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- Anmerkungen zum Text
Hallo 😊
Ich habe diesen Text für einen Schreibkurs an der Uni geschrieben bzw. schreibe ich immer noch daran. Wir sollten eine Figur beschreiben und haben eigentlich keine genauen Vorgaben. Irgendwie beiße ich mir seit einer Woche die Zähne daran aus, aus irgendwelchen Textbruchstücken einen zusammenhängenden Text zu basteln. Ich kann es mittlerweile nicht mehr sehen und wäre daher unglaublich dankbar, wenn jemand einen neutralen Blick darauf werfen und mir eine Rückmeldung geben könnte.
Update: Ich hab mir gedacht, ich lass meine vorherige Anmerkung einfach einmal stehen. Also wie gesagt, handelt es sich hier um ein Projekt für einen Schreibkurs, den ich im Rahmen meines Germanistik-Studiums absolviere. Was ich zu dem Zeitpunkt, als ich die erste Version dieses Textes hier hochgeladen habe, noch nicht wusste, ist, dass wir noch weiter an diesem Thema bzw. mit diesen Figuren arbeiten würden. Direkt im Anschluss an die "Figurenbeschreibung" (gut, es ist jetzt keine typische Figurenbeschreibung geworden, aber wir hatten da nicht so genaue Vorgaben), mussten wir eine Alltagshandlung beschreiben und danach eine Art "Wohnungsreise" (also es ging darum, dass sich die Figur durch ihr Zuhause bewegt und man dadurch mehr über die Figur erfährt). Da es trotzdem drei separate Texte sind, hoffe ich, dass es ok ist, dass ich sie alle drei in diesen einen Beitrag gepackt habe. Ich nehme an, dass ich noch länger mit dieser Figur zu tun haben werde und würde mich sehr über Rückmeldungen freuen!
Herzliche Grüße
Lillimarlen
Das Aquarium
(Figur)
Seit dem Tod ihres Mannes schläft sie im Gästebett, weil sie sich vor der leeren Hälfte des Doppelbettes gruselt und sie sich im Dunkeln fühlt, als würde sie neben einem Toten liegen. Von Anfang an war das, was sein Tod in ihr auslöste, weniger eine Traurigkeit als vielmehr ein unfassbarer Ekel, wie sie ihn seit jeher für alles Tote empfand.
All die verwaisten Besitztümer hat sie verschenkt oder entsorgt, nur das Aquarium wird sie nicht los. Sie hat es vom ersten Tag an gehasst. Sie konnte nicht verstehen, was ihr Mann an den Fischen fand, gerade er. Ein Hund hätte besser zu ihm gepasst, weil ein Hund ihn zurückgeliebt hätte. Die Fische schauen durch die Scheibe und steigen an die Oberfläche, in der Hoffnung, gefüttert zu werden, aber nach jeder Fütterung vergessen sie einen wieder. Ihr Mann schien es nicht verstanden zu haben. Er sprach mit ihnen und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, in dem er mit dem Finger die Scheibe entlangfuhr.
Ihr ist es recht, dass die Fische nichts von ihr wissen. Sie will nicht berührt werden von ihrem leblosen Glasblick und es kränkt sie nicht, dass die sie durch sie hindurchschauen, als stünde jemand hinter ihr, der von größerem Interesse für sie ist.
Kalte Wellen gleiten über ihre Haut, wenn sie vor dem Aquarium steht. Jeden Tag bangt sie, einen weißen Punkt auf einem der Fische zu entdecken. Der weiße Punkt markiert die Totgeweihten und sie weiß, was sie dann tun muss, um den Fisch nicht leiden zu lassen. Aber sie könnte es nicht. Es gibt ein Messer, das eigens für diesen Zweck bestimmt ist, es liegt in der Schublade unter dem Aquarium, gemeinsam mit dem Schneidbrett. Wenn ihr Mann einen kranken Fisch herausholte mit dem Netz und ihn auf das Schneidbrett legte, sah sie weg und hielt sich die Ohren zu, um den Schnitt nicht zu hören. Sie könnte keinen Fisch töten und würde zusehen müssen, wie er am Boden vor sich hinsiecht und immer blasser wird, bis die anderen Fische an seinen Flossen knabbern.
