das alte Haus
Das alte Haus
An einem langen, verregneten Freitag Nachmittag gammelte die Clique wieder einmal in dem öden, langweiligen Keller eines noch tristeren Vorstadthauses herum, versuchte die endlos lang erscheinende Zeit mit Nichtstun tot zu schlagen. Ausgerechnet der jüngste der vier Mitglieder kam auf die zündende Idee, die dieses Wochenende retten sollte.
„Erinnert ihr euch an das alte Haus, über das wir schon einmal geradet haben, es steht immer noch. Seit mehr als fünfzig Jahren steht es nun leer. Vielleicht gibt es dort noch was zu holen? Außerdem ist Halloween, das Haus paßt dazu besonders gut, es soll sogar darin spuken, hat eine alte Frau mir früher erzählt. Sie wußte wahre Schauergeschichten über dieses Haus zu berichten. Eine Nacht wie diese in einem alten Spuk-Haus, natürlich mit entsprechenden Getränken und Musik zu verbringen, das wäre der absolute Hammer, oder etwa nicht?„
„Du glaubst doch nicht etwa diese albernen Spuk-Geschichten mit denen kann man kleine Kinder erschrecken, aber uns nicht. Wo liegt das Haus eigentlich?„
„Mitten in einem uralten, düsteren Wald, abseits von jeder stark befahrenen Straße. Niemand schaut dort nach dem rechten!„
Besonders die beiden einzigen Frauen in der Gemeinschaft, gerade zwanzig Jahre alt, waren alles andere als erfreut über diese Wendung, steckten nicht vor den begeisterten männlichen Mitgliedern ihrer kleinen Gang zurück. Endlich versprach ein Wochenende mal nach dem Geschmack der arbeitslosen Clique zu verlaufen. Schnell wurden die nötigsten Sachen, Schlafsäcke, jede Menge Dosenbier, Taschenlampen, Kerzen und Kartoffelchips eingepackt. Minuten später rauschten die beiden klapprigen Chevrolets, der einzige Luxus, den sie sich gönnten ab. Ihre Eltern, wie üblich schon jetzt besoffen oder bekifft kümmerten sich wie gewöhnlich einen Dreck um sie, waren eher froh, die laute Meute los zu sein, falls sie überhaupt etwas von dem überstürzten Aufbruch bemerkt hatten. Wo sie abblieben, ob sie überhaupt wieder kamen, wen interessierte dies schon in der tristen Vorstadtwelt.
Nicht einmal eine halbe Stunde später, erreichten sie das in einem dichten, düsteren Tannenwald gelegene, vollkommen abseits stehende, schon jahrzehntelang verlassene alte Haus. Halb heruntergezogene oder herabgefallene Rolläden versperrten notdürftig den Blick durch die blinden, verstaubten Fenster. Die einstmals rot gestrichene Fassade war schon lange ergraut. Im längst verwilderten Garten, oder was davon noch übrig war, wucherte das Unkraut beinahe meterhoch. Seit Jahren schien keine Menschenseele das alte Haus mehr von innen gesehen zu haben. Selbst der allgegenwärtige Wohlstandsmüll fehlte weitgehend. Selbst Vögel schienen diesen unwirtlichen Ort zu meiden. Das Trommeln des stärker werdenden Regens auf den Wagendächern bildete schließlich nach das einzige Geräusch.
„Richtig gruselig, haltet ihr das wirklich für eine gute Idee?„, versuchte die auch sonst eher schüchterne und besonnene Jasmin ihre Freunde ein letztes Mal von dem Plan abzubringen, doch statt ihr eine Antwort zu geben, begannen diese die mitgebrachten Vorräte zur Eingangstür zu schaffen, die schief in den Angeln hing und entsetzlich quietschte, als sie vorsichtig geöffnet wurde.
„Ist doch niemand zu sehen, sei keine Spielverderberin, oder glaubst du etwa an Gespenster?„
Eine dicke Staubschicht, bergeweise trockenes Laub und wenige kleine Zweige lagen verstreut in der kleinen Eingangshalle. Mehrere halboffene Türen führten wie einladend weiter ins Innere des Hauses. Das flackernde Licht ihrer mitgebrachten Taschenlampen leuchtete über lange, senkrecht von der Decke hängende, vollkommen verstaubte graue Spinnweben, die eine makabre Dekoration in der sonst leeren Halle bildeten.
„Nichts zu sehen, keine Ratten, nicht einmal Spinnen, nur Staub, viel Staub! Worauf wartet ihr noch? Laßt uns einen Raum suchen, der einladender aussieht, oder wollt ihr hier übernachten?„
Mutig angeführt von dem jungen, gerade einmal siebzehnjährigen Peter, drang die kleine Gruppe tiefer in das Haus ein. Die rechte, verschlossene aber nicht verriegelte Tür bildete für sie kein Hindernis, führte in einem langen, dunklen Korridor, an dessen anderen Ende im Schein der Lampen eine weitere Tür gerade noch zu erkennen war. Staub und Schmutz lagen hier längst nicht mehr so hoch wie im Eingangsbereich.
„Sieht doch gar nicht schlecht aus! Kommt, hier gibt es noch jede Menge weiterer Räume, die alle offen stehen.„, sprach Peter und verschwand schon in einer Abstellkammer, in der noch Reste von Besen zu erkennen waren, während die anderen langsam weiter vordrangen.
„Hier, das muß wohl einmal die Küche gewesen sein!„ Offenstehende, ehemals weiße Schränke, die im Schein der Taschenlampen schmutzig grau erscheinende, herausgerissene Schubladen, überall verstreut liegendes, teils verrostetes Besteck, eine Vielzahl fein säuberlich abgenagter kleinerer und größerer Knochen, verschimmelte Zeitungen und verrostete Konservendosen boten einen Anblick wie auf einer Mülldeponie.
