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Das Aquarium

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28.04.2024
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Anmerkungen zum Text

Hallo 😊

Ich habe diesen Text für einen Schreibkurs an der Uni geschrieben bzw. schreibe ich immer noch daran. Wir sollten eine Figur beschreiben und haben eigentlich keine genauen Vorgaben. Irgendwie beiße ich mir seit einer Woche die Zähne daran aus, aus irgendwelchen Textbruchstücken einen zusammenhängenden Text zu basteln. Ich kann es mittlerweile nicht mehr sehen und wäre daher unglaublich dankbar, wenn jemand einen neutralen Blick darauf werfen und mir eine Rückmeldung geben könnte.

Update: Ich hab mir gedacht, ich lass meine vorherige Anmerkung einfach einmal stehen. Also wie gesagt, handelt es sich hier um ein Projekt für einen Schreibkurs, den ich im Rahmen meines Germanistik-Studiums absolviere. Was ich zu dem Zeitpunkt, als ich die erste Version dieses Textes hier hochgeladen habe, noch nicht wusste, ist, dass wir noch weiter an diesem Thema bzw. mit diesen Figuren arbeiten würden. Direkt im Anschluss an die "Figurenbeschreibung" (gut, es ist jetzt keine typische Figurenbeschreibung geworden, aber wir hatten da nicht so genaue Vorgaben), mussten wir eine Alltagshandlung beschreiben und danach eine Art "Wohnungsreise" (also es ging darum, dass sich die Figur durch ihr Zuhause bewegt und man dadurch mehr über die Figur erfährt). Da es trotzdem drei separate Texte sind, hoffe ich, dass es ok ist, dass ich sie alle drei in diesen einen Beitrag gepackt habe. Ich nehme an, dass ich noch länger mit dieser Figur zu tun haben werde und würde mich sehr über Rückmeldungen freuen!

Herzliche Grüße
Lillimarlen

Das Aquarium

(Figur)

Seit dem Tod ihres Mannes schläft sie im Gästebett, weil sie sich vor der leeren Hälfte des Doppelbettes gruselt und sie sich im Dunkeln fühlt, als würde sie neben einem Toten liegen. Von Anfang an war das, was sein Tod in ihr auslöste, weniger eine Traurigkeit als vielmehr ein unfassbarer Ekel, wie sie ihn seit jeher für alles Tote empfand.

All die verwaisten Besitztümer hat sie verschenkt oder entsorgt, nur das Aquarium wird sie nicht los. Sie hat es vom ersten Tag an gehasst. Sie konnte nicht verstehen, was ihr Mann an den Fischen fand, gerade er. Ein Hund hätte besser zu ihm gepasst, weil ein Hund ihn zurückgeliebt hätte. Die Fische schauen durch die Scheibe und steigen an die Oberfläche, in der Hoffnung, gefüttert zu werden, aber nach jeder Fütterung vergessen sie einen wieder. Ihr Mann schien es nicht verstanden zu haben. Er sprach mit ihnen und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, in dem er mit dem Finger die Scheibe entlangfuhr.

Ihr ist es recht, dass die Fische nichts von ihr wissen. Sie will nicht berührt werden von ihrem leblosen Glasblick und es kränkt sie nicht, dass die sie durch sie hindurchschauen, als stünde jemand hinter ihr, der von größerem Interesse für sie ist.
Kalte Wellen gleiten über ihre Haut, wenn sie vor dem Aquarium steht. Jeden Tag bangt sie, einen weißen Punkt auf einem der Fische zu entdecken. Der weiße Punkt markiert die Totgeweihten und sie weiß, was sie dann tun muss, um den Fisch nicht leiden zu lassen. Aber sie könnte es nicht. Es gibt ein Messer, das eigens für diesen Zweck bestimmt ist, es liegt in der Schublade unter dem Aquarium, gemeinsam mit dem Schneidbrett. Wenn ihr Mann einen kranken Fisch herausholte mit dem Netz und ihn auf das Schneidbrett legte, sah sie weg und hielt sich die Ohren zu, um den Schnitt nicht zu hören. Sie könnte keinen Fisch töten und würde zusehen müssen, wie er am Boden vor sich hinsiecht und immer blasser wird, bis die anderen Fische an seinen Flossen knabbern.

