuschelnd zu ihm herüber. Tonio kam mit einem Lappen, setzte sich und redete beruhigend auf ihn ein. Als er seine Hand auf Herberts Arm legen wollte, wurde das Kribbeln in Herberts Kopf so stark, dass seine Arme zu zappeln begannen; er schlug nach Tonio, doch das hatte er gar nicht gewollt. Tonio war nicht böse, er half ihm auf die Füße, klippte sogar noch einen Hosenträger fest, der sich gelöst hatte, und brachte ihn bis vor die Tür. Das Eis brauchte er nicht bezahlen, es sei ein Geschenk zur Erinnerung an Mama, hatte Tonio damals gesagt. Dann hatte er sich im Sonnenlicht wiedergefunden und sich so einsam wie noch nie in seinem Leben gefühlt.
Herbert stand auf dem Gartenweg und schüttelte den Kopf. Das komische Gefühl von damals kroch langsam an seinen Beinen hoch. Der Boden schwankte, die Knie zitterten, Herbert schluckte Unmengen von Speichel hinunter und summte ein Lied, um sich zu beruhigen. Wenn alle Brünnlein fließen…
Es klingelte zum dritten Mal.
Herbert hielt sich die Ohren zu, summte lauter und stolperte zum Schuppen.
Innen tanzten Staubflocken vor der trüben kleinen Scheibe. Das Atmen fiel ihm schwer. Ächzend bewegte er sich zwischen Harken, Schaufeln, Rasenmäher und Gartenzwergen, bis er seinen breiten Klappstuhl gefunden hatte. Gleich würde er in der Sonne sitzen, wie immer an solchen Tagen. Der Gedanke machte ihn glücklich. Herbert fühlte neue Kräfte wachsen, eine große Lust, einen heiteren Tatendrang. Ächzend zog er den Klappstuhl zur Tür.
„Herr Kollowicz? Hallo, Herr Kollowicz, sind Sie da?“
Herbert erstarrte, den Stuhl unter den Arm geklemmt. Seine Augen irrten durch den Schuppen, er konnte nichts entdecken, niemand war hier.
„Sind Sie im Gartenhäuschen, Herr Kollowicz? Kommen Sie doch heraus, ich muss dringend mit Ihnen sprechen.“
Gartenhäuschen? Es gab doch gar kein Gartenhäuschen. Ein Schuppen war das. Nie hatte jemand was anderes gesagt. Papa nicht und Mama auch nicht, und er schon gar nicht.
„Bitte Herr Kollowicz, es ist wirklich wichtig.“
Herbert dachte, dass es sehr lange her war, seit jemand „Herr Kollowicz“ zu ihm gesagt hatte. Die Stimme da draußen klang freundlich. Es war eine freundliche Frauenstimme. Die Dame musste um Cems Haus herum gegangen sein, es war das letzte in der Zehnerreihe. Ein schmaler Weg führte auf die Hinterseite der Gärten.
„Ich würde Sie so gerne kennen lernen, Herr Kollowicz, wirklich.“
Herbert dachte an Mama, die ihm beigebracht hatte, zu jedem Besuch höflich zu sein. Er sah ihr Gesicht vor sich und ihr ermunterndes Lächeln. ‚Begrüße die Dame, Herbert’, schien sie zu sagen. Unsicher stolperte er aus dem Schuppen und ließ den Klappstuhl auf den Weg fallen.
„Hallo, da sind Sie ja endlich. Schön, Sie zu sehen.“
Hier draußen klang die Stimme noch freundlicher und erinnerte ihn ein bisschen an silberne Glöckchen. Herbert drehte sich zum hinteren Gartentor um und blickte geradewegs in das schönste Gesicht, das er je gesehen hatte.
Die Dame nickte ihm lächelnd zu, dabei wippten ihre braunen Haare hinter den Ohren und glänzten in der Sonne wie dunkles Kupfer. Ihre Augen waren braun, wie die von Mama, und sie trug eine schöne weiße Bluse. Ihre Hände lagen ruhig auf dem oberen Rand des Eisentörchens.
