Was ist neu

Das Ding aus dem Wald

Seniors
Beitritt
30.08.2001
Beiträge
852
Zuletzt bearbeitet:

Das Ding aus dem Wald

FORSCHERTEAM AUF DER SUCHE NACH...
Immer wieder lese ich die Schlagzeile der Midwinter News, die auf dem Küchentisch vor mir liegt, zerknittert wie altes Butterbrotpapier. Aber es ist die Ausgabe von heute, 11. Juli 2004.
Ich konnte mich nicht beherrschen; als ich die fettgedruckte Zeile las, habe ich versucht, sie zu zerquetschen. Ein närrischer Reflex.
Seitdem weigert sich mein Gehirn, den Aufmacher ganz zu lesen. Ich komme kein zweites Mal über diese fünf Wörter hinaus, als könnte ich dadurch etwas ändern, als wäre es nicht wahr, nur weil ich es nicht lese. Ein närrischer Gedanke.
Mein Unterleib schmerzt. Mein After brennt. Wie von Mücken, die ihre Rüssel in meine blutprallen Hämmorrhoiden bohren.
Das Gefühl ähnelt den Magengeschwüren, die mich seit Jahren plagen. Diesmal würde ich sie sogar willkommen heißen, diese kleinen wuchernden Quälgeister. Ich kenne sie gut, weiß mit ihnen umzugehen, im Gegensatz zu der Angst, die mich wie eine klebrige Membran umhüllt und meine Eingeweide zusammenpreßt.
11. Juli 2004. Fast vierzig Jahre ist das alles jetzt schon her. Mein Gott, vierzig Jahre schon. Damals war ich achtundzwanzig. Wo ist nur die verdammte Zeit hin?
Seit Herb kurz vor Weihnachten gestorben ist, gibt es niemanden mehr, mit dem ich über die damaligen Geschehnisse noch sprechen kann. Er war der letzte von denen, die dabei gewesen sind.
Der gute alte Herb. Eigentlich hieß er Herbert Barnes, er war nur ein Jährchen älter als ich. Ihn hat es wirklich übel zerlegt.
Als er letzten Oktober ins Krankenhaus kam, ahnte noch niemand etwas, nicht einmal er selbst. Herb hatte an diesem Morgen sein Bett regelrecht mit Blut vollgespuckt und gerade noch einen Notarzt rufen können. Er sah ziemlich beschissen aus, als ich ihn eine Woche später im St. Mary´s besuchte. Aber er hatte gute Laune. Herb hatte immer eine verdammt gute Laune, so ansteckend wie ein Ebola-Virus. Da konnte kommen, was wollte. Und ich wette hundert zu eins, daß die Würmer, die jetzt an ihm nagen, sich neuerdings mit einem fröhlichen Lachen durch die Totenerde wühlen.
„Hey-ho, Jacko, du wirst nicht glauben, was ich habe“, hatte er gegrinst und dann eine halbe Ewigkeit in das Kopfkissen gehustet. „So ´nen arschgefickten Krebs. Ich dachte erst, dieser junge Bursche von Arzt will mich verschaukeln. Ich hab doch nie irgendwas gehabt. Aber von wegen. Der hat´s mir ganz anschaulich erklärt. Meine Lunge wär wie ´n pechschwarzes Brikett, auf das der liebe Gott oder irgendein anderer Penner ´nen Kübel Säure geschüttet hat. Alles zerfressen, total im Eimer, der Blasebalg. Halleluja, was ´ne arschgefickte Scheiße, Mann.“
Es war so ziemlich das letzte Mal, daß ich sein übliches „arschgefickt“ zu hören bekam. Schon merkwürdig, wie sehr man ein solches Wort von einem Freund lieben lernen kann, es regelrecht vermißt, als wäre es ein Anker gewesen, der einem in dieser umtriebigen und hektischen Welt einen Halt gab.
Die Ärzte pumpten ihn mit Schmerzmitteln so voll, daß Herb an manchen Tagen bereits wie tot dalag und nur noch lallen konnte, ganz so, als wären wir noch einmal um die Häuser gezogen und hätten uns vollaufen lassen.
Am 16. Dezember wurde er beigesetzt. Kaum jemand kam zur Beerdigung. Außer mir und einigen entfernten Verwandten hatte Herb niemanden mehr gehabt.
Manchmal frage ich mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre ohne einen solchen Freund wie Herb. Wie es gewesen wäre, wenn er es damals nicht auch geschafft hätte.
Damals, am 17. August 1965, in jener Nacht, die für uns beide begann, als wir um kurz nach neunzehn Uhr in Sharkys Lokal stiefelten.

„Herb! Jack! Ich dachte schon, ihr Halunken kommt nicht mehr.“
Sharky stand hinter dem Tresen und strahlte uns mit seinem Haifischgrinsen an, das ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte.
Herb winkte ihm lässig zu.
„Hey, Sharky, schieb mal Bier für zwei durstige Mäuler rüber. Die elende Hitze bringt mich noch um.“
„Kommt sofort, Herb.“
Wir setzten uns an unseren Stammtisch in der Nähe des Tresens. Sharkys Lokal war wie üblich gut besucht. Als er den Laden vor etwas mehr als einem Jahr eröffnet hatte, war er eingeschlagen wie eine Bombe. Vorher hatte es in Midwinter nur Charly´s Pub gegeben, und der lag so zentral in der Stadt, daß es häufiger zu vergnüglichen Szenen gekommen war, weil eine aufgebrachte bessere Hälfte dort auftauchte, um ihren Göttergatten lautstark von seinem Feierabendbier fortzuzerren.
In Sharkys Lokal dagegen hatten wir unsere Ruhe. Der Laden lag außerhalb der Stadt, in westlicher Richtung, eingebettet in die Bäume am Rand des ausgedehnten Waldes, der Midwinter wie ein grüner Gürtel umschloß. Da viele von uns damals noch kein Auto besaßen, mußten wir mit dem Rad dorthin. Das konnte wetterabhängig zu einer ziemlichen Tortur werden – mehr als zwanzig Minuten auf nichtasphaltierten Wegen durch Wiesen und Felder waren kein Pappenstiel. Dieser Umstand war auch Sharkys größte Sorge gewesen, stellte sich aber rasch als der entscheidende Vorteil für seinen Laden heraus. Hierher kam nur ganz selten eine Frau. Dafür umso mehr Männer.
Das Lokal war nichts weiter als eine geräumige Blockhütte mit Flachdach, die so abenteuerlich aus grob bearbeiteten Baumstämmen zusammengezimmert worden war, daß Sharky wohl niemals eine Betriebserlaubnis vom Stadtrat erhalten hätte, wenn er nicht der Schwager des stellvertretenden Bürgermeisters gewesen wäre.
