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Daneben stehen

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30.08.2006
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Daneben stehen

"Auch Sozialfall?" Seine Worte trafen mich wie ein Faustschlag. War das die übliche Begrüßung zweier wildfremder Menschen? Ich versuchte, im Dämmerlicht der hereinbrechenden Nacht mein Gegenüber zu erkennen. Gleichzeitig suchte ich nach einer Antwort und brachte schließlich nur ein "Nein, eigentlich nicht." hervor. Die Gestalt in der Dunkelheit nickte kurz verständnisvoll und wandte sich dann wieder ab, den Blick nach unten gerichtet, die Hände auf das Brückengeländer gestützt. Ich hatte mich in ähnlicher Pose neben ihn gestellt. In der Dunkelheit hatte ich ein schlecht rasiertes, verlebtes Gesicht erkennen können. Sein Alter? Schwer zu schätzen, denn ich war mich sicher, es mit einem Alkoholiker zu tun zu haben.

Es dunkelte und die Straßen hatten sich geleert. Wer ein Zuhause hatte, war dorthin gegangen, um sich den Bauch vollzuschlagen.
"Schön oder?" Er zeigte mit ausgestrecktem Arm nach unten, dorthin wo der Fluss über ein Wehr in die Tiefe stürzte und trotz der Dunkelheit ein Stück Styropor zu erkennen war. Das Wasser hatte es ganz rund geschliffen und es tanzte auf den Wellen, gefangen gehalten vom Kehrwasser.
"Lässt sich nicht unterkriegen!" Nun hatte ich verstanden, was er mir zeigen wollte.
"Hmm", antwortete ich und fügte zur Aufmunterung hinzu:
"Wie wir."
"Ja, ja", antwortete er und lächelte zu mir herüber. Unsere Blicke trafen sich.

Wie kalt der Abend und wie ungewöhnlich die Situation auch sein mochten, es war mir egal. Der alkoholisierte Obdachlose mit der jungen Frau nachts alleine auf der Brücke, was würden die Leute wohl sagen... Nichts lag mir ferner, als diesen Gedanken in all seinen Konsequenzen weiterzudenken. Kein wenn, kein aber, kein "was könnte passieren". Statt dessen fühlte ich mich wohl in seiner Nähe.
"Und was treibt dich aus dem Haus?", fragte er mich schließlich nach einer weiteren Zeit des Schweigens.
Es gab nichts, auf das ich Rücksicht zu nehmen hatte. Ich musste keine Konsequenzen oder Auswirkungen auf mein normales Leben fürchten. Ich war frei, einfach frei.
"Mir ist klar geworden, dass ich ein Scheißleben führe!" Ich hatte ihm gesagt, was ich mich niemals zu sagen getraut hätte, meinen Kolleginnen oder Freundinnen gegenüber. Auch vor dem Badezimmerspiegel stehend, fest in die eigenen Augen blickend... undenkbar. Aber hier auf der Brücke, den Blick auf das Spiel der Wellen gerichtet, war mir die Wahrheit einfach so herausgerutscht.
"Eigentlich müsste ich dir nun sagen, dass du zu jung oder zu hübsch bist für so etwas." Ich spürte das Blut in meinen Kopf steigen, ob einer solchen Antwort. Es war dunkel, er hatte kein Recht soetwas zu sagen.