Herbert fuhr sich verlegen über den Schädel. War sein Haar nicht verrutscht? Seit es dünner wurde, machte er den Scheitel kurz über dem linken Ohr und kämmte alles Haar über den Kopf. Das hatte Mama ihm noch geraten. Sieht voller aus. Nur bei Wind musste er eine Mütze aufsetzen, sonst konnte es passieren, dass eine lange Haarsträhne wie eine Fahne um seinen Kopf flatterte. Doch es war alles in Ordnung.
Herbert hob den Stuhl auf. Sie stand noch da, war also kein Traumbild. Schöne Frauen kannte Herbert nur aus Träumen, nur dort schauten sie ihn an.
„Darf ich reinkommen?“ Sie legte lächelnd eine Hand auf die rostige Klinke.
Herbert hatte auf einmal den Mund voller Spucke, er schluckte immerzu, es wurde mehr und mehr. Er nickte eifrig.
Nun stand sie leibhaftig vor ihm und hielt ihm die Hand entgegen. Sie duftete nach Maiglöckchen.
Plötzlich holperten die Worte aus ihm heraus. „Sind sie eine Gärtnerin? Sie riechen nach Blumen.“ Er nahm die Hand wie zerbrechliches Porzellan, berührte sie kaum und zog die Finger so rasch zurück, als hätte er sich verbrannt.
Sie zog erstaunt die Augenbrauen hoch und lachte. Ihre Zähne waren ein bisschen schief, wie seine. Herbert konnte sich nicht bewegen.
„Nein, nein. Das ist sicher mein Parfüm. Aber Sie sind ein guter Gärtner, nicht wahr?“
Woher wusste sie das? Er zuckte verlegen mit den Schultern und senkte den Blick. So etwas sagte doch keiner zu ihm, außer Mama, aber das war ewig her.
„Ich heiße Silke Bender.“ Sie nahm ihm den Stuhl ab und klappte ihn auf. „Gibt es noch einen zweiten Stuhl im Schuppen?“
Wieder konnte Herbert nur nicken. Silke. Wie Glöckchenklang.
Da war sie schon verschwunden und holte den roten Stuhl. Sie war ein richtiger Besuch. Sie war gekommen, um auf einem zweiten Stuhl neben ihm im Garten zu sitzen. Das machte nur ein richtiger Besuch! Mama hatte ihm gesagt, dass man einem Gast etwas zu trinken anbieten muss, gut, dass ihm das jetzt einfiel. Wasser oder Malzkaffee, beides hatte er im Schrank.
Silke Bender war ihm einfach in die Küche gefolgt. Sie schaute sich um und stieß einen kleinen Pfiff aus.
„ Sie sind ein guter Hausmann, Herr Kollowicz. Alles blitzt und blinkt.“
Herbert kroch eine heiße Röte ins Gesicht. Er blieb länger als nötig vor dem geöffneten Kühlschrank stehen. Wenn Mama das hören könnte! Sie hatte ihm beigebracht, dass das Haus sauber sein muss. Jederzeit kann jemand kommen, war ihre Devise, deshalb muss es immer anständig aussehen. Jetzt war jemand gekommen. Er hatte Mama nicht enttäuscht.
Silke trat ganz nah an ihn heran und nahm ihm die Wasserflasche ab.
„Holen Sie die Gläser, ich gehe schon mal in den Garten.“ Schon war sie aus der Tür. Herbert stand mitten in der Küche und hakte die Daumen in die Hosenträger. Erst einmal tief Luft holen. Maiglöckchenluft.
Draußen rückte Silke den Stuhl in die Sonne und schüttelte ihr Haar nach hinten. Die große Umhängetasche stellte sie neben sich. Sie setzte sich und reckte ihren Kopf in die Höhe.
Wie schön sie aussah! Herbert beobachtete sie noch ein Weilchen.
Er fragte sich, woher sie wohl kam, ausgerechnet zu ihm. Kopfschüttelnd nahm er zwei Gläser aus dem Oberschrank, hauchte dagegen und polierte sie mit dem karierten Geschirrtuch. Der kleine Spiegel über der Spüle zeigte ihm sein rotfleckiges Gesicht. Er seufzte. Sie würde merken, dass er aufgeregt war.

