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Das Bildnis einer Einsamkeit

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31.05.2007
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Das Bildnis einer Einsamkeit

Das Bildnis einer Einsamkeit

„Was haben Sie mir heute Schönes mitgebracht, Martin?“
Cora zog interessiert das flache Paket über die Ablage neben dem kleinen Schaufenster und wickelte es aus der alten Wolldecke, die Martin zum Schutz gegen den Regen um das Bild geschlungen hatte.
„Das Übliche, Cora, wieder das Übliche!“
Martin stand mit dem Rücken zu ihr, blickte teilnahmslos durch die gläserne Ladentür der kleinen Galerie hinaus auf die Strasse, die wegen des gerade herunterkommenden Platzregens menschenleer war.
Er machte sich nicht die Mühe, noch einen weiteren Blick auf das Ölgemälde zu werfen, das
er heute wieder hier abgeben wollte. Er kannte das Bild. Er kannte jedes seiner Bilder.
Die Darstellung eines dunklen Dämonen mit verzerrter Fratze, das abstoßende Antlitz dem Betrachter nur halb zugewandt, so sahen die Produkte seiner Phantasie alle aus.
Dieses Mal hatte er Azazel auf seine Leinwand zitiert. Azazel der von den Erzengeln für die Erfindung von Spiegeln mit Steinigung und Verbannung in die ewige Finsternis gestraft worden war.
Auf dem behaarten mächtig männlichen Körper saß ein gehörnter Kopf mit zu großen Ohren, mit zu großen Zähnen, mit zu großen Augen, die Mundwinkel im stummen, selbstverachtenden Schmerz verzogen, seine arme Kreatur nur umgeben von einer das Unendliche greifbar machenden, eisigkalten Dunkelheit.
Ein furchtbarer Augenblick, der in dem Bild zur Anwendung kam.

„Wundervoll!“ Coras Augen glänzten.
„Ihre Linienführung hat sich noch mehr verbessert. Der Ausdruck ist klar, die Formen präzise mit subtil gewählten Farben!“
Martin schnaubte verächtlich.
„Erstatten sie mir einfach meine Aufwendungen für die Farbe und die Leinwand und erzählen sie den Mist ihren Kunden!“
Cora blickte irritiert auf und legte widerstrebend das Bild beiseite, trat hinter Martin, suchte zaghaft seine Aufmerksamkeit.
„Wollen Sie nicht einmal etwas anderes malen? Mit Ihrem Talent... versuchen Sie doch mal eine sonnige Landschaft, oder spielende Kinder oder...“
„Einen röhrenden Hirsch?“, fiel Martin ihr unsanft ins Wort.
„Vergessen Sie es!“
Beide schwiegen für einen Moment.
„Ich könnte bessere Preise für ihre Bilder erzielen!“ versuchte Cora es erneut.
Martin lachte, aber es klang sehr freudlos.
„Verkaufen Sie meine Teufelsbildchen weiterhin an die Gothic-Kinder. Wenn wir die Preise anheben, dann langt das Taschengeld nicht mehr. Ich male nur aus Passion, haben Sie das vergessen?“
Cora gab keine Antwort. Seit nunmehr drei Jahren brachte Martin ihr mehr oder weniger regelmäßig seine Arbeiten. Anfänglich eher von einer bezaubernden Laienhaftigkeit geprägt, hatte er sich im Laufe der Monate und Jahre entwickelt.
Er war mutiger geworden in seinen Darstellungen.
Sie erinnerte sich noch sehr gut an das erste Bild, das er ihr gebracht hatte.
Nicht einmal signiert war es gewesen obwohl seine „Interpretation der Hölle“ in aggressivem Rot sofort einen Platz in ihrem Schaufenster gefunden hatte und binnen weniger Tage bereits verkauft war.
Wenn auch zu einem Discount-Preis, der kaum die Selbstkosten zu decken vermochte, aber es war verkauft.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein freundschaftlich geschäftliches Verhältnis zwischen ihr und Martin.
Gelegentlich ließ er eine belanglose Plauderei zu, die meiste Zeit jedoch verschanzte er sich hinter seinem entstellten Gesicht, das er seiner unachtsamen Mutter und einem Topf siedender Milch verdankte.
„Hätten Sie Lust mich zu einer Vernissage zu begleiten?“
Cora wusste schon, noch bevor sie ihre Frage ganz ausgesprochen hatte, dass Martin verneinen würde und im gleichen Moment wusste sie auch wie unglaublich dumm es von ihr war ihn so direkt zu fragen.
Ein Mann der offensichtlich Menschenansammlungen jeglicher Art verabscheute, der seine Einkäufe und Besorgungen außerhalb der Stoßzeiten verrichtete, nur um so wenig wie möglich Kontakt zu anderen Personen haben zu müssen, so ein Mann ging nicht mit ihr einfach auf eine Vernissage, als sei es das Normalste und Natürlichste der Welt.
Wie sollte sie ihm auch glaubhaft vermitteln, dass sie ihn trotz seiner Entstellung eher anziehend als abstoßend fand.
Es störte sie nicht, dass die Symmetrie seines Gesichtes durch die großflächige Vernarbung der rechten Wange gestört war, genauso wenig, wie sie die Vernarbungen an den Händen und Armen störten.
Wie er war sie schon in der zweiten Lebenshälfte angelangt. Früher war sie das gewesen, was man landläufig als schöne Frau bezeichnete, doch inzwischen waren zusammen mit den zahlreichen Geburtstagen auch die Falten in ihr Gesicht und so manche graue Strähne in ihr braunes Haar gekommen.
Geblieben war jedoch ihre Warmherzigkeit, ihre Lebensfreude, ihr Optimismus, Dinge die ihr auch mehrere gescheiterte Beziehungen nicht nehmen konnten.
Sie blickte nicht mit Wehmut zurück auf die verflossenen Jahre, denn diese waren erfüllend gewesen und voller inspirierender Geschehnisse, während Martin im steten Groll über sein Schicksal seine sozialen Kontakte auf das aller Notwendigste reduziert hatte.
Trotzdem oder gerade deshalb war Cora eines Morgens aufgewacht und stellte mit einem tiefen Seufzer fest, dass sie dieser Mann hinter seinen Narben mehr interessierte, als sie sich ursprünglich zu erlauben bereit war.
Der Klang seiner Stimme, der Blick seiner Augen, Eindrücke die noch greifbar im Raum standen, auch wenn er schon längst eilig in die Stille seines Hauses abgetaucht war und sie noch verträumt im Licht der Reklamebeleuchtung auf sein Bild schaute.
„Nein!“
Nicht böse und unfreundlich, eher erschrocken klang seine Antwort, die Cora mit tiefstem Bedauern und stummem Nicken entgegennahm.
Martin wandte sich zum Gehen, drehte sich in der Tür aber nochmals um.
„Bitte verstehen Sie mich nicht falsch aber ich..... ich mag solche Veranstaltungen nicht!“
„Was mögen Sie denn, Martin? Was gefällt Ihnen?“
Cora war bemüht ihre Frage so beiläufig wie möglich klingen zu lassen und räumte derweil gekonnt gelangweilt die Ladentheke auf, um ihre Unsicherheit zu verbergen.
Unschlüssig stand Martin in der Tür.
„Wie bitte?“
„Ich habe gefragt was sie mögen. Es können doch nicht nur diese Dämonendarstellungen sein, die Ihnen gefallen. Es muss doch noch andere Dinge geben, die Ihnen wichtig sind. Mögen sie z.B. Hunde, mögen Sie Kino oder Autos oder Sport. Was ist ihr Lieblingsessen, ihre Lieblingsfarbe, Ihr Lieblingslied?“
Martin schüttelte leicht den Kopf.
„Nichts! Nichts gefällt mir!“
Cora gab ihre Deckung hinter dem Ladentisch auf und ordnete die Blumendekoration eines Facettenspiegels.
„Nun dann frage ich anders, was mögen sie sonst nicht, außer harmlose Veranstaltungen wie die Vernissage eines Künstlerkollegen?“
Martin machte einige Schritte auf sie zu und beugte sich zu ihr herab.
Ganz nah brachte er sein Gesicht an das ihrige, zwang sie in sein von Brandnarben gezeichnetes Antlitz zu starren und mit unverhohlenem Spott in der Stimme sagte er:
„Na dann raten Sie doch mal!“
Cora floh sich ihrerseits in den Spott.
„Sie wollen mir also erzählen, dass Sie als gestandener Mann nicht Manns genug sind, zu ihren inneren Werten zu stehen. Was soll das? Wir haben alle unsere Defizite, ich genauso wie die Schuhverkäuferin von gegenüber, der Milchmann oder Sie. Bei Ihnen sind es die Brandnarben, der Milchmann ist ein Alkoholiker und die Schuhverkäuferin hat das Jugendamt am Hals, weil sie ihre Kinder prügelt. Nur weil andere Personen über eine hübschere Gesichtshaut verfügen, heißt es doch nicht dass sie liebenswerter sind oder eher in den Himmel kommen.“
„Die körperliche Unversehrtheit war im alten Ägypten Voraussetzung für ein Leben im Jenseits, Cora!“
Martins Stimme war sehr leise und nachdenklich geworden.
Cora sah ihn entgeistert an.
„Wir sind nicht im alten Ägypten, das ist doch jetzt totaler Schwachsinn....“
„Sie meinen eine Hochkultur wie die Ägypter lag total falsch? Weshalb wohl hat man Mumienmasken aus purem Gold und mit Augen aus Edelsteinen angefertigt? Weil selbst im Tode die Könige noch unversehrt und ebenmäßig aussehen mussten, damit sie weiterhin verehrt blieben. Der Mensch verehrt und liebt keine Entstellungen, vor 4000 Jahren nicht und heute auch nicht!“
Verbitterung und Hoffnungslosigkeit sprach aus seinen Worten.
„Nehmen Sie sich nicht so wichtig, Martin. Es wird niemanden interessieren wer Sie sind und wie Sie aussehen. Alle kommen nur um Casper Neubachs Ausstellung zu bewundern.
Außerdem, bei den ganzen schrägen Vögeln die auf der Gästeliste stehen, da würde selbst Quasimodo nicht auffallen. Seien Sie also kein Frosch, kommen Sie mit und helfen Sie mir, Caspers Skulpturen auseinander zu nehmen. Das Thema dürfte Sie doch interessieren....Sterbende Engel.“
Sie hatte den Kopf neckisch schräg gelegt und bedachte ihn mit einem unglaublichen Augenaufschlag, der binnen dieser einen Sekunde die Grundfeste seiner ablehnenden Haltung unterminierte und gefolgt von einem betörenden Zwinkern diese komplett zum Einsturz brachte.
Auf dem ganzen Weg zurück in sein Haus fragte er sich fortwährend, welcher seiner Teufel ihn geritten haben mochte, als er Cora versprach sie am nächsten Freitag zu dieser verdammten Vernissage zu begleiten.