"Danke", stammelte ich, dann schwiegen wir uns wieder an. Sollte ich ihn mit "Du" anreden? Wieder einer der Gedanken aus der Welt meines richtigen Lebens, der an dieser Stelle nicht hätte bedeutungsloser sein können.
"Und du? Warum bist du heute hier?"
Er sah auf und zu mir herüber.
"Willst du das wirklich wissen?"
Mangels einer besseren Antwort schwieg ich, so lange bis das gedachte "eigentlich nicht" unausgesprochen ausgesprochen war.
"Meine Kumpanen saufen sich irgendwo da hinten zu. Weihnachten bei den Pennern, kannst du dir vorstellen, was das für ein Spaß ist? Es war mir einfach zu viel, verstehst du?"
Ich nickte. Auch mir war es einfach zu viel.
"Wenn du mir was von deinem Leben erzählen willst, ich bin ein guter Zuhörer. Gar nicht so blöde, wie du jetzt vielleicht denken magst. Und du hast Glück, ich bin gerade nüchtern."
Ich sah im Augenwinkel, wie er zu mir herübergrinste, wandte aber selbst nicht meinen Blick vom Wasser ab. Uns trennten dreißig Jahre, zwei Meter Sicherheitsabstand und noch so vieles andere.
"Ich führe ein wunderbares Leben. Für meine Mutter bin ich die liebevolle Tochter, im Büro die nette Kollegin. Ich habe ein kleines Auto, eine nett eingerichtete Wohnung, und mein Freund ..."
"Alles Quatsch!", unterbrach er mich, "Und warum bist du dann heute nicht zu Hause?"
Ich schwieg, diesmal aus Scham, ertappt worden zu sein. Er antwortete für mich:
"Du bist hier, weil du es zuhause nicht mehr aushältst. Irgendwas ist schief gegangen und hat dich aus der Normalität deines Lebens geworfen. So ein nettes kleines Mädel geht sonst nicht nachts alleine an den Fluss. Das kannst du deiner Großmutter erzählen. Also lüg' mich bitte nicht an, das haben wir nicht nötig."
"O.k."
"Und jetzt erzählst du mir, was wirklich los ist!"
"Das kann ich nicht!"
"Ist es wirklich so schlimm?"
Seine Stimme war mitleidvoll geworden, er sah zu mir herüber während ich auf das Wasser starrte.
"Ja und nein, eigentlich nicht, ach ich weiß nicht. Ich habe eigentlich keinen wirklichen Grund, unglücklich zu sein ..."
"Und warum bist du nicht zu Hause?"
"Meine Mutter... wir hatten eine Auseinandersetzung... ich glaube, wir haben uns noch nie so gestritten..."
Während wir vordergründig schwiegen, zogen die Ereignisse der letzten Tage an mir vorbei. Das "ich will doch nur dein Bestes" gegen das ich mit aller Kraft aufbegehrt hatte. Und die endlich ausgeprochene Wahrheit: Dass ich genug davon hätte, wie sehr sie mein Leben kontrolliere. Es war der schlimmste Streit, den wir jemals miteinander gehabt hatten. Aber ein echter Sieg war es nicht gewesen, denn sie hatte an Jahren zugenommen und an Kraft und Bosheit verloren.
Aber was würde er von alledem verstehen? Er mochte ein Vierteljahrhundert älter sein, war ein Mann und lebte in einer anderen Welt.
"Ich habe eine Tochter. Sie müsste jetzt in deinem Alter sein. Das Traurige ist, ich kenne sie kaum. Und jetzt ist es zu spät..."
"Warum?"
"Schau mich doch an, möchtest du so jemandem zum Vater haben?"
Ich schwieg. Doch es war nicht das verlegene Schweigen an Stelle eines offenen Neins. Statt dessen verlor ich mich in den Tiefen meiner eigenen Erinnerung. Aus ihr war mein Vater allzu früh verschwunden, hatte sich davongestohlen oder war gestohlen worden, was auf dasselbe hinaus lief. Zu spät bemerkte ich, dass ich meinen Gesprächspartner beleidigt hatte.
"Siehst du", stellte er trocken fest, "das meine ich."
"Nein, es ist nicht... ich musste nur an meinen eigenen Vater denken und daran, dass auch ich ihn kaum kenne. Er ist gestorben, als ich noch ein kleines Mädchen war."
"Kommt mir irgendwie bekannt vor", brummt er, "das hat sie bestimmt meiner kleinen Jacqueline auch erzählt. Um dann mit diesem geleckten Arschloch ins Bett zu steigen."
"Ich habe nie verstanden, warum sie nicht mehr geheiratet hat, es waren schwere Zeiten, zum Glück war es ein Unfall auf dem Weg zur Arbeit, die Versicherung musste zahlen..."
"Natürlich ging es nicht gut, er hat es auch nicht mit ihr ausgehalten. Und meine arme kleine Jacqueline..."
Keiner von uns setzte die Unterhaltung fort. Unter uns führte unbeeindruckt von alledem das kleine Styroporstück seinen Tanz auf. Mittlerweile war es komplett dunkel geworden. Ich fand zurück in die Realität, zurück zu meinem Gegenüber.
"Wenn du so alt wärst wie ich, was würdest du anders machen?"
"Oh je, Kleines. Bringt so einen versoffenen Kerl wie mich noch so richtig in Verlegenheit... anders machen... du stellst Fragen. Das Leben ist eine Einbahnstraße. Es gibt kein Zurück. Mit ihr würde ich mich nicht mehr einlassen, aber das hilft dir nichts."
Ich begann seine Stimme zu mögen. Sie hatte etwas Warmes, Väterliches. Wieder trieb ich auf den Bruchstücken der Erinnerung zurück in eine vermeintlich paradiesische Vergangenheit, während sich mein Gegenüber mühte, mir etwas Sinnvolles mit auf den Weg zu geben:
"Das sind die großen Fragen, Mädel. Wenn ich gewusst hätte, dass mich die Gosse erwartet... vielleicht hätte ich sie einfach erschlagen sollen... Das Kind mitnehmen und nach Afrika auswandern, keine Ahnung."
Ja es war schwer gewesen, natürlich verstand ich das, war ich doch alles, was ihr geblieben war. Und natürlich wollte sie das Beste für mich, unbestritten. Das Beste aus ihrem Blickwinkel, eine ordentliche Ausbildung, einen ordentlichen Mann. Das war auch der Punkt, an welchem wir wieder und wieder aneinander geraten waren. Meine bisherigen Freunde waren ihr nicht gut genug. Nicht dass sie diese Tatsache ausgesprochen hätte, nein es war diese unterschwellig fiese Art, wie sie es mich spüren ließ. Dieses implizite "du bist meine Tochter, du hast etwas Besseres verdient". Dass ich vor einigen Jahren ausgezogen war, hatte nur bedingt geholfen.
"Wie oft habe ich mich gefragt, warum es damals in die Brüche ging! Man sucht zuerst immer die Schuld bei sich selbst. Das ist deine Frage: Was könnte man anders machen? Vielleicht einfach gar nichts, weil wir nichts anders machen können. Mädel, hättest du nicht ein paar Jahre früher kommen können? Als ich mich noch nicht um meinen Verstand gesoffen hatte? Ich war gar nicht so schlecht in diesen Dingen. Aber heute? Sieh mich an..."
Ich sah in an. Viel war in der Dunkelheit nicht zu erkennen von ihm, eine nach vorne gelehnte Gestalt, verpackt in ein zusammengewürfeltes Sammelsurium von Kleidungsstücken. Mir fiel auf, wie kalt es geworden war. Irgendwie war es an der Zeit zu gehen. Ich hatte bekommen, wonach ich gesucht hatte oder auch nicht.
"Frohe Weihnachten. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend."
Er ließ die Worte in einem antwortlosen Schweigen verhallen, das mir erst ihren Zynismus verdeutlichte.
"Ich dir auch", brummte er schließlich und sah zu mir herüber. Ich wandte mich ab und ging. Als ich mich nach kurzer Zeit noch einmal umdrehte, sah ich wie er in unveränderter Stellung am Brückengeländer lehnte.