„Prost, Herr Kollowicz.“ Silke Bender hielt ihr Glas ins funkelnde Sonnenlicht. Herbert sah die Bläschen aufsteigen. Er tat es ihr nach und lachte. „Prost, Frollein Silke.“ Die Spannung ließ nach. Sie beugte sich vor und legte ihm eine Hand aufs Knie.
„Sie sind aber höflich! Fräulein hat schon lange keiner mehr zu mir gesagt.“ Herbert schmolz dahin, sein Knie brannte wie Feuer. Sie lehnte sich zurück und betrachtete ihn aufmerksam. Seine Daumen fuhren wieder unter die Hosenträger.
„Sie wundern sich sicher, dass ich so einfach hier hereinplatze, nicht wahr, Herr Kollowicz?“
Herbert lächelte schüchtern und zog die Schultern kurz hoch.
„Wissen Sie, ich komme von der Stadt Duisburg. Wir kümmern uns um Menschen, die ganz allein leben, so wie Sie.“ Herbert nickte. Die Stadt schickte diese liebe Frau extra zu ihm. Seine Wangen brannten vor Freude und Verlegenheit
„Sie leben schon lange allein, nicht wahr?“ Jetzt musste er endlich mal was sagen, sonst wäre das unhöflich.
„Seit drei Jahren, da ist meine Mutter gestorben. Ich habe immer mit ihr hier gewohnt.“
Silke Bender nickte und schwieg, sah ihn freundlich an. Herbert brach erneut der Schweiß aus. Er sollte wohl weitersprechen.
„Ja, also, ich bin achtundfünfzig Jahre alt.“ Er trank eine Schluck und ärgerte sich, dass der kleine Campingtisch wackelte, als er sein Glas abstellte. Was sollte er denn noch sagen?
„ Sie haben auch lange Jahre gearbeitet, nicht wahr?“
Ach so, darüber wollte sie reden. Erleichtert holte er Luft.
„Ja, im Johannes-Hospital war ich. Fast fünfundzwanzig Jahre. Ich habe die Wiesen im Hof sauber gehalten, mich um die Blumen gekümmert und später war ich noch Bote im Haus.“ Das Erzählen zauberte alte Bilder hervor, Herbert lächelte in Gedanken.
„Ich kannte sie alle, die Ärzte und die Schwestern. Jeden Morgen bin ich über die Stationen gegangen und habe die Müllsäcke abgeholt. Später noch die schmutzige Wäsche. Sie haben mich Herbie genannt.“ Er nickte zufrieden. „Eine schöne Zeit war das.“
„Sie waren sicher sehr zuverlässig, nicht wahr?“ Herbert strahlte.
„ Das will ich meinen. Auf mich war immer Verlass. Nur einmal habe ich eine Woche gefehlt. Als Papa verunglückte, das ist schon lange her, damals war ich sechsundzwanzig.“ Er zog die Augenbrauen zusammen, und eine senkrechte Falte bildete sich auf seiner glänzenden Stirn.
„Das war sicher sehr schlimm für ihre Mutter und Sie.“ Silke sprach leise und beugte sich vor.
Herbert sah in ihre lächelnden Augen und plötzlich durchströmte ihn eine unbekannte Wärme.