Für ihn überraschend und doch sehr erfreulich verlief der Abend genauso, wie Cora ihn versprochen hatte.
Die wundersamsten geladenen Gäste, die der schillernden Gestalt des Skulpturisten Casper Neubach von Gebilde zu Gebilde folgten und dem strahlend referierendem Künstler andächtig Gehör schenkten, zuweilen an einem Lachsschnittchen knabberten und an einem Sektglas nippten, waren so sehr mit ihrer eigenen, blasiert zur Schau getragenen Einmaligkeit beschäftigt, dass sie im Traum nicht daran dachten, jemand anderem mehr Aufmerksamkeit zu schenken als sich selber.
So kam es also, dass Martin kaum mehr als eine Handvoll halbinteressierter Seitenblicke abbekam.
Die Selbstverständlichkeit, mit der Cora sich seines Armes bemächtigte um sich bei ihm einzuhaken, schenkte ihm ein neues und sehr angenehmes Selbstbewusstsein.
Stolz schritt er mit ihr an seiner Seite durch die Ausstellung und hatte auch keine Scheu mehr, sich in artige Konversation mit dem gastgebenden Künstler zu begeben.
Erstaunlich für ihn, wie schnell die Zeit verging und ebenso schmerzlich die Erkenntnis, dass der Abend vorbei war, als Cora ihn vor seiner Haustür absetzte, höflichkeitshalber aber noch mit ausstieg um sich angemessen zu verabschieden.
Unschlüssig standen sie sich gegenüber. Cora sah bezaubernd aus in ihrem grünschimmernden Kleid, das in dezentem Kontrast zu ihrem kastanienbraunen Haar stand.
„Danke!“
Ihr Lächeln wärmte sein Herz.
„Wofür?“ fragte sie ihn aber nach kurzem Nachdenken und ihr leicht schiefgeneigter Kopf verriet ihm, dass sie wirklich nicht wusste, warum er sich bei ihr bedanken wollte.
„Weil ich Sie begleiten durfte....für Ihre Gesellschaft und für diesen wunderschönen Abend!“
Trotz der Dunkelheit, die nur durch das matte, flackernde Licht der defekten Straßenlaterne erhellt wurde, bemerkte er die leichte Verlegenheitsröte, die sofort ihre Wangen bepuderte und den jugendlichen Glanz ihrer Augen in unnachahmlich natürlicher Art unterstrich.
„Es hat Ihnen also gefallen?“
Martin erschien diese Frage so grotesk, dass er ganz entgegen seinem Naturell amüsiert und laut auflachen musste.
„War das nicht offensichtlich?“
Cora zauderte etwas, bevor sie ihm eine Antwort gab.
„Zwischendurch hatte es fast den Anschein, vor allem als Casper Sie fragte, was Sie von seinem blassrosa Engel halten würden!“, kicherte Sie.
„Fürchterlich, oder?“
Martin schauderte noch nach, beim Gedanken an das überdimensionale Abbild eines künstlichen Engels mit üppigen, plüschigen Flügeln aus watteweichen, rosa Daunen.
„Ich hätte gerne gesehen, wie er beim Anblick einer meiner schwarzen Dämonen entsetzt zu Stein erstarrt wäre!“
„Darf ich Sie um etwas bitten?“
Unvermittelt ernst war ihre Stimme geworden.
Martin stutzte, war prompt versucht ihr in alter Gewohnheit zum Selbstschutz ein barsches Nein um die Ohren zu schmettern.
Er konnte sich noch rechtzeitig besinnen und hob stattdessen nur zweifelnd die Augenbrauen während er halbherzig nickte.
In Coras Gesicht hielt sofort eine kleine Verschlagenheit Einzug, die sich hinter dem erfolgsverwöhnten, liebreizenden Zwinkern zu verbergen suchte.
„Ich wünsche mir ein Bild von Ihnen, das etwas anderes darstellt als diese fürchterlichen Dämonen!“
Argwöhnisch erwiderte er den Blick ihrer treuherzigen Augen, sträubte sich noch gegen eine Vertrautheit die dabei war Vertrauen zu gebären.
„Meinen Sie, ich könnte etwas halbwegs Ordentliches zustande bringen?“
Statt einer Antwort hob Cora ihre Hand, strich ihm kaum spürbar über die Wange.
Und erstmalig im Leben erschien es ihm, als berühre man ihn und nicht nur seine Narben.