Ich war eine Stunde lang durch die Stadt gelaufen, bis mir endlich wieder warm geworden war. Bewegung hatte sonst immer wie ein Allheilmittel gewirkt, um mit meinen Gedanken ins Reine zu kommen, doch nicht so an diesem Abend. Ich schloss die Haustür auf und stieg die Treppe zum Keller hinunter. Aus meinem Verschlag holte ich zwei Flaschen Rotwein und trug sie hoch in meine Wohnung. Nachdem ich die Stiefel ausgezogen, Handschuhe, Mütze und Mantel abgelegt hatte, stellte ich die beiden Weinflaschen auf meinen Esstisch. Die Wärme der Wohnung hieß mich willkommen.
Ich holte aus der Küche den Korkenzieher und ein Rotweinglas. Italienischer Chianti, teuer, hoffentlich gut. Eigentlich ein geeignetes Geschenk. Unwillkürlich musste ich an meine Bekanntschaft auf der Brücke denken. Ob er immer noch an der selben Stelle stand? Würde er dieses Geschenk zu schätzen wissen? Ich öffnete eine der beiden Flaschen, um zu kosten. Ein seltsamer Gedanke, einem Alkoholiker eine Flasche Wein zu schenken. Aber die Idee hätte etwas.
Das Telefon läutete. Ich ließ es läuten, wohlwissend, wer am anderen Ende der Leitung war. Es klingelte dreimal, viermal. Trotzig nahm ich einen großen Schluck Chianti. Zehnmal, elfmal. Es war ihre typische Hartnäckigkeit, die ich mit einem weiteren Schluck quittierte. Dann endlich Stille. Ich hob ab und legte den Hörer daneben. Sie würde es in Kürze nochmals versuchen, das wusste ich. Sie sollte zu spüren bekommen, dass ich zuhause war.

