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Dark Mind
Nicht den Tod sollte man fürchten,
sondern das man nie beginnen wird, zu leben.
Marcus Aurelius
Ich liege schon wieder hier, eingehüllt in die schwarze Decke der Einsamkeit. Ich liege hier schon so lange Zeit, viel zu lange, gar eine Ewigkeit. Denn ich glaube langsam Farben im Nichts zu erkennen und Wärme im kühlen Hauch des Todes zu spüren. Sein dunkler Schatten schwebt wie eine seichte Nebelschwade über meinem Bett und wartet darauf, dass der Wahnsinn des Alltags mir endgültig den Verstand raubt.
Ich spüre seine immer währende Existenz, die mich wie ein dunkler Schatten umgibt. Kein Leben, kein Verstand, nicht einmal Gefühle scheinen in ihm zu existieren. Seine Worte sind wie ein verheißungsvolles Flüstern, sie locken und entzücken mich, und wecken in mir die tiefe Sehnsucht nach ewiger Erlösung.
Seine modrige Knochenhand nährt sich mir langsam und bedächtig, während sein langer Zeigefinger sich zitternd den Weg zu mir bahnt und rücksichtslos die enge Distanz zwischen Leben und Tod überwindet. Seine leeren Augen, die sich langsam von der Finsternis seiner schwarzen Kapuze lösen, spiegeln das ewige Leid all seiner hoffnungslosen Opfer wider, deren Seelen er in all den Jahren an sich gerissen hat.
Sie schweben wie Totenlichter in seinen bodenlosen Augenhöhlen und schreien aus seinem tiefsten sein heraus. Er hat all diese verkommenen Leben in sich aufgesaugt, um selbst nicht zu vergehen und somit für alle Zeiten zwischen Himmel und Hölle zu existieren. Unerwartet, unerbittlich, unaufhaltsam riss er sie aus ihrem hoffnungslosen Leben und verinnerlichte sich all ihrer unsterblichen Seelen.
Doch ich selbst warte voller Sehnsucht auf seinen verheißungsvollen Kuss, der mir ewige Erlösung verspricht.
Doch warum?
Es ist wegen all meinen Freunden, die mich einst verließen und nacheinander aus meinem haltlosen Leben verschwanden, als hätten sie nie existiert, als wäre ihre scheinbare Präsents nur eine tragische Reflexion meine schwindenden Hoffnung auf Wärme und Geborgenheit.
Jeder von ihnen wies mich ab, als kenne er mich nicht, ohne zu wissen, das jedes „Nein“ mich noch schlimmer traf als der Tod. Wie ein scharfes Messer, das in dein Herz geschlagen wird, wieder und wieder. Du spürst, dass du zunehmend schwächer wirst, doch du willst nicht aufgeben, denn es ist dein Leben und das lässt du dir nicht von solchen Leuten kaputt machen.
Doch wie lange willst du dich selber belügen, dir einreden, dass dir das alles nichts ausmachen würde und du es auch ohne sie schaffen wirst? Denn tief in dir weißt du genau, dass jeder von ihnen einen Platz in deinem Herzen hat. Und wenn diese Person nicht mehr ist, wird dieser Platz wie eine offene Wunde in dir bleiben, und der Schmerz wird dich treffen, auch wenn du ihn dir selber verleugnest.
Tränen der Unschuld laufen dir über dein Gesicht. Und deine Seele schreit! Schreit nach Erlösung! Doch du weißt, dass du sie nie finden wirst, wenn du nichts mehr hast, wofür es sich zu leben lohnt. Das Leben scheint gar sinnlos zu sein, denn wie sehr du dich auch anstrengst, was immer du auch tust, am Ende werfen sie dich in den Dreck und vergessen dich, und alles was du je für sie getan hast.
Ich weiß nicht wie ich jenen Schmerz aushalten soll, der sich immer tiefer in meine Seele bohrt und mich innerlich zerreist, zerstört und zertrümmert, bis nur noch eine trostlose Ruine übrig bleibt, wo einst meine Seele war.
Ich bin innerlich schon lange tot, auch wenn ich scheinbar noch am atmen bin und mein Blut träge durch meine Adern fliest. In Wirklichkeit bin ich nicht mehr als ein Zombie, dessen einziger Wunsch in ewiger Erlösung von all den Schmerzen und Qualen liegt.