Zehn kreisrunde Holztische standen wackligen Fußes auf den astlochdurchsetzten Bohlen, im Hintergrund waren der Tresen und eine Tür zur Toilette. Gegenüber des Tresens war der Eingang, und an den Seitenwänden befand sich jeweils ein Fenster, das mit hölzernen Läden verschlossen werden konnte. Nicht unbedingt ein lichtdurchfluteter Raum, in dem ständig die vergilbten Hängelampen ihren trüben Schein verbreiteten. Aber wegen des Lichts gingen wir ja nicht hin.
„So, zwei Bier, die Herren.“
Sharky stellte uns zwei Gläser frisch Gezapftes auf den Tisch.
„Danke, Sharky“, sagte ich und nickte mit dem Kopf in die Runde. „Wieder gut zu tun, was?“
Der alte Trevor Henson saß mit seinen drei Saufkumpanen James Stiller, Winston „Churchill“ Shears und John „JoJo“ Grant an einem Tisch direkt unter dem Fenster und prostete uns mit einem Glas zu. Einen Tisch weiter hockte Burgess McKensey, der schräge Viehzüchter, vertieft in eine Zeitung. Dann waren da noch Joseph Bruner und sein Schwager Kenneth Jefferson – fünf Monate nach dieser Nacht kam dessen Sohn Dick zur Welt, der heute Bürgermeister von Midwinter ist. Drei weitere Tische waren mit Leuten besetzt, die ich nur vom Sehen her kannte.
„Gut zu tun?“ lachte Sharky. „Die wenigen Leute halten mich mehr auf Trab als einen Bierverkäufer im Wembley-Stadion. Henson und seine Leute sind schon seit heute nachmittag hier. Mehr brauch ich ja wohl nicht zu sagen.“
Herb schüttelte den Kopf.
„Mann, Mann, Sharky, die saufen sich echt noch kaputt.“
Er sagte das so leise, daß nur wir es hören konnten. Sharky fletschte seine Zähne. Es sah aus, als wäre er wütend, aber ich wußte es besser: Sharky grinste.
„Sieh mal, Herb, was soll ich denn da machen? Jeder ist seines Glückes Schmied, und die vier sind alt genug, um ihrer Leber eigener Totengräber zu sein. Die Kasse stimmt, den Rest überlasse ich Gott.“
„Auch ´ne Einstellung“, meinte Herb und hob sein Glas. „Auf die arschgefickten Idioten, die sich ihr eigenes Grab schaufeln.“
Wir stießen an, Herb wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund und griff nach seinen Zigaretten. Die Dinger sollten ihm vierzig Jahre später arschgefickten Krebs bescheren, aber das wußte er damals natürlich noch nicht.
In den folgenden Stunden schüttete mir Herb sein Herz aus. Mal wieder Probleme mit Mary. Drei Jahre waren die beiden damals zusammen, aber es funktionierte einfach nicht zwischen ihnen. Ich wußte gar nichts mehr zu sagen, weil sich seit Beginn an doch immer nur alles wiederholte. Er kam mit ihr nicht klar, konnte aber auch nicht von ihr lassen. Das übliche Spiel halt.
Wir nippten lediglich an unseren Bieren, weil Herb am nächsten Tag eine Aussprache ins Haus stand, die er nicht völlig verkatert angehen wollte. Mal wieder. Ich habe mich damals immer gefragt, wozu das noch gut sein sollte. So häufig, wie die beiden sich aussprachen, mußte doch längst alles gesagt sein. Aber des Menschen Hoffnung ist sein Himmelreich. Und für uns sollte sich der Umstand, daß wir uns nicht wie gewöhnlich den Schädel zuknallten, als lebensrettend erweisen.
Es war so gegen zweiundzwanzig Uhr, als der Mann mit der Box Sharkys Lokal betrat. Alle starrten ihn an. Der Kerl war ungefähr in meinem Alter. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, oder vielmehr das, was davon übriggeblieben war. Der Stoff von Jacke und Hose war an vielen Stellen eingerissen, das weiße Hemd verdreckt, die Krawatte hing schief. Sein Gesicht glänzte schweißnaß, auf der Stirn verlief ein feiner, blutverkrusteter Striemen. Der Kerl, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, sah aus, als wäre er durch Dornenbüsche gekrochen.
Mit seiner rechten Hand hielt er den Griff eines schwarzlackierten Metallkastens umschlossen, in dessen Seitenwänden sich senkrechte Schlitze befanden, die so schmal waren, daß man nicht in das Innere blicken konnte. Es sah aus wie eine Tragebox für Katzen.
Der Kerl setzte sich an den freien Tisch an der Tür, stellte das Behältnis neben seinem linken Fuß ab und tupfte sich mit dem zerrissenen Ärmel den Schweiß von der Stirn.
„Kennst du den?“ flüsterte mir Herb zu.
„Nein, nie gesehen.“
„Komischer Vogel.“
Sharky schlurfte an uns vorbei zu dem Neuankömmling.
„Alles in Ordnung, Mister?“
„Ja... ja, danke, alles in Ordnung.“
„Sicher?“
„Ganz sicher.“
„Und was darf´s sein?“
„Ein Glas kaltes Wasser.“
Der Typ krächzte wie ein Rabe.
„Wasser?“ johlte Winston Shears. „Hey, Sharky, gib dem Mann mal ein anständiges Bier. Geht auf meine Rechnung.“
„Komm schon, Churchill, halt die Klappe!“ rief Sharky dem Betrunkenen zu und wandte sich wieder an seinen neuen Gast. „Hören Sie, Mister...“
„Dare.“
„Okay, Mr. Dare... Eine Frage: was ist in dem Kasten da?“
Dare sah Sharky eine Weile wortlos an.
„Nichts weiter. Nur eine Katze.“
„Eine Katze, aha. Irgendwelche Krankheiten, das Vieh? Sie wissen schon, wegen dem Lokal hier. Ich will keinen Ärger.“
„Das Tier ist gesund.“
„Das will ich hoffen. Dann hol ich mal Ihr Wasser.“
Sharky verschwand wieder hinter seinem Tresen.
Herb beugte sich zu mir hinüber.