Der Rotwein wärmte mich von innen heraus, ob er so ein Geschenk zu schätzen wüsste? Die Vorstellung, ihn einfach aus der Flasche in sich hineinzuschütten, nur des Alkoholgehaltes wegen, hatte etwas Barbarisches. Aber er würde sich freuen, wenn ich mit der Flasche auftauchen würde. Wieder drehten sich meine Gedanken im Kreis. War es eine gute oder eine idiotische Idee? Die Wärme des Raumes machte müde, es war unverkennbar. Nur noch ein Glas, dann würde ich die zweite ungeöffnete Flasche nehmen, mich wieder anziehen und auf den Weg machen. Nur noch ein Glas, zur Stärkung vorweg. Und das Licht in meiner Wohnung würde ich brennen lassen.

 

Ist zwar irgendwie eine Weihnachtsgeschichte, da Weihnachten aber nur eine untergeordntete Rolle spielt, habe ich mich für die Rubrik Alltag entschieden.

N

 

Hallo Nicole :xmas:,

erst ein wenig Textkram:

Ich versuchte, im Dämmerlicht der hereinbrechenden Nacht meinen Gegenüber zu erkennen.

Mit ihr würde ich mich nicht mehr einlassen, aber das hilft dir nichts."
Ich begann seine Stimme zu mögen. Sie hatte etwas Warmes, Väterliches. Wieder trieb ich auf den Bruchstücken der Erinnerung zurück in eine vermeintlich paradiesische Vergangenheit, während sich mein Gegenüber mühte, mir etwas Sinnvolles mit auf den Weg zu geben:
"Das sind die großen Fragen, Mädel. Wenn ich gewusst hätte, dass die Gosse hier auf mich wartet ...

Was könnte man anders machen? Vielleicht einfach gar nichts, weil wir nichts anders machen können. Mädel, hättest du nicht ein paar Jahre früher kommen können? Als ich mich noch nicht so blöd gesoffen hatte?

Das Telefon läutete. Ich ließ es läuten, wohlwissend, wer am anderen Ende der Leitung war. Es klingelte dreimal, viermal. Trotzig nahm ich einen großen Schluck Chianti. Wenn es aufgehört haben würde, wollte ich den Hörer neben die Gabel legen. Zehnmal, elfmal. Es war ihre typische Hartnäckigkeit, die ich mit einem weiteren Schluck quittierte. Dann endlich Stille. Ich hob ab und legte den Hörer daneben. Sie würde es in Kürze nochmals versuchen, das wusste ich. Sie sollte zu spüren bekommen, dass ich zuhause war.
Satz weglasenn, weil schwerfällig und überflüssig


Die Vorstellung, ihn ohne Glas ihn einfach aus der Flasche in sich hineinzuschütten, nur des Alkoholgehaltes wegen, hatte etwas Barbarisches.