In dieser Nacht lag Martin noch sehr lange wach, ließ den Abend Minute für Minute Revue passieren, immer und immer wieder bis zu dem süßen und trunken machenden Augenblick vor seiner Haustür.
Er war nur die Winzigkeit einer Haaresbreite davon entfernt gewesen, Cora hinauf in sein Atelier zu bitten um ihr sein Geheimnis anzuvertrauen.
Lange bevor er sich künstlerisch mit seinen Teufeln auseinander setzte, hatte er schon gemalt.
Um ehrlich zu sein malte er seit seinem sechzehnten Lebensjahr, als ihm erstmalig seine unendlich große Einsamkeit vollkommen durch die Ablehnung einer angebeteten Klassenkameradin bewusst wurde.
Er hatte sich an vielerlei Motiven versucht, hatte bezaubernde Landschaften erschaffen, Stilleben ebenso wie leicht abstrakte Darstellungen, doch am allerliebsten und am besten gelungen waren ihm immer die Portraits unterschiedlichster Personen.
Ihm reichte ein kurzer Blick in das Gesicht eines Menschen, um die biometrischen Charakterzüge zu erfassen und später aus seinem Gedächtnis heraus auf die Leinwand zu projizieren.
Mehrfach wollte er sich selber malen, doch statt seines entstellten Gesichts starrte ihn am Ende immer einer seiner Dämonen an.
Dann, vor einigen Wochen, war ihm jäh der verwegene Gedanke gekommen, sich selber unversehrt und bar jeglicher Entstellung zu malen.
Obschon er sich vor dieser Perversität graulte, ging ihm die Arbeit leicht von der Hand und stand nun wenige Pinselstriche vor der Vollendung.
Und egal wie kritisch er es auch betrachtete, es war das Beste das er jemals erschaffen hatte.
Wenige Pinselstriche noch für sich, für seinen auf ewig unerfüllt bleibenden Traum, aber dann viele Pinselstriche für Cora, für einen Traum der wenigstens lebendig war.