„Hier hat jemand vor uns die gleiche Idee gehabt! Das Besteck ist wohl nicht mehr zu gebrauchen, aber seht euch mal die Berge Zeitungen dort in der Abstellkammer an! Schaut, die oberste Zeitung ist von 1960, da steht etwas von einem Mord geschrieben. Penner findet Mädchenleiche in einem leer stehenden Haus lautet eine Überschrift, ob die wohl dieses Haus hier gemeint haben?„
„Das ist überhaupt nicht witzig!„
„Wer wird denn gleich kratzbürstig werden! Der Mord liegt mehr als vierzig Jahre zurück, der Mörder ist sicher schon lange tot.„
„Sieht aus, als hätte jemand in diesem Raum längere Zeit gehaust. Hier, diese kleinen Knochen könnten Hühnerknochen sein, und die beiden Schädel dort drüben sehen ganz nach Hirsch und Schwein aus, wenn mich meine Schulkenntnisse in Biologie nicht täuschen, muß wohl ein ausgesprochener Fleischliebhaber gewesen sein, der hier gehaust zu haben scheint.„
„Kommt weiter, da drüben scheint die ehemalige Bibliothek gewesen zu sein, einige Sessel und Stühle haben den Zahn der Zeit erstaunlich gut überstanden. Hier stehen sogar noch Bücher, uralte Bücher, richtig schwere, in Leder gebundene Schinken.„
Begeistert stürzten alle in das große Bibliothekszimmer, dessen dicke, dunkelgraue Vorhänge nur wenige Lichtstrahlen in das dahinter liegende Zimmer ließen. Hunderte von alten Büchern, meist noch in den hohen antiken Regalen stehend, warteten nur darauf aufgeschlagen zu werden, während ein kleinerer Teil regellos auf dem Boden verstreut lag. Herausgerissene Buchseiten flatterten durch einen leisen Lufthauch bewegt über die dicke Staubschicht.
„Hier schlagen wir vorerst Quartier auf, den Rest des Hauses können wir heute abend erforschen, ich hab einen höllischen Durst, alte Häuser machen mich immer so durstig.„
„Schaut euch mal die Bücher im hinteren Bereich der Bibliothek an, die sind wirklich uralt, teilweise sogar noch in Latein geschrieben, die sind ganz sicher eine schöne Stange Geld wert. Und was steht hier drüben? Rituale der Schwarzen Magie! Die Hexen von Blackwood Castle! Der Würger von Hamburg! Und eine Menge weiterer Bücher über Magie, Hexen, Zauberer und den Teufel! Wahnsinn!„
„Warum die Besitzer dieses Hauses diese Bücher hier vergammeln lassen, würde mich schon interessieren, leben die überhaupt noch?„
„Sicher sind sie tot und niemand weiß mehr von den bibliophilen Schätzen, sonst wären sie längst zu Geld gemacht worden!„
Einige Zeit später, nachdem draußen die Dämmerung hereingebrochen war und die kleine Gesellschaft die ersten Bierdosen geleert hatte, wurde einstimmig beschlossen, Flaschendrehen zu spielen, nachdem irgendjemand im Kamin eine alte, längst ausgetrunkene Flasche Martini gefunden hatte.
„Jeder, auf den die Flasche zeigt, muß das tun, was wir von ihm oder ihr verlangen, aber nicht irgend etwas, sondern etwas ganz besonderes, wir wollen doch wissen, was sich noch in diesem alten Haus verbirgt.„, schlägt Peter vor.
Die Idee wird von Mark aufgenommen „Also, jeder muß allein einen Raum untersuchen und etwas aus diesem Raum mitbringen, die Mädchen dürfen natürlich zu zweit oder mit Begleitung gehen!„
Wieder tönte Peter „Ihr habt doch nicht etwa Angst, oder doch? Wir sind nun schon eine ganze Weile hier und nichts ist passiert, nicht einmal Ratten haben wir gehört oder gesehen.„
„Also wollen wir jetzt ein bißchen Spaß haben oder nicht, schaut nicht so ängstlich drein ihr beiden, ich komme mit, wenn ihr wollt, ich habe keine Angst!„ gröhlte der schon leicht angetrunkene Mark zu den beiden stumm dasitzenden Mädchen.
Die große Martini-Flasche drehte sich mehrere Male im Kreis, warf lange Schatten auf den von wenigen flackernden Kerzen nur notdürftig erhellten Boden, zeigte danach wie zufällig auf den erwartungsvoll dreinblickenden Peter.
„OK. Peter, du nimmst den Raum rechts neben der Küche, los, finde was Interessantes und vergiß die große Taschenlampe nicht! Schlaf unterwegs nicht ein!„, tönte es ihm nach, als er losstürmte. „Man, der Alkohol zeigt schon jetzt seine Wirkung!„
Wie alle Türen vorher ließ sich auch diese schwere Eichentüre problemlos, aber geräuschvoll öffnen. Gespannt warteten die jungen Leute auf die Rückkehr von Peter. Endlos erscheinende Sekunden verstrichen, schienen sich zu langen Minuten auszudehnen.
„Peter bleibt ganz schön lange weg!„, ließ sich die ruhige Stimme von Bernd vernehmen. Aber da stürmte der Vermißte schon durch die Tür.
„Na, ihr seht mir schon so erwartungsvoll entgegen, aber ich muß euch wohl enttäuschen, in dem Raum ist nicht viel zu sehen, nur hunderte fein säuberlich abgenagter Knochen, Rattenknochen vermutlich, dazu passen die verrosteten Rattenfallen die ich in der Nähe gefunden habe. Mehrere Dutzend Schädel liegen auch noch herum. Aber rechts neben diesem Raum ist ja noch eine weitere Tür, vielleicht hat der nächste mehr Glück!„
Wieder drehte sich die Martini-Flasche, zeigte dieses Mal auf die um die Nasenspitze etwas bleiche Jasmin, die sich tapfer an der Bierdose auf dem Boden festhielt.
„Keine Angst, Jasmin, ich werde mit dir gehen, wir werden es unseren Männern schon zeigen„, ließ sich Judith vernehmen, „wir nehmen den schon genannten Raum! Und los, nun komm schon, das ist doch ein Riesenspaß!„, kicherte Judith.
Beide zogen ab, mußten die alte, schwere Tür mit Gewalt öffnen, und fielen beinahe in den dunklen Treppenschlund der sich vor ihnen auftat. „Da müssen wir wohl runter, komm!„ Die steinernen Wände glänzten vor eingedrungener Feuchtigkeit, die Treppe selbst hatte nur ein Dutzend hölzerner Stufen, die gefährlich unter ihren Turnschuhen knarrten, jedoch nicht unter ihrem Gewicht zusammenbrachen. Im Schein der Taschenlampe erkannten sie wieder eine dicke Staubschicht, in der Dutzende von kleinen Fußspuren zu erkennen waren.