Ich denke ein letztes Mal an all jene, denen ich nie etwas bedeutet habe. Die durch mich hindurch blickten wie durch eine Scheibe und die in mir nie mehr als eine weitere sinnlose Existenz auf diesem Planeten sahen. Die mich aus allem ausschlossen, was man allgemein hin Gemeinschaft nennt und mich verbannten, wie man damals einen Aussätzigen verbannte, raus aus dem Licht, rein in die Dunkelheit. Und die, wenn sie mir doch einmal begegneten, so lange auf mich einschlugen und traten, bis ich regungslos liegen blieb.
Sie sollen alle zur Hölle fahren, denn ich hasse sie!
Jetzt ist es so weit! Ich werde so sterben wie ich gelebt habe, einsam und verlassen. Mein Leben war es nicht Wert von mir gelebt zu werden. Ich bin es nicht Wert, auf dieser Erde zu wandeln. Ich werde es nie Wert sein, weiter zu existieren. Darum mache ich endgültig Schluss, gnadenlos und ohne Rücksicht auf Verluste.
Deshalb habe ich vor ein paar Minuten eine ganze Packung Schlaftabletten, vermischt mit reinem Wodka geschluckt. Der Cocktail des Todes, abscheulich, grässlich, widerlich, und doch über alle Maßen nötig und verlässlich. Die Benommenheit, die meinen Körper mittlerweile fast vollständig beherrscht, beraubt mich fast jetwilliger weiterer Handlungsmöglichkeiten. Dabei sind meine nächsten Schritte entscheidend, um dafür zu sorgen, dass dies ein erfolgreicher Suizid wird, und kein stummer Hilfeschrei nach Aufmerksamkeit.
Unter dem betäubenden Wahn der Tabletten, greife ich mit der rechten Hand nach dem kleinen Küchenmesser auf der Fensterbank und führe es an meinen nackten rechten Arm. Die dreckige Klinge fährt abwechselnd wieder und wieder über mein Handgelenk, doch meine widerspenstigen Adern rollen unter dem Druck der stumpfen Klinge wie gekochte Nudeln beiseite. Wieder und wieder schneide ich in meiner blinden Verzweiflung mit der alten Klinge über meine elastische Haut, doch sie will nicht nachgeben und den letzten seidenen Faden meiner schwindenden Hoffnung auf ein glückliches Leben entzweien.
Kurzerhand schlage ich meine Fäuste in das offene Fenster und ramme rücksichtslos meine Arme in das zerstörerische Scherbenmeer. Mein lebens spendendes Blut spritzt und fließt in Strömen aus meiner lebensmüden Hülle, und bildet unter mir Flüsse und Seen der Hoffnungslosigkeit, in denen sich mein klägliches Scheitern, meine ausweglose Verzweiflung und meine elende Trostlosigkeit widerspiegeln und mir eines unmittelbar in mein Gewissen brennen.
Ich habe in diesem Leben versagt! Nicht, weil es in alle den Jahren so viele Menschen gab, die mich ausgrenzten, hassten und verprügelten. Sondern weil ich nie dazu bereit war, mich gegen diese Widrigkeiten zu stellen und mehr aus meinem Leben zu machen, meinen eigenen Weg zu beschreiten und meine Träume zu verwirklichen.
Der kühle Abendwind umweht meine nackten Körper wie ein Schleier, doch meine vernebelten Gedanken sind kaum noch Herr meiner Sinne. So spür ich nicht viel mehr als das sanfte streicheln des Windes, während ich meinen Gedanken noch einen letzten Atemzug von all der Schönheit, der Leichtigkeit und dem Glanz dieser verkommenen Welt gönnen will, bevor ich mich gleich für alle Zeit von ihr verabschieden werde.
Ich trete auf den schmalen Fenstersims meiner Wohnung und sehe mit meinen verschwommenen Augen in den feuerroten Sonnenuntergang am Horizont. Er schimmert mir blutrot entgegen, während er alles um sich herum verbrennt, verschlingt und verwundet. Trotz der kühlen Briese spüre ich die angenehme Wärme seines lodernden Feuers, die mich wie eine Decke umgibt und mir ein Gefühl von Geborgenheit schenkt. Für einen kurzen Moment bin ich gleichermaßen gefangen und fasziniert von all der unfassbaren Schönheit, die sich mir in diesem Augenblick in ihrer vollkommenen fülle offenbart. Sie war immer da, an jedem Tag und zu jeder Stunde, doch hatte ich sie nie so wahrgenommen, wie in diesem kurzen Moment, der für mich fast zeitlos, gar unendlich zu sein scheint.