Ihr fällt nichts Besseres ein, zum Überleben der Fische beizutragen, als das Wasser sauber zu halten. Sie weiß, dass es ausreicht, das Wasser alle vierzehn Tage zu wechseln, aber sie tut es jeden Tag. Mit äußerster Sorgfalt achtet sie auf die Sauberkeit des Aquariums, während die übrige Wohnung immer mehr verwahrlost.

Noch immer erschaudert sie, wenn die Fische, die sich mittlerweile an ihre Hand im Wasser gewöhnt haben, durch ihre Finger gleiten. Das Zittern bleibt, wenn sie die Hand wieder aus dem Wasser zieht, über den ganzen Körper dehnt es sich aus, bis es sich von der Haut ins Innere zurückzieht und wie ein kalter, nasser Fetzen auf ihrem Herzen liegen bleibt.

(Alltagshandlung)

Sie schleicht sie im weißen Nachthemd durch die Wohnung, das an den nassen Stellen durchsichtig und kalt auf ihrem Körper klebt wie Gänsehaut. Die Fische schlafwandeln mit offenen Augen durchs dunkle Wasser. Sie wachen nicht mehr auf, wenn die Hand mit dem Kohleschwamm ins Wasser taucht. Sie gleiten sogar durch ihre behandschuhten Finger, ohne aufzuwachen, nur sie erschaudert von der Berührung mit der kalten Haut, die sie durch das Gummi hindurch spüren kann. Angestrengt schaut sie ins Aquarium. Im Licht sehen die Fische aus wie bunten Glas. Jetzt in der Dunkelheit fällt ihr auf, dass die Farben schmutzig sind. Sie weiß, dass die schwarzen Flecken auf den Fischen weder Schmutz noch eine Krankheit sind. Dennoch stört es sie. Als die Scheiben sauber sind, streift sie den Handschuh ab, wirft ihn weg und nimmt einen neues aus der Packung.

Es hat geregnet. Glitschig liegt der Schlauch draußen auf dem Balkon, schmutziges Wasser sammelt sich in seinem Bauch. Sie sollte ihn nicht draußen liegen lassen, aber in der Wohnung gibt es keinen Platz und außerdem ekelt sie sich davor. Sie fasst ihn nur mit Handschuhen an. Auch der Kübel steht draußen und ist halb mit Regenwasser gefüllt. Sie beugt sich über das Geländer und versucht in der Dunkelheit zu erkennen, ob jemand unten steht. Dann kippt sie das Wasser hinunter in den Hof.

Sie trägt den Kübel und den Schlauch ins Badezimmer. Algen kleben im Abfluss. Überall in der Wohnung riecht es nach Algen. Der Boden ist noch nass vom verschütteten Wasser. Sie muss aufpassen, dass sie nicht ausrutscht. Sie spült Kübel und Schlauch in der Dusche aus. Das Wasser dreht sie nicht ganz auf, damit die Nachbarn es nicht hören. Ein feiner Strahl läuft lautlos durch den Schlauch und plätschert dann leise in den Kübel.

Dann trägt sie beides ins Wohnzimmer. Sie nimmt vorsichtig den Aquariumdeckel ab und stellt ihn auf den Boden. Das eine Schlauchende taucht sie in das Wasser. Dann schlißt sie die Augen und zögert sie einen Moment, bevor sie das andere Ende in den Mund nimmt und daran saugt, wimmernd vor Ekel. Sie hört rechteitig auf, bevor das Wasser in ihren Mund strömt und lässt den Schlauch jetzt, da das Wasser abfließt, in den Kübel fallen. Ganz leise plätschert es, wie ein kleines Bächlein. Und die Fische sinken langsam zu Boden, als würden sie plötzlich schwerer werden. Sie hört auf, als etwa ein Viertel des Wassers geleert ist. Sie trägt den vollen Kübel ins Badezimmer und kippt seinen Inhalt den Abfluss hinunter. Sie dreht das Wasser wieder auf und erschrickt, als der Strahl geräuschvoll auf die Fließen in der Dusche braust. Sofort dreht sie an dem Rad, bis der Wasserstrahl wieder klein und leise ist. Mit der Hand prüft sie die Temperatur. Es sollte nicht zu warm und nicht zu kalt sein. Als sie zufrieden ist, stellt sie den Kübel wieder unter den Strahl und wartet geduldig, bis er voll ist. Dann hebt sie ihn auf und wacht sich damit auf den Weg ins Wohnzimmer.