„Igitt, Ratten, ich hasse diese fetten, ekligen Ratten!„
„Die waren doch auch schon oben! Sind sicher längst tot, hier gibt es doch schon lange nichts mehr zu fressen für sie. Komm noch ein paar Meter weiter nach links, schließlich müssen wir ja irgend etwas mit zurück nehmen, sonst glauben die dort oben uns bestimmt nicht. Bis jetzt haben wir ja nichts gesehen. Schau, da sind weitere Räume, dieses Mal ohne Türen, und da hängt auch ein total verrostetes Messer an der Wand, das reicht, wir gehen zurück!„
„Hast du das gehört?„
„Was denn?„
„Das leise, wie irre klingende Kichern, es kam von hinten!„
„Also ich höre nichts, das bildest du dir nur ein, oder du hörst die Männer oben lachen, wir sind allein in diesem Haus, die Jungs haben sich sicherlich einen Scherz erlaubt, sie waren es!„
Jasmin erwiderte daraufhin nichts mehr, vielleicht hatte sie sich wirklich getäuscht und hörte nur den Wind, der irgendwo weit entfernt durch uralte Bäume fegte, tapfer blickte sie nach vorne.
„Na, ihr wart aber sehr lange weg, wir dachten schon, euch hätten Kobolde gefressen, die mögen hübsche junge Frauen wie euch besonders gerne! Was habt ihr gefunden?„
„Den Zugang zum Keller und dieses alte Messer! Nun seid ihr wieder dran, und schenkt Jasmin noch von dem Wein ein, sie kann es vertragen.„
Nachdem sich alle wieder in den Kerzenkreis gehockt hatten, erkundigte sich Jasmin leise bei Bernd, ob auch er dieses seltsame Kichern gehört hätte.
„Das waren bestimmt wir, wir haben hier mehrmals laut gelacht, aber nicht über euch, keine Angst, da ist niemand, glaub mir, sonst hätte er uns doch längst einen unfreundlichen Besuch abgestattet, unser Eindringen und unsere Anwesenheit ist doch nicht zu überhören„, redete ihr der gut zu und reichte ihr den Wein herüber, er mochte die schüchterne aber gutaussehende Jasmin, obwohl sie manchmal sehr ängstlich, fast zu ängstlich für die oft rauhen Abende der Clique sein konnte.
„Der nächste muß den Keller weiter erforschen, dieses Mal nach rechts!„
Wieder drehte sich die Flasche, und dieses Mal zeigte sie auf Bernd, „also los Bernd!„, aufmunternd und ängstlich zugleich blickte Jasmin Bernd hinterher, der seine Bierdose natürlich mitnahm, irgend etwas stimmte mit diesem Haus nicht, dachte sie sich im Stillen, äußerte ihre Zweifel aber nicht mehr. Was mache ich mir auch Sorgen? Bisher waren Mark, Bernd, Peter und Frank jeder brenzligen Situation gewachsen gewesen, von denen schon einige hinter ihnen lagen. Das Vorstadtleben war halt rauh und unbarmherzig, eigentlich nichts für ein eher schüchternes Mädchen.
Wieder knartschten die Holztreppen zum Herzerweichen, dieses Mal unheimlich laut.
„Ach Herrje, es ist erst kurz nach acht, wie langsam die Zeit vergeht! Haben wir noch genügend Bier und Wein?„
„Natürlich Kleiner, mehr als du trinken kannst, das weißt du doch, schließlich hast du doch Dosen über Dosen eingepackt, außerdem habe ich doch wie immer noch einige Paletten Dosenbier im Wagen, du weißt doch für alle Fälle!„
Ein erstickter Schrei, Fluchen und dann ein lauter Ruf folgte, „Mir ist nichts passiert!„, tönte es dumpf von unten herauf, der lange Bernd hatte sich nur am Kellereingang den Schädel gestoßen. Langsam ließ er den Schein der Taschenlampe durch den rechten Gang schweifen. Auch hier Dutzende Rattenspuren, Schmutz überall, Papierfetzen und wieder Knochen, überall Knochen, Rattenknochen vermutlich. Irgendwo vor ihm, etwa zehn Meter entfernt, gähnte dunkel eine weitere Öffnung. Vorsichtig, immer auf die niedrige Decke achtend, von der lange Spinnweben herunterhingen, die ihm schon im Gesicht klebten, ging er langsam den Gang entlang. Muffige, abgestandene Luft wallte ihm entgegen, machte das Atmen schwer, viel schwerer als oben. Endlich war die Öffnung erreicht, vorsichtig leuchtete er hinein und prallte entsetzt zurück. Direkt in dem Eingangsbereich blickte ihn ein bleicher Menschen-Schädel aus leeren Augenhöhlen entgegen.
„Das darf doch nicht wahr sein!„, entfuhr es ihm leise. Bernd raffte seinen verständlicherweise schwindenden Mut zusammen und ging in die Hocke.
„Puh, der ist nicht echt, aus Plastik oder etwas Ähnlichem muß er gegossen sein.„ Vorsichtig leuchtete er tiefer in den kleinen Raum hinein, in dem lauter blinde Gläser auf verrosteten Regalen standen. Ein eingestaubtes Buch lag offen auf einem großen Holztisch, dem einzigen Möbelstück in diesem Raum. Hastig trat er näher, erwischte das Buch, drehte sich um. Der Strahl seiner Taschenlampe strich noch im Vorbeigehen noch über ein kleines Glas, in dem man undeutlich etwas in einer trüben Flüssigkeit schwimmend erkennen konnte, das ihn frappierend ein engelegtes Gehirn erinnerte. Angeekelt klemmte er sich den nachgemachten Totenschädel unter den Arm und machte sich auf den Rückweg nach oben.
Wie ein Geist erschien Bernd, den Totenschädel angeleuchtet, wieder in der Bibliothek. Alle Anwesenden zuckten ohne Ausnahme bei dem Anblick des beleuchteten Totenschädels zusammen.
„Keine Angst, der ist nicht echt. Er muß aus Plastik oder etwan Ähnlichem gefertigt sein, auf der Rückseite kann man noch die Adresse des Herstellers erkennen. Den Schädel habe ich unten im Keller gefunden, wollte euch mal so richtig erschrecken, und dieses alte Tagebuch, die letzten Einträge sehen aus, als wären sie mit Blut geschrieben worden, so rot sind sie, und vor allem sind sie alt, uralt, fast hundert Jahre, man kann sie kaum noch entziffern.„
„Mann, das ist dir aber echt gelungen. Einen Augenblick haben wir fast geglaubt, da schwebt ein hell erleuchteter Totenschädel in die Bibliothek. Setz dich und trink erst einmal etwas auf den Schrecken, deine Dose scheinst du ja unten vergessen zu haben!„, letzteres fiel Bernd erst jetzt auf.
Und wieder drehte sich die Flasche, dieses Mal traf es Mark, einen draufgängerischen Typen, der oft den Anführer spielte.
