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Das Blut im See
Die Stille passt nicht zu diesem Ort. Das ist vielleicht das Erste, das auffällt. Sie ist nicht friedlich und lebendig wie man es manchmal in der Natur erlebt. Sondern drückend und bedrohlich, wie in einer alten, verlassenen Halle eines leerstehenden Gebäudes. Sie ist tot, diese Stille und sie passt hier nicht her.
Der Ort selbst ist sehr hübsch. Ein Ort des Friedens könnte man sagen, wäre da nicht dieser eisige Hauch, den man nicht einordnen kann. Viele würden diese Gefühle vielleicht auf ihre momentane Situation schieben und sich sagen, dass der Ort wundervoll ist und man sich dieses Kalte nur einbildet. Doch das ist nur Selbstbetrug.
Aber auch am Bild des Dorfes ist manches skurril. Die Häuser sehen sehr schön aus und niemand könnte etwas an ihnen aussetzen. Sie sind liebevoll verziert mit Geranien in den Blumentöpfen der Fenstersimse und Schnitzwerk an den Fensterläden. Der Kiesweg ist sauber, aber wirkt nicht unnatürlich. Die Blumenbeete sind schön gepflegt und die Blumen blühen in aller Pracht. Da beginnt man sich zu wundern. Man hat nämlich das Gefühl es sei Winter. Genau weiß man das natürlich nicht, denn an diesem Ort ist es wirklich schwer sich auf so etwas Lapidares zu konzentrieren, aber stutzten kann man schon bei dem Anblick der Beete. Es liegt einfach so etwas in der Luft als sei es Winter. Etwas Frisches, Kaltes, es riecht, glaube ich, einfach nach der kalten Jahreszeit. Spätesten bei den Teichen wird es zur Gewissheit, denn sie sind zugefroren. Die Brücken über die Teiche bestehen aus Holz und sind ebenfalls schön geschmückt, aber unter ihnen breitet sich eine glatte Eisdecke aus. Auf den Brücken kann man blühendes Gewächs erkennen und neben den spiegelglatten, ja fast könne man sagen polierten Eisflächen, wirkt das Ganze schon sehr gespenstisch. Am Ufer und auf der Erde liegt kein Schnee, noch nicht einmal die Dächer der Häuser sind weiß. Nur die Seen bestätigen, was man schon die ganze Zeit ahnte und doch nicht erkannte. Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich glaube es gibt nur sehr wenig unahngenehmere Situationen als sich an diesen Ort zu verlaufen und man muss schon sehr mutig sein um ruhig weiter zu gehen und sich umzusehen. Irgendwann kommt man an eine Stelle, wo sich das Umdrehen nicht mehr lohnt.
Tropf, tropf, ich glaube es gibt nichts Schlimmeres, als ihr dabei zuzusehen. Dieser alten Frau wie sie ihr Laken auswringt. Langsam mit kräftigen Händen und doch sanft um das Tuch nicht zu zerreißen. Zu sehen wie das Rot über ihre alten, grauen Hände mit den vielen blauen Äderchen rinnt und sich unten am Stoff sammelt. Tropf, tropf das Blut schmilzt das Eis unter ihr. Ein kleines Loch, rot in der glatten, eisigen Fläche des Teiches. Das Blut bildet nur langsam eine Pfütze und jeden Tropfen hört man in der Stille genau aufschlagen. Man sieht wie nach jedem Aufschlag etwas Lebenselixier nach oben spritzt und wieder in der Pfütze landet. Wie jeder Tropfen kleine Wellen schlägt, die an das eisige Ufer des kleinen Sees branden und ihn vergrößern. Die Frau hört mit ihrer Arbeit nicht auf und es scheint als würde das flüssige Rot nicht versiegen. Als speichere der Stoff des Lakens einen unendlichen Vorrat. Dieser Gedanke entsetzt, nicht weil man sich vorstellt, dass die Frau dort bis in die Ewigkeit stehen muss, sondern weil die Handlung niemals abgeschlossen wird. Es entsetzt der Gedanke an ein ewig blutendes Laken nicht so sehr wie die Erkenntnis, dass der dessen Blut das ist niemals Frieden finden wird, solange diese Frau dem Laken das Blut auspresst. Man weiß, dass er ein Mitglied der Familie war und Verrat genau wie Feigheit in der Geschichte eine Rolle spielte. Doch das ist nur eine Ahnung wie die Kälte am Anfang, ungreifbar und doch genauso echt wie der Kies unter deinen Füßen und das Eis auf dem See.
Es war ein Freund, der da gestorben ist, der Freund, wegen dem du hier her gekommen bist und dich verlaufen hast. Doch das merkst du erst, wenn du dich endgültig umdrehst und gehst.