Ihr fällt nichts Besseres ein, zum Überleben der Fische beizutragen, als das Wasser sauber zu halten. Sie weiß, dass es ausreicht, das Wasser alle vierzehn Tage zu wechseln, aber sie tut es jeden Tag. Mit äußerster Sorgfalt achtet sie auf die Sauberkeit des Aquariums, während die übrige Wohnung immer mehr verwahrlost.
Noch immer erschaudert sie, wenn die Fische, die sich mittlerweile an ihre Hand im Wasser gewöhnt haben, durch ihre Finger gleiten. Das Zittern bleibt, wenn sie die Hand wieder aus dem Wasser zieht, über den ganzen Körper dehnt es sich aus, bis es sich von der Haut ins Innere zurückzieht und wie ein kalter, nasser Fetzen auf ihrem Herzen liegen bleibt.
(Alltagshandlung)
Sie schleicht sie im weißen Nachthemd durch die Wohnung, das an den nassen Stellen durchsichtig und kalt auf ihrem Körper klebt wie Gänsehaut. Die Fische schlafwandeln mit offenen Augen durchs dunkle Wasser. Sie wachen nicht mehr auf, wenn die Hand mit dem Kohleschwamm ins Wasser taucht. Sie gleiten sogar durch ihre behandschuhten Finger, ohne aufzuwachen, nur sie erschaudert von der Berührung mit der kalten Haut, die sie durch das Gummi hindurch spüren kann. Angestrengt schaut sie ins Aquarium. Im Licht sehen die Fische aus wie bunten Glas. Jetzt in der Dunkelheit fällt ihr auf, dass die Farben schmutzig sind. Sie weiß, dass die schwarzen Flecken auf den Fischen weder Schmutz noch eine Krankheit sind. Dennoch stört es sie. Als die Scheiben sauber sind, streift sie den Handschuh ab, wirft ihn weg und nimmt einen neues aus der Packung.
Es hat geregnet. Glitschig liegt der Schlauch draußen auf dem Balkon, schmutziges Wasser sammelt sich in seinem Bauch. Sie sollte ihn nicht draußen liegen lassen, aber in der Wohnung gibt es keinen Platz und außerdem ekelt sie sich davor. Sie fasst ihn nur mit Handschuhen an. Auch der Kübel steht draußen und ist halb mit Regenwasser gefüllt. Sie beugt sich über das Geländer und versucht in der Dunkelheit zu erkennen, ob jemand unten steht. Dann kippt sie das Wasser hinunter in den Hof.
Sie trägt den Kübel und den Schlauch ins Badezimmer. Algen kleben im Abfluss. Überall in der Wohnung riecht es nach Algen. Der Boden ist noch nass vom verschütteten Wasser. Sie muss aufpassen, dass sie nicht ausrutscht. Sie spült Kübel und Schlauch in der Dusche aus. Das Wasser dreht sie nicht ganz auf, damit die Nachbarn es nicht hören. Ein feiner Strahl läuft lautlos durch den Schlauch und plätschert dann leise in den Kübel.