„In dem rechten Gang sind noch mehr Räume, das Ende habe ich noch nicht gesehen, dort geht’s weiter für dich!
„Alles klar, wartet nicht auf mich, ihr könnt ja mal in dem alten Buch blättern.„ sagte er, und stürmte davon, polterte die Treppe herunter und verschwand.
„Hört mal, was hier geschrieben steht„, ließ sich Jasmin vernehmen, die zusammen mit Judith versuchte die letzte Seite des handgeschriebenen Tagebuches zu entziffern.
Bald muß die Polizei kommen, ich habe alle Beweismittel sorgfältig versteckt. Sie werden die Toten nicht finden. Man hält mich für verrückt, doch ich bin es nicht, nein, ganz und gar nicht. Irgendwie müssen sie mir auf die Schliche gekommen sein, dabei hat sich alles so gut entwickelt. Die ersten Verschwundenen fielen gar nicht auf. Niemand hat nach ihnen gefragt. Dieses junge Mädchen aber, erst süße 15 Jahre alt, die Nichte des Dorfpolizisten, die mir einmal fast entkommen ist, sie hat das Unglück erst heraufbeschworen. Ich habe ihr Gehirn mit besonderem Genuß verspeist, mit ihrem Blut schreibe ich die letzten Worte dieses Tagebuches, sie werden mich nicht bekommen, noch heute nacht verschwinde ich!„, damit endete das makabre Tagebuch.
Mit einem Aufschrei des Entsetzen ließen beide das Buch fallen, „Entsetzlich, das Tagebuch eines Mörders, mit dem Blut seines letzten Opfers geschrieben!„
„Beruhige dich, der Mörder ist schon lange tot, seine Opfer sind längst verwest und vergessen, hier gibt es niemanden mehr.„
„Laßt uns gehen, bitte! Haben wir nicht genug gesehen?„, bat eine kreidebleiche Jasmin die Umstehenden.
„Beruhige dich Jasmin, von uns darf keiner mehr Auto fahren, du weißt, die Polizei kennt uns schon zur Genüge, dieses mal wären wir fällig. Trink noch einen Schluck, wir sind doch immer noch bei dir!„
Schmollend setzte sich schließlich Jasmin abseits von den anderen in einen großen Sessel, starrte dumpf brütend in den vollen Weinbecher.
„Wo bleibt Mark, er ist schon lange weg!„
„Das kommt dir nur so vor, Mark ist erst ein paar Minuten fort!„
Plötzlich gellte ein tierischer Schrei durch das ganze Haus, ließ alle zugleich aufspringen, „Mark!„, schrie Judith entsetzt, und stürzte zusammen mit den anderen hinaus, nur Jasmin blieb bleich zurück, unfähig auch nur den kleinsten Finger zu rühren.
„Maark wo bist du! Gib Antwort, was ist passiert?„
Alle stolperten entsetzt die Holztreppe hinunter, wandten sich nach rechts, und sahen ganz am Ende des dunklen Ganges einen bleiches Gesicht, angeleuchtet von der Taschenlampe. „Mark, was ist!„, keuchte Judith entsetzt, stürzte auf ihn zu gefolgt von den anderen.
Da endlich schwenkte die Taschenlampe herum, gefolgt von einem lauten, befreienden Lachen. „Ich hab euch wohl sehr erschreckt, das war auch voll meine Absicht, ich fand das blöde Spiel langweilig, und so mußte mal ein bißchen Aktion in die Bude kommen.„
„Mark du ....„, keuchte Judith stieß ihm ihre kleine Faust so hart sie konnte in den Magen, „du bist unausstehlich! Daß wir uns Sorgen um dich machen, daran denkst du gar nicht!„
„Doch, genau das wollte ich ja!„
„Genug, der Spaß ist jetzt vorbei!„
„Seht mal, was ich gefunden habe, alte Gewehre und Pistolen, leider auch total verrostet, hier im nächsten Raum.„
Und wieder klang von irgendwo das irre Kichern auf, dieses Mal lauter und viel näher und alle hörten es.
„Klingt unheimlich, als wären wir hier nicht alleine„, nicht nur Judith atmete schneller.
„Unsinn, dafür gibt es bestimmt eine einfache Erklärung! Gehen wir nach oben, wenn ihr euch fürchtet, lassen wir dieses dämliche Spiel halt, schade eigentlich, hier unten gibt es noch viel zu entdecken.„
„Später vielleicht Mark!„
„Wo ist Jasmin, ist sie nicht mitgekommen?„
„Nein, sie ist glaube ich oben zurückgeblieben, das Tagebuch hat sie ganz schön mitgenommen. Vielleicht sollten wir doch nach Hause fahren?„
„Ach Unsinn! Die kriegt sich schon wieder ein. Jetzt wird es doch erst richtig spannend.„
Langsam erklommen sie die Holztreppe wieder, setzten sich wieder zusammen in die Bibliothek. „Wo ist Jasmin!„
„Jasmin„, gellte es durch das Haus, denn der Ohrensessel, wo sie zuletzt gesehen worden war, war leer.
„Sie wird doch nicht allein nach Hause gegangen sein? Aber ihre Sachen sind noch da, auch die Bierdose, aber wo ist der Weinbecher?„
„Der liegt hier, umgestoßen und ausgelaufen, der schöne Wein!„
„Jasmin„, gellte es wieder durchs ansonsten stille Haus, doch niemand antwortete. „Jasmin, das ist kein Spiel mehr! Wo bist du?„
„Seht mal, eine Kerze ist verloschen, obwohl sie eigentlich noch Stunden hätte brennen müssen, jemand muß sie gelöscht haben!„
„Wir suchen sie und bilden Trupps, je zwei Leute gehen nach oben und nach rechts und links. Nach unten brauchen wir ja nicht zu gehen, dort waren wir ja als sie verschwand.„
„Meinst du nicht, daß sie sich nur einen Scherz mit uns erlaubt?„
„Jasmin? Die niemals„, wehrte Judith entschieden ab.
II
„Los geht’s, wir finden sie schon, wahrscheinlich ist ihr nur schlecht geworden! Wir werden uns immer durch Rufe verständigen wo wir gerade sind und was wir gefunden haben, so daß jeder auf dem laufenden ist.„
Mark und Juith wandten sich nach rechts, den Gang entlang, dessen hintere Tür langsam mit jedem Schritt näher rückte.