Sprühend vor Kreativität und Arbeitseifer sprang er am nächsten Morgen aus dem Bett, fuhr in die Stadt um einige Besorgungen zu machen.
Dann kehrte er vergnügt vor sich hinsummend zurück.
Ein langes ungestörtes Wochenende lag vor ihm. Er würde an seinem Selbstportrait weitermalen können und ein gänzlich neues Bild beginnen.
Ihm schwebte ein sanft abfallender Waldhang vor, aus dessen verwunschenen Tiefen im Licht der aufgehende Sonne Nebel stieg, den leichten Sommertau wieder empor tragend zu einem wolkenlosen Himmel, dessen Farbe angesichts der frühen Stunde erst im beginnenden Blau war.
Die notwendigen neuen Ölfarben hatte er dazu eben auf seiner Einkaufstour sehr sorgfältig ausgewählt, denn im Fundus seiner diversen Malkoffer hatte er nichts Adäquates gefunden.
Und aus einem Grund den er sich noch nicht einzugestehen getraute, wollte er dieses Bild, Coras Bild, perfekt machen.
Er sah den staunenden Ausdruck in ihrem Gesicht bereits vor seinem inneren Auge und das Frohlocken, dass er dabei empfand beflügelte und erheiterte ihn zugleich.
Ein großes Stück Schokoladenkuchen zusammen mit der Thermoskanne Kaffee und der Einkaufstasche voller freundlicher Farben nehmend, stieg er in sein Atelier hinauf in der Gewissheit, kreative Stunden voller Zufriedenheit dort zu verbringen.
Sorgsam sortierte er die neuen Farbtöne ein, drapierte den Teller und den Kaffee auf dem Tisch neben seiner Staffelei, nicht ohne herzhaft ein gehöriges Stück von dem Kuchen abzubeißen.
Er liebte diesen Kuchen, in den große Schokoladenstücke eingebacken waren, die mit leichtem Knacken dem genussvollen Druck seiner Zähne nachgaben.
Süße Kakaomasse vermischt mit seinem Speichel, tanzte um seine Zunge, als er mit einem schwungvollen und ebenso vergnügtem Elan das Leinentuch von seinem Selbstportrait lüftete.
Doch was er da sah riss ihm von einem Bruchteil einer Sekunde zur nächsten den Boden unter den Füßen weg.
Die Süßigkeit in seinem Mund wurde zu bitterer Galle und verließ seinen vor Entsetzen aufgerissenen Gaumen in schmierig braunen Rinnsälen, tropfte zähe Fäden nach sich ziehend auf sein Oberhemd.
Sekundenlang war Martin in seiner Erstarrung gefangen, Sekunden die sein Blut brauchte um weiterzufließen, denn sein Herzschlag hatte ausgesetzt angesichts der Entsetzlichkeit, die er sah.
Nicht seinem Selbstportrait, das ihn in ebenmäßiger Schönheit zeigte, stand er gegenüber, sondern dem Abbild eines entstellten Dämonen.
Eben jenem Dämonen, der ihm Vorlage gewesen war für seine Bilder, der ihn durch seine Albträume begleitet hatte, seinem ständigen Widersacher und doch einzigen Freund durch die Jahrzehnte.
Keine Leinwand stand mehr auf der Staffelei sondern umgeben von einem üppigen Goldrand, geschmückt durch schwülstige Facetten fand er den Gegenstand vor, den er am meisten hasste auf der Welt, einen Spiegel.
Sämtlich ertragener Schmerz einer jahrelangen Einsamkeit manifestierte sich erneut in seiner Brust, beklemmte sein unbarmherzig schlagendes Herz, welches außerstande war den plötzlichen Frost aus seinen Adern zu vertreiben.
Binnen eines Wimpernschlages war er mit einer Farbenblindheit gestraft, die alles um ihn herum in das Ambiente eines tragischen Schwarz-Weiß-Filmes tauchte.
Und wie von dem staubigen Sessel eines billigen Kinos aus, sah er sich in Zeitlupe den Holzschemel nehmen und auf den Spiegel einschlagen, bis dieser nur noch Geschichte in Form eines Haufens hämisch funkelnder Scherben war.
Nur kurz verhielt er in seiner Wut, stand gebeugt auf diesem Scherbenhaufen seiner selbst, dann nahm er fast besonnen einen langen scharfen Glassplitter zur Hand und zerfetzte, ja verstümmelte das Bild der spielenden Hundewelpen, gefolgt von der „Schönheit am Brunnen“ wie er das Abbild der jungen unbekannten Frau zu nennen pflegte.
Bild für Bild fiel seiner rasenden Wut zum Opfer, Bild für Bild wurde seiner Darstellung mittels unbarmherziger Zerstörung beraubt.
Rasend und blind arbeitete er sich durch die Bibliothek seiner zweidimensionalen Träume und harmlosen Begehren, alles zerstörend, alles vernichtend im verzweifelten Versuch, so Enthülltes wieder vor unerwünschten Augen zu verbergen.
Eisern hielten seine Hände die Scherben umklammert.
Tief bohrten sie sich durch seine Haut in sein Fleisch und unterstrichen die Spur seiner Verwüstung mit blutroten Akzenten.
Was kümmerte es ihn, dass er seinen Entstellungen weitere Wunden und Narben zufügte.
Viel wichtiger war der Schmerz, der ihn langsam wieder zur Besinnung brachte und ihn von den Trümmern seiner Festung fortzog.
Seines Refugiums beraubt, gebrochen, zerbrochen an dem Frevel sein Innerstes aufgedeckt und beschmutz zu sehen, schleppte er sich die schmalen Stiegen hinunter in sein Schlafzimmer, wo er sich wimmernd auf seinem Bett zusammenkrümmte.
Die kleinen Welten, die er sich geschaffen hatte, die Spiegelbilder seiner Seele, seine kindlichen Wünsche die für ihn in seinen Bildern real gewordene Träume gewesen waren, all dies war nun entweiht, zerstört, weil der brutalen Neugierde und dem Spott eines Menschen zum Opfer gefallen.
Plötzlich sah er sich dem alles verzehrendem schrecklichen Irrtum gegenüber, den er in den letzten drei Jahren aufgesessen war.
Seine selbstgefällige Eitelkeit, ein Bild nach dem anderem in Coras Schaufenster präsentiert zu sehen, ein Bild nach dem anderen das einen Liebhaber und Käufer fand, dabei waren es nur die Schmähbilder seiner hässlichen Seite gewesen.
Wie gerne hätte er zugegeben, auch eine andere Seite zu haben, dem Betrachter einzugestehen, dass er noch mehr von ihm gab als das, was offensichtlich und jedem zugänglich war.
Seine Bilder hatte er nie mit seinem richtigen Namen signiert sondern nur dürftig mit seinem Pseudonym paraphiert.
Ein Pamphlet auf seinen richtigen Namen und doch hatte jemand herausgefunden wer er war, sein Selbstportrait gestohlen in der einzigen, für ihn schlüssigen Absicht, ihn zu kompromittieren.
Seine Wunden schmerzten und später am Abend brachte er es endlich über sich, diese notdürftig zu versorgen.
Dann machte er sich halbherzig auf die Suche nach Einbruchspuren.
Dass er keine fand, überraschte ihn nicht. Er ärgerte sich nur maßlos, nicht sofort neue Schlösser eingebaut zu haben, als er den Verlust seines Schlüsselbundes vor drei Monaten bemerkte.
Doch nun war es zu spät. Für alles zu spät.
Wenn ihn auch Cora am nächsten Tag anrief und stolz berichtete, dass sie sein letztes Bild wieder verkauft hatte und nun dringend um Nachschub bat, so änderte es nichts an seinem Endschluss.
„Ich male nicht mehr!“, sagte er am Telefon. „Nie wieder!“, und seine Stimme zitterte.
Den Tränen nahe schilderte er ihr den Vorfall und beichtete ihr, geschwächt und mürbe durch den Strudel seiner Emotionen seine heimlichen Bilder.
„Sie meinen, Sie haben alles zerstört was sie bisher gemalt haben?“
Cora war unglaublich entsetzt.
„Nein!“, antwortete Martin düster. „Ein Bild ist mir gestohlen worden! Das Beste von allen!“
„Darf ich Sie besuchen, damit Sie mir alles in Ruhe erzählen können?“
Martin kämpfte einen inneren Kampf.
Der Dämon in ihm hatte sich warnend erhoben und zeigte bedeutungsschwer auf die alten Narben, die nur für ihn sichtbar waren.
„Sieh Dich vor!“, hieß das. „Laß sie nicht an dich heran, es wird wieder weh tun.....“
Doch dieses Mal wollte Martin nicht auf ihn hören, dieses Mal sehnte er sich so sehr nach menschlicher Gesellschaft und Nähe, dass er meinte an seiner Einsamkeit ersticken zu müssen.
„Gerne Cora!“, antwortete er da leise und als Cora nach einigen aufmunternden Worten mit dem Versprechen am folgenden Tag auf Besuch zu kommen aufgelegt hatte, verspürte er ein warmes Gefühl der Vorfreude.