„Hey-ho, Jacko, hast du seine Klamotten gesehen? Und wie schwer der Typ atmet?“
„Ja, scheint eine Weile gerannt zu sein, der Knabe.“
„Ich freß ´nen Besenstiel, wenn nicht. Ob der was angestellt hat?“
„Keine Ahnung, Herb. Vielleicht hat er ja die Katze irgendwo gestohlen. Stell dir vor, es ist der verfilzte Streuner von der Wakefield.“
„Das würd´s erklären“, grinste Herb. „Oh Mann, wenn ich den alten Drachen am Arsch hätte würde ich so lange laufen, bis mir die Beine abfallen, wenigstens aber bis Australien.“
„Warum ausgerechnet Australien?“
„Ist schön weit weg.“
„Hast recht“, lachte ich. „Aber bleib mal sitzen, hier ist es mindestens so sicher wie in Australien. Und außerdem – wer klaut schon dieses häßliche Vieh?“
Herb zwinkerte mir vergnügt zu. Wir widmeten uns wieder seinen Beziehungsproblemen. Hin und wieder warf ich Dare einen verstohlenen Blick zu, doch der starrte nur auf die Tischplatte und trank gelegentlich von seinem Wasser.
Es verging wieder einige Zeit, bis erneut die Tür aufgestoßen wurde. Henry Duncan kam noch auf ein Bier vorbei, und natürlich war sein Hund mit von der Partie. Ein deutscher Schäferhund. Der Ärger war vorprogrammiert.
„Verdammt, Henry, was schleppst du dauernd diese scheiß Nazi-Töle an!“ schrie Sharky hinter seinem Tresen hervor.
Seit dem Krieg haßte Sharky alles, was auch nur im Entferntesten mit den Krauts zu tun hatte. Er hatte mitansehen müssen, wie Granatsplitter seinen Bruder Paul um einen Kopf kürzer gemacht hatten.
„Ein Hund, Sharky, es ist doch nur ein Hund. Der hat von Hitler nie was gehört.“
„Das ist hier ist mein Lokal, Henry, und ich will diesen Köter nicht...“
Weiter kam Sharky nicht. Henry stand immer noch an der Tür, als der Hund sich plötzlich wie wild gebärdete und laut kläffend an der Leine zerrte.
„Dojan! Sitz!“
Der Hund hörte nicht. Er hielt die Augen auf den Metallkasten gerichtet, der keine drei Meter vor ihm stand. Seine Krallen schrammten über die Holzbohlen und hinterließen tiefe Riefen.
„Schaff endlich das blöde Vieh hier raus!“ schrie Sharky über den Lärm hinweg.
Henry Duncan kümmerte sich nicht um dessen Worte. Er faßte die Leine kürzer und zog den bellenden Hund hinter sich her zum Tresen, wohlweislich einen Bogen um die Box machend.
„Erst ein Bier, Sharky. Stell dich mal nicht so an.“
„Gott, bist du ein Arschloch. Das ist das letzte Mal, verstanden? Und bring den Mistköter wenigstens zum Schweigen.“
Sharky zapfte fluchend ein Bier, Henry beruhigte seinen Hund. Als der endlich Ruhe gab, hörten wir es alle. Ein leises, heiseres Fauchen drang durch die Metallschlitze der Box.
Herb blinzelte mir zu.
„Hörst du das, Jacko? Miezekätzchen hält nichts von Hunden.“
Ich antwortete nicht und beobachtete Dare, der mit nervösem Blick auf den Metallkasten blickte. Schließlich hörte das Fauchen wieder auf. Dare entspannte sich.
Dafür wankte jetzt Winston Shears an seinen Tisch und baute sich breitbeinig vor ihm auf.
„He, Kumpel, nich doch ´n Bier?“
Dare schüttelte den Kopf. Ich sah, wie sich seine rechte Hand unter die Anzugjacke schob.
„Nein, Mister, keinen Alkohol.“
Nein, Mister, keinen Alkohol“, äffte Shears die Worte nach. „Bist echt witzig, Kumpel, weißte das?“
„Sie sind der erste, der mir das sagt.“
„Oh, bin ich das? Ich sag dir noch viel mehr. Du bist...“
Sharky stand plötzlich neben Shears und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Es reicht, Churchill. Ich dulde nicht, daß du meine Gäste belästigst.“
„He, entspann dich, Sharky. Ich belästige doch keinen. Mein Wort drauf. Außerdem muß ich jetzt sowieso mal pissen.“
Shears dackelte summend zu der Tür links neben dem Tresen.
„Versau mir nicht wieder alles, Churchill. – Verdammt, hörst du mir zu?“
„Ja ja, Sharky, entspann dich.“
Dann klappte die Tür zu.

Wir steckten bereits bis zu den Hüften in der Scheiße, aber wir atmeten unbeirrt Lavendelduft. Der Hund war es, der es zuerst bemerkte. Er lag keine drei Meter von meinem Stuhl entfernt auf dem Boden. Sein Kopf ruckte hoch, als säße er auf einem überspannten Federgelenk. Ehe noch jemand reagieren konnte – schon gar nicht Henry Duncan, der locker am Tresen stand und ebenso locker die Hundeleine in der Hand hielt –, sprang das Tier auf, riß Henry die Schlaufe aus der Hand und trabte mit angelegten Ohren an meinem Platz vorbei auf die gegenüberliegende Eingangstür zu.
„Paß doch auf deinen Köter auf!“ rief Sharky.
„Dojan! Hierher!“
Der Hund erwies sich als wenig folgsam.
„Verdammt!“ fluchte Henry Duncan und stapfte dem Vierbeiner hinterher.
Ich hatte damit gerechnet, daß sich Dojan an Dares Metallkasten zu schaffen machen würde. Der Kerl stellte auch sofort schützend sein Bein vor die Box und griff wieder unter seinen Anzug. Doch der Hund hatte kein Interesse an ihm oder seiner Katze. Er schlich bis zur Tür und schnupperte aufgeregt an dem unteren Spalt.
Henry Duncan bückte sich nach der Leine, als Dojan einen Satz nach hinten tat und sich winselnd auf den Boden drückte.
„Hat wohl ´nen Dachschaden, der Gute!“ meinte Herb zu mir.
Ich war mir da nicht so sicher. Die Szene hatte etwas Bedrohliches an sich, das ich nicht greifen konnte.
Duncan zog die Leine straff, um seinen Hund wieder zum Tresen zu ziehen. Unnötig, wie sich herausstellte, denn Dojan schob sich mit angewinkelten Beinen von alleine zurück.
Henry Duncan hob die Hand, um dem verängstigten Hund die Lederschlaufe übers Fell zu ziehen, als er mitten in der Bewegung inne hielt. Er legte den Kopf schief. Lauschte einen Moment. Trat an die Tür heran, beugte sich vor, warf uns einen erstaunten Blick zu.
„Was ist los, Henry?“ fragte ich.
Er winkte hektisch mit der Hand. Dare schien es jetzt auch zu hören. Er packte die Box, sprang förmlich von seinem Stuhl auf und rannte an meinem Platz vorbei zum Tresen.
Sharky war sichtlich irritiert.
„Hört mal, Leute, kann mich mal jemand aufklären, was ihr habt?“
Henry Duncan winkte ihn zu sich. Herb und ich standen ebenfalls auf und gingen zur Tür.