„Erzählen Sie mir, was mit ihrem Vater passiert ist.“
Herbert atmete auf. Diese Frau ist traurig, weil Papa verunglückt ist. Noch nie hat jemand nach Papa gefragt. Außer Cem und Fatma, die sind erst nach Papas Unfall eingezogen. Sie haben ihn nicht mehr gekannt. Aber Mama hat ihnen Bilder gezeigt und von Papa erzählt.
„Er ist im Möllerbunker verunglückt, im alten Hüttenwerk Meiderich.“
„Wo jetzt der Landschaftspark Nord ist?“ Silkes Augen waren so schön..
„Ja, da hat er gearbeitet, nachdem der Schacht 4/8 zugemacht wurde. Vorher war er Kumpel, unter Tage.“ Herbert erinnerte sich. „Manchmal waren unter seinen Augen noch schwarze Ränder, wenn er von der Schicht kam.“
„Was ist im Möllerbunker passiert?“ Ihre Stimme war sanft.
„Ich weiß nicht so genau, aber eine Erzlore ist umgekippt und Papa lag unter dem ganzen Erz. Er war tot, als sie ihn rausziehen konnten. Im Juli sechsundsiebzig war das.“ Er sprach leise, wie zu sich selbst.
„Damals habe ich eine Woche nicht gearbeitet, die haben mich vermisst im Krankenhaus. Der Müll stand um zehn Uhr noch rum, haben sie damals gesagt. Nach der Beerdigung bin ich wieder hingegangen, aber ich habe immer Angst um Mama gehabt, die hat nur geweint. Es hat lange gedauert, bis es besser wurde.“ Mit glänzenden Augen schaute Herbert in den Garten. Silke nickte ihm zu und wartete geduldig.
„Dann lief wieder alles normal bis zweiundneunzig. Da haben die Chefs im Krankenhaus Leute eingespart, weil das Geld zu knapp wurde. Aber sie haben mir eine Stelle bei den Friedhofsgärtnern auf dem Abteifriedhof gegeben, das war anständig von ihnen. Weil ich so zuverlässig bin, haben sie gesagt. Bis vor zwei Jahren habe ich noch gearbeitet, nicht mehr von morgens bis abends, wie früher, das habe ich nicht mehr geschafft, aber jeden Tag ein paar Stunden. Die konnten sich auch auf mich verlassen, das haben sie genau gewusst.“
Er lächelte wieder. „Jetzt kriege ich ja Rente. Meine Nachbarn regeln das alles für mich, wissen Sie, ich bin nicht so gut im Schreiben und im Rechnen. Fatma und Cem sind sehr nett.“
Silke nickte und strich ihre Haare zurück. „Ich weiß, Herr Kollowicz. Frau Özdemir hat es mir erzählt. Sie hat mich im Büro besucht und von Ihnen erzählt. Sie und ihr Mann haben Sie sehr gerne, wissen Sie das?“ Herbert rutschte verlegen auf dem Klappstuhl herum und wunderte sich über Silkes Worte. Die Sonne brannte wie im Hochsommer, es ging kein Lüftchen. Ihm lief der Schweiß in den Hemdkragen und er hätte gerne den obersten Knopf geöffnet, doch das gehörte sich nicht. Wieso ging Fatma zu dieser netten Frau und erzählte von ihm? Ob sie wollte, dass er Besuch bekam? Dachte sie, er wäre zu viel allein? Herbert konnte sich keinen Reim darauf machen, doch er war irgendwie stolz; stolz und froh, dass alles so schön sauber war. Und auch, dass Fatma so viel an ihn dachte.
„Es wohnen nicht mehr viele Leute hier, nicht wahr? Die meisten haben ihre Häuschen verkauft, oder?“ Da sprach Silke Bender eine traurige Sache an, Herbert nickte bekümmert.
„Früher kannte ich alle Nachbarn, alles alte Hamborner. Thyssenleute. Die waren im Pütt oder am Hochofen. Wir sind so Mitte der Fünfziger eingezogen, alle Kinder waren auf der Humboldtschule.“ Er grinste. „Ich habe die Schule nicht ganz geschafft, bin sitzen geblieben, na ja.“ Herbert trank in großen Schlucken sein Glas leer.
„Von den Jungen sind schon damals viele weggezogen, so mit Zwanzig. Und die Alten sind entweder gestorben oder haben an die Wohnungsgesellschaft verkauft, als sie in Rente gegangen sind. Von zehn Häusern sind noch drei bewohnt. Ich, Cem und Fatma, die aber später gekommen sind, und an der anderen Ecke Frau Hecker. Die will nicht ausziehen, die will hier sterben.“ Er sah Silke an. „Ist doch auch unser Zuhause, wo sollen wir denn hin? Cem hat gesagt, die wollen alle Häuser einkassieren und dann alles renovieren und teuer verkaufen. Aber die können mich ja nicht zwingen, es ist unser Haus, Mama hat gesagt, es ist längst bezahlt, es gehört jetzt mir.“ Sein Herz klopfte plötzlich so laut. Das Thema regte ihn auf, genau wie es Mama immer aufgeregt hatte. Silke goss frisches Wasser ein.
„Und wenn die Özdemirs verkaufen würden, was wäre dann?“ Ihr Gesicht war auf einmal so ernst. Herberts Zeigefinger fuhr zum Mund, doch in letzter Sekunde presste er die Lippen zusammen. Es war zu heiß, er konnte nicht mehr auf dem Stuhl sitzen. Als er sich hoch wuchtete, waren seine Knie aus Gummi. Silke Bender sprang auf, um ihn zu stützen. Doch Herbert wollte nicht mehr angefasst werden, er torkelte schnaufend auf den Gartenweg.
Was sollte das denn? Warum erzählte sie denn so was? Sein Blick fiel auf die blühenden Stiefmütterchen an der Hecke, die Studentenblumen leuchteten orangerot und neben dem Schuppen wucherte der Lavendel. Cem hatte ihm gestern doch noch einen kleinen Rhododendronstrauch gebracht, den wollte er heute einpflanzen, damit der Garten wieder sommerfein wäre. Seit zwei Wochen war wunderbares Frühlingswetter und sie würden doch wieder zusammen… Herbert hielt inne. Er sah nach links über die niedrige Buchsbaumhecke. Cem und Fatma hatten ihre Gartenstühle noch nicht aus dem Keller geholt. Zum ersten Mal in den ganzen Jahren, das wusste Herbert genau, zum ersten Mal hatte er seinen Klappstuhl eher im Garten stehen. Dabei war Cem ein Sonnenanbeter, das sagte er doch immer. Herbert bekam Angst. Cems Garten war unbewohnt, er lag so verlassen da, auch das Gras war noch nicht gemäht worden.
„Herr Kollowicz?“ Die Stimme neben ihm klang vorsichtig, verräterisch vorsichtig. Herbert konnte sich gar nicht bewegen, sein Kopf kribbelte wie verrückt und die Gedanken wirbelten durcheinander. Er sah auf einmal den traurigen Blick von Mama, mit dem sie ihn manchmal angesehen hatte, und die kohlegeschwärzten Augen seines Vaters.
Sie hatten ihn einfach allein gelassen, alle beide, dabei wussten sie doch, dass er allein nicht zurechtkam, nicht ganz allein.
Silke Benders Stimme klang fest und bestimmt. „Wir werden gemeinsam überlegen, was zu tun ist, Herr Kollowicz, das verspreche ich Ihnen.“
Mamas Stimme hatte ähnlich geklungen, wenn Herbert verwirrt oder ängstlich war. So eine Stimme brauchte er jetzt.
„Gehen Sie nicht weg“, murmelte er und streckte seine Hand aus.
„Nein, ich gehe nicht weg,“ antwortete Silke und trat näher.
Herbert schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ihren Blumenduft ein.

