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Danke für dein Ohr

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20.09.2007
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Danke für dein Ohr

„Hallo?“
Schluchzen am anderen Ende. „Inaaa... Ich – Ich – “
„Resi, was ist denn los? Beruhig dich!“
Pause, in der nur Schniefen und Rascheln zu hören ist. „Ina, ich musste einfach anrufen, ich brauche jemanden zum Reden.“
„Was ist denn passiert?“
Tiefes Luftholen. „David, verstehst du? Er ignoriert mich einfach, nachdem – nachdem...“ Erneutes Schluchzen. „Ich hab es ihm gestern doch quasi gesagt, du weißt schon was. Ich bin nach der Schule zum Fahrradständer gegangen und hab ihn dort getroffen. Ich bin natürlich nur mit dem Fahrrad zur Schule gefahren, damit ich ihm begegne.“ Heiseres Lachen. „Und dann haben wir ein bisschen geredet und sind nebeneinander her gelaufen, die Fahrräder haben wir geschoben. Es war schön, Ina, man kann sich so toll mit ihm unterhalten! Ich kenne keinen Jungen, mit dem man besser reden könnte! Er hat sich irgendwie... für alles interessiert!“ Stimme euphorisch. „Ich habe ihm von meinem Akrobatikverein erzählt, wir haben uns über die Schule unterhalten – er ist ja schon in der Zwölften, das hab ich dir doch schon erzählt, oder?“
„Hm – was? Ja, hast du.“
„Und er ist so was von süß! Seine Augen blitzen, wenn er mich anguckt, und er grinst immer so schief und dann bekommt er kleine Grübchen in den Wangen! Zum Anbeißen, wirklich. Und dann habe ich ihn gefragt, ob er eine Freundin hat, verstehst du? Ich hab es ihn gefragt! Es ist mir einfach so rausgerutscht!
Und er so: „Nein, habe ich nicht.“ Hab ich erwähnt, dass er eine Wahnsinnsstimme hat?
Naja, darauf ich: „Dann gibt es ja niemanden, der etwas gegen ein Date hätte!“ Oder so was in der Art. Oh Gott, Ina, ich hab mich so blamiert! Mir ist das einfach entglitten! Ich hätte mich ohrfeigen können, ich schwörs dir! Und weißt du, was er gemacht hat?“ Weinerliche Stimme.
„Nein, was?“
„Er hat auf seine Uhr geschaut, hat gesagt: „Du, ich muss jetzt aber, bis morgen!“, und ist einfach – einfach–“ Geräuschvolles Schniefen.
„Abgehauen. Klar Süße, das machen die Männer immer, wenns ernst wird.“
„Einfach abgehauen. Und heute ignoriert er mich.“ Resigniertes Schweigen.
„Mit Tom wars ja das Gleiche. Am Wochenende, also vor drei Tagen mein ich, da ruft er an und sagt, er müsse dringend mit mir reden, naja, und wir reden über dies und das, er kommt irgendwie nicht zum Punkt, also sag ich: „Tom, Schatz, was hast du auf dem Herzen? Spucks aus, du rufst doch nicht an, um mit mir über das Wetter zu reden!“ Und er druckst noch eine Weile rum und sagt mir dann: „Du, Ina, ich glaub, das wird nix mehr mit uns.“ Das wird nix mehr mit uns! Kannst du dir das vorstellen, Resi? Das wird nix mehr mit uns, nach zweieinhalb Jahren Beziehung!“ Trockenes Schnauben. „Das hab ich ihm dann auch gesagt, und gefragt ob er 'ne andere hat! Ist mir natürlich ausgewichen und als ich weiter nachgehakt hab, meint er so: „Tut mir wirklich Leid, wir müssen ein andermal weiter reden, ich muss jetzt auflegen, ich meld mich, ja?“ Meinst du er hat sich gemeldet, Resi? Ich warte bis heute auf seinen Anruf!“
„Hm...“ Trauriges Schniefen. „So ist das. Und als ich heute David auf dem Gang getroffen hab, da hatte ich das Gefühl, dass er mir ausgewichen ist. Er hat so komisch an seiner Tasche rumgefummelt, damit er was zu tun hat, wenn er an mir vorbeiläuft, verstehst du? Damit er mich nicht anschauen muss. Oder ist halt immer abgebogen, aufs Klo oder weiß nicht wohin, wenn er mich entdeckt hat, sodass wir keine Chance hatten, uns zu begegnen. Ich hab mich nach Schulschluss auch extra beeilt, um ihn auf dem Fahrradhof abzupassen, aber da war er schon weg.“
„Tja. Und ich hab Tom geliebt. Ich meine richtig. Ich dachte, er wärs, ganz ehrlich. Habs noch niemandem erzählt, außer dir bis jetzt. Ist ganz gut, dass du angerufen hast, ich wollte mich auch schon bei dir melden.“ Plötzlich Heulkrampf. „Resi, er war doch m-mein Tom! Und j-jetzt muss ich e-erf-fahren, dass er g-genaus-so f-feige ist, w-wie die a-anderen...“
„Ach, Ina.“
Schweigen.
„Weißt du Ina, ich hab mich heute echt gefragt, wie ein Mensch so viel Energie ignorieren kann. Ich muss ja förmlich geglüht haben heute, und überhaupt! David, er kann doch nicht ernsthaft glauben, dass ich ihm die Nummer abnehme, diese Ich-hab-dich-nicht-gesehen-Nummer! Niemand kann sich vorstellen, wie das wehtut.“
Schniefen. Stille.
„Das wird nix mehr...“ Frustriertes Murmeln.
„Einfach abgehauen...“
Pause.
Dann: „Danke, dass du angerufen hast.“
„Ja. Ich meine, gerne. Und danke für dein Ohr.“
„Dir auch, Süße. Es tut so gut, jemanden zu haben, der einem zuhört.“
„Ja, du hast Recht. Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch.“
„Machs gut.“
„Tschüss!“

 

Haha, find ich gut. Erinnert mich an so manches Gespräch, dem ich in meinem Leben schon zugehört habe.

 

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