Die Straße unter mir ist Menschenleer, fast wie ausgestorben, denn niemand interessiert sich noch für ein lebensmüdes, schon fast lebloses Ding, das dem Tod näher ist als dem Leben. Doch sie wird sich gewiss in kürze sehr schnell füllen, sobald ich all den Schaulustigen zu Füßen liege, die nur im Anbetracht des Todes den kostbaren Schatz ihrer Aufmerksamkeit teilen und einen neugierigen Blick auf jene Mitmenschen werfen, die ihnen zu Lebzeiten nie aufgefallen waren. Jene Schaulustige, die nur noch in diesem kurzweiligen Moment, indem sie einen flüchtigen Blick auf die wehrlosen Opfer werfen können um sich an ihrem Leid zu ergötzen, die Freude und Schönheit ihres eigenen Lebens spüren, während sie im Anblick des Todes nur einen kurzen Wimpernschlag lang die Begrenztheit ihres eigenen Lebens begreifen.
Ich wende meinen Blick nur widerwillig von der Welt vor mir ab und verwerfe nur widerstrebend alle Gedanken an jene Menschen, die ich so verachte, um mich stattdessen mit dem zu befassen, was meinem Leben ein unwiderrufliches Ende setzen wird. Vor dem Fenstersims hängt ein alter Strick, der schon lange darauf wartet, meine Adern zu zerquetschen, meine Atemwege zu zerdrücken und meine Knochen zu zerbrechen.
Ich stecke meinen Kopf langsam hindurch, fasse mit meinen blutverschmierten Händen an den dicken Knoten und versuche mit dem letzten bisschen Grobmotorik, zudem meine Finger noch befähigt sind, den Knoten festzuziehen um mein Ende ein für alle Mal zu besiegeln. Warmes Blut bespritz mein Gesicht und rinnt meine Arme herunter, während meine Hände mühselig und unkontrolliert an dem rauen Seil zerren, ziehen und zurren, bis die raue Schlinge untrennbar wie ein fünftes Glied um meinen Hals liegt.
Als es endlich vollbracht ist, fühle ich in mir so etwas wie Stolz darauf, jene Leistung unter diesen Bedingungen vollbracht zu haben. Es ist für mich wie ein Erfolgserlebnis, in Anbetracht all jener Dinge, in denen ich in all den Jahren so kläglich versagte.
Ohne weiter darüber nachzudenken, schreite ich mit einem weiten und hohen Sprung dem Ende meines Lebens entgegen. Meine kurze sinnlose Existenz läuft unreflektiert, wie ein alter schwarz weiß Kurzfilm, vor meinem geistigen Auge ab, und brennt mir noch intensiver in mein Gewissen, wie verkommen und wertlos mein Leben doch war.
Und dann falle ich, leicht und frei, den kurze Hauch eines letzten Atemzuges lang, durch das Tor der Erlösung. Doch der schlagartige und zerstörerische Ruck, mit dem der Strick mein Leben beendet, holt mich unfreiwillig in die grausame Realität zurück.
Jetzt werde ich sterben.
Das war's.
Tot.
Verdammt, falsch gebunden!
Das alte Seil drückt mir unerbittlich alles ab, was mich einst am Leben hielt, und lässt mich gnadenlos ersticken, während noch immer warmes Blut aus meinen Adern fliest und die Wirkung der Tabletten meine Gedanken verwüsten und meine Gefühl vergiften.
In was für einen Albtraum habe ich mich in meiner blinden Verzweiflung gestürzt? Keine Ausgrenzung, kein Hass und keine Schläge waren jemals so unerträglich, wie jene Qualen, die in diesem Moment meinen Körper beherrschen und mich langsam und unerbittlich zu Grunde richten. Als wollten sie mich für meine unverzeihliche Sünde bestrafen, mit der ich mich ursprünglich von all meinem Leiden befreien wollte.