 

Hmmm, mir gefällt die Geschichte vom Schreibstil her gut (in den Anfängen verwendest du m M n etwas zu oft den Namen - Herbert - evt ließe sich das einfach durch "er" oder Sazuumstellung (etwa ins passiv) verändern. eine so häufige Nennung tut ja nicht Not, da außer Herbert niemand sonst da ist.

Das ende verstehe ich nicht?

 

Hallo Jutta,

eine melancholisch-traurige Geschichte um einen Menschen, der alles um sich rum zu verlieren droht. Die Eltern, die ihm Halt und Schutz geboten haben, sind gestorben. Das nette türkische Nachbarehepaar kümmert sich rührend, ist aber irgendwann auch am Ende der Kräfte, denn Herbert braucht Hilfe und Unterstützung. Ich nehme an, er ist leicht geistig behindert, evtl. ein bisschen autistisch, daher auch die nur stundenweise Arbeit auf dem Friedhof. Und dann kommt irgendwann der Frauenbesuch vom Amt, das Unausweichliche, denn er kann auf Dauer nicht alleine leben, es muss eine Lösung gefunden werden. Die Nachbarn verkaufen ihr Haus.

Ich finde, dass Du die Gefühle dieses einsamen, aber doch so hilfebedürftigen Menschen sehr gut rübergebracht hast. Du beschreibst sehr schön, wie sehr er an allem hängt, das ihn umgibt. Er braucht seinen immer gleichen Tagesablauf, braucht jeden Tag die gleichen Rituale und dieselben Menschen um sich, nur so findet er Halt. Auch und vor allem in dem, was Mama ihm gesagt hat, die wichtigste Person überhaupt für ihn. Es ist fast, als würde sie noch leben und ihm Anweisungen geben.

Wenn nicht, gerät sein Inneres schnell aus den Fugen und alles in Unordnung, dann muss der Finger in den Mund und er wartet ab, bis es vorbei ist, wie damals in der Schule mit den hänselnden Schulkameraden. Bedrückende Vorstellung, man ist mittendrin und leidet fast mit.

Sehr gerne gelesen.
LG
Giraffe :)

 

Friedvolle Grüße

Dir ist eine gute Geschichte gelungen, die ich gerne gelesen habe. Dein Stil ist sehr gut ausgearbeitet, flüssig, bedacht und ohne unnötiges abschweifen.

