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Das Autohaus
„Ich gratuliere Ihnen, Herr Timbernagel. Sie haben die Stelle.“ Herr Kammler stand auf und reichte Timbernagel die Hand.
Verblüfft über den Verlauf des Vorstellungsgesprächs, ergriff er die angebotene Hand, bevor er wusste, wie ihm geschah.
„Können Sie gleich morgen anfangen? Ich mache in der Zeit den Vertrag fertig.“
„Sicher, kein Problem.“ Joshua Timbernagel war arbeitslos.
Natürlich konnte er gleich morgen anfangen.
„Gut“, sagte Kammler und führte ihn aus seinem Büro in den altmodischen Verkaufsraum.
An einer Wand prangte ein großer Rombus, das Markenzeichen von Renault, auf gelbem Untergrund. Davor stand auf einer Plattform ein schnittiges Coupé. Es war eine Floride S. Das Chrom ihrer Stoßstangen funkelte im Licht der Deckenstrahler. Das Fahrzeug selbst war weißlackiert. Das Dach hob sich mit seiner hellgrauen Lackierung geschickt vom Rest des Fahrzeuges ab. Davor stand ein Renault 8 in einer silbergrauen Lackierung. Der charakteristische Knick in der Haube gab der ansonsten schlicht gezeichneten Karosserie einen aggressiven Touch.
Auf der anderen Seite des Raumes standen zwei schlichte Renault 4 neben einem eleganten Renault 16. Zwei Verkäuferschreibtische standen zwischen den Fahrzeugen. Die Anzüge der beiden Männer dahinter, wirkten wie aus den sechziger Jahren.
Kammler geleitete Timbernagel zur Tür.
„Dann bis morgen um acht“, sagte er und hielt Timbernagel die Tür auf. Sie war aus dickem Glas, ihr Rahmen war braun lackiert.
Timbernagel wollte sich nochmals bedanken, aber als er sich umdrehte, war Herr Kammler bereits verschwunden.
Was soll’s, dachte er und ging zu seinem VW Bora, der auf der anderen Straßenseite parkte. Als er im Auto saß, musterte er seine neue Arbeitstelle noch einmal aus sicherer Entfernung.
Das Gebäude hatte die Architektur der späten sechziger Jahre. Aus der Luft betrachtet, musste es ungefähr wie ein Knochen aussehen. Zwei achteckige Gebäudeteile mit Flachdach waren durch einen Steg miteinander verbunden. Im Erdgeschoss des einen und im Inneren des Steges befanden sich der Verkaufsraum und das Büro des Chefs. Sein zukünftiger Arbeitsplatz lag im ersten Stock über dem Verkaufsraum. Im anderen Gebäudeteil waren die Werkstatt und die Sozialräume für die Mechaniker untergebracht. Das Gebäude wirkte frisch renoviert. Nur am Baustill konnte man sein wahres Alter erkennen.
Timbernagel fuhr nach Hause. Auf der Fahrt rief er seine Freundin an und erzählte ihr, dass er endlich eine neue Stelle gefunden hatte. Zufrieden mit sich, warf er das Handy nach dem Gespräch auf den Beifahrersitz.
Am nächsten Tag um acht, war er, wie besprochen, zur Stelle.
Herr Kammler begrüßte ihn und führte ihn in sein neues Büro. Seine beiden Kollegen waren schon da. Sie saßen vor urtümlichen mechanischen Schreibmaschinen und hämmerten schnell den Text auf das Papier. Die Fenster des Raumes gingen zum Hof hinaus. Die drei Schreibtische standen auf braun lackierten Metallbeinen, die Arbeitsflächen bestanden aus Teakholz-Imitaten. Darauf standen Ablagekörbchen aus Drahtgeflecht und himmelblaue Telefone mit Wählscheibe. An der Wand hing ein Kalender, der den Monat Juli und das Jahr 1967 zeigte. Die Schreibtische waren mit den verschiedensten Papieren, Schreiben und Verträgen bedeckt. Ein Karteikartenschrank stand in einer Ecke. An der Wand, die den Eingang beherbergte, stand ein langer grauer Aktenschrank.
