Das Äffchen auf meiner Schulter
Ich konnte ihn sehen, diesen Knilch. Seit langem schon starrte er mich an und zog meinen Hass auf sich. Er, oder es, wie auch immer, schien dies sogar zu genießen, suhlte sich in meiner Abscheu gegen ihn selbst. Nur mir schien er sich zu präsentieren, was nicht gerade schmeichelhaft war. Zu diesen Zeiten wollte ich nur, dass er verschwand, aber da dachte ich auch noch, seine Anwesenheit wäre schlimm.
***
Jaulend setzte sich die Bahn in Bewegung. Ich hatte mich auf den Polsterbezug meines Stammplatzes bequemt und ignorierte wie gewohnt alle Mitfahrenden zugunsten der verschleierten Sicht nach Draußen, wo sich die graue Welt vor dem Regen geduckt vorbei drängte. Die niedrige Heizung, gegen welche ich meine rechte Wade drückte, jagte mir eine Gänsehaut über die ausgekühlte Haut. Ich schüttelte mich unangenehm berührt, wobei mein Blick nur für eine Sekunde den dunklen Schemen streifte und gleich darauf wieder mein blass durchsichtiges Spiegelbild traf.
Die Unsicherheit darüber, ob ich nun tatsächlich etwas gesehen hatte und wie ich mir Gewissheit verschaffen konnte ohne negativ aufzufallen, quälte mich wenige Momente lang. Dann sah ich scheu, aber mit unbekümmerter Miene, erst zu der Glasscheibe neben den vorderen Sitzen, arbeitete mich über einige Hinterköpfe weiter und wagte schließlich die optische Kletterpartie hinauf zu der Stelle, wo ich die eigenartige Entdeckung gemacht zu haben glaubte.
Da saß es, – ja, damals noch ein es, zu dem er wechselte ich später eher unbewusst, weiß Gott weswegen – dort in der rechten oberen Ecke und starrte mich an. Ein pelziger Wicht, relativ klein, vielleicht so groß wie die Hand eines ausgewachsenen Mannes. Es erinnerte mich an eine Fledermaus, zwar ohne Flügel, aber mit den gleichen Klauen und spitzen Ohren. Doch waren die Augen größer, viel größer und grün. Mit offenem Maul fauchte es mich stumm an.
Auch mein Mund muss geöffnet gewesen sein, so erstaunt war ich von diesem Anblick. Es war nun nicht mehr die Heizung, die mich erschaudern ließ.
Eigentlich wartete ich nur noch auf den Aufschrei, irgendeine entsetzte Reaktion eines Passagiers, der das Monstrum entdeckt hatte.
Stattdessen kam die Bahn zum Halt, die Türen öffneten sich und Regengeprassel schwoll herein. Menschen wechselten sich aus und wieder jaulte die Mechanik. Einige Male wiederholte sich das Procedere, meine Station hatte ich dabei längst versäumt.
Ich war viel zu sehr mit Starren beschäftigt, ebenso wie dieses Wesen. Als wären wir in Stein gemeißelt veränderte keiner von uns beiden seine Position, jedenfalls solange nicht, bis mir ein Fahrgast beim Aufstehen seinen Rucksack unsanft gegen die Schulter rempelte. Aus meiner Starre erwacht, erhob ich mich aufgeschreckt. Noch während des Aussteigens versuchte ich die Anzeige zu begreifen, die mir weis machen wollte, dass ich mich weit entfernt von meiner Straße befand.
Der darauf einsetzende Ärger verdrängte vorläufig jegliche Gedanken an die kürzliche Begegnung.
Den gesamten von herbstlichem Blattwerk und gekräuselten Pfützen gesäumten Heimweg über war ich viel zu sehr in meine Aufregung des Ärgernisses wegen verstrickt, als dass an jenes eigentümliche Wesen zu denken war. Und noch später, als ich in meiner Wohnung angekommen war, schien es gar vergessen. Auch wenn ich mich aus scheinbar unerfindlichen Gründen genauer umsah, bevor ich das Licht löschte. Vor allem den Zimmerecken widmete ich dabei eine von Argwohn besonders durchsetzte Aufmerksamkeit.
***
Unsere zweite Konfrontation, oder Gegenüberstellung wie ich es nun treffender formulieren würde, hätte ich mir, rückwirkend gedacht, anders vorgestellt, als sie dann tatsächlich stattfand.
Es passte zu mir, wenn ich mich in bekannter Weise niedergesetzt hätte um zu tun, was ich immer auf der Heimfahrt tat: hinaussehen und ignorieren. Dabei wäre mir die Erinnerung einem Blitz gleich ins Hirn geschossen und hätte mich kaum merklich zusammenfahren lassen. Mein Blick, von Neugier zerfressen, hätte den Knilch dann oben in der neuerdings für ihn gepachteten Ecke vorfinden können, von wo er mich, zwar erst seit kurzem, dennoch mit solch routinierter Bestimmtheit anstarrte, als hätte er nie etwas anderes getan.