Dann trägt sie beides ins Wohnzimmer. Sie nimmt vorsichtig den Aquariumdeckel ab und stellt ihn auf den Boden. Das eine Schlauchende taucht sie in das Wasser. Dann schlißt sie die Augen und zögert sie einen Moment, bevor sie das andere Ende in den Mund nimmt und daran saugt, wimmernd vor Ekel. Sie hört rechteitig auf, bevor das Wasser in ihren Mund strömt und lässt den Schlauch jetzt, da das Wasser abfließt, in den Kübel fallen. Ganz leise plätschert es, wie ein kleines Bächlein. Und die Fische sinken langsam zu Boden, als würden sie plötzlich schwerer werden. Sie hört auf, als etwa ein Viertel des Wassers geleert ist. Sie trägt den vollen Kübel ins Badezimmer und kippt seinen Inhalt den Abfluss hinunter. Sie dreht das Wasser wieder auf und erschrickt, als der Strahl geräuschvoll auf die Fließen in der Dusche braust. Sofort dreht sie an dem Rad, bis der Wasserstrahl wieder klein und leise ist. Mit der Hand prüft sie die Temperatur. Es sollte nicht zu warm und nicht zu kalt sein. Als sie zufrieden ist, stellt sie den Kübel wieder unter den Strahl und wartet geduldig, bis er voll ist. Dann hebt sie ihn auf und wacht sich damit auf den Weg ins Wohnzimmer.
Er kommt ihr schwerer vor als sonst. Es ist halb vier Uhr morgens und sie hat noch nicht geschlafen, wird auch nicht mehr schlafen. Die Müdigkeit sitzt nur in den Armen. Eigentlich müssten sie sich bereits an das Gewicht des Wasserkübels gewöhnt haben, aber sie gewöhnen sich nicht daran, wie auch ihr Kopf sich nicht an diese Arbeit gewöhnen kann.
Von dem Kübel tropft Wasser, obwohl sie Acht gibt, nichts zu verschütten. Sie hat sie schon oft gesucht, aber sie findet die undichte Stelle nicht. Und einen neuen Kübel will sie nicht kaufen.
In der Wohnung wird es immer kälter, weil sie vergessen hat, die Balkontür zu schließen. Die älteren Wasserlacken am Boden riechen bereits merkwürdig, wie altes Seewasser.
Ihr fällt auf, dass sich der Geruch der Algen verändert, wenn es kalt ist und etwas in ihr zieht sich zusammen. Sie weiß nicht, ob sie sich ekelt oder Angst hat.
(Wohnung)
Zwischen den Federn der Decke ist kühle Luft gespeichert. Sie wälzt sich hin und her und reibt die Beine aneinander, aber richtig warm wird es nicht. Aus der Wohnung über ihr hört sie Fernsehergeräusche, ansonsten ist es still im Haus. Von draußen vernimmt sie in unregelmäßigen Abständen die Geräusche der vorbeifahrenden Autos. Sie wünschte, es gäbe mehr Lebenszeichen von der Außenwelt, damit sie sich nicht so fühlen müsste, als wäre sie der einzige Mensch, der um diese Zeit noch wach ist. Wenn es still ist, hört sie wieder das Knarren des Fußbodens aus den unbewohnten Räumen der Wohnung und je stiller es ist, desto schwerer fällt es ihr, an eine Sinnestäuschung zu glauben.
In der Dunkelheit ist alles entweder ein Geruch oder ein Geräusch. Seit sie alleine ist, liegt sie stundenlang wach uns versucht jedes Geräuschen zuzuordnen. Sie ist geübt darin, zwischen den Geräuschen der Lebenden und der Toten zu unterscheiden.
Nur beim Aquarium ist sie sich nicht sicher, sie weiß nicht, welchem Bereich sie die Geräusche des Wassers zuordnen soll. In manchen Nächten lässt sie die Wohnzimmertür offen, weil das friedliche Dahinplätschern sie beruhigt. In anderen Nächten kommt es ihr gespenstisch vor, dann schläft sie bei geschlossener Tür und drückt sich zusätzlich den Kopfpolster auf die Ohren, um es nicht zu hören. Um nicht wahnsinnig zu werden. Heute ist es ein freundliches Plätschern. Die Tür zum Wohnzimmer steht weit offen und die Stille kommt ihr weniger bedrohlich vor.