Er kommt ihr schwerer vor als sonst. Es ist halb vier Uhr morgens und sie hat noch nicht geschlafen, wird auch nicht mehr schlafen. Die Müdigkeit sitzt nur in den Armen. Eigentlich müssten sie sich bereits an das Gewicht des Wasserkübels gewöhnt haben, aber sie gewöhnen sich nicht daran, wie auch ihr Kopf sich nicht an diese Arbeit gewöhnen kann.

Von dem Kübel tropft Wasser, obwohl sie Acht gibt, nichts zu verschütten. Sie hat sie schon oft gesucht, aber sie findet die undichte Stelle nicht. Und einen neuen Kübel will sie nicht kaufen.

In der Wohnung wird es immer kälter, weil sie vergessen hat, die Balkontür zu schließen. Die älteren Wasserlacken am Boden riechen bereits merkwürdig, wie altes Seewasser.

Ihr fällt auf, dass sich der Geruch der Algen verändert, wenn es kalt ist und etwas in ihr zieht sich zusammen. Sie weiß nicht, ob sie sich ekelt oder Angst hat.

(Wohnung)

Zwischen den Federn der Decke ist kühle Luft gespeichert. Sie wälzt sich hin und her und reibt die Beine aneinander, aber richtig warm wird es nicht. Aus der Wohnung über ihr hört sie Fernsehergeräusche, ansonsten ist es still im Haus. Von draußen vernimmt sie in unregelmäßigen Abständen die Geräusche der vorbeifahrenden Autos. Sie wünschte, es gäbe mehr Lebenszeichen von der Außenwelt, damit sie sich nicht so fühlen müsste, als wäre sie der einzige Mensch, der um diese Zeit noch wach ist. Wenn es still ist, hört sie wieder das Knarren des Fußbodens aus den unbewohnten Räumen der Wohnung und je stiller es ist, desto schwerer fällt es ihr, an eine Sinnestäuschung zu glauben.
In der Dunkelheit ist alles entweder ein Geruch oder ein Geräusch. Seit sie alleine ist, liegt sie stundenlang wach uns versucht jedes Geräuschen zuzuordnen. Sie ist geübt darin, zwischen den Geräuschen der Lebenden und der Toten zu unterscheiden.
Nur beim Aquarium ist sie sich nicht sicher, sie weiß nicht, welchem Bereich sie die Geräusche des Wassers zuordnen soll. In manchen Nächten lässt sie die Wohnzimmertür offen, weil das friedliche Dahinplätschern sie beruhigt. In anderen Nächten kommt es ihr gespenstisch vor, dann schläft sie bei geschlossener Tür und drückt sich zusätzlich den Kopfpolster auf die Ohren, um es nicht zu hören. Um nicht wahnsinnig zu werden. Heute ist es ein freundliches Plätschern. Die Tür zum Wohnzimmer steht weit offen und die Stille kommt ihr weniger bedrohlich vor.
Das Alleinsein ist nicht ihr Problem. Die Wohnung ist das Problem, sie kommt ihr wie ein zu großes Kleidungsstück vor, das von ihr abfällt und sie frieren lässt. Sie schläft im Gästezimmer. Um die Wohnung zu verkleinern, hat sie das Schlafzimmer mit dem Ehebett und das Kinderzimmer zugesperrt. Sie geht nicht mehr hinein, nicht einmal zum Staubwischen. Wenn sie in der Nacht wieder den Boden knarren hört, kommt sie am Morgen in Versuchung, nachzusehen, ob Spuren im Staub sind. Aber sie tut es nicht. Sie will es eigentlich gar nicht wissen.
Sie wird unruhig. In der Wohnung riecht es jetzt wie an einem Seeufer. Der Algengeruch wird in der Nacht stärker, als käme er aus unsichtbaren Blüten, die sich in der Nacht öffnen und sich am Morgen wieder schließen. Etwas in ihr wird wachsam. Sie wittert eine Gefahr, sie weiß, dass der Geruch der Algen das in ihr auslöst, dass es eigentlich keine Gefahr gibt. Aber sie kann unmöglich liegen bleiben. Sie knipst das Licht an, steigt aus dem Bett und geht mit leisen Schritten ins Wohnzimmer.
Der Blick fällt direkt auf das Aquarium. Nichts lenkt von ihm ab, die Wände sind weiß und bilderlos. Das Aquarium ist das Zentrum der Wohnung, und ohne es zu wollen, umkreist sie es in jeder wachen Minute. Selbst wenn sie sich in einem anderen Raum aufhält, umkreist sie es gedanklich, weil es hier nichts anderes gibt, womit sich die Gedanken beschäftigen könnten.
An den nassen Stellen quietscht der Teppich wie Moos unter ihren nackten Füßen. Sie geht in die Hocke und inspiziert die Wasserspur, die vom Wohnzimmer bis ins Badezimmer und von dort aus zum Balkon reicht. Winzige grüne Flocken schwimmen darin. Sie weiß nicht, ob sie aus dem Aquarium stammen oder ob sie sich erst am Boden bilden, wo das Wasser mit dem Schmutz in Berührung kommt.
Im Aquarium gibt es keinen Schmutz. Wenn sie das Wasser wechselt, ist es nie älter als einen Tag. So schnell kann sich kein Schmutz bilden – oder doch? Sie richtet sich auf und wendet sich dem Aquarium zu. Die Fische treiben schlafend zwischen den Pflanzen im schattigen Wasser. Man kann nicht sagen, ob es sauber ist oder nicht, es ist zu dunkel und die Lampe schaltet sich erst am Morgen ein. Sie schärft die Augen und runzelt die Stirn. Doch, jetzt sieht sie es wieder. Je länger sie hinsieht, desto mehr trübt sich das Wasser. Mechanisch greift sie in die Lade unter dem Aquarium, holt das feinmaschige Netz heraus und streift sich einen Gummihandschuh über. Der Schmutz ist viel zu fein, er gleitet mit dem Wasser durch das Netz hindurch.
Im Nachthemd schleicht sie jetzt auf den Balkon, um Kübel und Schlauch zu holen. Beide sind nass, obwohl die Luft draußen trocken ist, es ist erst ein paar stunden her, dass sie sie das letzte Mal benutzt hat. Sie ist plötzlich sehr müde. Der Kopf schläft langsam ein, während sie diese dumme Aufgabe verrichtet, die nach tausendfacher Wiederholung nicht mehr ihrer geistigen Anwesenheit bedarf. Die Handgriffe sind bereits vorgezeichnet in der Luft. Es gibt keine Möglichkeit, sich ihnen zu entreißen.
Sie ist dazu verdammt, in ziellosen Wanderungen den tropfenden Kübel vom Balkon ins Badezimmer und vom Badezimmer ins Wohnzimmer und wieder ins Badezimmer zu tragen; Tag für Tag, Nacht für Nacht der Spur des Wassers zu folgen, die niemals trocknet.