Ganz so war es nicht.
Das Sitzen blieb gleich, ebenso mein Mangel an Interesse für jeden Vorder-, Hinter- und Nebenmann beziehungsweise die holde Weiblichkeit. Gleiches galt aber auch für meinen Besucher, der nicht eines Gedanken gewürdigt wurde. Man konnte meinen die Nacht hätte ihn mir aus dem Gedächtnis gespült, vielleicht hatte ich ihn in meinen Träumen verarbeitet und nun war er passé.
Erst jetzt, da ich an der Tür stand und meine Haltestelle herangleiten sah, fiel mir dieser Schandfleck in der Ecke auf. Mit seinen giftig grünen Augen hatte er mich fixiert, sicher schon die ganze Fahrt über. Ekel überkam mich. So wie er da hockte erinnerte er mich heute weniger an eine Fledermaus als viel mehr an eine fette Spinne, abstoßend, widerlich, pervers. Die Hoffnung darauf, dass ihn meine ungenügende Aufmerksamkeit für seine Existenz gestört hatte, ließ mich immerhin einen Hauch von Genugtuung spüren.
Würde mich nicht schon die Vorstellung daran mit einem Übermaß an triefender Abscheulichkeit füllen, wäre ich am liebsten zu ihm hinüber gegangen, hätte meine Hand um seinen pelzigen Körper geschlossen und ihn zu Boden befördert, wo er dann von meiner Schuhsole zerquetscht worden wäre. Das farbige Blut, welches zwischen den gebrochenen Knochen hervorquoll und meine Hosenbeine benetzte, nährte die zarte Brise der Befriedigung.
Wie erwähnt, ich konnte es nicht tun.
Stattdessen verließ ich von entrückten Gesichtern gefolgt die Bahn. Scham überdeckte jegliche andere Gefühlsanwandlungen, die ich mir jetzt nur hätte wünschen können, denn bevor ich überstürzt geflohen war, hatte ich den Knilch in der Ecke laut angefaucht.
***
Von nun an war es schier unmöglich, dass ich mir seiner Anwesenheit nicht bewusst sein konnte. Obwohl ich mehrere Sitzreihen entfernt saß, ja sogar meinen Stammplatz aufgab, brauchte ich doch bloß aufzusehen um zu bemerken, dass ich ihm kein Stück entrückt war. Er folgte nicht, nein. Faul und geifernd blieb er stocksteif in seiner Ecke, krallte sich in das Metall der Bahn und starrte. Nur der Atmung wegen bebte der kleine Körper in geringem Maße. Oder vielleicht auch nicht. Vieles konnte meine Einbildung, sie war schon seit jungen Jahren sehr fantasievoll. Eher passte es dem Wicht, dass er meinen Hass in sich aufsog und dann mit seinem eigenen wieder ausspie, mir entgegen, nur um mich zu verspotten.
Stumm fauchten wir uns ein paar Tage lang an. Inzwischen hatte ich jedes Interesse an der Außenwelt verloren und verpasste meine Station regelmäßig. Irgendwie wollte ich es ihm heimzahlen. Ihn nachzuäffen schien mir im ersten Moment recht logisch, doch blieb eine Wirkung jedweder Art aus.
Und während meinen zum Fauchen geöffneten Mund wieder und wieder das Gähnen überkam, änderte der Knilch seine Einstellung nicht. Es dauerte nicht mehr lang bis ich ihn nur noch als Randfigur beachtete, sozusagen als Teil des Bahninnenlebens. Mobiliar, wenn man so will.
„Entschuldigung, dürfte ich kurz…. Danke.“
Ich setzte mich an meinen Fensterplatz nachdem mich eine ältere Dame vorbei gelassen hatte. Sie lächelte mir freundlich zu und widmete sich dann wieder ihrer Handtasche, an der sie herumnestelte. Ich grinste und sah hinaus.
Was mich dazu bewog zu ihm hinaufzusehen, weiß ich leider bis heute nicht zu sagen. Am einleuchtendsten erscheint mir die Überlegung, dass mir die Veränderung an ihm wohl schon aus dem Augenwinkel heraus aufgefallen war. Es war jedenfalls kein unterschwelliges Brodeln im Gefüge der Zeit oder sonst etwas. Auch wenn ich ähnliches erwartet hatte, aber so denkt man wohl immer, wenn eine langgehegte Tradition mit einem Mal abbrach. Der Wunsch nach mehr Anteilnahme wird laut, bleibt jedoch ebenso ungehört.