An den Dialogen hapert es allerdings gewaltig. Herbert ist ja ganz offensichtlich, Giraffe hat es schon angesprochen, ein eher simpler Charakter. Einer von der Sorte, die sich nicht sehr gut öffnen kann, weil er zu oft von der Welt verletzt wurde. Dann aber erzählt er der fremden Frau vom Amt seine Lebens-und Familiengeschichte, als wäre er ein Geschichtsprofessor im Hörsaal. Das er so ein Simpel ist, muß sich nicht nur in Deiner Erzählung sondern auch in Deinen Dialogen ausdrücken. Da würde ich Dir eine Nachbearbeitung dringen empfehlen.

Kane

 

Hallo Jutta,

eine sehr bewegende und liebevolle Geschichte, die Du hier geschrieben hast.
Herbert beschreibst Du sehr liebevoll durch kleine Details, die in seinem Leben einen großen Raum einnehmen:

Dieses Jahr geht es noch, dachte Herbert zufrieden, nächstes Jahr würde die Pappe zu flach sein, dann musste er ein neues Stück zurechtknicken. Bodensenkung.

Das ist wirklich eine schwierige Aufgabe, vor allem für Herbert ;).

Bügeln konnte er, das sah man sofort. Herbert freute sich an den akkurat aufeinanderliegenden Ecken. Kein Fältchen, glatt wie Seide.

Es sind die für uns ganz nebensächlich, alltäglichen Dinge, die für ihn bereits eine große Herausforderung darstellen und auf die er (zu recht) stolz sein kann.

Herbert hielt sich die Ohren zu, summte lauter und stolperte zum Schuppen.

Da ist sein großes Problem. Herbert benötigt einen ganz festen, routinemäßig verlaufenden Alltag. Es sind zu viele Impressionen, wenn er sich außerhalb seiner Welt aufhält. Das hast Du sehr schön beschrieben, mit der Szene im Eiscafe und in der Wahl seiner Jobs. Und wenn es zuviel wird, dann summt es in seinem Kopf. Das finde ich ein sehr schönes Bild.

Herbert dachte an Mama, die ihm beigebracht hatte, zu jedem Besuch höflich zu sein. Er sah ihr Gesicht vor sich und ihr ermunterndes Lächeln. ‚Begrüße die Dame, Herbert’, schien sie zu sagen.

Mama und Papa, die beiden wichtigsten Personen in seinem Leben. Man spürt förmlich die Einsamkeit in ihm, nach ihrem Tod, die große Leere und Trauer, die sie ihm hinterlassen haben. Deshalb bleiben/ begleiten sie ihn, sind immer da, in seinem Kopf. Und Du vermittelst auch, dass er sehr liebevoll umsorgt wurde, von den beiden.

„Sie sind ein guter Hausmann, Herr Kollowicz. Alles blitzt und blinkt.“
Herbert kroch eine heiße Röte ins Gesicht ... Wenn Mama das hören könnte! Sie hatte ihm beigebracht, dass das Haus sauber sein muss. Jederzeit kann jemand kommen ...

Alles, was Mama ihm beigebracht hat, darauf kann er sich verlassen. Es hilft ihm selbständig zu sein / zu bleiben. Nimmt ihm ein Stück seiner Abhängigkeit.

Diese Frau ist traurig, weil Papa verunglückt ist.

Diesen Satz finde ich großartig. Er sagt soviel über Herbert aus, nimmt ihm aber ein großes Stück seiner Unsicherheit gegenüber der fremden Frau und baut eine Brücke, die er später dringend benötigen wird. So ein kleiner Satz, mit so viel Inhalt!

„Gehen Sie nicht weg“, murmelte er und streckte seine Hand aus.

Genau hier. Da kam mir fast ein Tränchen ... so rührend.

Wahrscheinlich kennt jeder einen Herbert. Aber nicht jeder hat so wunderbare Nachbarn. Gelungene Integration!

Der Herbert, welcher mir beim Lesen vorschwebte war allerdings noch ein Stück einfacher. Manchmal war er mir zu pfiffig, Dein Herbert. Mir hätte es gereicht, wenn er auf Arbeit einfach nur gemocht wird, dass er gar nicht um seine Zuverlässigkeit weiß, die ihn tatsächlich zu einem wertvollen MA macht.
Ein mal sitzen geblieben. Ich hab ihn an einer Sonderschule gesehen. Und am Ende fällt mir auch der Groschen zu schnell. Die Schlussfolgerung - keine Stühle = Auszug. Aber wahrscheinlich ist mein Herbert einfach ein Stück extremer als Deiner. Mag sein, dass meine Phantasie mich an dieser Stelle treibt.