Eine richtige Weihnachtsgeschichte: leise, gefühlvoll, aber zum Glück nicht kitschig.(Gut, dass es nicht ihr Vater war)
Starker Einstieg ("Auch Sozialfall?" ), auch das fand ich klasse:
"Frohe Weihnachten. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend."
Er ließ die Worte in einem antwortlosen Schweigen verhallen, das mir erst ihren Zynismus verdeutlichte.
Der Schluss ein bisschen lahm, zu langwierig erzählt. Vllt kannst du im letzten Absatz noch was straffen.

Schöne Tage, Elisha :xmas:

 

Hallo Elisha,

das ist ja nett, dass Du meine Story kommentierst. Ich fange mal mit einem Geständnis an: Auf die Idee, eine Weihnachtsgeschichte zu schreiben, hat mich Deine Norderney-Erzählung gebracht ...

Starker Einstieg ("Auch Sozialfall?" )

Ja, das war zugegebenermaßen der Kernsatz, die zündende Idee und der Ausgangspunkt der Geschichte. Alles andere ist im Prinzip linear daraus entwickelt. Insofern trifft auf dein Vorwurf des etwas lahmen Schlusses zu. Ich bin selbst noch nicht so ganz glücklich. Mal sehen, welche Ideen hierzu die Feiertage bringen.

Gut, dass es nicht ihr Vater war

Eine auf der Hand liegende Idee. Mir war wichtig eine Parallelität aufzuzeigen, die aber auch ihre Grenzen hat. Dass das Treffen mit dem Mann auf der Brücke dann einfach so endet, ohne Versprechen ihn wiederzusehen, ohne Angebot der Hilfe, eben ohne Ausdruck irgendeiner Art der christlichen Nächstenliebe war mir wichtig.

Dass du mir "nicht kitschig" bescheinigt hast, freut mich riesig.

Wünsche dir (nicht im Sinne dieser Geschichte) eine schöne Weihnachtszeit und werde mir jetzt mal einen Chianti aus dem Keller holen :xmas:

LG,

N

 

HI!

Ja, der Einstieg ist wirklich gut, aber die Kg flaut am Ende etwas ab. Was ich gut finde, ist, dass dein Obdachloser keine allwissendes Orakel ist, das wäre auch unrealistisch. Satdessen erzählt er seine Geschichte und sie ihre, wahrscheinlich gehen seine Gedanken auch nich weiter, aber du verfolgst die deines Prots.
Auch die Idee, einem wildfremden menschen, den man vielleicht sowieso nie weider sieht etwas zu erzählen ist gut, jemandem der himmelweit von seinem eigenen umfeld entfernt ist.
Am Ende scheint es so, als wären dir die guten Ideen ausgegangen, denn das zieht sich ein bisschen und dann ist die Kg eben aus. Mir fehlt irgendwie nochmal so ein knackiger Satz am Ende.
Alles in allem hat mir die KG aber schon gefallen, ließ sich gut lesen und die Länge hat zum Inhalt gepasst.

MFG Steeerie

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Nicole,

erstmal Textliches: (Ach, ja, im unteren Teil wären ein paar Absätze mehr ganz hilfreich;-))

"Auch Sozialfall?" Seine Worte trafen mich, wie ein Faustschlag.

Mich stört das Komma hier ebenfalls.

kurz verständnisvoll

Es ist dunkel. Kann sie wirklich erkennen, dass er verständnisvoll nickt? Und warum sollte er das tun? SIE ist ja kein Sozialfall.

Schwer zu schätzen, hatte doch der kurze Moment des Blickkontaktes mir die Sicherheit gegeben, es mit einem Alkoholiker zu tun zu haben.