 
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Hallo @lillimarlen ,

ganz herzlich willkommen im Forum! :gelb:

Du hast ein bisschen das Pech, dass sich grad einige neue Mitglieder anmeldeten, die auf konstruktive, teils ausführliche Kritiken gar nicht oder nur mit einem Halbzeiler antworteten und das nimmt einem einfach total den Elan, Neumitglieder zu kommentieren. Ganz vor allem, wenn sie mit eigenen Texten und nicht Kritiken zu Fremdtexten einsteigen. Das Forum kann nur funktionieren, wenn Leute nicht nur Texte einstellen, sondern sich auch konstruktiv engagieren (und ja, das kostet Zeit).

In diesem Sinne hoffe ich stark auf weitere Mitarbeit, denn für einen Einstieg finde ich das durchaus vielversprechend.

Ins Blaue hinein: Die 'Schuld' an deinem Problem liegt imA weniger bei dir als bei den Dozenten, wenn sie nach ihrer Aufgabenstellung "Charakterisierung einer Figur" als Ergebnis eine Kurzgeschichte erwarten - die ist ja eben viel mehr als das; Stichwort Plot und / vs Handlung.

Ansatz eines Plots ist erkennbar, aber fast alles ist stark symbolisch und findet zudem im Inneren bzw. in Erinnerungen statt. Hier sagte mal jemand so richtig: "Innere Vorgänge der Protagonisten sind meist für die Autoren interessanter zu schreiben, als sie für die Leser zu lesen sind." (Ausnahmen bestätigen die Regel, selbstverständlich!)
That said: Du hast hier ein Einpersonenstück und ich rate davon ab, künstlich Dialoge oder Interaktionen reinzubringen.