Wo, zum Teufel, sind die Computer?„Meine Herren“, sagte Kammler und die beiden Männer unterbrachen ihre Arbeit.
„Begrüßen Sie Ihren neuen Kollegen. Das ist Joshua Timbernagel.“
Timbernagel nickte ihnen zu.
„Ich heiße Adelrich Peters“, stellte sich der erste von ihnen vor und schüttelte Timbernagel die Hand. Er war ein großer Mann, Mitte vierzig, mit ausgeprägten Geheimratsecken.
„Und ich bin Karl Beimer, sehr erfreut“, sagte der Andere. Er war jünger. Timbernagel schätzte ihn auf Mitte Zwanzig.
„Sie führen mir unseren neuen Kollegen auch ja gut in sein Aufgabengebiet ein“, fragte Kammler. Es klang wie eine Feststellung.
„Natürlich, Herr Kammler“, sagte Peters.
„Dann überlasse ich ihn jetzt Ihnen“, sagte Kammler und verließ den Raum.
„Na, dann kommen sie mal mit“, sagte Peters und führte Timbernagel zu seinem neuen Schreibtisch.
„Ihre Aufgabe ist es, Auftragsbestätigungen und Neuwagenrechnungen zu schreiben. Die nächsten Tage werde ich mich zu Ihnen setzen und Ihnen Ihre Arbeit erklären.“
Peters zog den Drehstuhl vom Schreibtisch zurück. Er war aus Holz und Metall gefertigt und stand auf vier Rollen. Die Sitzflächen waren mit einem dünnen, rauen Stoff bespannt.
Nur vier Rollen, fragte sich Timbernagel. Ich wusste gar nicht, dass es solche Stühle noch gibt.
„Nehmen Sie Platz“, sagte Peters.
Denn Vormittag über erklärte ihm Peters seine zukünftigen Aufgaben.
Um 12:30 Uhr begann die Mittagspause.
„Wir gehen jetzt etwas essen. Möchten Sie mitkommen“, fragte Beimer Timbernagel.
„Danke. Ich habe heute etwas dabei. Wenn es Ihnen Recht ist, bleibe ich lieber hier.“
„Natürlich“, sagte Beimer und verließ den Raum. In diesem Moment klingelte Beimers Telefon.
„Herr Beimer, Telefon“, rief Timbernagel und rannte zur Tür.
Beimer war nirgends wo mehr zu sehen.
Wo ist er denn so schnell hin verschwunden?
Timbernagel machte kehrt und ging zu Beimers Schreibtisch.
„Guten Tag. Autohaus Kammler. Mein Name ist Timbernagel. Was kann ich für Sie tun?“
„Müller hier. Wo kommen Sie denn her?“
„Wie, wo komme ich denn her?“
„Sie melden Sich wie ein Amerikaner. Egal, ist Herr Beimer da?
Ich habe bei Ihrem Kollegen Konrad einen neuen Renault 16 gekauft. Er hat mir diese Nummer gegeben, weil die Rechnung falsch ist. Herr Beimer hat mir 100 D-Mark zuviel berechnet.“
D-Mark? Der Mann meint doch sicher Euro.„Herr Müller, geben Sie mir doch einfach ihre Telefonnummer und Herr Beimer ruft Sie nach seiner Mittagspause zurück.“
„Einverstanden, es ist die 3-8-2-5, haben Sie das?
„Sie rufen aus Frankfurt an?“
„Sicher, sonst hätte ich Ihnen doch eine Vorwahl gegeben. Sie kommen wirklich aus Amerika, oder? Egal, wann kann ich mit dem Rückruf rechnen?“
„In 45 Minuten“, sagte Timbernagel.