„Schau, die Tür ist einen Spalt breit offen, das war sie vorher doch nicht?„
„Keine Ahnung, so genau hab ich vorhin nicht hingeschaut, aber wenn es so gewesen sein sollte, kann es nur Jasmin gewesen sein, die diese Tür geöffnet hat! Wenn wir Fußspuren hinter der Tür finden, muß Jasmin hier irgendwo sein, dann finden wir sie auch.„
Vorsichtig stieß Mark die schwere, eisenbeschlagene Tür auf. Ein Schwall abgestandener, muffig riechender Luft wehte ihnen abermals entgegen. „Jasmin, bist du da drinnen? Nichts zu hören. Aber hier erkenne ich undeutliche Spuren. Leuchte mal weiter in den Raum hinein.„
Langsam geisterte der Schein der Taschenlampe über ehemals weiße Wände. „Stopp!„, schrie Judith mit einem Mal aufgeregt, „da, die Schrift, siehst du sie nicht, alt und verblaßt, aber deutlich zu erkennen. Alte Runen, oder was soll das sein? Und hier steht was in lateinisch. Deus te mortuus est. Gott ist (für) dich gestorben? Eindeutig zweideutig diese Schrift. Muß wohl noch von dem Mädchenmörder stammen. Unheimlich, und noch immer nichts von Jasmin.„
„Die Spuren führen geradeaus, an der Schrift vorbei in einen weiteren Korridor!„
„Sollen wir nicht die anderen holen? Wenn ihr etwas zugestoßen ist?„
„Hier nimm das Messer, ich hab noch ein weiteres, wir werden Jasmin finden!„
Plötzlich gellte ein schriller Schrei durch die lastende Stille im Haus, der Entsetzensschrei eines in höchster Angst befindlichen Mädchens, wie beide sofort erkannten. „Jasmin„, schrie Judith mit überschnappender Stimme entsetzt auf, stürzte jegliche Vorsicht vergessend in den Korridor vor ihnen, während Mark Mühe hatte ihr zu folgen.
„Man schneller, leuchte mit der verdammten Funzel vor mir her, damit ich was sehe, das war Jasmin, mach schon."
Plötzlich strauchelnd und Halt bei Mark suchend, leuchtete Judith auf den Gegenstand, der sie beinahe zu Fall gebracht hatte. „Jasmins Schuh! Weiter wir sind auf der richtigen Spur! Da hinten erkenne ich eine weitere Kellertreppe.„
„Jasmin„, gellte es wieder durch das verlassene Haus, und dieses Mal antwortete jemand irgendwo vor ihnen im Keller.
„Hier bin ich! Hier unten, schnell kommt, diese Biester, Hilfe, ich blute!„
„Wir kommen, halte aus!„, schrie Mark zurück, stürzte an Judith vorbei und hatte Mühe des Gleichgewicht auf der schmalen Holztreppe zu halten. Unten angekommen fiel der Schein seiner Taschenlampe auf kleine, schwarze, huschende Schatten. Ratten, ausgehungerte Ratten, wie sich schon bald zeigte, die keine Scheu vor den Menschen zeigten.
„Judith, hier bin ich, endlich seit ihr da!„
„Ist ja schon gut, wir sind ja bei dir. Warum hast du die ganze Zeit nicht geantwortet?„
„Als ihr alle aus dem Zimmer gestürzt seit, hatte ich plötzlich panische Angst, konnte mich nicht vom Fleck rühren, dann wurde mir kotzübel vom Wein und dem Gelesenen. Halb betäubt bin ich raus aus der Bibliothek, mehr weiß ich nicht. Ich muß die Treppe halb herunter gefallen sein. Als ich wieder zu mir kam, waren diese gräßlichen Ratten schon da, starrten mich einfach nur an und schienen sich jeden Augenblick auf mich stürzen zu wollen.„
„Ist ja schon gut, wir sind ja wieder bei dir! Man sind wir froh, daß dir nichts passiert ist! Dann können wir ja zu den anderen gehen! Die suchen sicher immer noch in den anderen Räumen nach dir!„
Und wieder erklang das irre Kichern, dieses Mal noch lauter, noch näher. Es klang als würde sich eine uralte Hexe köstlich über sie amüsieren.
„Da ist es wieder dieses gräßliche Lachen, das kann einfach nicht der Wind sein! Ich habe es nun mehrmals deutlich gehört. Wir sind nicht mehr allein in diesem Haus, glaubt mir.„
„Wenn wir wieder alle beisammen sind, werden wir seinen Urheber suchen und finden, verlaßt euch darauf.„
Erneut bei der fast schon vertrauten Bibliothek angekommen, erwartete sie schon die Suchgruppe mit Bernd.
„Jasmin, da bist du ja endlich, zum Glück ist dir nichts passiert, wir waren echt in Sorge um dich!„
„Wo sind die anderen? Wir haben lange nichts von ihnen gehört, gemeldet haben sie sich auch nicht.„
„Wir waren auf dem Speicher, richtig gruselig ist es dort, viele Räume, ähnlich wie hier, überall Rattenspuren und Knochen, aber sonst nichts, die anderen müssen noch auf dieser Ebene sein, wenn sie sich an die Absprache gehalten haben. In der Eingangshalle gibt es ja noch weitere Türen. Los, wir suchen sie.„
Zwei weitere Türen führten dort in unterschiedliche Richtungen. „Nein, dieses Mal trennen wir uns nicht. Peter, wo seid ihr, meldet euch, Jasmin ist wieder aufgetaucht!„
„Keine Antwort! Vielleicht sind sie zu weit entfernt! Wir nehmen die rechte Tür!„
Kurze Zeit später, nachdem sie einige weitere, ausnahmslos leere Räume betreten hatten, stieß Mark auf Fußspuren. „Hier sind sie gewesen, die Spuren führen geradeaus weiter.„
Schritt um Schritt durch die nur notdürftig erhellte Dunkelheit vorwärts tastend, entdeckten sie die dunklen Flecken auf dem Boden erst sehr spät.
„Leuchte mal hierüber, siehst du das? Blut, frisches Blut, nicht viel, aber es stammt bestimmt von Peter oder Frank. Los weiter, die melden sich noch immer nicht.„
Weit voraus, dumpf, krachte irgend etwas, dann ein spitzer Schrei und wieder Stille. „Fraaank! Peeteer! Nichts mehr zu hören! Die werden doch nicht eine weitere Treppe hinunter gefallen sein?„
Leise, von überall her gleichzeitig ertönte das schon bekannte, nervtötende irre Kichern.
Weiter, immer weiter drangen sie in die langen Gang vor, von dem immer wieder Türen abzweigten. Die Fußspuren im Staub jedoch führten nur immer gerade aus und neben ihnen noch immer weitere Blutstropfen.