Unsicher hielt sie ihm am nächsten Nachmittag die Hand zur Begrüßung hin, die er wegen seines Verbandes nur vorsichtig zu schütteln vermochte.
Zögernd folgte sie ihm durch den schmalen Flur in sein Wohnzimmer.
„Sie wollen nicht mehr malen?“, fragte Cora ihn direkt während sie in dem ihr angebotenen Sessel Platz nahm und an einer heißen Tasse Kaffee nippte.
Statt einer Antwort hob Martin nur ablehnend seine verbundenen Hände.
„Aber das heilt doch wieder!“
Traurig sah Martin von der anderen Seite des Wohnzimmertisches zu ihr herüber.
„Ja, die Hände werden heilen, aber alles andere nicht und solange mein letztes Bild noch irgendwo existiert, werde ich keine Ruhe finden!“
Cora blickte ihn angestrengt an.
„Und was würden sie mit ihrem Bild tun, wenn sie es wieder hätten? Würden sie es auch vernichten oder doch lieber vollenden?“
Martin zögerte mit einer Antwort.
„Ich weiß es nicht, dazu müsste ich es sehen. Ich habe keine Ahnung ob ich Lust bekommen würde, weiter daran zu arbeiten. Nur die Vorstellung, dass eine fremde Person mein Bild bei sich hat, es ansehen kann, obwohl es niemals für andere Augen als für die meinigen bestimmt war, alleine diese Vorstellung bringt mich fast um den Verstand!“
Cora gab ihre angespannte Sitzhaltung auf und erhob sich, zögerte einen Moment und wandte sich dann der Haustür zu.
„Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment!“
Sie verschwand im Türrahmen und Sekunden später hörte Martin eine Autotür klappen.
Ihre ganze Haltung war von Unsicherheit geprägt, als sie kurz darauf offensichtlich schuldbewusst das Wohnzimmer wieder betrat.
Ungläubig starrte Martin auf den Gegenstand den sie bei sich trug.
Schweigend legte sie das Bild auf dem Wohnzimmertisch ab.
Martin versuchte zu schlucken, doch der Hals war ihm zugeschnürt, verwehrte seinen Stimmbänder den lauten Schrei, den er auszustoßen wünschte.
„Warum!?“
Wenn auch krächzend so entbehrte der Ton seiner Frage nicht der Enttäuschung, dem Ärger und der hilflosen Fassungslosigkeit, die er empfand.
Es war Cora!
Cora war in sein Haus eingedrungen, in sein Atelier.
Ausgerechnet Cora, der einzige Mensch dem er freiwillig seine anderen Bilder gezeigt hätte wenn sie ihn nur gefragt, gebeten hätte.
„Weil ich neugierig war!“
„So?“ Jahrzehntelang hatte er üben müssen, seine verletzliche Seele in Sekundenschnelle hinter dem ruppigen Schutzschild seines Zynismusses zu verbergen.
„Und aus reiner Neugierde haben sie sich diesen üblen Scherz mit dem Spiegel erlaubt um herauszufinden, wie ich wohl darauf reagiere, ob ich mir die Pulsadern öffne oder doch noch eine andere Art finde mich noch schlimmer zu verstümmeln?“
Cora kam ihm schnell einige kleine Schritte entgegen und hatte trotzdem abwehrend ihre Hände erhoben.
„Das.... das können Sie doch nicht von mir denken!“
„Was wohl sonst?“, erwiderte Martin hart und wandte sich von der Frau ab um ihr mit einladender Geste die Wohnzimmertür zu öffnen, in der zweifelhaften Hoffnung, sie so zum Gehen zu bewegen.
Cora zwang sich, den eindeutigen Versuch seiner Abweisung zu ignorieren und nahm stattdessen sein Selbstportrait in ihre Hände.
„Ich wollte dass sie sich endlich annehmen als das was sie sind, Martin!“
„Als Monster?“
Martin machte einen Sprung durch den Raum und versuchte Cora das Bild zu entreißen, doch sie wandte sich rasch ab, presste das Portrait an ihre Brust.
„Geben Sie es mir!“, herrschte Martin sie an.
„Warum? Damit Sie es auch in einem wüsten Anfall von Selbstmitleid zerstören?“
Nun war es Cora, die ihn zornig anfunkelte.
„Sind Sie niemals auf den Gedanken gekommen, dass es Menschen geben könnte die in der Lage sind hinter ihre lädierte Gesichtshaut zu schauen? Menschen die sensibel genug sind mit dem inneren Auge zu sehen, dem Auge dass sich nur dem Wesentlichen gegenüber öffnet?
Können Sie sich nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die Sie am liebsten zwingen wollen selber in einen Spiegel zu sehen, so lange bis Sie ihre eigene Schönheit darin wiederfinden um endlich selbstbewusst genug zu sein im Hellen durch die Straßen zu gehen? Können Sie sich nicht vorstellen, dass es Menschen gibt denen Sie etwas bedeuten, die mehr von Ihnen wissen wollen als den Umstand, der zu ihrer Entstellung führte? Wenn das so ist, Martin, wenn Sie sich das wirklich bei all ihrer Fantasie nicht vorstellen können, dann ist ihnen nicht mehr zu helfen!“
Mit diesen Worten gab sie die Deckung hinter dem Bild auf und hielt es ihm auffordernd hin.
„Hier nehmen Sie es zurück! Machen Sie damit was sie wollen!“
Impulsiv riss Martin das Bild an sich.
„Ja das werde ich und… und Sie hatten kein Recht das zu tun!“
„Das mag sein, aber Sie hatten auch kein Recht diese wunderschönen Bilder dort oben in ihrer Dachkammer verstauben zu lassen, wieso wollten Sie nicht zulassen, dass sich auch noch andere Menschen daran erfreuen, wieso wollen Sie andere Menschen mit Ihren Dämonenbildern erschrecken?“
Cora hatte sich leidenschaftlich in Rage geredet, stand vor ihm, die Hände in die Hüften gestützt und wirkte wie eine kriegerische Amazone, die nur auf einen Grund zu warten schien, ihren Bogen zu spannen um einen tödlichen Pfeil abzuschießen.
Martin hingegen warf das Bild achtlos aufs Sofa während er sich von Cora abwandte um seine einsame Position vorm Fenster einzunehmen.
„Sie waren doch nichts weiter als das Geschmiere eines Anfängers, nichts zu dem man sich als ernstzunehmender Mensch bekennen könnte.“, sagte Martin resigniert.
„Können Sie das beurteilen? Sind Sie der Kunstexperte oder ich?“, fauchte Cora wütend.
„Kunstexperte?“, höhnisch und überheblich lächelnd drehte Martin sich wieder ihr zu.
„Nur weil sie eine unbedeutende Galerie in einer Kleinstadt betreiben macht Sie das doch noch lange nicht zur Kunstexpertin!“
Er hatte sie nicht verletzen wollen, doch als er jetzt die Veränderung in ihrem Gesicht beobachtete, wusste er, dass er genau das getan hatte.
Sie war kreidebleich geworden und ihre vor Wut zitternde Stimme mühsam unter Kontrolle haltend erwiderte sie: „Mag sein dass Sie meine Meinung nicht hoch genug einschätzen und ich stimme Ihnen voll und ganz zu wenn Sie sagen, dass es haufenweise Kunstkritiker gibt die über ein profunderes Fachwissen verfügen als ich, aber ich kämpfe an der Front, ich weiß was sich verkauft und was Kunst oder Kitsch ist. Ihre Bilder dort oben, Martin, das war Kunst und zwar solche, die die Menschen erfreut. Nicht Ihre dämlichen, düsteren Dämonen, die außer ein paar gestörter Teenager niemand sehen will. Das da oben, das hatte wirkliche Qualität, also setzen Sie sich gefälligst wieder auf ihren Hintern und malen Sie. Und wagen Sie es nicht, ohne ein Bild jemals wieder einen Fuß in mein Geschäft zu setzen, egal für wie unbedeutend und kleinkariert Sie es halten. Ich will Sie erst wieder sehen, wenn Sie mir etwas anderes bringen als Ihre scheiß Dämonenbildchen.“
Cora war außer sich, bebte vor Zorn.
Martin sah sie einige Minuten ruhig an, dann sagte er: „Gehen Sie. Bitte gehen Sie!“,
und wandte sich wieder von ihr ab.
Cora starrte noch einen Moment wütend auf seinen Rücken, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und floh aus seinem Haus, damit er ihre Tränen der Enttäuschung nicht sah.
Lange stand Martin so da, nahezu bewegungslos und mit hängenden Schultern
Warum nur hatte er sie gehen lassen, wieso hatte er so übertrieben reagiert.
Jetzt wurde ihm klar, dass er einen Teil seines Lebens aus dem Haus gejagt hatte.
Entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten griff er nach einer Flasche Cognac, machte sich nicht die Mühe nach einem Glas zu suchen sondern nahm einen tiefen Schluck, der seine Eingeweide brennen ließ.
Der zweite Schluck nahm ihm das unglückliche Vibrieren seiner Nerven, der Dritte den Klos in seinem Hals und ein Weiterer ließ ihn in eine sakrale Feuerlaune fallen, die ihn andächtig sein Bild nehmen und in seinen Garten tragen ließ, wo er ein Feuerzeug so lange an den Rand seiner letzten Traumwelt hielt, bis diese zu brennen anfing.
Kleine Flammen, gelben und orangenen Zungen gleich, leckten an der Leinwand, züngelten um den bunten gespannten Stoff, kosteten von den getrockneten Ölfarben um sie knisternd und schmatzend zu verschlingen.
Erst zurückhaltend mit zartem grauen Rauch, dann gierig und beißend mit dem ungezügelten Appetit eines kleinen Buschfeuers, das die Luft über sich in der Hitze flimmern ließ.
Nach außen hin mit stoischer Ruhe betrachtete Martin die Darstellung seines Gesichts, das für einen kurzen Moment durch die von der Hitze der Flammen aufgeworfenen Blasen und Pusteln dem entstellten Original gleich kam, bis die geschmolzenen Farben zu einem unkenntlichen Klumpen zusammenliefen, einen kurzen Moment noch die unausweichliche Vernichtung durch das Feuer leugnend.
Dann brannte auch der letzte Quadratzentimeter der bemalten Leinwand und mit ihm Martins Herz, das dem Feuer mit seinem Selbstportrait einen guten Teil seiner Seele überantwortet hatte.
„Es war nur ein Steckenpferd, ein kleiner Zeitvertreib!“, suchte er sich selber zu trösten. „Nichts Wertvolles, nichts von Bedeutung, nichts was ich nicht durch ein Buch oder einen Fernsehfilm ersetzen kann.....!“
Seine Augen brannten wie das Feuer zu seinen Füßen und wütend auf sich selber, wischte er verzweifelt seine respektlosen Tränen von den zernarbten Wangen.
Ihm war, als hätte er sich selber seine Zunge herausgeschnitten, als würde er niemals wieder die Gelegenheit haben, einem tiefen Gefühl Ausdruck verleihen zu können, als müsste er alle Farben der Welt auf ewig in einer tiefen Gruft verschlossen halten.
Abendwind strich durch den Aschehaufen, lies kleine Funken in dem grauen Staub ein letztes Mal aufglimmen bevor auch hier die letzte brennbare Substanz zu toter Schlacke geworden war.
Und genauso tot und ausgebrannt fühlte Martin sich, als er sich an diesem unseeligen Abend zurück ins Haus schleppte, sein geschundenes und bitter enttäuschtes Herz mit dem Rest aus der Cognacflasche begoss und seinem umnebelten Geist das heilige Versprechen abrang, nie wieder in seinem Leben ein Bild zu malen oder auch nur einen Pinsel in die Hand zu nehmen.