„Das will ich hoffen.“ Es klackte in der Leitung, dann begann das Besetzt-Zeichen zu tut.
Verwirrt legte Timbernagel den Hörer auf die Gabel. Den Zettel mit seinen Notizen platzierte er gut sichtbar an Beimers Schreibmaschine, dann ging er zu seinem Schreibtisch zurück.
Gab es wirklich noch vierstellige Telefonnummern in Frankfurt?
Er packte seine Brotdose aus und begann zu essen. Um sich nicht zu langweilen, fuhr er mit dem Drehstuhl ans Fenster und schaute hinaus.
Der Hof war menschenleer. Auf einer Seite standen einige Gebrauchtwagen, auf der anderen lagen Parkplätze für Kunden.
Die Fahrzeuge, die hier standen, waren noch älter, als die gut restaurierten Wagen im Verkaufsraum.
Timbernagel betrachtete einen alten Renault 4 CV und wunderte sich über die Ähnlichkeit zum VW Käfer. Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Bewegung. Er drehte den Kopf und sah ein Pärchen auf das Autohaus zukommen. Wie war das möglich? Timbernagel hatte von seinem Sitzplatz aus die ganze Straße im Blick. Eben war dort noch niemand gewesen und jetzt standen plötzlich diese Leute im Hof.
Vielleicht sind sie aus einem Auto gestiegen, dachte er.
Welches Auto? Timbernagel sah zurück zur Straße. Auf der anderen Straßenseite stand sein VW Bora. Das Fahrzeug wirkte von hier aus blass, fast wie eine alte Fotografie.
Hier ist doch irgend etwas faul, dachte Timbernagel.
Er beendete seine Mahlzeit und schloss seine Brotdose. Er würde der Sache schon auf den Grund gehen.
Peters betrat den Raum. Timbernagel fuhr herum.
„Mensch haben Sie mich erschreckt“, sagte er. „Ich habe Ihre Schritte auf der Treppe gar nicht gehört.“
„Das wundert mich nicht. Ich bin schon vor ein paar Minuten hochgekommen. Ich war in der Teeküche und habe mir einen Kaffee geholt.“ Peters deutete auf seine Hand, die eine dampfende Tasse Kaffee hielt.
Die war doch eben noch nicht da? Timbernagel ließ sich nichts anmerken.
„Dann konnte ich Sie ja gar nicht hören. Kann ich auch einen Kaffee bekommen?“
„Aber natürlich. Die Kanne steht in der Teeküche. Bedienen Sie sich einfach.“
„Danke.“ Timbernagel verließ das Büro. Beimer kam laut stapfend die Treppe hinauf.
„Mahlzeit“, sagte er. „Gehen Sie sich einen Kaffee holen? Wenn ja, komme ich mit.“
„Gerne.“ Die beiden Männer betraten die kleine Teeküche. Der Kühlschrank war ein altmodisches Gerät, das laut vor sich hin brummte. Auf einer Anrichte stand eine große Porzellankanne neben einer altertümlichen Kaffeemaschine.
Beimer holte zwei Tassen aus dem Hochschrank, der über der Anrichte hing.
„Milchpulver? Zucker?“
„Gerne.“
Beimer füllte die Tassen und mischte Milchpulver und Zucker dazu. Timbernagel bekam seine gereicht.
„Und? Wie ist Ihr erster Eindruck?“
„Gut. Die Arbeit scheint sehr interessant zu sein. Mich wundert nur, dass wir keine Computer haben.“
Beimer sah in eine Weile nachdenklich an, dann sagte er:
„Bekommen wir sicher irgendwann. Doch jetzt sind sie noch viel zu teuer. Wir haben auch gar nicht genug Platz im Keller. Doch Sie dürfen sich freuen, die elektrischen Schreibmaschinen sind schon bestellt.“
Diesmal war es Timbernagel, der nachdenklich dreinblickte.