Hmm, in der Dunkelheit erkennen, dass er Alkoholiker ist? Warum beschreibst du ihn nicht ein bisschen, dann können wir uns ein Bild von ihm machen und uns unseren Teil denken.

Der alkoholisierte Obdachlose mit der jungen Frau nachts alleine auf der Brücke,

Später sagt er von sich, er sei nüchtern. Was denn nun? ;)

30 Jahre, zwei

dreißig

"Alles Quatsch!", unterbrach er mich, "Und warum bist du dann heute nicht zuhause?"

Man schreibt das meines Wissens nach der NR zu Hause. Kommt öfter mal vor.

wir vordergründig schwiegen

Na ja, sie schweigen auch hintergründig. Sie denken beide nach.

Aus ihr war mein Vater allzu früh verschwunden, hatte sich davongestohlen oder war gestohlen worden, was auf das selbe hinaus lief.

dasselbe

Nachdem ich die Stiefel ausgezogen, Handschuhe, Mütze und Mantel abgelegt hatte stellte

Komma

Ob er immer noch an der selben Stelle stand

derselben

Ich ließ es läuten, wohlwissend,

Bin mir nicht ganz sicher, aber meine, man schreibt das getrennt.

Ja, es geht mir ähnlich wie den anderen. Gerne gelesen. Anerkennung dafür, dass Du auf das naheliegende Ende verzichtest :D

Vielleicht nimmt mich die Story nicht so richtig mit, weil sie, wenn sie keine eigenen Erlebnisse berührt, zu wenig Außergewöhnliches hat. Aber wie alle Deine Sachen gut geschrieben.

Liebe Grüße
melisane

 

Hallo Steerie, Z.-P. und melisane,

danke für Eure reichhaltigen Anmerkungen ... der Großteil ist verarbeitet, ein paar weitere Korrekturen sind angebracht unt der Schluss ist leicht abgeändert. Ansonsten muss ich Euch weitgehend Recht geben:

Das Ende hat mich irgendwie nicht wirklich überzeugt, doch schlecht ist es sicher nicht. Zuerst dachte ich, es liege daran, dass ich es nicht realistisch finde; dann dachte ich, doch es ist realistisch beziehungsweise möglich. Kurz: Ich bin leicht zwiegespalten.

Tja ja, das leidige Ende ... auch ein paar Tage ablagern haben mir nicht die Erleuchtung gebracht ... Realistisch sollte es sein. Die angerissenen Parallelen im Leben der Tochter des Obdachlosen und der Prot erfordern ein Ende in der Distanz der beiden Figuren.

Es war mir auch wichtig, dass sie nicht wirklich zueinander finden, Steerie hat das nett formuliert:

Was ich gut finde, ist, dass dein Obdachloser keine allwissendes Orakel ist, das wäre auch unrealistisch

Wichtig war mir auch irgendwie ein ruhiges Ausklingen, ohne Lösung, ohne Schmalz und Kitsch. Zwei einsame Seelen, die nicht die Kraft aufbringen, wirklich zueinander zu finden. Charakteristisch für unsere Gesellschaft. Wir Menschen schaffen es immer wieder selbst, unsere Leben zu versauen. Und einfach Schluss.

Naja, es kommt ja wieder ein Weihnachten und vielleicht dann die Eingebung.

Danke an alle, lG,

N

 

Hallo Nicole,

Deine Geschichten bewirken bei mir bisher immer sehr ähnliche Gedanken und Gefühle. Ich lese an, bleibe interessiert lesend dabei, lasse die Bilder wirken und sie wirken und bin mit dem Ende unzufrieden :)

Du bringst mich sofort und unmittelbar in die Geschichte mit Deinem Intro, das Aufeinandertreffen der Welten, Generationen, Geschlechter und somit in letzter Konsequenz Rollen zeichnest Du gut auf und nach. Die Distanz der Welten, das Bild mit dem rundgeschliffenen Styro auf dem Wasser und daß Weihnachten ist, ich mag die latente Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit, durch die ein kleiner Lichtstrahl der Empathie dringt, für Momente vielleicht nur, doch besser Momente als nie.
Wobei ich es schöner, weil lesbarer fände, wenn Du ihre Gedanken statt in Anführungszeichen z.B. kursiv setzen würdest.