In den kommenden Tagen dankte er wieder einmal dem Himmel dafür, dass er für seinen Broterwerb das Haus nicht verlassen musste, sondern als Webdesigner geruhsam die Sonne am heimischen Schreibtisch auf und wieder untergehen sehen zu konnte.
Obwohl auch hier seine künstlerische Ader und Kreativität gefragt und gefordert wurde, war es nur ein erbärmlicher Ersatz für die tiefe Zufriedenheit die er nach Stunden konzentrierter Arbeit in seinem Atelier empfand.
Dabei konnte er nicht genau sagen, wonach er sich mehr sehnte, nach dem Gefühl eines Farbpinsels in seiner Hand, dem Gefühl mit geschmeidigen Strichen über eine noch jungfräuliche Leinwand zu fahren, ihr Leben einhauchend, ihr Schicksal bestimmend, oder nach den Gesprächen mit Cora.
Cora und immer wieder war es Cora, um die seine Gedanken kreisten.
Längst hatte er ihr das Eindringen in seine ihm eigene Welt verziehen und stellte sich insgeheim vor, wie wunderbar es sein müsste, sie an seiner Seite zu haben, ihr Tag für Tag ohne Scheu die Produkte seiner Phantasie zeigen zu können, ohne Angst vor Spott oder böswilliger Kritik.
Täglich focht er den Drang nieder, sie in ihrer Galerie aufzusuchen oder wenigstens heimlich durch die Schaufenster bei ihrer Arbeit zu beobachten.
Stattdessen nahm er sich seinen Garten vor, pflegte die albernen Blumenrabatten, jätete das Unkraut und mähte den Rasen, der ihm so gleichgültig war wie die Krähe, die ihm dabei spöttisch vom alten Birnbaum herunter zusah.
So traf ihn ihr Telefonanruf vollkommen schutzlos und teilte ihn gleichermaßen in Verzückung und neuerlichen Schmerz.
„Wie geht es Ihnen, Martin?“
Der Klang ihrer Stimme läutete die Sturmglocke in seinem Herzen.
„Gut!“, log er „Und selber?“, vollendete er die Höflichkeitsfloskel.
Cora ging nicht auf seine Frage ein sondern konfrontierte ihn direkt mit einem Satz, dessen Bedeutung rasch die Freude über ihren Anruf neutralisierte und erneuten Ärger in ihm aufkommen ließ.
„Ich habe ihr Selbstportrait für eine Ausstellung für bislang unbekannte Maler im hiesigen Kunstmuseum angemeldet. Es werden auch zwei oder drei bekannte Kunstkritiker bei der Eröffnung anwesend sein und eine Bewertung abgeben! Ich möchte ihr Bild abholen und neu spannen und rahmen. Und vergessen Sie nicht es zu signieren!“
Martin konnte nicht ahnen, wie oft Cora diese Sätze geübt hatte, damit sie sich geschäftsmäßig und fest anhörten.
„Ich habe es verbrannt!“
Martin vernahm wie Cora scharf die Luft einzog.
„Das ist nicht ihr Ernst!“
Doch leider bestätigte sein Schweigen ihre schlimme Befürchtung.
„Wie konnten Sie das nur tun?“
Aufrichtige Betroffenheit klang nun aus ihrer Stimme.
„Oh es war ganz einfach, ich habe ein Feuerzeug genommen und den Mist in Brand gesetzt. Trockene Leinwand brennt wie Zunder!“, spottete Martin.
„Warum haben Sie das nur getan?“
Cora hatte nun doch ungewollt ihre Maskerade der harten Geschäftsfrau abgelegt.
„Ich sagte bereits, dass ich mein stümperhaftes Geschmiere nicht mehr sehen wollte!“ entgegnete Martin brüsk. „Ich werde nie wieder Malen!“
„Warum überlassen wir dann nicht das Urteil solchen Juroren, die etwas davon verstehen?“, fragte Cora hinterhältig.
„Sie bekommen durch die Ausstellung eine echte Gelegenheit ihr Können unter Beweis zu stellen!“
Martin schnaubte.
„Haben Sie mir nicht zugehört? Ich habe kein Bild mehr, das ich ausstellen könnte. Ich habe alles verbrannt und vernichtet!“
„Dann malen Sie eben ein Neues! Sie haben noch gut acht Wochen Zeit!“ Cora hielt den Atem an und hoffte, dass Martin den Köder schlucken oder wenigstens daran schnuppern würde.
„Ich male nicht mehr, nie wieder!“, sagte Martin nochmals mit der Bockigkeit eines Kleinkindes.
„Oh Sie können ja auch aufhören zu malen, in zwei Monaten. Malen Sie ein letztes Bild und wenn es schlecht ist, dann helfe ich Ihnen sogar ihre Staffelei zu zersägen!“, versuchte Cora zu scherzen.
„Nein!“
„Denken Sie wenigstens drüber nach!“
„Nein!“
„Doch das werden Sie, und dann werden Sie sich hinsetzen und ein Bild malen!“
Coras Tonfall duldete keine Widerrede.
„Sie sind eine...eine....“
„Eine was?“, unterbrach Cora Martins Versuch sich ihrer Bestimmtheit zu erwehren
„Eine unmögliche Person!“
Cora lachte leise in den Hörer.
„Das wusste ich schon. Ich erwarte Sie also in spätestens acht Wochen MIT einem Bild!“
„Auf keinen Fall!“
„Bis spätestens in zwei Monaten Martin!“, und ehe dieser noch etwas sagen konnte, hatte Cora rasch aufgelegt.