Symbolik und Handlung schließen sich nicht gegenseitig aus, du hast das auch stellenweise gut gelöst: Die Frau schaut ins Aquarium, ob die Fische weiße Flecken bekommen haben - eine auf den ersten Blick simple, aber in der Konsequenz spannende, packende und emotional mitreissende Handlung; zudem etwas wirklich Individuelles. Auf solche Passagen hin würde ich raten, den Text noch mal zu editieren.

Gespenstergewandt
Ich wandte mich um vs das Gewand
Ist auch zu drüber, klingt bemüht literarisch. Ich denke, du hast tolle Ansätze im Text, wüsstest durchaus, Dinge knapper zu sagen und dann eben solche Assoziationen eher auszulösen als sie dem Leser einfach so hinzusetzen.

das Herz erstarrt wieder in den leblosen Dingen
Semantik total verquast.

ihr Puls darin schlägt wie ein nervöses, kleines Herz.
Schlechter Vergleich, weil ja der Puls faktisch durch den Herzschlag entsteht.
Aber der Staub kehrt jeden Tag wieder
Ja naja, das klingt nach persönlichem Drama, ist aber bei jedem so. Wird dadurch ironisch, humorig.

Nachts, wenn sie das Aquarium durch die geschlossene Tür hindurch plätschern hört, füllt sich die Stille mit Wasser
Logikfehler: Wenn das Aquarium plätschert, herrscht keine Stille. (Das 'Wasser füllt die Stille' ist ja ein sehr schönes Bild, dann lieber den Anfang kicken, es gibt sicher auch leise Aquarien.)
der Geist schlägt panisch um sich, bis die Schlaftablette wirkt und ihn fesselt.
Zu dick aufgetragen. Von den Sprachebenen beisst sich auch 'panisch' (Alltagssprache) mit 'Geist fesseln' (gehobener, antiqiuerter Stil), solche Diskrepanzen lassen Humor entstehen.
Sie weiß jetzt, dass es falsch war, hier her zu ziehen. Vielleicht war es auch falsch, zu heiraten. Im Nachhinein würde sie zu allem, von dem sie früher nicht wusste, ob sie es wollte oder nicht, „Eher Nein“ sagen. Dann wäre sie jetzt irgendwo anders und es wäre wahrscheinlich besser, als hier zu sein, aber vielleicht auch nicht.
Ich finde das Verhältnis Jetztzeit vs Rückblicke / Infodump / Retrospektiven extrem ungünstig. Ich erfahre etwas über den Mann, nebenbei über die Frau früher, bevor ich weiß, was im Jetzt ist. Eigentlich ist mir Latte, ob sie mal Lehrerin war und wie sie Kinderlachen nun findet. Das sind imA völlig austauschbare Infos, die für mich keine Relevanz für den Plot oder die Figur haben, sie wirken wie 'man muss ja der Figur eine Backstory geben, weil der Leser sonst meckert, er wär verloren' und so.

Würde raten, da selbstbewusster an deinen Entwurf zu gehen und stärker in der Situation (auch, wenn sich die über einige Jahre strecken sollte) bleiben, nicht sofort rausschwenken.

Wichtig finde ich: Die Sache mit dem Mann und dem Aquarium, die Fische und das Euthanasie-Messer (extrem gut, haptisch, das mit dem Geräusch des Schneidens!), dann dieses langsame Verschwimmen der Zeit, das schon bissl slipstreamig wirkt, weil ich zumindest den Eindruck gewinne, die Frau ginge gar nicht mehr einkaufen etc. Ich verliere da bisschen die Bodenhaftung und das hab ich beim Lesen sehr gern (solange ich in etwa noch weiß, was los ist, und das hast du ja klar).

Völlig unwichtig finde ich: ihren Beruf, ihre unrealisierten Scheidungswünsche damals, ihr Rauchen (auch, weil das impliziert, dass sie regelmässig raus geht), ihr Staubwischen etc.