Das Alleinsein ist nicht ihr Problem. Die Wohnung ist das Problem, sie kommt ihr wie ein zu großes Kleidungsstück vor, das von ihr abfällt und sie frieren lässt. Sie schläft im Gästezimmer. Um die Wohnung zu verkleinern, hat sie das Schlafzimmer mit dem Ehebett und das Kinderzimmer zugesperrt. Sie geht nicht mehr hinein, nicht einmal zum Staubwischen. Wenn sie in der Nacht wieder den Boden knarren hört, kommt sie am Morgen in Versuchung, nachzusehen, ob Spuren im Staub sind. Aber sie tut es nicht. Sie will es eigentlich gar nicht wissen.
Sie wird unruhig. In der Wohnung riecht es jetzt wie an einem Seeufer. Der Algengeruch wird in der Nacht stärker, als käme er aus unsichtbaren Blüten, die sich in der Nacht öffnen und sich am Morgen wieder schließen. Etwas in ihr wird wachsam. Sie wittert eine Gefahr, sie weiß, dass der Geruch der Algen das in ihr auslöst, dass es eigentlich keine Gefahr gibt. Aber sie kann unmöglich liegen bleiben. Sie knipst das Licht an, steigt aus dem Bett und geht mit leisen Schritten ins Wohnzimmer.
Der Blick fällt direkt auf das Aquarium. Nichts lenkt von ihm ab, die Wände sind weiß und bilderlos. Das Aquarium ist das Zentrum der Wohnung, und ohne es zu wollen, umkreist sie es in jeder wachen Minute. Selbst wenn sie sich in einem anderen Raum aufhält, umkreist sie es gedanklich, weil es hier nichts anderes gibt, womit sich die Gedanken beschäftigen könnten.
An den nassen Stellen quietscht der Teppich wie Moos unter ihren nackten Füßen. Sie geht in die Hocke und inspiziert die Wasserspur, die vom Wohnzimmer bis ins Badezimmer und von dort aus zum Balkon reicht. Winzige grüne Flocken schwimmen darin. Sie weiß nicht, ob sie aus dem Aquarium stammen oder ob sie sich erst am Boden bilden, wo das Wasser mit dem Schmutz in Berührung kommt.
Im Aquarium gibt es keinen Schmutz. Wenn sie das Wasser wechselt, ist es nie älter als einen Tag. So schnell kann sich kein Schmutz bilden – oder doch? Sie richtet sich auf und wendet sich dem Aquarium zu. Die Fische treiben schlafend zwischen den Pflanzen im schattigen Wasser. Man kann nicht sagen, ob es sauber ist oder nicht, es ist zu dunkel und die Lampe schaltet sich erst am Morgen ein. Sie schärft die Augen und runzelt die Stirn. Doch, jetzt sieht sie es wieder. Je länger sie hinsieht, desto mehr trübt sich das Wasser. Mechanisch greift sie in die Lade unter dem Aquarium, holt das feinmaschige Netz heraus und streift sich einen Gummihandschuh über. Der Schmutz ist viel zu fein, er gleitet mit dem Wasser durch das Netz hindurch.
Im Nachthemd schleicht sie jetzt auf den Balkon, um Kübel und Schlauch zu holen. Beide sind nass, obwohl die Luft draußen trocken ist, es ist erst ein paar stunden her, dass sie sie das letzte Mal benutzt hat. Sie ist plötzlich sehr müde. Der Kopf schläft langsam ein, während sie diese dumme Aufgabe verrichtet, die nach tausendfacher Wiederholung nicht mehr ihrer geistigen Anwesenheit bedarf. Die Handgriffe sind bereits vorgezeichnet in der Luft. Es gibt keine Möglichkeit, sich ihnen zu entreißen.
Sie ist dazu verdammt, in ziellosen Wanderungen den tropfenden Kübel vom Balkon ins Badezimmer und vom Badezimmer ins Wohnzimmer und wieder ins Badezimmer zu tragen; Tag für Tag, Nacht für Nacht der Spur des Wassers zu folgen, die niemals trocknet.