Doch das Ende... Vielleicht stört mich die Tatsache, daß sie ihn als Alki identifiziert und sich dennoch mit der Frage, ob er den Wein zu schätzen wissen würde mehr als einmal beschäftigt. Sie will wieder zu ihm, will ihm ein Geschenk machen, vielleicht als Dank, vielleicht nur Weihnachten wegen, vielleicht weil er sie verstehen, nicht anklagend annehmen konnte, diese Gedanken fände ich am Ende passender, stimmiger als die Variation des Gedankens, einen Süchtigen mit Drogen zu versorgen.

Und das Licht in meiner Wohnung würde ich brennen lassen.
Soll wirklich so offen bleiben, ob sie _wirklich_ nochmal zu ihm geht ? Ist sie doch gefangen in ihrern Rollen, in ihrer Welt, die soviel weiter von seiner entfernt ist als wir in Kilometern messen ? Wenn ja, sollte dieser Konflikt deutlicher werden am Ende, und sonst nimm den Konjunktiv raus.

Schöne Geschichte mit schönem Timbre.

Grüße,
Clochard Seltsem

Dass ich genug davon hätte, wie sehr sie mein Leben kontrolliere. Es war der schlimmste Streit, den wir jemals miteinander gehabt hatten. Und dennoch konnte ich mir nicht sicher sein, ob ich den Sieg errungen oder mir der Lauf der Zeit geholfen hatte, in welchem sie an Jahren zugenommen und an Kraft und Bosheit verloren hatte.
Das kriegst Du eleganter formuliert :)
Unsere Unterhaltung, die in diesem Moment keine mehr wahr, stockte.
Das ist ein Logikfehler. Eine Unterhaltung kann nur stocken wenn sie geführt wird, und ein Stocken kann sie endgültig unterbrechen oder beenden.

 

Hallo Nicole!

Erst einmal vielen Dank dafür, dass du meine Geschichte kommentiert hast. Ich dachte, ich revanchier mich postwendend. Insgesamt fand ich deine Geschichte gut und flüssig geschrieben, aber völlig gepackt hat sie mich nicht. Das Hauptproblem besteht für mich darin, dass die beiden Hauptfiguren relativ schnell in ein tiefsinniges Gespräch verfallen. Das mag ich nicht so recht glauben. Wäre nicht etwas Vorgeplänkel realistischer?

Und nun Kleimkram:

doch der kurze Moment des Blickkontaktes mir die Sicherheit gegeben, es mit einem Alkoholiker zu tun zu haben.
Das ist mir zu diffus geschildert. Wie muss denn ein Blick aussehen, damit man die Sicherheit gewinnt, es mit einem Alkoholiker zu tun zu haben.

Statt dessen hatte mich das Gefühl einer seltsamen Verbundenheit ergriffen.
Dafür, dass hier tiefergehende Gefühle der Protagonistin beschrieben werden, ist der Satz recht oberflächlich. Wie ergreift einen ein Gefühl der Verbundenheit? Mach die Gefühle nachvollziehbarer.

Komplimente anzunehmen, war noch nie meine Stärke gewesen.
Braucht nicht eigens erwähnt zu werden. Wird anhand der Reaktion der Frau klar.

Unsere Unterhaltung, die in diesem Moment keine mehr wahr, stockte.
Dass die Unterhaltung keine mehr ist, wird durch die Dialogführung deutlich. Dem vorher angemerkten Logikproblem möchte ich zustimmen. "Keiner von uns sagte etwas" ist eventuell eine Überlegung wert.