Wochen waren vergangen.
Obwohl inzwischen eigentlich eine warme Junisonne vom Himmel scheinen sollte, war der Tag eher kalt und sehr verregnet.
Zögerlich betrat Martin die kleine Galerie durch die Glastür, die sein Kommen mit einem melodischen Klimpern der Türglocke ankündigte und Cora von ihrem Schreibtisch weg in den Verkaufsraum lockte.
Als sie seine hagere Gestalt erkannte, musste sie gegen den plötzlichen Drang ankämpfen einfach fort zu laufen.
Zu lange hatte sie täglich nach ihm Ausschau gehalten, gehofft ihn mit einem Bild unter dem Arm endlich wieder den Gehweg heraufkommen zu sehen.
Tag für Tag hatte sie enttäuscht ihren Laden abgesperrt, noch einen letzten traurigen Blick die Strasse hinunter werfend, bis sie sich schließlich diese Sentimentalität zum Wohle ihres Seelenheils verboten hatte.
Dass er nun so vollkommen unerwartet vor ihr stand, genau wie früher mit einem leicht verlegenen Gesicht und ihr auffordernd ein Bild hinhielt, bescherte ihr ein Déjà vu von solcher Heftigkeit, dass ihr selbstbewusster Schritt für einen Moment ins Stocken kam.
„Das Übliche, Martin?“, fragte sie dennoch gefasst, ihre Erregung hinter dem geschäftlichen Ton versteckend.
„Natürlich!“
Martin bemühte sich um echte Empörung in seiner Stimme.
„Dann haben sie also wieder einen Dämonen gemahlt?“
Sie konnte ihre plötzliche Enttäuschung nun nicht mehr verbergen und nur widerstrebend nahm sie das Bild entgegen, das Martin zum Schutze gegen den Regen in eine alte Wolldecke gewickelt hatte.
„Ja, wieder einen Dämonen, den Fürchterlichsten von allen!“ Martin machte eine kleine theatralische Pause bis er knurrend ergänzte: „Sehen Sie sich vor, ich bin besessen von seinem Abbild, es verfolgt mich Tag und Nacht, lässt mich an nichts anderes mehr denken als an ihn!“
Cora schlug die Decke zurück in Erwartung eines düsteren Gemäldes, wappnete sich bereits gegen die negativen Assoziationen, die sie bei der Betrachtung von Martins neuestem Werk haben würde.
Doch kein Teufelsabbild stierte ihr mit einer grässlichen Fratze entgegen, kein gehörntes und bockhufiges Wesen verschreckte den Betrachter, sondern das was sie sah ließ ihr Herz in unerwarteter Freude ein wildes Staccato klopfen.
Eine kleine Weile brauchte sie dennoch um ganz zu realisieren, dass es ihr eigenes Antlitz war, das ihr aus braunen Augen freundlich entgegensah, halb verborgen unter der einen Haarsträhne, die spitzbübisch in zarter Wellenlinie über ihr Gesicht fiel.
Die spinnwebfeinen Fältchen um ihre Lippen, verspielt und versunken in einem leisen und doch so wärmenden Lächeln, ihr so vertraut und aus dem Moment gestohlen wie der kurze Blick in ihr morgendliches Spiegelbild.
„Ein Dämon?“ fragte sie ihn zögernd und mit leiser Bestürzung. „Sieht so ein Dämon aus?“
Martin trat dicht hinter sie, betrachtete über ihre Schulter hinweg interessiert das Gemälde.
„Du hast Recht, Cora!“, flüsterte er zärtlich in ihr Ohr und sein Atem strich sanft durch die widerspenstige Haarsträhne, ließ sie in zartem Gleichklang zu seiner Stimme schwingen.
„So kann kein Dämon aussehen!
Dies muss mein Engel sein!“