Auch in diesem Fall wurde die ganze Situation im Allgemeinen, mit Ausnahme von mir, sehr nüchtern aufgenommen.
Der pelzige Wicht starrte nicht länger zu mir.
Noch ehe ich mich auch nur in die Nähe der peripheren Auswirkungen dieses Umstandes begeben hatte, war mein Handeln ganz und gar von Neugierde gesteuert. Hinter den Gläsern meines Kassengestells suchte ich nach dem frisch erkoren Primus, dem die zwei glaskugelartigen Augen in giftigem Grün neuerdings ihre Aufmerksamkeit schenkten. Doch jedes Mal, wenn ich mich gerade im Zuge einer Eifersuchtsattacke mit gellendem Geschrei – selbstverständlich rein metaphorisch gesprochen – auf mein Opfer stürzen wollte, musste ich feststellen, dass der Knilch diese Person gar nicht fest fixierte, sondern mit den Blicken bereits weiter gewandert war.
Ich sollte erst einen schier ewig andauernden Drahtseilakt am Rande eines nervlichen Kollapses über mich ergehen lassen, bevor ich dem wahren Antrieb für das offenkundig ziellose Umherschweifen des Interesses meines kleinen Freundes gewahr wurde.
Die Lösung erwies sich letzthin als ebenso banal wie erschreckend: dem Wicht war ganz einfach nur langweilig.
***
Lange Zeit hatte ich mit sinnlosem Starren verbracht, meine Hand in der Hoffnung gegen das kalte Metall gedrückt, dass die Sinne des Fleisches meine Augen Lügen strafen würden, doch leider behielten letztere Recht. Und wieder war es ohne großes Aufbegehren der Welt geschehen – eine Veränderung, so brutal und rückhaltlos, hatte sich in mein Leben gedrängt und niemand nahm gebührend Notiz davon. Ja, nicht einmal die kleinste Regung in der Atmosphäre war zu spüren. Ich wünschte mir Orkane, die die Dächer der Häuser klaubten; ich wünschte mir Erdbeben, die den Boden vor den Ignoranten aufrissen und jene dort verschlangen; ich wünschte mir Sintfluten, die alle davon spülten, welche nicht augenblicklich ihr Bedauern kund gaben. Warum geschahen solche Katastrophen nie, wenn man sie brauchte?
Gequält vom Hass auf diese Dummen und auf diese kahle Ecke, jene Ecke, in der ein kleines pelziges Etwas hätte sitzen müssen, wusste ich mir Momente lang nicht zu helfen, vergaß über meine Wut hinaus sogar das Atmen.
Er war weg. Der Wicht hatte mich zurückgelassen. Geblieben war mir nur die Möglichkeit, nach seinem Geist zu greifen, jenen schemenhaften Umrissen, die mir mein Hirn vorgaukelte um mich zu beruhigen, da ich die Wahrheit nicht annehmen wollte. Bald jedoch verschwand auch dieses Bild und meine Hand griff nur noch ins Leere.
Von Fassungslosigkeit überwältigt, sah ich mich nach dem nächsten Wesen um, auf welchem ich die übergroße Fülle an Bestürzung abladen konnte.
„Ich habe mein Äffchen verloren“, sagte ich.
Der Affe auf meiner Schulter.
In den folgenden Tagen, in denen ich mich dem variantenlosen und zur ewigen Fortsetzung verdammten Procedere des Bahnfahrens sowie meinen eigenen lästigen Gedanken unterworfen hatte, kam ich nicht mehr los von diesem Bild. Da war ein Mann, mir so ähnlich, so ähnlich eben, als würde ich mich im Spiegel sehen, und der hatte einen eklig fetten Affen auf der Schulter. Das Vieh bohrte die Ellenbogen in die Schulter seines Trägers, hatte das Kinn auf die faltigen Handflächen gestützt und zwinkerte dem armen Kerl obszön entgegen, während es den fetten Leib gegen den Menschenrücken presste und seinen öligen Schwanz den tragenden Körper umringeln ließ. Ich bekam regelmäßig einen Würgereiz beim Anblick dieses Bildes. Die vorgespreizten Primatenlippen, die kleinen Knopfaugen, das Fell. Alles wirkte real und widerlich. Affen waren mir schon immer ein Gräuel; wenn sie gerade menschliche Züge annahmen und ich mich dazu bereit erklären wollte sie als halbwegs human anzusehen, hoben sie ihre fleischigen Lippen und entblößten die Zähne oder taten sonst etwas Widerwärtiges. Diese faltige Haut, das dämliche Grinsen.
