Das Blut, das ich auskotzte
Ich liebe. Ich liebe Spaziergänge und auch den Herbst. Diesen mehr noch als den Sommer, denn die Sonne pflegt meine empfindliche Haut zu versengen. Dem lachenden Feuerball setze ich mich generell ungern direkt aus, lieber wandere ich unter den Baumkronen umher und werfe ab und an einen scheuen Blick hinauf, um die wenigen Strahlen, die, gestreichelt von den zartleibigen Blättern, zu mir dringen und mir mit ihrem schwachen Glitzern, ihrem leisen Klingeln und Rascheln im Spiel mit dem seidenem Grün einen schwachen Gruß hinterlassen, mir ein warmes Lächeln bringen, welches von dem schallenden und brennendem Gelächter ihrer Mutter überlebte.
An jenem goldenem Oktobertag, an dem es mich wieder hinauszog, um meine Sohlen vom Kiesweg kitzeln zu lassen, reichte mein Atem aber nicht bis zu dem Weg, den ich bei einem vorherigen Gang entdeckte und zu begehen plante. Ein Grippevirus, wie er zu dieser Zeit leider ständig sein Unwesen treibt, hatte mich erfasst und zwang mich, auf einen kurzen Gang entlang dem Bach im Graben auszuweichen. So manche Bäume reihten sich dem fließenden Wasser zu Ehren an der Kante des begraßten Grabens auf. Nur auf einer Seite befand sich ein Weg direkt unter ihnen, auf der anderen schloss sich eine Straße an. Natürlich gesellte ich mich zu den einladenden Baumkronen, die hier ein strahlendes Gelb angenommen haben und dort mit eine warmen Rot lockten. Allein der asphaltierte Weg unter meinen Füßen missfiel mir beinah so sehr wie die Straße nebenan, denn der Asphalt war an einigen Stellen von den knorpeligen Wurzeln aufgerissen. Wie tiefe Fleischwunden lagen diese Stellen vor mir. So brutal war dieser Anblick, ich konnte das Krachen hören, mit der diese pechschwarze Mauer unter den Freiheitsgelüsten der Bäume zerbarst. Ich versuchte also meinen Blick stets nach oben zu richten, um das Spiel der Sonnenstrahlen in den Wipfeln zu genießen, oder zwei verliebt ineinander verschlungene Stämme mit erleichtertem Herzen zu umschreiten und dabei das zarte, goldene Laub unter meinen Füßen knistern zu hören.
Wie ich so daherwanderte, den Blick in den Baumkronen gefangen, stieß ich plötzlich an ein kleines Kind, das wohl hinter einem Busch vervorgesprungen kam und sich nun mir in den Weg stellte. Ich erschrak fürchterlich und mein ganzer Körper zuckte mit einem schrecklichen Ruck von Entspannung in Anspannung. Zwei Schritte taumelte ich zurück, meine Knie gaben nach und kurz versagte mir sogar der Atem. Erst verschwommen und langsam klarer werdend erkannte ich einen kleinen Jungen. Trotzig betonte dieser in seiner Haltun, dass er meinem unachtsamen Stoß standhielt. Breitbeinig und mit den Fäußten auf die Hüfte gestemmt schaute er unter der vollen blonden Locke auf seiner Stirn zu mir hinauf. Seine Unterlippe hatte er wie ein Cowboy etwas schräg nach vorn geschoben und ein Auge kniff er wie ein Scharfschütze zusammen.
"Stehenbleiben, Fremder!" rief er hinauf in einem überraschend dunklem Ton, der tief aus seinem Bauch kam. Meine Glieder zitterten noch immer. Ich machte zwei weitere Schritte zurück.
"Stehenbleiben sagte ich!", beschwor der Blondschopf wieder, "Was machst du in unserem Revier, Fremdling?". Meine Augen schlenderten auf den schwarzen Asphalt.
"Ich laufe hier" ,brach ich heraus.
"Dafür hast du dir das falsche Revier ausgesucht, Rothaut!" warf er zu mir lässig empor und zog mit einem furchterregenden Blitzen in dem Auge und einer ruckhaften Gebärde einen Revolver hinter seinem Rücken her, ein abgebrochener, geknickter Ast, und schoss damit in meinen Bauch. "Piuu!".
Der Aufprall der Kugel war wie ein Steinschlag. Sie brach mit einer unbändigen Wucht in mich herien, ließ mich nach hinten stürzen und meine Hände auf die blutige Wunde pressen. Das Blut war schon überall, ich lag darin, kauerte mich in der Pfütze vor Schmerz gekrümmt zusammen und biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Mein Gehört versagte, das Rauschen der Blätter und das Plätschern des Baches verstummten. Der Junge rannte weg. Das Blut muss beim Einschuss weit gespritzt sein, denn es tropfte schon von den Baumkronen auf mich nieder, ließ auf den ganzen Weg rote Flecken klatschen, wo es durch die dünnen Rillen und die Wunden des Wegs rann und ein dunkelrotes Netz aus kaltem Blut um mich spannte. Als ich mich von der unmöglichen Qual getrieben umwälzte, bemerkte ich voller Todesangst, dass die Kugel nicht nur in meinen Bauch eindrang, nein, sie zerfetzte meine gesamte Bauchdecke und ich musste mit meinen zitternden, durch und durch roten Händen meine Gedärme davon abhalten, nicht auf den Asphalt zu fallen. Ich versuchte jetzt doch zu schreien, doch das Blut, das ich auskotzte, ließ mich verstummen und mein Röcheln verrann im steten Plätschern des Bluts auf den Asphalt.
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"Hey Max! Max!" hab ich schon gerufen, als ich den Baum am Weg hochgeklettert bin, auf dem wir gerade unser Baumhaus bauen. Er fragte nur "Ja?". Wusste ja auch nicht, was ich ihm zu berichten hatte! In unserer Cowboystimme sagte ich: "Ich hab ne Rothaut erledigt, Jim!". "Aha" sagte der nur. Voll doof, dass der mir nicht richtig zugehört hat!! "Echt Max" sagte ich wieder normal. "Der Mann hat richtig mitgespielt! Hat sich richtig hingeworfen und gewimmert!". "Wie jetzt? Echt?" fragte er dann. Endlich hat der mir zugehört! "Ja! Echt jetzt!" "Cool! So einen coolen Mann will ich auch mal haben!" sagte Max und grinste über beide Backen, so freute der sich. "Ja, aber irgendwie hatte ich auch Angst", sagte ich noch, "Der hörte garnicht wieder auf...". Aber Max hörte mir garnicht mehr zu. Der kletterte schon den Baum 'runter und rief: "Ich guck ob der noch da ist. Vielleicht spielt der nochmal mit!".