Ein dumpfes, feuchtes Schnaufen drang durch den unteren Türspalt. Ich blickte hinunter und sah feine Staubpartikel, die in rhythmischen Abständen durch den schmalen Spalt wehten.
Herb packte meinen Unterarm.
„Was ist das, Jacko?“
Er klang mächtig nervös.
„Ich weiß nicht...“
Ich klang noch nervöser.
„Ein Pferd“, flüsterte Sharky. „Hört sich an wie ein Pferd.“
Ich sah es ihm an, daß er selbst nicht daran glaubte. Das Schnaufen wanderte. Wir hörten, wie es langsam den linken Türspalt hinaufzog. In Höhe der Klinke stoppte es.
Ich näherte mein Ohr dem Spalt, bereit, jeden Moment zur Seite zu springen.
„Um Gottes willen, kommen Sie da weg! Jetzt sofort!
Das kam von dem seltsamen Dare. Ausgerechnet. Seine Stimme überschlug sich fast.
Wie auf Kommando sprangen wir vier von der Tür zurück. Das Schnaufen verklang.
Sharky trat an den Fremden mit der Box heran, der sich an den Tresen drückte, als wäre dies der sicherste Ort der Welt.
„Wissen Sie, was das war?“
Dare schüttelte den Kopf. Er hielt die Box umklammert, als hätte ihm jemand die Hoden abgeschnitten, sie in diesen Kasten gelegt und ihm gesagt, daß man die Testikel wieder annähen konnte, wenn er nur gut acht auf diesen Schatz gäbe.
„Wissen Sie also nicht, hm? Halten Sie uns alle hier für Idioten, die...“
Der Hund knurrte. Zog die Lefzen zurück. Bellte. Knurrte.
Ich blickte zu ihm. Er starrte auf das Fenster neben der Tür zur Toilette. Ich folgte seinem Blick. In der Dunkelheit hinter der Scheibe bewegte sich etwas. Flüchtig. Massig. Dann war es vorbei.
Äste, die sich im Wind bewegten. Ein optische Täuschung. Irgendwas.
„Herb?“
„Jacko?“
„Lach mich ruhig aus, aber ich mach mir gerade vor Angst fast in die Hose.“
„Frag mich mal.“
Sharky hatte Dare immer noch in der Mangel, wohl weniger aus Neugierde als vielmehr zur Überspielung seiner eigenen Angst. Dabei sollte der Spaß jetzt erst richtig beginnen.
Der alte James Stiller schwankte an den Tresen. Das Einatmen seiner Fahne hätte einen Menschen noch auf fünf Meter Entfernung schlagartig betrunken gemacht.
„Wo bleibt´n Churchill?“ lallte er.
Sharky ließ kurz von Dare ab.
„Keine Ahnung, James, vielleicht ist er in die Schüssel gefallen.“
„Sieht ´m ähnlich. Oder vielleicht isser ja auch eingepennt, so, wie der die Hütte voll hat... Scheiße, der soll Platz machen, ich muß auch mal...“
Stiller torkelte den Tresen entlang. Ich widmete meine Aufmerksamkeit wieder dem Disput zwischen Sharky und Dare, registrierte lediglich den Hauch eines Lichtstreifens am äußersten Rande meines Blickfeldes, als Stiller die Toilettentür aufdrückte. Mein Unterbewußtsein grabschte nach dieser marginalen Information, stopfte sie eilig in die Schublade mit dem „Alles in Butter“-Schild darauf und wollte sich entspannt zurücklehnen, als das Fach wieder aufsprang und...
Ich sah zur Tür hinüber. Stiller stand immer noch da, die Schulter gegen das spaltbreit geöffnete Türblatt gestemmt.
Keine Kette! Die Tür war nicht verschließbar. Etwas blockierte von innen den Zugang.
Ich ging zu Stiller, um ihm zu helfen, doch hatte ich ihn noch nicht ganz erreicht, da nahm er noch einmal Schwung, warf sich gegen das Holz und überwand das Hindernis. Die Tür schwang auf.
Stiller verharrte stocksteif auf der Schwelle, was angesichts seines Alkoholpegels keine unbedeutende Leistung war. Ich war nur wenige Schritte dahinter, konnte an ihm vorbeisehen, und...
Mit einem erstickten Laut drehte sich Stiller zu mir um. Beide Hände im Türrahmen abgestützt, beugte er sich vor und erbrach das Bier der letzten Stunden. Die Pampe klatschte auf die Holzbohlen, halbverdaute Essensreste gaben der Ausscheidung eine breiige Konsistenz.
Während ich tief Luft holte, um nicht Stillers Beispiel zu folgen, wurden hinter mir Rufe laut. Es kümmerte mich nicht. Ich sprang zu der Tür, blickte über Stillers gebeugten Rücken hinweg... mitten in ein Schlachthaus hinein.
Winston „Churchill“ Shears, der betagte Mann mit der roten Säufernase, der mir als Kind mal an den Ohren gezogen hatte, weil ich eine tote Maus durch sein offenes Küchenfenster geworfen hatte... der alte Winston lag neben der Kloschüssel. Er lag in der Kloschüssel. Er lag in der gegenüberliegenden Ecke. Er war an der Wand verschmiert. Er lief in klebrigen Schlieren an dem Spiegel herunter und tropfte in das vergilbte Waschbecken. Er klebte sogar an der Decke.
Sogar an der verdammten Decke waren Teile von ihm, die blutigen Fetzen auf der nackten Glühbirne schmorten wie Ragout in der Pfanne, es roch nach gebratenem Fleisch...
Instinktiv packte ich die Klinke und zog die Tür ins Schloß. Etwas legte sich schwer auf meine Schulter. Ich schrie. Riß mich los. Drehte mich um.
Herb! Es war nur Herb!
„Was ist los?“ schrie er mich an.
Ich starrte ihm in die Augen. Wortlos. Er starrte in die meinen. Voller Angst.
Sharky wollte an mir vorbei, aber ich packte ihn am Arm und hielt ihn zurück.
„Nicht!“
Er machte sich los, drängte mich zur Seite, wollte gerade die Klinke drücken, als ich ihn am Kragen faßte und gegen den Tresen drückte.
„Gott verdammt, Sharky, geh da nicht rein!“ Ich wandte mich zu den anderen um. „Geht von dieser Tür weg!“
Mit Ausnahme von Herb, der sich den wimmernden James Stiller schnappte und ihn zu unserem Tisch zerrte, schien niemand meinen Worten folgen zu wollen. Sie ekelten sich vor dem Erbrochenen zu ihren Füßen, sie waren nervös und ängstlich... aber etwas in ihnen gierte auch danach, ihre morbide Neugier befriedigt zu sehen.