„Da, eine Blutlache, direkt unter dem Haken in der Wand und eine unserer Bierdosen! Dieses Mal ist es ernst! Da ist muß etwas geschehen sein.„ Mark zog seine Pistole, während die anderen ihre langen Schmetterlings-Messer zur Hand nahmen.
„Schleifspuren dort drüben, sie führen direkt in den angrenzenden Raum.„, ließ sich Mark vernehmen und stürzte voran, um nur Augenblicke später entseztlich schreiend, rückwärts aus dem Raum zu taumeln. „Peter, Peter ist tot! Er liegt dort drinnen in einer riesigen Blutlache, jemand hat ihn bestialisch zugerichtet!„, stammelte Mark kreidebleich,
„Geht da bloß nicht hinein Mädels! Von Frank keine Spur, hoffentlich lebt wenigstens er noch. Beide müssen sich schon vorher getrennt haben. Aber Peters Mörder kann nicht weit sein, blutrote Fußabdrücke führen in einen weiteren Raum. Los, das Schwein kriegen wir.„
Krampfhaft bemüht, nicht auf ihren verkrümmt im Raum liegenden toten Freund zu blicken, hasteten die vier an dem leblosen Körper vorbei. Irgendwo vor ihnen ertönte wieder ein Poltern, aber kein Schrei dieses Mal. Weiter, immer weiter ging es, bis die Spuren vor einer Wand endeten.
„Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben, hier muß es einen Mechanismus geben, um die in der Wand verborgene Tür zu öffnen, suchen wir also, los Beeilung.„, stieß Mark hervor, während er schon die Wand abtastete, die anderen taten es im gleich, von Entsetzen gebeutelt und von Jagdfieber gepackt.
Eher zufällig drückte Judith gegen einen Haken in der Wand, stürzte mit einem spitzen Schrei rückwärts in die entstandene Wandöffnung, während sich die Wand schon wieder hinter ihr schloß. Viel zu schnell für die hilflos zusehenden Freunde.
„Judith! Judith, sag doch was!„, schrie Mark, während er wie wild an dem Haken zog, die Geheimtür sich jedoch nicht bewegte.
„Hiiillffeee! Helft mir doch, Oh mein Gott!„, gellte es dumpf von drüben herüber, dann breitete sich lähmende Stille wie ein todbringender Teppich über die steinernen Gänge aus.
„Neeiin, nicht auch noch Judith„, schrien Mark und Bernd gleichzeitig außer sich vor Entsetzen, während Jasmin still in Tränen ausbrach.
Endlich nach bangen Sekunden, die sich zu endlosen Stunden zu dehnen schienen, öffnete sich die geheime Tür erneut. „Shit, dieser verdammte Hebel. Zur Seite und nicht nach unten, so geht sie auf, wo ist Judith?„ Aber da war keine Judith mehr, nichts, nur ein weiterer, dunkler aus Stein gemauerter Gang. „Judith„, keine Antwort.
„Hinein mit euch, ich komme sofort nach!„
Bernd und Jasmin gaben keine Antwort, wandten sich aber gehorsam durch die Öffnung, während Mark den Hebel nach rechts drückte und schließlich selbst durch die Öffnung in den Gang sprang, währen die Tür sich wieder hinter ihnen schloß. „Hier sind wieder Spuren, die nach rechts führen, los doch, Judith ist in Gefahr!„
Alle Vorsicht vergessend sprintete Mark durch den langen Gang nach vorne, dicht gefolgt von Bernd und Jasmin.
„Da vorne, seht ihr, da ist Licht! Kerzenlicht, es flackert stark! Judith!„ Keine Antwort, nur wieder das entsetzliche, irre Kichern, dieses Mal ganz nahe, direkt vor ihnen.
Ein großer Raum, hell erleuchtet von hundert Kerzen, direkt vor ihnen, in der Mitte Judiths Kopf, aufgespießt auf einen Holz-Pfahl. Blut tropfte herunter. Und wieder das entsetzliche Lachen, dieses Mal von allen Seiten gleichzeitig.
„Judith! Judith!„, jammerte Mark immer wieder, sank vor dem Schädel in die Knie, preßte die Hände vor das Gesicht und begann hemmeungslos zu weinen, während Jasmin nicht mehr ansprechbar, leise vor sich hinweinte. „Wir kommen hier nicht mehr raus, wir sind verflucht, sie wird auch uns umbringen, diese Hexe!„
„Noch leben wir, und wir werden Peter, Judith und Frank rächen.„, nur der sonst so stille Bernd behielt die Nerven.
„Dort hinten muß noch ein Raum sein, da muß das Schwein sein! Los da war ein Schatten, ein großer Schatten. Hinterher!„
Durch diese Worte aufgerüttelt, stürzte sich Mark in einen weiteren, steinernen Gang, an dessen Ende tatsächlich Kerzenlicht leuchtete. Wie Kanonenschüsse klangen drei Schüsse in dem uralten Korridor, die Mark plötzlich ohne einen Laut von sich zu geben auf irgend etwas vor ihm abfeuerte und wie von Sinnen schrie. „Ich hab ihn, ich hab das Schwein erwischt! Kommt!„
Vor ihnen beugte sich Mark triumphierend über einen riesigen, reglos daliegenden menschlichen Körper und die beiden anbrüllte, die dicht hinter ihm standen „Er war es, er war es, seht ihr das frische Blut an seiner Kleidung?„
Ein muskelbepackter Mann, wohl über zwei Meter groß, eingehüllt in schwarze, verwahrloste Kleidung, die entsetzlich nach Schweiß, muffiger Luft und Blut stank, lag vor Mark und rührte sich nicht mehr. „Ich hab ihn erwischt!„
„Ja Mark, das hast du. Aber sie mal sein Gesicht an, es sieht aus wie das Gesicht eines kleinen Jungen, friedlich und doch tödlich. Es muß sich um einen Geisteskranken handeln, der hier sein Unwesen getrieben hat. Aber jetzt nicht mehr! Es ist vorbei, entgültig vorbei!„
Und wieder ertönte das schreckliche, irre Kichern, dieses Mal hörte es nicht mehr auf, kam von allen Seiten gleichzeitig, wurde lauter und schwoll zu einem wahren Orkan an. Entsetzt starrten sich die drei einzigen Überlebenden an.