Eine Frage lässt Deine Geschichte jedoch bei mir offen.

Fatma brachte ihm morgens ein Vollkornbrötchen mit und hatte vor zwei Wochen seine Nutella, die Cornflakes und die Schokoriegel verschwinden lassen. So was würde sie nicht mehr für ihn einkaufen, hatte sie gesagt und ihn dabei streng angesehen.
Mittags tischte sie ihm eine große Portion Gemüse oder Salat auf, nur selten ein Stück Fleisch, gar kein Kotelett mehr, schon mal Hähnchenbrust ...
Zum ersten Mal in den ganzen Jahren, das wusste Herbert genau, zum ersten Mal hatte er seinen Klappstuhl eher im Garten stehen. Dabei war Cem ein Sonnenanbeter, das sagte er doch immer. Herbert bekam Angst. Cems Garten war unbewohnt, er lag so verlassen da, auch das Gras war noch nicht gemäht worden ...
Sie hatten ihn einfach allein gelassen, alle beide, dabei wussten sie doch, dass er allein nicht zurechtkam, nicht ganz allein.

Fatama besorgt die Einkäufe, jeden Morgen Brötchen, Cem schenkt ihm gestern noch einen Rodedendronbusch, Mittag wird auch ins Haus geliefert ... ja wohnen die beiden nun noch da, oder nehmen sie jeden Tag die Wege in Kauf? Und wenn sie da noch wohnen, dann können sie doch nach der Arbeit im Garten sitzen ... oder haben sie so viel zu tun, dass sie keine Zeit dafür mehr haben ... ahh, dass wird es wohl sein.
Also Herbert sieht die beiden täglich, weiß aber aufgrund der fehlenden Stühle, dass sie ausziehen werden. Da ist er wirklich clever.

„Und wenn die Özdemirs verkaufen würden, was wäre dann?“ Ihr Gesicht war auf einmal so ernst. Herberts Zeigefinger fuhr zum Mund, doch in letzter Sekunde presste er die Lippen zusammen. Es war zu heiß, er konnte nicht mehr auf dem Stuhl sitzen. Als er sich hoch wuchtete, waren seine Knie aus Gummi. Silke Bender sprang auf, um ihn zu stützen. Doch Herbert wollte nicht mehr angefasst werden, er torkelte schnaufend auf den Gartenweg.

Schönes Bild für seine zusammenbrechende Welt.

Bis auf die eine, sich mir stellende Frage, ist es eine sehr schöne Geschichte, die ich sehr gern gelesen habe und am Ende tatsächlich nach der nächsten Seite suchte, sie durfte an dieser Stelle einfach noch nicht ... Ich hätte gern noch ein wenig mehr Zeit in Herberts Welt verbracht.

Lieben Gruß und vielen Dank
Fliege

 

Hallo, alle zusammen,
vielen Dank für Eure Mühe, die schönen, aber auch die kritischen Kommentare. Der Finger liegt mal wieder in der richtigen Wunde. Der lange Herbert-Monolog ist zu geschliffen, das stimmt, so viel würde er am Stück sicher nicht reden. Meine Angst war, dass die Geschichte dann noch länger würde und niemand Lust hat, sie zu lesen. Doch ich sehe, dass dieses Risiko eben eingegangen werden muss. Mich feut aber, dass seine Behinderung wohl gut zu erkennen ist. Die türkischen Nachbarn werden wegziehen, haben es ihm aber noch nicht gesagt, wahrscheinlich haben sie ihr Haus längst an die Heuschrecke verkauft. Fatma hat den Sozialdienst eingeschaltet, es gibt mehrere Möglichkeiten für Herbert: Betreuung in der Wohnung oder in einer Einrichtung, das bleibt offen.
LG,
Jutta

 

Hej Jutta,

Deine klare Sprache hat mir vor allem gefallen und mich sicher durch die Geschichte geführt.