„Kommen Sie“, sagte Beimer. „Die Arbeit ruft.“
„Da stimmt irgend etwas nicht“, sagte Timbernagel an diesem Abend zu seiner Freundin. Sie lagen zusammen im Bett und hatten gerade hervorragenden Sex gehabt.
„Was stimmt nicht? Machen die was Illegales?“
„Nein, das ist es nicht. Es ist nur alles so merkwürdig alt.“
„Alt?“ Seine Freundin sah ihn fragend an.
„Ja, alt. Die Autos sind alt. Die Einrichtung ist alt. Wir arbeiten mit mechanischen Schreibmaschinen, aber hey, die elektrischen sind schon bestellt. Warum keine Computer?“
„Ich dachte, die verkaufen Oldtimer. Vielleicht wollen sie Authentizität?“
„Das dachte ich auch. Aber heute kam ein alter Magirus-Laster auf den Hof gefahren und hat neue Oldtimer abgeladen. Die Fahrzeuge hatten noch Schutzfolien dran, so als wären sie gerade erst vom Band gelaufen. Geht das nicht ein bisschen zu weit mit dem Realismus?“
„Vielleicht bekommen sie die Schutzfolien, dort wo sie restauriert werden.“
„Vielleicht. Ich werde morgen mal versuchen einen Blick auf eine Einstandsrechnung zu werfen. Das ist zwar das Aufgabengebiet von meinem Kollegen, aber vielleicht entdecke ich ja etwas.“
„Mach das! Aber pass auf, dass man nicht erwischt. Wenn da wirklich etwas komisch ist, werden sie schnell merken, wenn Du herumschnüffelst.“
„Ich bin vorsichtig“, sagte Timbernagel und gab seiner Freundin einen Gute-Nacht-Kuss.
„Träum süß.“
„Du auch.“ Timbernagel schaltete das Licht aus und kuschelte sich an sie. Es dauerte eine lange Zeit, bis er endlich einschlief.
„Wollen Sie uns heute in die Pause begleiten?“ Beimer sah ihn abwartend an.
„Meine Freundin hat mir Brote gemacht. Ich würde sie sehr verletzen, wenn ich sie nicht esse.“
„Ihre Freundin?“ Jetzt wirkte Beimer verwirrt.
„Meine Lebensgefährtin.“
„Sie leben doch nicht etwa in wilder Ehe?“ Das war Peters, er wirkte wirklich erregt.
„Wilder Ehe“, fragte Timbernagel, dann dämmerte es ihm. „Nein nein, ich kann mich nur nicht daran gewöhnen, von ihr als meiner Frau zu sprechen. Wir sind erst so kurz verheiratet.“
„So?“ Peters glaubte ihm nicht. Was hatte dieser Mann bloß für überholte Moralvorstellungen.
„Mahlzeit“, sagte Beimer und brach damit die herrschende Spannung.
Die beiden Männer verließen den Raum. Timbernagel folgte ihnen zur Tür. Als er hinausblickte, war der Gang leer.
Er ging zu Peters’ Schreibtisch und blätterte die Schreiben in seinem Posteingangskörbchen durch.
Dann hielt er in der Hand, was er suchte. Eine Einstandsrechnung für einen Neuwagen, Typ Renault 16. Sie war am 14. Juli 1967 von der Deutschen Renault AG ausgestellt worden.
Timbernagel befühlte das Papier und hielt es gegen das Licht, es war eindeutig neu.
Komisch!
Beunruhigt legte er das Blatt zurück in das Eingangskörbchen und versuchte die alte Unordnung wieder herzustellen.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch und packte die Brotdose aus. Auf dem Hof entfernte sich ein Kunde vom Gebäude. Timbernagel folgte ihm mit seinem Blick.
Kurz vor der Geländegrenze verblasste der Kunde plötzlich und verschwand ganz, als er auf die Straße trat. Timbernagel blinzelte, aber der Kunde blieb verschwunden. Er legte das angebissene Brot zurück in die Brotdose. Plötzlich hatte er keinen Hunger mehr. Schnell griff er zum Telefon und wählte die Handynummer seiner Freundin.