Vermutlich hätte sich noch jemand unter ihnen gefunden, der die Tür öffnete, doch bekam ich unverhoffte Unterstützung durch den seltsamen Dare. Er stand immer noch hinten am Tresen, sein Gesicht nurmehr ein verzerrter Alabasterfleck unter schweißnassem Haar.
„Fort von der Tür!“ kreischte er. Nur wenige Töne höher, und die Gläser wären zersprungen. „Die Fenster. Mein Gott, die Läden zu!“
Seine freie rechte Hand pendelte unkontrolliert zwischen den Seitenwänden hin und her. Offensichtlich klang seine Panik authentischer als meine, es kam Bewegung in die Menge.
Joseph Bruner öffnete das Fenster, das sich nur wenige Meter neben uns befand, und langte in die Dunkelheit hinaus, um die Holzläden zuzuklappen.
Auf der anderen Seite saßen unbeirrt Trevor Henson und JoJo Grant an ihrem Tisch unterhalb des Fensters. Henson quälte sich murrend aus seinem Stuhl – die unwillkommene Anstrengung schien ihn mehr zu beschäftigen als das Schicksal seines Saufkumpanen Churchill.
Wir anderen hasteten an dem Tresen entlang zu Dare, und auch die Leute, die bislang nur mit aufgerissenen Augen auf ihren Plätzen das Geschehen mitverfolgt hatten, hielten es jetzt für angezeigt, sich zu uns zu gesellen. Vierzehn Männer, die beiden an den Fenstern nicht mitgerechnet. Eine kleine, verängstigte Herde. Selbst der Hund hatte sich unter einem Tisch verkrochen.
„He, Bruner, was machst du denn da?“ rief Sharky an mir vorbei.
Auf der Gegenseite hatte der betrunkene Henson die Läden bereits zugezogen und mit einer Querlatte gesichert, Bruner aber hing immer noch bis zur Hüfte außerhalb seines Fensters, der Oberkörper war in der Dunkelheit nicht zu sehen – als hätte ihn die Finsternis verschluckt.
Bruners Körper ruckte ein weiteres Stück hinaus.
„Scheiße, der fällt doch gleich in den Dreck ´raus!“
Sharky löste sich aus unserem Pulk und wollte zu dem Fenster, wurde aber von Henry Duncan daran gehindert.
„Was ist, Henry?“
„Seine Beine... mein Gott, seht euch seine Beine an!
Wir starrten auf Bruners Beine. Etwas war da völlig falsch, und es dauerte eine Sekunde, bis ich verstand, was es war. Bruner hatte sich vornübergebeugt aus dem Fenster gelehnt, die Fußspitzen gegen die Wand gestützt. Jetzt aber zeigten die Fußspitzen auf uns. Bruner hatte sich in dem Rahmen gedreht. Oder er war gedreht worden.
Seine Beine baumelten schlaff wie die einer Gliederpuppe vom Fensterbrett herab. Die ledernen Hacken seiner Schuhe schlugen dumpf gegen die hölzerne Wand, als wäre diese vom Wahnsinn inszenierte Darbietung ohne angemessene Vertonung nicht perfekt.
pock pock... pock... pock
Das Geräusch eines weit entfernten Donners drang durch das Fenster.
„Jesus...“, keuchte Burgess McKensey neben mir und faßte sich an den Hals.
Es war kein Donner. Welch vermessener Wunsch. Es war ein anschwellendes Grollen in der Dunkelheit da vor uns, gezeugt in mächtiger Brust, geboren, uns den Verstand zu rauben.
Der massige Schatten fiel mir wieder ein.
Ein Schnauben, ein irritierend feuchtes Knacken, beinahe wie der Biß in einen saftigen Apfel...
Joseph Bruner rutschte zurück in die Hütte, oder besser gesagt: das, was noch von ihm übrig war. Viele Jahre nach dieser Nacht besuchte ich einen italienischen Fischmarkt. Ein hüfthoher Jutesack, vollgepfropft mit blutigen Fischabfällen, kippte um und ergoß seinen fauligen Inhalt auf das marode Straßenpflaster, und ich schrie, und die Leute sahen mich an wie einen Verrückten, und ich schrie immer weiter, sie konnte ja nicht wissen, daß ich wieder dieses Bild vor Augen hatte...
... dieses Bild von Bruners Körper, der ab dem Brustkorb aufwärts einfach nicht mehr existierte und dessen verbliebene fleischliche Hülle gleich jenem Fischsack zu uns in den Raum zurückstürzte und seinen Inhalt auf den Bohlen ergoß.
Was immer auch da draußen war, es hatte Bruner nicht einmal mehr die Chance zu einem letzten Schrei gegeben.

Sekunden vergingen, in denen wir still, ja geradezu andächtig den absurden Anblick in uns aufzunehmen versuchten, als wäre es ein Polaroid, das sich allmählich entwickelte und all seine grausigen Einzelheiten in wohldosierten Abständen preisgab.
Vielleicht hätten wir so bis zum Jüngsten Tag gestanden, wenn nicht Dare seine Box auf den Boden gestellt und eine Pistole unter seiner Anzugjacke hervorgezogen hätte.
Er stieß einen schrillen Schrei aus und feuerte blindlings durch das geöffnete Fenster. Es war wie der Startschuß zum Wettlauf einer Gruppe Katatoniker, deren physische und psychische Krämpfe sich lösten.
In wilder Panik rannten die meisten von uns los, auf die Tür zu, wider jede Vernunft, doch war, einmal in Bewegung geraten, für uns kein Halten mehr möglich.
Herb und ich stürzten inmitten des Pulks durch das Lokal, nur die Flucht vor Augen. Vor uns riß einer der Männer die Tür auf und stolperte hinaus. Zwei seiner Freunde folgten ihm. Dann Kenneth Jefferson. James Stiller im Schlepptau von Trevor Henson, dann der Hund – nicht zu fassen, selbst der Hund rannte in den Tod. Wieder Männer, die ich nicht kannte.
Der nächste wäre ich gewesen, doch blieb mir das Schicksal dieser Bedauernswerten erspart. Von Herb geschoben, wollte ich gerade zur Tür hinaus, als mir feuchte Erde ins Gesicht klatschte. Das war wie eine zur Besinnung führende Ohrfeige einer liebenden Mutter.
Ich blieb stehen, Herb prallte in meinen Rücken, Rufe wurden laut, daß ich weitergehen solle. Dann hörten wir die Schreie. Lang anhaltende Schreie, die den Wahnsinn zu mir herübertrugen.
Ich drehte mich zu Herb um, der entsetzt zurückprallte. Natürlich, in meinem Gesicht klebte keine Erde.