ENDE

 

Hallo Regina,

herzlich Willkommen hier auf kurzgeschichten.de :).

Lang ist es, dein Erstlingswerk und das ist vielleicht auch der Grund, wieso sich bisher keiner dazu geäußert hat.
Für mich ist es auch zu lang. Die Handlungsverläufe haben zuviele Kurven, die nichts Neues zeigen, nehmen dadurch Spannung und bringen fast Langeweile, obwohl sich die Bergspitze schon deutlich oben abzeichnet.

Die dauernden Stimmungswechsel von Martin vom verschrobenen Menschen ohne Selbstbewusstsein zum himmelhochjauchzenden Mann und dann wieder zum vergrämten Leidenden ist mir zu rasch, zu plakativ.

Mir erscheint es auch etwas skurill, dass Cora sein Eigenporträit mitnimmt und dafür einen Spiegel hinstellt.

Du verweilst manchmal an unnötigen Details (zB Schokoladekuchen) und Szenen, bei denen man das mal richtig in die Vollen hauen könnte, wie Martin Cora mit Herzblut malt, setzt du völlig aus und läßt Martin einfach nur das fertige Bild bringen.

Du hast formal fast keine Fehler (irgendwo war mal ein malen mit h), das ist selten hier und sehr angenehm zu lesen. Deine Wortwahl ist mir aber fast schon zu abgeklärt. Die Beschreibungen leben dadurch zu wenig.

Wenn auch zu einem Discount-Preis, der kaum die Selbstkosten zu decken vermochte, aber es war verkauft.
Den Galeristen mit dieser kaufmännischen Vorgehensweise musst du mir mal zeigen ;) - oder hatte sie doch Mitleid mit ihm?


Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein freundschaftlich geschäftliches Verhältnis zwischen ihr und Martin.
freundschaftlich oder geschäftlich?

Gelegentlich ließ er eine belanglose Plauderei zu, die meiste Zeit jedoch verschanzte er sich hinter seinem entstellten Gesicht, das er seiner unachtsamen Mutter und einem Topf siedender Milch verdankte.
Nebenbei kommt die Information, dass er offensichtlich großen Narben hat. Das finde ich gut gewählt und zeigt dem Leser, dass es für Cora kein dominantes Thema im Zusammensein von Martin ist.

Die ganze Geschichte wirkt wie ein kurzer abgeschlossener Roman aus der Regenbogenpresse auf mich. Handwerklich solide, aber dadurch für uns kurzgeschichten.de-Leser ein Text, der an vielen Klischees herumkurvt.

Ich würde mir wünschen, dass du weiterschreibst. Suche dir Themen, die du selber kennst, pick dir nicht gleich eine große Geschichte heraus, sondern versuche dich an kürzeren, bei denen du versuchst, schneller auf den Punkt zu kommen. Bleib bei deinen eigenen Erfahrungen, mische Autobiographisches mit Dingen, die du erzählt bekommen hast oder die du gesehen/erlebt hast.

Wenn du an dieser hier weiterarbeiten willst, kann ich dir nur empfehlen, das ganze um die Hälfte einzukürzen. Nicht, indem du die Handlungsstänge kürzer machst, sondern einen Teil davon ganz rausschmeißt.

Liebe Grüße
bernadette

 

Danke Bernadette!
Ich habe schon einige Sachen von Dir gelesen und weiß daher, wie kritisch Du bist.
Diese Geschichte hatte einen privaten Hintergrund, den ich hier nicht erörtern möchte, deshalb habe ich auch keinerlei Motivation an dieser Geschichte etwas zu ändern.
Allerdings möchte ich schon an mir und meiner Feder arbeiten und bin heilfroh, nein ziemlich erleichtert, dass du nicht direkt gesagt hast: Lass es lieber ganz!
Viele vergnügte Grüße und nochmal vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast! Ich weiß es wirklich zu schätzen!

 

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