„Scheiße, hat das denn nie ein Ende!„ Bernd stürzte vorwärts, ehe ihn Mark zurückhalten konnte, „Diese Hexe erwische ich, ein Geisteskranker alleine reicht wohl in diesem verdammten Haus nicht!„
Einen weiteren Gang entlanghastend, weder auf den Boden noch auf die Seitenwände achtend, galoppierte Bernd vorwärts. Plötzlich ohne Vorwarnung löste sich lautlos von der rechten Seitenwand ein länglicher Schatten. Bernd, ohne den Hauch einer Chance zu haben, das auf ihn zufliegende Unheil abzuwehren, stoppte mitten in seinem wahnsinnigen Lauf, als wäre er frontal gegen eine Wand gelaufen und sackte ohne einen Laut in sich zusammen.
„Bernd!„
Umsonst, mußten beide sofort einsehen, ihrem Freund konnte kein Arzt der Welt mehr helfen. Eine riesige Axt hatte seinen Körper beinahe in zwei Hälften geteilt.
„Mark, Mark, wir müssen hier raus. Sofort! Sonst erwischt es auch uns. Wir müssen umkehren, hier können wir nichts mehr ausrichten, es sind zu viele, wir werden beide bei dem Versuch sterben! Aber ich will nicht sterben!„, bettelte tränenüberströmt Jasmin, während Mark gerade auf den Toten Bernd zugehen wollte.
„Wir verschwinden von hier! Soll die Polizei um diese irre Hexe kümmern! Kommt mit, den Gang zurück.„
Kurz vor der Geheimtür hielten sie inne. Schritte hallten von Vorne und wieder das irre Lachen.
„Dich kriege ich!„, brüllte Mark erneut wie von Sinnen los, zog seine Pistole und feuerte ziellos mehrere Schüsse auf die Gestalt irgendwo vor ihm ab. Schließlich klackte der Abzugshebel nur noch auf leere Patronen, während das Lachen immer lauter, schriller und durchdringender wurde. Das schien Mark schon nicht mehr wahr zu nehmen. Er blickte nur noch auf eine weibliche Gestalt mit langen grauen, vollkommen verfilzten Haaren in total heruntergekommener Kleidung vor sich, zog sein Messer und stürzte sich auf sie, während Jasmin einfach nur dastand, ohne sich rühren zu können, zusehen mußte wie beide, Mark und die alte Frau aufeinander prallten und langsam zurück sanken. Blut strömte stoßweise aus den beiden tiefen Messerwunden hervor, ein letztes Mal erklang das irre Lachen, dann verstummte es für immer, beide Kontrahenten waren tot. Aber das schreckliche Ende registrierte Jasmin schon gar nicht mehr, ihr ohnehin durch die vorangegangenen Ereignisse schon stark verwirrter Verstand, drehte vollends durch. Sie hockte nur noch zusammengekauert in einer Ecke, den Kopf zwischen die Arme genommen und weinte hemmungslos. Jasmin sah nicht, wie eine weitere Gestalt mit einem langen Küchenmesser bewaffnet auf auf die junge Frau zukam, spürte nicht einmal mehr den tödlichen Streich, den ihr eine junge, schöne Frau zufügte, in deren Augen der Wahnsinn aufblitzte.
Am Morgen danach erreichte ein vollkommen durchnäßter junger Mann die nächste Polizeiwache, stammelte etwas von einem alten Haus und seinen vermissten Freunden. Die Beamten glaubten ihm zuerst kein Wort, fuhren aber schließlich auf hartnäckiges Drängen hin raus zum alten Haus, durchsuchten es gründlich von oben bis unten, fanden wohl die zurückgelassenen Sachen der Teenager, jedoch keine Spuren mehr, kein Blut und keine Leichen, natürlich auch keine offen stehende Geheimtür. Einsam und verlassen standen die beiden alten amerikanischen Wagen direkt vor dem verlassenen Haus. Die fünf jungen Menschen blieben verschwunden. Frank jedoch, denn er war als einziger aus der Todesfalle entkommen, mußte psychiatrisch behandelt werden und lebt heute in einer geschlossenen Anstalt. Noch immer behauptet er, wenn sich sein umnächtigter Verstand einmal für wenige Augenblicke lichtete, daß ihm seine toten Freunde im Traum begegnet sind. Aber Frank glaubt niemand mehr.
III
Monate später, nur wenige Menschen erinnerten sich noch an die kurze Zeitungsmeldung über das angebliche Verschwinden von fünf jungen Leuten, die nicht einmal von ihren Eltern als vermißt gemeldet worden waren. Für die beiden Polizisten, die an der Hausdurchsuchung beteiligt gewesen waren und sich kaum noch an Einzelheiten erinnerten, endete der Fall mit einer kurzen Aktennotiz und einem Berg von Papierkram. Niemand hielt es für nötig den Besitzer des alten Hauses über den traurigen Zustand seines Besitzes zu informieren. Ein polizeiliches Siegel an der geschlossenen Eingangstüre blieb lange einziges Zeugnis der ganzen Aktion.
Eines Tages parkte erneut ein Auto vor dem Haus, ein silberfarbener Golf mit auswärtigem Kennzeichen. Ein junger Mann in abgetragnen Jeans, schweren Wanderschuhen und grünem Parka mit einer neuen Metallsonde in der rechten Hand drehte einsam seine immer enger werdenden Kreise um das verlassen daliegende alte Haus. Ab und zu hielt er inne, packte den mitgebrachten Spaten aus und begann zu graben. Einige ältere Münzen, meist aber nur Metallschrott wanderten so in die mitgebrachte Tasche.
Wieder einmal piepte der Detektor, der Spaten stieß auf etwas gelblich-weißes. Langsam, fast behutsam grub der junge Mann mit bloßen Händen weiter, bis den Gegenstand freigelegt hatte. „Mein Gott, ein Menschenschädel!„, preßte er durch die geschlossenen Lippen hervor und ließ den Schädel langsam wieder in die Grube zurückgleiten. Die direkt unter dem Schädel liegende Münze interessierte ihn längst nicht mehr.
Kurze Zeit später kreuzte der selbe junge Mann im nahegelegenen Polizeirevier auf, berichtete den erstaunt zuhörenden Beamten von seinem schauerlichen Fund. „Wir kümmern uns darum, verlassen sie sich darauf!„, versprachen sie. „Da war doch die Geschichte mit den fünf verschwundenen Teenagern vor einigen Monaten„, warf jemand ein, als der junge Mann gegangen war, „man hat nie wieder etwas von ihnen gehört!„, während die Mordkomission verständigt wurde, ein in solchen Fällen übliches Verfahren.
