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Das blaue Boot
Das blaue Boot
Neben den Einkaufswagen, neben dem Geldautomaten ist die silberne Schranke, die sich wie von Geisterhand öffnet, wenn man ins Einkaufsparadies gelangen will.
Und das wollen viele, denn dort warten günstige Gelegenheiten, unschlagbar billige Preise, Angebote, die nie wieder kommen.
Paarweise oft, betreten sie das Kaufhaus, diesen Sommer sollte sie wieder Bauchnabel zeigen, schließlich sucht man Begehrlichkeiten.
Mit Kindern, zu dritt oder mehr, wird es dann schon lauter und weniger begehrlich.
Aber für die Kleinen steht rechts neben der Schranke ein blaues Boot: weißer Rumpf, das Deck in hellem Blau, silberne Reling und ein Steuerrad aus echtem Holz.
Wer hier reinpasst, 50 Cent vorausgesetzt, kann sofort auslaufen aus dem Hafen, dem weiten Meer entgegen.
Doch selbst die Kinder, auch die kleinen, scheinen das Boot zu übersehen: Es ist leer.
Die Schiebetür nach draußen öffnet sich, es wird dunkel, aber der aufkommende Wind hat keine Chance, denn es gibt natürlich zwei Schiebetüren.
Ich trete näher ran, an das blaue Boot.
Ein Bauchnabel, kaum 20 Jahre alt, macht so gute Figur, dass er sich auf der Zeitungsbeilage des Kaufhauses wiederfinden könnte, als sie durch die Schranke tritt.
Nur, die Augen dazu sind so gelangweilt, dass sie meinen Blick nicht ablenken von dem Steuerrad aus Holz.
Was wäre wenn?
Draußen scheint sich was zusammenzubrauen, die beiden Schiebetüren öffnen und schleißen sich immer schneller, trotz der Neonlichter schwabbt Dunkelheit hinein.
Meine Finger tasten nach den Münzen in der Hosentasche.
Tatsächlich, auch ein 50 Cent-Stück ist dabei.
Immer mehr Leute kommen schnell hinein, ihre Schuhe hinterlassen feuchte Spuren auf dem Boden.
Ich berühre das Steuerrad aus Holz. Natürlich bin ich viel zu alt, meine Beine zu lang.
Draußen beginnt das Gewitter zu toben.
Es ist verboten, für Erwachsene, aber ich ziehe das 50 Cent-Stück aus der Tasche, meine Finger nähern sich dem Münzschlitz.
Leute rennen durch die Schiebetüren, nasse Haare und Erschrecken im Gesicht.
Ich werfe die Münze ein.
Aber meine Beine sind doch viel zu lang? Das kann doch gar nicht passen.
Dann läuft Wasser durch die Schiebetüren, erst ein kleines Rinnsal, dann immer mehr.
Schreie ertönen, die erste Welle schießt durch den Eingang.
Da springe ich in das Boot, nehme das Steuer in die Hand und
fahre endlich los.