„…Kein Anschluss unter dieser Nummer….“
Timbernagel betrachtete den Telefonhörer.
„Was zum Teufel…?“
Er legte auf und wählte noch einmal. Wieder bekam er nur die Bandansage.
Er legte den Hörer zurück auf das Telefon. Seine Bedenken wuchsen, doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, kamen Beimer und Peters wieder in den Raum.
„Da wird aber Ihre junge Frau nicht erfreut sein, wenn Sie Ihre Brote nicht aufessen“, sagte Peters.
„Ach, und bevor ich es vergesse, sie sollen mal zu Herrn Kammler kommen.“ Peters setzte sich zufrieden an seinen Schreibtisch.
Zu Herrn Kammler? Was bedeutete das denn jetzt schon wieder.
Beunruhigt verließ er den Raum. Auf der Treppe schlug seine Beunruhigung in Angst um. Irgendetwas war hier verdammt faul.
Er betrat das Büro von Herrn Kammler.
Kammler saß in seinem Sessel und rauchte eine dicke Zigarre.
Er deutete auf die Stühle vor seinem Schreibtisch.
„Setzen Sie sich“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Timbernagel tat, wie ihm geheißen. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, obwohl es im Raum erschreckend kalt war.
„Sie sind ein helleres Köpfchen, als ich angenommen hatte“, sagte Kammler.
„Danke.“ Timbernagels Verwirrung wuchs.
„Wie viel wissen Sie?“ Kammlers Augen starrten ihn über den Schreibtisch hinweg an, kalt wie Bergkristalle.
„Wissen wovon?“
„Tun sie nicht so“, sagte Kammler. Seine Stimme war plötzlich rauer, so als wäre er in den letzten Minuten gealtert.
„Ich weiß, dass sie Bescheid wissen.“ Tiefe Furchen rannten über Kammlers Gesicht und gruben sich immer tiefer in die Haut ein. Seine Haut bekam Altersflecken. Sie erschienen, wie Blasen an der Wasseroberfläche.
Timbernagel wollte aufspringen, doch Kammler war schneller. Obwohl er vor Timbernagels Augen förmlich verwelkte, bewegte er sich mit der Geschwindigkeit eines Leoparden.
Eine harte, dürre Hand presste sich auf Timbernagels Schulter.
„Du bleibst sitzen, Freundchen“, krähte Kammler. Seine Haut verwelkte immer schneller. Dann brach sie an der Stirn auf und der Schädel darunter wurde sichtbar. Kammlers Haare fielen in Büscheln zu Boden und seine Augen versanken förmlich in ihren Höhlen.
„Ich dachte, wir könnten dich zwei oder drei Wochen hier behalten, bevor du etwas merkst. Schade, jetzt müssen wir uns schon früher um dich kümmern.“
Timbernagel versuchte sich zu wehren, doch Kammlers Finger gruben sich wie Eisen in sein Fleisch.
Starr vor Schreck, beobachtete er, wie sich das Kammler-Monster zu ihm herunter beugte. Ein Auge fiel aus der Höhle und klatschte an Timbernagels Wange. Gehalten von den Sehnerven glitt es über seine Haut, während Kammler sprach.
„Auch Tote haben noch Freude am Fahren“, krächzte das Kammler-Monster. „Das ist ein Markt, der bedient werden muss, das verstehst du doch.“
Timbernagel nickte wild mit dem Kopf. Alle klaren Gedanken reichten nach und nach ihre Urlaubsscheine ein und verabschiedeten sich.
„Fast schade“, sagte das Kammler-Monster. „So ein helles Köpfchen.“ Dann beugte er sich noch tiefer und biss Timbernagel in den Hals. Faule, lose Zähne gruben sich in seine Haut. Timbernagel schrie.