An die folgenden Momente kann ich mich nicht mehr erinnern. Herb hat mir später erzählt, wie ich erst mein Gesicht abwischte, dann mit der Fußspitze die Tür ins Schloß wuchtete, zum offenen Fenster rannte und unter lauten Schreien die Läden zuzog und sie mit der an der Wand lehnenden Querlatte sicherte, daß ich auf dem Weg zum Tresen beinahe auf Joseph Bruners Innereien ausgeglitten wäre...
Ich weiß erst wieder, wie ich mit dem Rücken an dem Tresen lehnte und zum ersten Mal seit vielen Jahren weinte, die rechte Hand und das Gesicht besudelt mit den Überresten eines Gastes.
„Sharky, ein Tuch“, hörte ich Herb sagen.
Sekunden später hockte er sich neben mich und drückte mir einen weißen Lappen in die Hand. Ich wischte mir das Gesicht so gut es ging sauber.
„Was ist das hier bloß?“ stammelte Henry Duncan.
„Jesus“, sagte Burgess McKensey erneut, als lernte er heute sein erstes Wort.
Sharky holte ein doppelläufiges Gewehr nebst einer Schachtel Munition hinter dem Tresen hervor. Die beste Lebensversicherung, wie er mir einmal gesagt hatte. Ich hoffte inständig, daß er recht behielt.
Sharky sah einen nach dem anderen von uns an.
„Was für eine Scheiße läuft hier? Verdammt, was war das gerade?
Seine Stimme zitterte, als stünde er nackt auf einem vereisten See.
„Jesus“, sagte McKensey.
„Der Tod“, kicherte John „JoJo“ Grant. Wenn schockartige Emotionen Betrunkene schlagartig nüchtern machen konnten, traf dies auf JoJo jedenfalls nicht zu. „Der Tod hat uns am Arsch gepackt und...“
Herb richtete sich auf und schlug JoJo mit der flachen Hand ins Gesicht.
„Halt die Klappe, JoJo, verstanden?“
JoJo kicherte weiterhin. Ich sah zu ihm hoch. Seine Augen waren weit aufgerissen. Da war eindeutig zuviel Weiß darin.
„Ich sag´s euch, der hat uns ganz schön am Arsch...“
JoJo!“ schrie Sharky. „Herrgott, mach´s Maul zu!“
„Leck mich!“
Das tat Sharky nicht, dafür schlug er mit dem Kolben der Waffe zu. JoJo fiel wie ein nasser Sack vor meine Füße. Sein Kiefer hing merkwürdig schief. Blut lief raus.
Sharky trat neben ihn und holte erneut aus.
Ich sprang auf und hielt die Waffe fest.
„Sharky, was tust du denn? Willst du ihn umbringen?“
„Der Penner soll einfach nur still sein.“ Dicke Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. „Ich habe eine Mordsangst, ich kann diesen Scheiß da einfach nicht hören!“
„Er ist ja still, Sharky, er ist ja schon still.“
Ich beugte mich zu JoJo hinunter.
„Ohnmächtig, nur ohnmächtig. Gott sei Dank.“
Sharky lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen und ließ das Gewehr sinken.
„Scheiße! Ich hab das Gefühl, daß ich gleich durchdrehe.“
„Laß uns jetzt bloß ruhig bleiben.“
Ich hatte zwar selbst keine Ahnung, wie wir das bewerkstelligen sollten, aber es hörte sich so verflucht vernünftig und gut an.
„Was ist mit dir, Mr. Pistoletti?“ fragte Herb und nickte zu Dare hinüber.
Dare rückte einen Schritt von uns ab und hob die Pistole.
„Was soll mit mir sein?“
„Du weißt doch was!“
„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“
„Wovon ich rede?“ Herb deutete mit zitternden Fingern auf die Toilettentür, auf die blutverschmierte Fensterbank, auf den ausgelaufenen Rest von Joseph Bruner, auf... „Du weißt verdammt noch mal genau, wovon ich rede. Du weißt, was da draußen ist, hab ich recht?“
Dare ließ seine Waffe wieder sinken. Seine Augen schimmerten feucht.
„Ich weiß es nicht... nicht genau.“
„Was genau heißt nicht genau?“
Dare lehnte sich an den Tresen. Er hechelte wie ein Hund.
„Es ist ein Ding... irgendein Ding. Wir hatten Hinweise, Bodenproben, und...“
„Wer ist wir?“
„Das ist unwichtig.“
„Rede! Wer ist wir?“
„Das Ministerium!“ schrie Dare und trat mit dem Fuß gegen den Tresen. „Mehr werde ich Ihnen nicht sagen, aber die haben uns genauso verarscht wie alle anderen hier.“
„Uns?“
„Bill und mich. Oh Scheiße... wir hatten den Auftrag, es zu fangen. Dieses Ding, was sie hier vermuteten. Eine unbekannte Lebensform. Sie nannten es Arche 1. Wie bezeichnend. Diese Bastarde!“
Herb drehte sich zu mir um, er war völlig durch den Wind.
„Verdammt, Jacko, was ist das hier? Ein schlechtes Buch? Ein billiger Agentenfilm?“
Ich konnte nur hilflos mit den Achseln zucken.
„Bill und ich“, fuhr Dare fort, „wir fanden dieses Ding. Dachten wir jedenfalls. Wir fingen es ein. Es war so lächerlich einfach. Und dann war da plötzlich ein anderes Ding. Es muß gewaltig sein. Ich habe es nicht gesehen, ich habe auch nicht gesehen, was es mit Bill gemacht hat. Ich habe ihn nur schreien hören. Dann bin ich gelaufen, immer geradeaus, bis...“
Ein Schaben an der Tür unterbrach ihn.
„Nein, nein, nein“, keuchte Sharky und hob das Gewehr.
Ein dumpfer Aufprall. Noch einer. Das Türblatt zitterte, aber es hielt. Stille für Sekunden. Plötzlich ein leises Geräusch, wie von einem zusammengerollten Teppich, der über eine Fensterkante gezogen wird. Es wurde lauter. Es kam von oben, vom Dach.
Das Ding war über uns und schien die Dachbohlen abzutasten auf der Suche nach einem Durchlaß.
Dann wieder das Schaben an der Tür.
Das Ding war überall.
Herb sah mich mit weit geöffnetem Mund an. Er hechelte, als wäre er auf den letzten Kilometern eines geistigen Marathons, ein Adrenalinhorror mit nackten wundgelaufenen Fußsohlen auf rauhem Asphalt. Er würde zusammenbrechen, wenn er die Ziellinie überquerte. Die Frage war nur, wer von uns beiden der erste dabei war.
Dare schlenkerte wild die Pistole.