Ungefähr in der Mitte habe ich festgestellt, dass ich Herbert trotz vieler Details (seine Beziehung zur Mutter erinnerte mich an Forrest Gump) nicht richtig sehen kann und am Ende hat mich sein Scharfsinn irritiert. So wie er eingangs geschildert wird, stelle ich mir seine Ängste diffuser vor, unklarer und deswegen auch viel bedrohlicher, ähnlich wie bei einem Kind.

Die Überschrift gefällt mir, dieses altmodische Wort, das so gut zu Herbert passt, es stellt ihn gleichzeitig vor und ermöglicht einen Blick in sein Fühlen und Denken.

Viele Grüße
Ane

 

Hallo Ane,
ja, es ist schwer, die partiellen Probleme eines behinderten Erwachsenen richtig darzustellen. Ich hatte so di Vorstellung, dass er mit einem regelmäßigen Rhythmus, bei dem aber auch nix durcheinandergeraten darf, und begrenzter Hilfe ganz gut klarkommt. Sein Zuhause ist für Herbert dabei immens wichtig. Einiges geht wahrscheinlich doch durch seinen flüssigen Monolog verloren. Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta,

das ist wirklich eine berührende Geschichte.
Du gbst der kg den Raum, den sie braucht, führst den Leser angenehm langsam in das langsame Wesen herberts. Durch deie Gedankengänge und Erinnerungen erstellst du ein gutes Psychogamm.
Wirklich schön eindringliche Beobachtungen gibst du Preis. Die sind zum einen wegen ihrer sensiblen Darstellung von so hoher Qualität, aber auch deshalb, weil du dich jeder Wertung entziehst. Sehr gut.

Schwächeln tut der Text leider dann, als Herbert zu erzählen beginnt.
Der EInleitesatz ist gut „Ich weiß nicht so genau, , aber dann wird das ad absurdum geführt.
Die Sprache ist zu gewählt, zu sicher, zu klar, überhauot sind es zu viele Worte.
In meinen Augen zerstört das das so sensobel gezeichnete Bild Herberts. Auch deshalb, weil die Details, in die du so viel Mühe investierst, unnötig für die Geschichte sind (wie genau der Vater ums Leben gekommen ist, bpsw.). Weshalb ch mich frage, warum du das überhaupt eingebaut hast.
Ja, da solltest du unbedingt noch mal rüber, denn hier entziehst du der kg viel von ihrer eigentlichen Kraft.


Im Folgenden ein paar Detailanmerkungen:

als der scheppernde Ton erklang.
Ein langer drängender Ton.
Seltsame Türklingel: das ist ein Widerspruch (zumindest in meinen Ohren)
Herbert schaute hinaus. Er sah in den milchigen Himmel.
ist mir zu abgestoppt, wüde ich streichen, beide Sätze mit Komma verbinden.
Er kippte um und das Eis zerfloss auf den braunen Fliesen.
das geht mir etwas zu rasch. Dann muss das Eis ja bereits sehr dünnflüssig gewesen sein.
„Hallo, da sind Sie ja endlich. Schön, Sie zu sehen.“
Hier draußen klang die Stimme noch freundlicher und erinnerte ihn ein bisschen an silberne Glöckchen. Herbert drehte sich zum hinteren Gartentor um und blickte geradewegs in das schönste Gesicht, das er je gesehen hatte.
Die Dame nickte ihm lächelnd zu, dabei wippten ihre braunen Haare hinter den Ohren und glänzten in der Sonne wie dunkles Kupfer. Ihre Augen waren braun, wie die von Mama, und sie trug eine schöne weiße Bluse.
vll etwas pingelig die ww, aber mir ist es ins Auge geschossen. Besonders die letzten beiden sind zu dicht.
Herbert hatte auf einmal den Mund voller Spucke, er schluckte immerzu, es wurde mehr und mehr. Er nickte eifrig.
schwach. Das trau ich dir besser zu! Zudem stimmt der Bezug nciht.
Er fragte sich, woher sie wohl kam, ausgerechnet zu ihm.
sehr verquerer Satz.
„Sie waren sicher sehr zuverlässig, nicht wahr?“ Herbert strahlte.
gehört in die nächste Zeile, sonst denkt man, Herbert sagt das. Verwirrt nur unnötig.

Stark ist die Szene iin der Eisdiele.
Wundershön, wie du Silke ins Licht rückst, ihren Duft schweben lässt.
Und Danke für den schönen Ausklang der Geschichte.

grüßlichst
weltenläufer

 

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