Doch darauf war ich vorbereitet, denn mein ganzes Leben lang trug ich alles Pech und Unglück dieser Welt auf meinen breiten Schultern, während Poes kolossales Pendel immerzu über mir zu schwingen schien und sich mir jeden Tag unaufhaltsam nährte, um den Seiden Faden meines zerbrechlichen Lebens zu zerschneiden und mich in die dunkle Grube der Verdammnis zu stürzen. Scheinbar ist es ihr endlich gelungen, doch ich gebe noch nicht auf.
Denn über mir frisst sich langsam aber sicher eine große Kerze durch das alte Seil, um mich in binnen weniger Sekunden dreiundzwanzig Meter in die Tiefe fallen und auf die menschleere Straße aufschlagen zu lassen, und damit meinen Qualen ein für alle Mal ein Ende zu setzen.
Friss schneller, heiße Flamme des Todes, verbrenn, verwunde und verschling das morsche Seil, so ungestüm und zügig du nur kannst. Denn ich kann den schrecklichen Druck, der sich langsam in mir ausbreitet und zunehmend stärker wird, nicht mehr länger ertragen. Ich will so nicht sterben, denn der Schmerz und die Dauer des Todes waren von Beginn an meine entmutigendeste Furcht.
Doch der Druck lässt nicht nach. Das Blut staut sich unaufhaltsam in meinem Kopf und scheint ihn wie einen zu straffen Ballon bis an die Schmerzgrenze zu dehnen. Mein Herz beginnt zu raßen und mit seinen tiefen und festen Schlägen fast meine Brust zu sprengen. Mein ganzer Körper stellt sich mit einem Gefühl verzweifelter Unvermeidlichkeit auf mein leidvolles, qualvolles und sorgenvolles Ende ein.
In dieser scheinbar endlosen Zeitspanne zerreißt das morsche Seil unter meinem Leid bringenden Gewicht und lässt mich frei wie ein Vogel in die Tiefe stürzen. Mein Magen dreht sich um und hebt ab, meine Gedanken raßen rasant durch meinen Kopf, mein Blut schießt blitzartig durch meinen Körper, aber es ist ein herrliches Gefühl, denn eine wahre Flut an Glücksgefühlen durchströmt mich von Kopf bis Fuß.
Mein Blick fällt noch einmal zu dem feuerroten Sonnenuntergang, der schon fast hinter dem Horizont verschwunden ist, und für den Bruchteil einer Sekunde fühle ich mich dem Leben näher als dem Tod. Das erste Mal seid einer Ewigkeit, bin ich wieder glücklich, denn ich habe das Gefühl, endlich die Schönheit des Lebens entdeckt zu haben, die ich mein ganzes Leben lang vergebens suchte.
Darauf folgt der Aufprall! Der Schmerz nimmt meinen ganzen Körper ein, lässt meine Knochen splittern und meine Organe reißen. Alles, was ich je gedacht, gesagt und getan habe, ist auf einmal völlig bedeutungslos, wertlos und sinnlos geworden. Es fliegt wie eine Feder im Wind davon, löst sich auf wie der Nebel im Sonnenschein und lässt nicht mehr als eine kühle leere zurück, wo einst mein Leben war.
Es fühlt sich an, als hätte ich nie existiert, weil es nie jemanden gab, der mich bemerkte, es keinen gibt, der an mich denkt, und nie jemanden geben wird, der sich an mich erinnert. Ich bin nur noch ein zertrümmertes Nichts, auf kahlen, kalten, kaputten Beton.
Ein unwertes Leben ohne Liebe, endet in einer sinnlosen Tat ohne Hoffnung.
Das Leben verabschiedet sich von mir und verlässt in Windeseile meinen toten Körper. Der Tod erlöst mich und dringt wie ein kühler Schauer in mich ein. Der lange Zeigefinger seiner modrige Knochenhand berührt mein Herz und reißt es aus meiner Brust heraus, reißt es an sich heran, führt es in sich ein und raubt mir meine unsterbliche Seele.
Sie ist auf einmal nur noch eine von vielen, in einem dunklen Universum aus Angst, Leid und Verzweiflung. Ich schreie aus voller Kehle, doch es ist nur ein stummer Ton im Chor der Sehnsucht nach dem Leben. Für alle Zeit gefangen, in dem ewigen Reich aus Trauer, Schmerz und Qual.
Gefangen an einem Ort, den man Hölle nennt.
Ende