„Wir müssen raus hier. Egal wie... hier drin haben wir keine Chance.“
Mit einer zynisch galanten Bewegung deutete Henry Duncan auf die Tür.
„Nach Ihnen, Mr. Dare.“
„Glauben Sie etwa, es kann hier rein?“ wandte sich Sharky an Dare. Seine Stimme hatte denselben präventiv flehentlichen Tonfall wie meine Mutter, als sie meinen Vater regelrecht anbettelte: Du verläßt mich doch nicht, oder?
Mein Dad hatte Mom den Gefallen nicht getan, und Dare enttäuschte Sharky ebenso konsequent.
„Ja.“
Dieses eine Wort genügte.
„Ich geh da nicht raus“, sagte Burgess McKensey. Er konnte doch noch mehr als Jesus stammeln. „Mich kriegt da keiner von euch raus.“
Mir ging plötzlich etwas durch den Kopf. Ein so offensichtlicher Gedanke, daß ich die anderen beinahe dafür haßte, es noch nicht erwähnt zu haben. Ich haßte mich selbst in diesem Moment.
„Mr. Dare?“
„Was?“
Ich trat nahe an ihn heran. Der Lauf seiner Pistole berührte beinahe meine Brust.
„Sie sagten vorhin, Sie hätten das Ding gefangen. Richtig?“
„Ja. Und?“
Ich zeigte auf den Metallkasten zu seinen Füßen.
„Es ist da drin, nicht wahr?“
„Was soll das jetzt?“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“
„Ich wüßte nicht, was Sie das angeht.“
„Es geht uns alle hier an, fürchte ich. Ich frage mich, was dieses Ding da draußen von uns will. Und ich glaube, es will nur etwas zurück, was ihm gehört.“
Dare drückte mir den Pistolenlauf in den Magen, griff langsam nach der Box und trat dann zwei Schritte zurück.
„Wenn mir einer zu nahe kommt, puste ich ihm das Licht aus. Verstanden?“
Sharky mischte sich ein.
„Verdammt, Dare, sind Sie wahnsinnig? Wenn Jack sich nicht irrt... werfen Sie doch diese Box hinaus. Weg damit.“
„Nein.“
„Er hat recht, nicht wahr? Ja, natürlich hat er recht. Sie haben dem Ding etwas genommen, und das will es jetzt wiederhaben.“
„Es ist zu wertvoll. Ich kann es nicht.“
„Dann gehen wir alle drauf.“
„Das wird sich zeigen.“
Mit einem Ruck legte Sharky das Gewehr auf ihn an.
„Nichts wird sich zeigen. Sie werden jetzt diesen Kasten hinauswerfen.“
„Wenn Sie schießen, erschieße ich diesen Mann.“
Dieser Mann war ich. Die Pistole zeigte auf mich, Sharkys Gewehr auf Dare. Ich wollte gar nicht wissen, wer von beiden schneller abdrücken konnte – oder den nervöseren Finger hatte.
Langsam, so daß Dare nicht einmal in einer zu raschen Bewegung meiner Augenlider einen Angriff deuten konnte, drehte ich den Kopf zu Sharky.
„Sharky...“
„Was ist, Jack?“ erwiderte er, ohne Dare aus den Augen zu lassen.
„Laß den Scheiß, okay? Nimm das Gewehr runter.“
„Nein, Kumpel, das werde ich nicht. Ich will, daß dieser Verrückte den Kasten rauswirft.“
„Hören Sie, Mann“, mischte sich Dare wieder ein. „Das bringt doch nichts. Meinen Sie, nur weil ich den Kasten hinauswerfe, läßt uns das Ding in Ruhe?“
„Wir müssen es wenigstens versuchen, geht das nicht in Ihren Schädel?“
„Sie haben ja keine Ahnung, was dieser Fund bedeutet. Für die Wissenschaftler. Für mich.“
„Es geht um Geld, nicht wahr?“ fragte ich.
„Um viel Geld. Das können Sie einfach nicht von mir verlangen.“
Sharky ließ sich nicht beirren.
„Mir egal, was es wert ist. Es ist mir auch egal, was da drin ist. Und wenn es die Queen persönlich ist... das ist mir scheißegal! Ich zähle jetzt bis drei. Ist der Kasten dann noch in diesem Raum, bist du ein toter Mann.“
„Glauben Sie mir doch, ich...“
„Eins...“
„Sharky!“ zischte Herb. „Verdammt, hör auf damit. Der Kerl erschießt noch Jack.“
„Zwei...“
„Halt!“ schrie Dare. „Warte doch mal. Ich tu´s, okay? Die Box raus – schon klar, ich mach´s. Wir werden uns doch hier nicht gegenseitig umbringen.“
Dare ließ die Pistole sinken.
„Gut“, meinte Sharky. „Geh zur Tür. Wirf es fort.“
Mit vorsichtigen Schritten bewegte sich Dare auf die Tür zu, immer im Visier von Sharkys Waffe.
„Beeil dich!“ sagte Sharky.
Über uns waren jetzt wieder diese tastenden Klopfgeräusche zu hören.
Dare blickte nach oben. Wieder in meine Richtung. Seitlich hinter mir stand Sharky. Ich sah nicht, was er tat, aber nach Dares Reaktion zu urteilen, blickte er wohl ebenfalls für einen Moment an die Decke – jedenfalls riß Dare unvermittelt die Pistole hoch und feuerte.
Das ging so schnell, daß ich nicht einmal mit der Wimper zucken konnte. Aber Dare hatte schlecht gezielt. Die Kugel ging fehl, sie traf weder mich noch Sharky, schlug wirkungslos in die Holzvertäfelung des Tresens ein.
Seitlich hinter mir krachte jetzt ebenfalls ein Schuß, der mich für Sekunden taub machte. Sharky war geübt im Schießen – Dutzende toter Soldaten konnten ein Lied davon singen. Die Kugel grub sich in Dares rechte Schulter.
Mit einem Schrei ließ dieser die Waffe fallen – und die Box. Sie prallte auf den Boden, kippte auf die Seite. Das Ding darin stieß ein schrilles Kreischen aus.
Sharky rannte an mir vorbei, stieß die Pistole mit dem Fuß zu mir und wollte sich Dare packen, der gekrümmt in der Mitte des Lokals stand, als eine Deckenbohle brach.
Wir sahen nach oben. Direkt über der Box hatte das Ding ein Loch in die Decke geschlagen. Weiße Splitter und vertrocknetes Laub rieselten herunter. Wieder das dumpfe Grollen. Aus der Box ein erneutes Kreischen.
Kommunikation!
„Komm zurück, Sharky!“ schrie ich, während ich die Pistole vom Boden aufhob. „Komm da sofort weg.“
Eine zweite Bohle brach, die Teilstücke drückten sich wie das untere Ende eines V in den Raum.