Warum mich ausgerechnet diese Vorstellung so quälte, war schnell erklärt. Zum einen trat der der Affe natürlich ebenso überdeutlich hervor, weil ich ihn, aber vor allem seine äußere Erscheinung, so verabscheute, wie ich es mit dem Wicht gehalten hatte; zum anderen war es, was die Konstellation aussagte. Der Primat war eine Last, ganz offensichtlich – ob nun freiwillig auferlegt oder nicht, sei dahingestellt. Obwohl sich der Verdacht danach aufdrängt, da sich ein Mensch ja dank körperlicher Überlegenheit wehren könnte, es nun aber nicht tut. Der Affe blieb sitzen, genau da, wo er gespürt und gesehen wurde, und eben genau an dem Ort, an dem ihn der Mensch einst platzierte. Denn nun war es so, dass der Mensch schwach im Geiste war und sich nur allzu gern etwas auflud wenn ihm dafür etwas weitaus Gewichtigeres erspart blieb. Wessen Leben die Hölle war, der trank gern und begrüßte den Affen. Wer kaum noch Licht sah, der griff gern zum Rauch und scherzte mit dem Affen. Wem der Affe zuzwinkerte, der hatte sich etwas zu Schulden kommen lassen – höchstfreiwillig und nicht selten mit Genuss.
Ein Laster, ja, nichts anderes stellte diese haarige Kreatur da. Ein Laster, welchem man bereits ausgiebig gefrönt hatte und das einem nun, aus Gründen schicksalhaften Humors, vorgehalten wurde. Der Affe herrschte über das Wesen, welches sich mit ihm schmückte. Zwar konnte man ihn davon stoßen, war man stark genug. Doch meist wuchs der fette Leib nur immer weiter an, bekam schwerer und schwerer bis man schließlich darunter eingeknickt war.
Ein Wicht mit grünen Augen, so sah er aus, mein eigener Affe, wenn auch eher ein Äffchen, nicht putzig und süß, sondern verhältnismäßig harmlos. Vorgehalten hatte man ihn mir, eines meiner Laster, damit ich mich vor mir selbst ekelte, verzweifelte beim Gedanken nie davon loszukommen, oder gar damit ich mich ihm stellte, ihn bezwang.
Mein Blick, träge vom Denken, vom Warten und der Ungewissheit, erklomm die leere Ecke hoch oben, viel höher, als sie je zuvor war, glaubte ich. War er gegangen, da ich obsiegte? Oder nur um sich einen Spaß mit mir zu gönnen? Weshalb war er überhaupt erschienen, für welches Laster hatte er eingestanden? Hatte sich etwas bei mir verändert, bloß was?
Ich sprach eben noch von Tagen, doch um ehrlich zu sein kann ich nicht sagen wie lange mich diese hilfesuchende Leere, das markerschütternde Geschrei nach Antworten beherrscht hatte. Mochten es Wochen, Monate oder gar Jahre gewesen sein – ich lebte eh nicht mehr in dieser Zeit, nur noch in meiner eigenen.
So verhielt es sich, bis eines Tages ein neuer Gedanke durch die Wolkendecke brach. Verflucht lang hatte er dafür gebraucht, dafür schien er nun aber auch so gleißend hell, dass ich ihn nicht übersehen konnte und ich sein Versprechen auf ein Entkommen aus der Misere blauäugig aufnahm.
Hier nun dieser helle Schein am tristen Himmel: war der Knilch tatsächlich eines meiner Laster gewesen, so konnte er nie und nimmer allein gewesen sein. So sehr ich auch an mich glaubte, so sicher war ich mir auch, dass in mir mehr als ein einziges Laster schlummerte, dem Einhalt geboten galt. Wo also waren seine grünäugigen Komplizen?
Hätte ich mich doch nur nicht umgeschaut! Hätte ich es doch nur bei dem einen Wicht belassen, der so unschuldig in seiner Ecke gesessen hatte, stumm und dumm. Damit hätte es sich leben lassen können, ganz problemlos sogar. Aber nein, ich musste ja suchen, suchen nach weiteren Wichten, weiteren Lastern und sie dann auch noch finden!
Unter den Sitzen, an der Decke, zwischen Leibern, unter Mützen hervorlugend, an den Fenstern klammernd, im Schoße Unbeteiligter sitzend, am Boden – sie schienen überall und zu jeder Zeit anwesend. Unendlich viele Wichte in verschiedenen Farben mit großen giftgrünen Augen, glaskugelartig, dich mich lautlos fauchend anstierten. Wie lange sie das nun schon taten, konnte ich unmöglich sagen und das Denken viel mir bei dem Krach, den der lachende Affe von sich gab auch schwer.
Ja, während die Anzahl der pelzigen Wichte sich vor meinen Augen aufzublähen schien, mich zu überschwemmen drohte, gackerte der fette Affe auf meiner Schulter mit haltloser Freude.
Er war amüsiert.