Einige Zeit später erlebte das alte Haus einen Rummel wie schon lange nicht mehr. Mehrere Streifenwagen parkten auf dem freien Platz direkt vor dem Haus. Zehn Polizisten und zwei Schäferhunde durchkämmten systematisch das unübersichtliche Gelände, während sich Spezialisten der Mordkommission um die frisch ausgehobene Grube scharrten.
„Eindeutig das bedauernswerte Opfer eines verabscheuenswürdigen Verbrechens! Das Opfer wurde aus nächster Nähe erschossen, regelrecht hingerichtet. Die beiden Öffnungen im Schädel stammen von einen kleinkalibrigen Geschoß, vielleicht eines Pistole.„, erklärte gerade ein Gerichtsmediziner den Umstehenden.
Plötzlich zuckten alle zusammen, ein Hund bellte wie wahnsinnig. „Der hat etwas entdeckt, hoffentlich nicht noch einen Toten!„, ein Ereignis, das sich an diesem Nachmittag einige Male wiederholen sollte, während die Schaulustigen erneut zusammenzuckten und jedes Mal ein Stück bleicher wurden.
Stunden vergingen, die Nacht brach herein, Scheinwerfer erhellten weite Bereich um das Haus, Leichenwagen standen schon seit Stunden neben den Polizeiwagen. Reporter und wenige Schaulustige drängten sich um die Absperrungen, während die dort eingesetzten Beamten starr und ohne erkennbare ausharrten, den Blick auf das Geschehen teilweise versperrten.
„Da, noch einer, das muß nun schon der achte sein, das nimmt gar kein Ende. Schrecklich. Ich hab immer gewußt, daß mit diesem alten Haus etwas nicht stimmt. Mein Vater hat uns damals kurz nach dem Krieg schon vor diesem Ort gewarnt. Hier soll schon einmal ein ein Mord geschehen sein.„, wußte ein Schaulustiger dem anderen zu berichten.
Mitternacht war längst vorbei als schließlich die letzten Polizisten den Ort des grauenvollen Geschehens verließen, über dem eine unsichtbare Wolke Fäulnisgase schwebten. Sieben der acht Leichen wiesen stärkere Verwesungsspuren auf. Wenige grün-graue, bestialisch nach Fäulnis und Grab stinkende Fleischteile hingen noch an den geborgenen Knochen, die nur noch durch die schon in Auflösung befindlichen Kleidungsstücke zusammengehalten wurden. Das wenige, was aus der Ferne zu erkennen gewesen war, krempelte selbst dem abgebrühtesten Polizisten den Magen um. Die zuerst entdeckte Leiche war älter, viel älter, sie mußte mindestens zehn Jahre im Boden liegen.
Genaue gerichtsmedizinische Untersuchungen mit DNA-Vergleichen führten schließlich zur Identifikation von sechs Toten, darunter den fünf vermißten Teenagern. Bei der sechsten Toten handelte es sich um ein junges, seit über zwölf Jahren vermißtes Mädchen, dessen Eltern endlich die schreckliche Gewißheit über den Tod ihres geliebten Kindes erhielten. Die beiden restlichen Toten konnten noch nicht identifiziert werden, darunter ein etwa dreissigjähriger Mann, ein Bär von einem Mann, der in seiner Kindheit an Hirnhautentzündung gelitten hatte und geistig zurückgeblieben gewesen sein mußte. Die achte Tote konnte mit hoher Wahrscheinlichkeit als dessen leibliche Mutter identifiziert werden.
Während Polizisten der Mordkommission ihrer täglichen Arbeit nachgingen, durchkämmte eine Staffel Polizisten mit Suchhunden das alte Gemäuer, doch keine Spur von möglichen illegalen Bewohnern. Mehrmals schlugen die beiden Suchhunde an, aber kein lebendes Wesen konnte durch sie aufgespürt werden. Selbst die sonst allgegenwärtigen Ratten verkrochen sich in den entlegensten Winkeln, wo die Hunde sie nicht aufspüren konnten. „Vor nicht allzu langer Zeit mußten Menschen, deren Körpergeruch die eingesetzten Hunde auch Tage später noch aufspüren konnten, dieses Gebäude betreten haben und sich zumindest einige Stunden darin aufgehalten haben„, lautete später das übereinstimmende Gutachten der Hundeführer.
Die Polizeiwache im nahegelegenen Dorf fand in dieser Nacht keine Ruh. Die Mitglieder der beiden Sonderstaffeln, sowie die Polizisten der Mordkommission unterhielten sich leise über das Geschehene. „Ein solches Chaos habe ich noch nicht erlebt, dieses Haus sollte man sofort abreißen, dem Erdboden gleich machen. Knochen, überall Knochen, wohin man blickt, dazu verschimmelte Zeitung und überall Dreck und Staub, Staub so weit das Auge reicht. Die Besitzer müßte man verklagen, ein seit Jahrzehnten verlassenes Haus zieht doch Verbrecher geradezu magisch an!„, regte sich eine junge Polizistin auf, die Mühe hatte, das Gesehene zu verarbeiten.
„Du weißt doch, eingreifen können wir auch in diesem Fall nicht. Das Haus ist Privateigentum und was die Leute mit ihrem Privateigentum anstellen, darf niemanden interessieren. Selbst wenn der oder die Mörder längere Zeit in diesem Haus Unterschlupf gefunden haben, dürfen wir nichts gegen die Hausbesitzer unternehmen, solange kein Verdacht auf sie fällt. Es ist uns ja sogar strengstens untersagt, etwas aus solchen Häusern zu entfernen, was nicht als Beweismittel verwendet werden darf, also müssen die Knochen und Zeitungen bleiben, bis eines Tages das Haus einem Brand zum Opfer fällt oder von selbst zusammenbricht.„
Im kleinen Dorf nur wenige Kilometer entfernt, erlebte die kleine Kneipe eine erstaunlich lebhafte Nacht, es gab nur ein Gesprächsthema, das alte Haus. Jeder wußte etwas aus dessen bewegter Vergangenheit zu berichten.
„Das alte Haus„, dozierte der Dorflehrer, ein alter hagerer Mann, „wurde einige Jahre nach dem siebenjährigen Krieg erbaut. Es heißt, sein Besitzer wäre eines unnatürlichen Todes gestorben und spuke noch heute in dem alten Gemäuer herum. Später nutzte man es als Spital, eines der ersten Spitäler in unserer Gegend übrigens, danach verfiel das Gemäuer zusehends.„
„Um die Jahrhundertwende, wußte mein Großvater zu berichten, hat es hier schon einmal eine schreckliche Mordserie gegeben. Mindestens fünf Mädchen verschwanden damals, ihre Leichen wurden niemals gefunden.„