Ein Schrecken sitzt in ihrem Gesicht, der sich nicht mehr auflösen will.
Syntax zerschossen. Vorschlag: In ihrem Gesicht sitzt ein Schrecken, der sich nicht mehr auflösen will.
Ich finds an sich auch viel zu drüber, künstliches Drama bzw. künstlich auf literarisch gebürstet, das hat der Text nicht nötig (er ist am stärksten dort, wo du ganz klar etwas sagst, ganz hart und präzise, dann sehe ich das ja alles schon selbst und das wirkt viel stärker).
Kalte Wellen gleiten über ihre Haut, wenn sie durch das Glas schaut.
Das ist gut gemacht, ein frisches / nicht abgelutschtes Bild. Guck noch mal, ob du das nicht auch ohne so stark leitende Adjektive (oder sonst auch Adverben) sagen kannst. Kalte Wellen = kalte Schauer = gothic tale Phrase.
Seit sie in Rente ist, raucht sie wieder. Diese Angewohnheit schadet ihr weniger als das stundenlange Hineinstarren zu den Fischen.
Klar gibt es auktoriale Erzähler, die in der Geschichte übergeordnet, nicht anwesend sind und sich dabei wertend einmischen. Das gibt dem Text dann aber eine Meta-Ebene und die eignet sich nicht für alles. Bislang hab ich den Erzähler nicht groß als Instanz wahrgenommen, bis auf die krampfhaft literarischen Stellen und Retropsektiven alles direkt vor mir gesehen und war quasi vor Ort live dabei.
Kommt plötzlich so eine direkte Ansage, eine Wertung oder Interpretation dieses auktorialen Erzählers, höre ich eher die Autorin, die das unbedingt reinwürgen will. Sowas kickt aus dem Text. Das ganze Ding mit dem Rauchen führt imA auch zu stark aus dem Flow / Situation raus.

Vom Balkon aus sieht sie auf den Spielplatz hinter dem Mehrfamilienhaus. Als sie noch Lehrerin war, konnte sie das Geschrei der Kinder nicht leiden, jetzt beruhigt es sie. Sie lässt alle Fenster offen, aber es dringt nie bis ins Innere der Wohnung vor, dort plätschert weiterhin das Aquarium. Es klingt manchmal fröhlich, dann wieder unheimlich, als wären Stimmen darin, die vom Wasser durcheinandergewirbelt werden.
Das mit dem Wasser besser nicht überstrapazieren, der Text ist kurz und das kann schnell nerven, dabei brauchst du es aber am Ende noch als frischen Eindruck.
Könnte imA ersatzlos gestrichen werden. Klingt auch bissl geschwätzig.

Zudem: Wenn du eine Ebene in der Vergangenheitsform erzählst, muss das, was chronologisch davor lag, im Plusquamperfekt stehen.

Die Fische passten nicht zu ihm, weil er große, warme Hände hatte und laut lachte, die Fische hingegen sind kalt, gläsern und stumm. Ein Hund hätte besser zu ihm gepasst, weil ein Hund ihn zurückgeliebt hätte. Die Fische schauen durch die Scheibe und steigen an die Oberfläche, in der Hoffnung, gefüttert zu werden, aber sie lieben einen nicht zurück. Sie glaubt, dass er sie auf die gleiche Weise geliebt hat wie die Fische, ohne die Erwartung, zurückgeliebt zu werden.
Guck mal wie das mit weniger Adjektiven klingt. Zudem: Übererklärt. Kau dem Leser nicht alles vor, deute auch mal an, das hier sind ja nicht so sehr komplexe Sachverhalte.
An sich aber interessante Gedanken, das ist mal ein wirklich frisches Thema. Ich sehe hier durchaus großes Potenzial und hoffe, dass du dir hier nicht nur den Text für die Uni bearbeiten lässt, sondern auch weiter hier im Forum mitmachst.
Er starb im Alter von 65 Jahren an einem Herzinfarkt, als er das Aquarium geputzt hat. Damals arbeitete sie noch. Sie war Lehrerin für Griechisch und Latein an einer Hochschule in der Stadt und verbrachte jeden Tag zwei Stunden im Zug, um in die Arbeit und wieder nach Hause zu gelangen. Sie fand ihn abends am Boden liegend mit algigen Fingern und offenen Augen, die an die Decke starrten. Die Fische erinnern sie daran, durch ihre Augen sieht der Tote sie an und beobachtet sie, bei allem, was sie tut.
Ich empfinde das meiste hier als irrelevant und der letzte Satz gibt auch stark vor, um was es dir geht. Damit nimmst du dem Text die Spannung. Das Verhältnis Fische / Frau ist ja recht komplex, da ist der Mann zu Lebzeiten, ihre implizierte Haltung zu ihm, die Fische und der Tod, das Wasser und die Kälte, Geräusche vs Stille usw. Vielleicht mal schauen, dass du nicht zu viele Motive und Assoziationen bzw. auch konkrete Backstories mit deinem Titelmotiv und der Prota verknüpfst. Das zerfasert sich stellenweise stark, wirkt arbiträr, das nimmt den einzelen Bildern die Kraft, weil es in KGs um Konsequenzen geht und die Konsequenzen all dieser Verknüpfungen sind jeweils etwas oder stark anders.

