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Das „anders“-Gefühl
Was fühlt man, wenn man weiß, dass ein Mensch gestorben ist? Ein Mensch, der mehr Teil deines Lebens ist, als ein anderer Mensch es jemals sein kann. Was fühlt man, wenn der Zeitpunkt kommt, an dem die Hoffnung stirbt? Die Hoffnung, die einem in den letzten zwölf Monaten immer wieder die Kraft gegeben hat weiter zu machen, nicht aufzugeben. Was fühlt man, wenn man erkennen muss, dass der Tod nicht aufzuhalten ist? Der Tod, den man in den letzten zwölf Monaten jede Sekunde gefürchtet hat. Was fühlt man, wenn auf einmal alles anders ist?
„Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als eines Tages meiner Mutter beim Sterben zu zusehen.“ Wie einfach sich dieser Satz damals sagte. Damals, als alles noch so anders war. Als wir zusammen mit Ulla und den Anderen eine Menge Wein getrunken und in fröhlicher Runde über unsere schlimmsten Ängste gesprochen haben. Wie weit war dieser Moment weg. In Entfernungen läßt es sich nicht beschreiben, Lichtjahre reichen als Maßstab nicht aus. Der Tod schien an diesem Abend so weit weg, dass nicht mal seine wörtliche Erwähnung ihn näher bringen konnte. Zumindest schien es uns so. Heute weiß ich, dass er damals bereits ganz nah war, so nah, dass man ihn hätte spüren können, wäre man nicht von all dem Wein und dem Gelächter vollkommen trunken gewesen.
Ich will hier nicht erzählen, wie der Tod zu ihr kam, dazu fehlt mir bis heute die Kraft. Tränen tropfen auf die Tastatur. Buchstaben verschwimmen. Es ist nichts wie es mal war und doch ist alles gleich geblieben. Es wird Herbst, es wird Winter, an der Kasse im Supermarkt sitzt die gleiche Kassiererin, meine Mittagspause ist von 12 bis 13 Uhr. Nichts hat sich geändert und doch ist alles anders. Ein kaum zu beschreibendes Gefühl, dieses „anders“. Ein Gefühl, das nur der versteht, den der Tod schon einmal besucht hat. Ein ungebetener Gast, dem keiner freiwillig seine Tür öffnet. Und als Gastgeschenk gibt es das „anders“-Gefühl. Eine Gratis-Zugabe zum Tod.