Ich würde dem Obdachlosen auch keine "Weinflasche" schenken, sondern eine Flasche Wein. Eine Weinflasche ist nach meinem Sprachgefühl leer, eine Flasche Wein voll.

ohne Glas ihn einfach aus der Flasche in sich hineinzuschütten
"ohne Glas" und "aus der Flasche" sagt zweimal dasselbe aus. Mein Vorschlag: ohne Glas streichen.

So, ich hoffe, du kannst mit meiner Rückmeldung etwas anfangen, und wünsche dir noch einen schönen Sonntag

Knäckebrot

 

Hallo Knäckebrot,

ganz kurz auf dem Sprung ein herzliches Danke fürs Ausgraben ... obwohl Weihnachten vorbei ist, sollte ich mir wohl die Story nochmals vornehmen.

Danke für deine Anregungen ... Tiefsinn ist Geschmackssache und leider schwer vermittelbar. Letztendlich irgendwo mein großes Thema. Danke für die Anregungen, einen Teil werde ich gleich ändern.

LG,

N

 

Hallo Nicole!

Tiefsinn ist schwer vermittelbar. Da hast du Recht. Ich will hier keine schreib-ideologischen Diskussionen vom Zaun brechen, aber ich glaube, dass zur Vermittlung zwischenmenschlicher Gefühle vielfach publizierte Schreibregeln á la "Don't tell, show!" durchaus hilfreich sind.
Du schreibst:

Statt dessen hatte mich das Gefühl einer seltsamen Verbundenheit ergriffen.
Meiner Ansicht nach wäre es besser entweder zu beschreiben, wie sich das äußert (ich ging einen Schritt auf ihn zu, war schon kurz davor, seine Hand zu ergreifen, aber dann wurde mir bewusst, wer oder was er war) oder was in der Erzählerin vorgeht (für einen Moment kam er mir vor wie eine alte Freundin, die ich schon seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte). Überlege dir, wie du Gefühle deiner Figuren für den Leser erfahrbar/ greifbar/ plastisch machen kannst. Natürlich sind meine Beispiele nur Anregungen und ich möchte nicht behaupten, ein Patentrezept gefunden zu haben (mein Text hat dich ja auch nicht berührt).

Viele Grüße

Andreas (Knäckebrot)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Andreas,

habe mir dann doch nochmals den von dir zu Recht kritisierten Satz vorgenommen und geändert. Deine Version geht mir allerdings zu weit. Noch zwei Sachen zum Nachtrag, da ich zuvor zu sehr in Eile war:

(mein Text hat dich ja auch nicht berührt

Das ist der Punkt, an dem es mit der Kritik schwierig wird. Wenn irgendetwas grottenschlecht geschrieben ist, voller Fehler steckt, unlogisch ist, politisch nicht korrekt, witzig sein soll, aber nicht ist ... dann tut man sich leicht mit einer (klar formulierten) Kritik.

Sind alle formalen Kriterien erfüllt, so ist die Wirkung eines Textes vielfach Geschmackssache oder auch überschattet vom persönlichen Verhältnis zum Autor.
Manchmal merkt man das hier an sich widersprechenden Kommentaren. Oder ein Text scheint einfach ignoriert zu werden.

Das Hauptproblem besteht für mich darin, dass die beiden Hauptfiguren relativ schnell in ein tiefsinniges Gespräch verfallen. Das mag ich nicht so recht glauben.

Tja. Kann ich nachvollziehen. Hätte ich vielleicht auch als Kommentar geschrieben, wäre die geschilderte Szene nicht an tatsächlich Geschehenem orientiert. Was mir wichtig war, ist mit der Geschichte zu betonen, dass sich nicht kennen auch ein Schutz sein kann, aus welchem Vertrautheit entsteht. Ist ein Gedanke, der wert ist, mal drüber nachzudenken.

Genug offtopic nun, wünsche dir eine gute Nacht,

LG,

N


P.S. 13.02.07 Habe die Geschichte in einem ersten Durchgang überarbeitet. Gruselig, wieviel man nach zwei Monaten liegen lassen doch an Verbesserungsmöglichkeiten findet.

 

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