Dass der Tote sie - spekulativ oder nur in ihrer Vorstellung - durch die Augen der Fische beobachtet, wäre Stoff für eine andere Geschichte.

kaltes, blaues Herz und verströmt sein eisiges Licht.
Phrase (Andersens Schneekönigin und so), Adjektivitis, Kitsch ... zu viel #Herz, zu viel #kalt.
Seit dem Tod ihres Mannes vor einem halben Jahr schläft sie nicht mehr im Ehebett, sondern im Gästezimmer, weil sie sich vor der leeren Hälfte des Doppelbettes gruselt und sie sich im Dunkeln fühlt, als würde sie neben einem Toten liegen.
No shit, Sherlock, wie man so schön sagt. ;)

Das ist an sich ja ein schönes Detail, aber halte den Leser nicht für doof, sondern lass ihn selbst auf die Idee kommen, warum sie wo schläft, das liegt ja auf der Hand. (Wenn sie im Gästezimmer schläft, sagt es schon, dass es nicht im Ehebett ist etc.).

Von Anfang an war das, was sein Tod in ihr auslöste, weniger eine Traurigkeit als vielmehr ein unfassbarer Ekel, wie sie ihn seit jeher für alles Tote empfand.
Das ist mal eine neue, interessante Sicht. Schaffst du es, das noch implizierter zu machen, nicht so plump-direkt als Ansage Autorin / Erzähler -> Leser?

Während sie einschläft, spürt sie, wie die Luft kälter wird. Jede Nacht wird es kälter. Einmal wird es so kalt sein, dass sich Eis auf dem Aquarium bildet und die Fische Winterstarre halten.
Ich rate mit Nachdruck, hiermit aufzuhören. Alles andere zerredet die Sache, sagt Dinge, die sich der Leser selbst denken soll (und denken kann), danach kommt auch esoterischer Kitsch rein, mit der Hand. Das kann natürlich auch ganz banal die Hand eines Rettungshelfers sein, der die Wohnung aufbrach, nachdem die Dame länger nicht gesehen wurde, aber irgendeine paranormal-religiöse Heilsgestalt - oder ihr verstorbener, plötzlich liebevoller Mann? - könnte ebenso naheliegen und das ist für den dezenten Rest des Textes imA way too much. Nimm vor allem auch die Härte und Konsequenz des gesamten Textes davor.

Hoffe sehr, mehr von dir zu lesen (Texte, Kommentare), ich finde deinen Einstieg sehr viel interessanter und vielversprechender als die meisten anderen hier. Bissl Arbeit steckt noch drin, aber ich hab den Eindruck, das ist bei dir momentan noch eine Frage des Austarierens und der Wald/Bäume-Sache.

Ganz herzliche Grüße,
Katla

 

Liebe Katla,

Ich bedanke mich vielmals für die Zeit, die du dir für den Text genommen hast! Tatsächlich würde ich so einen Text nicht schreiben, wenn ich ihn nicht schreiben müsste. Du hast recht, Figurenbeschreibung und Plot sind etwas schwierig, zu vereinen. Daher sind jetzt einige für die Handlung irrelevante Informationen über die Frau drin, aber irgendwie muss ich sie halt auch beschreiben, um die Aufgabenstellung nicht zu verfehlen.

Was die Metaphern/Vergleiche betrifft, glaube ich aber auch, dass einiges Geschmackssache ist und dass wir als Leser sehr unterschiedliche Geschmäcker haben. Ich weiß, das klingt komisch, aber mich langweilen Texte, die nur aus Handlung bestehen. Ich freue mich immer darüber, „neue Bilder“ zu finden, ob als Autor oder als Leser. :-)

Aber der Text wirkt einfach überladen, da stimme ich dir vollkommen zu. Ich glaube, darum bin ich auch schon so genervt davon. Auf jeden Fall werde ich über deine Rückmeldung nachdenken und den Text noch einmal überarbeiten.

Vielen Dank nochmal und einen schönen Sonntag!

LG lillimarlen

 

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