„16. Polizeirevier, was kann ich für sie tun?“
„Ich möchte meinen Freund als vermisst melden.“
„Was ist denn passiert?“
„Er ist gestern Morgen auf die Arbeit gefahren und ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen. Gestern Mittag hat er mich auf dem Handy angerufen. Seine Stimme klang weit weg. Er sagte nur: „Was zum Teufel?“ und legte wieder auf.“
„Okay, bleiben sie ruhig. Geben Sie mir bitte den Namen Ihres Freundes und den seines Arbeitgebers mit Adresse.“
Eine Viertelstunde später hielt ein Streifenwagen hinter Joshua Timbernagels VW Bora.
„Das ist sein Wagen“, stellte der Polizist am Steuer fest.
„Aber das ist kein Autohaus“, sagte seine Kollegin und deutete auf einen hohen Bretterzaun.
„Das muss aber die Adresse sein“, sagte der Polizist. „Schauen wir es uns mal an.“
Die beiden Polizisten überquerten die Straße. Die Polizistin fand ein Astloch und spähte hindurch.
„Schön, es ist kein Autohaus, aber es war scheinbar mal eines.“
„Mal sehen, ob wir uns auf dem Gelände umschauen können. Wenn nicht fahren wir ’nen Kaffee trinken.“
„Einverstanden.“ Die beiden Beamten gingen am Bretterzaun entlang, bis sie auf ein Tor stießen.
Der Polizist musterte die Kette, die es sicherte und die Beschläge, die die Kette hielten. Dann drückte er sanft gegen das Tor und die Kette fiel zu Boden.
„Das war ja wirklich nur Dekoration“, stellte seine Kollegin fest.
Sie betraten das Gelände. Der Hof war leer und schmutzig. Das Autohaus selbst schien schon entkernt worden zu sein und harrte dem Abriss. Türen und Fenster fehlten. Die Identifikation lag in einem ungeordneten Haufen im Untergeschoss. Schriftzüge und Markenlogos lagen wild durcheinander. Die Polizistin deutete auf eines der Teile.
„AUS KAMMLER“ stand darauf.
„Zumindest sind wir richtig.“
Mit eingeschalteten Taschenlampen betraten sie das Erdgeschoss. Die Lichtkegel ihrer Stablampen wanderten durch die staubige Halle.
Der Polizist entdeckte ihn zuerst.
Artikel aus der Bild-Zeitung vom 21.07.2005 - Seite 2
Frankfurt – In einem Abrissgebäude hat die Polizei die unidentifizierte Leiche eines etwa 26-jährigen Mannes gefunden. Die gerichtsmedizinische Untersuchung hat ergeben, dass der Mann, der Opfer eines brutalen Mordes wurde, seit etwa vierzig Jahren tot ist. Das Gebäude war erst eine Woche zuvor auf den Abriss vorbereitet worden. Nach Aussage der Bauarbeiter, ist es unmöglich, dass die Leiche bei den Arbeiten übersehen wurde. Die Polizei ermittelt jetzt, wie die Leiche an den Fundort verbracht wurde. Die Polizisten, die die Leiche entdeckten, arbeiteten an einem Vermissten-Fall. Die junge Frau, die ihren Freund als vermisst gemeldet hatte, behauptet, dass es sich bei dem Opfer um ihren Freund handelt. Laut Polizeiangaben, hatte sie am Vortag das letzte Mal mit ihm telefoniert. Aktuell befindet sich die junge Frau in psychiatrischer Behandlung. Die Suche nach ihrem vermissten Freund geht unterdessen weiter.
„Und? Machst du heute mit uns Mittagspause“, fragte Beimer.
„Muss ich wohl“, antwortete Timbernagel. „Von zu Hause kann ich mir jedenfalls keine Brote mehr mitbringen.“
Beimer lachte, nach kurzem Zögern fiel Timbernagel in sein Lachen ein.