Sharky sprang zu uns zurück. Sein Glück – kaum war er dort fort, dröhnte ein erneuter Schlag und riß ein kopfgroßes Loch in die Decke. Für einen kurzen Augenblick sah ich etwas Helles hindurchschimmern, dann war da wieder das Dunkel der Nacht. Doch auch dies währte nur einige Sekunden.
Im ersten Moment sah es aus wie eine Schlange, die sich durch das Loch zu uns hineinwand. Was es wirklich war, weiß ich bis heute nicht genau. Es sah aus wie ein armdicker Tentakel, über und über mit Moos bewachsen, die Haut hatte eine holzähnliche Struktur, die aber erschreckend flexibel war.
Der Tentakel rollte sich wie eine Girlande ab, klatschte auf den Boden, kroch auf die Box zu und umschloß sie mit festem Griff. Das Kreischen verstummte.
Dare, der nur zwei Meter daneben stand, machte tatsächlich eine Bewegung auf die Box zu. Dieser Idiot!
Ein weiterer gewaltiger Schlag, nicht weit neben dem ersten Loch wurde ein zweites in die Decke gerissen. Auch hier drang ein Tentakel hindurch. Ehe noch Dare reagieren konnte, wurde er von dem Arm umschlungen und zu Boden geworfen.
Dare schrie wie ein abgestochenes Schwein – und er hatte auch allen Grund dazu.
Ein dritter Tentakel zwängte sich durch eines der Löcher, klatschte auf den Boden und kroch auf sein Opfer zu, daß wie von einer Würgeschlange umschlungen reglos auf den Bohlen lag. Überall auf diesem dritten Arm bildeten sich lange Risse, die aufbrachen wie zu heiß gegrillte Bratwürste. Doppelreihen nadelspitzer Zähne schoben sich daraus hervor, klappten auf und zu. Zwischen diesen Zähnen zuckten zungenähnliche Muskeln, von denen ein schleimiges Sekret auf Dare hinuntertropfte, als sich der Tentakel über ihn schob.
Die ersten Zahnreihen bohrten sich durch die Kleidung in seine Haut, Blut quoll an Oberarm, Brust und Bauch hervor. Der Tentakel führte kurze, ruckartige Bewegungen aus. Er sägte den Körper des Mannes regelrecht auf. Dann verharrte der Tentakel in der Bewegung.
Ich wußte jetzt, auf welche Weise Churchill auf der Toilette gestorben war. Ich wußte daher auch ganz genau, worauf das Ganze hinauslief, aber ich konnte die Augen nicht von diesem Schrecken abwenden.
Dare schrie und warf den Kopf so heftig hin und her, als wollte er sich selbst die Halswirbel brechen, um diesem Grauen ein Ende zu bereiten. Er versagte.
Die Zahnreihen drückten sich jetzt tief in das aufgesägte Fleisch, klappten unwiderstehlich auseinander, drückten die Wundränder wie eine Spreizzange auseinander. Ich konnte sehen, wie die Zungenmuskel in das Fleisch von Dares Bauch tauchten, darin forschten und leckten, während die Zähne wieder ihre sägende Arbeit aufnahmen.
Dares Schreie verstummten, als eine Zahnreihe seinen Hals so sorgfältig sezierte, daß sie Sekunden später durch war und sich in die Holzbohlen darunter fräste. Der Tentakel, der Dare umklammert hielt, hob den Torso in die Luft, und während er da schwebte, wurde er von dem anderen Tentakel regelrecht in Stücke gerissen.
Als ich die ersten warmen Tropfen ins Gesicht bekam, löste sich meine Erstarrung.
Mit wenigen Schritten erreichte ich das rechte Fenster, riß den Querbalken aus der Halterung und stieß die Fensterläden auf.
„Los jetzt!“ schrie ich den anderen zu. „Entweder jetzt oder nie!“
Sharky und Burgess McKensey reagierten am schnellsten. Ich war noch nicht ganz hinausgeklettert, da kletterten sie mir schon nach. Ich wollte nur noch weg, rechnete jeden Augenblick damit, daß etwas von hinten meine Beine umklammerte, daß ein brennender Schmerz mir das Ende ankündigen würde – aber es geschah nichts.
Henry Duncan und Herb waren die nächsten. Den immer noch ohnmächtigen James JoJo Stiller ließen wir zurück. Niemand von uns wollte jetzt noch den Helden spielen. Wir alle wollten einfach nur unseren Arsch retten.
Dann stürzten wir auf dem Feldweg davon, rannten fort, auf die entfernten Lichter von Midwinter zu. Unterwegs drehte ich mich noch einmal um. Ich wollte das Ding nicht sehen, aber ich mußte es sehen. Ich konnte einfach nicht anders.
Etwas Unförmiges schlingerte und pulsierte auf dem Dach, dutzende Tentakel hatten den Eingangsbereich und das Dach regelrecht eingesponnen. Zwei mächtige Flügel wuchsen aus diesem fleischlichen Gewirr hervor. Dann sah ich den Mond – bis ich begriff, daß es nicht der Mond war, sondern ein Auge.
Ich drehte mich um und stürzte den anderen hinterher.
Wir rannten weiter. Immer weiter. Nur weg.

In den vielen Jahren, die seitdem vergangen sind, hat niemand mehr etwas von diesem Ding gehört, geschweige denn es gesehen. Als hätte es nie existiert. Es gab Tage, da habe ich an meinem eigenen Verstand gezweifelt. Aber wenn ich dann mit Herb, Sharky und Henry Duncan in vielen betrunkenen Stunden darüber gesprochen habe, dann waren diese Zweifel wie weggewischt.
Wir, die wir durch das Fenster kletterten, waren die einzigen, die damals entkamen. Die anderen hat niemand mehr gefunden, ausgenommen fleischige Fragmente, die überall in und um die Hütte verstreut waren.
Für einige Tage standen wir tatsächlich unter Mordverdacht. Der größte Witz aller Zeiten. Als wären wir in der Lage gewesen, püriertes Fleisch aus unseren Freunden zu machen.
Es dauerte Wochen, bis man sich entschloß, ein wildgewordenes Tier dafür verantwortlich zu machen. Es gab einfach keine Erklärung für die monströsen Verwüstungen, die breiten Schleifspuren, die ekstatische Tötung so vieler Menschen, das beinahe restlose Verschwinden der Opfer. Nun, vielleicht gab es doch eine andere Erklärung, aber diese mußte so ungeheuerlich ausfallen, daß man sie wohl gar nicht erst in Erwägung zog.
Wir alle sind trotz dieser Nacht in Midwinter geblieben. Ich weiß nicht, warum, jahrelang noch litt ich unter Alpträumen, und Fahrten durch den Wald konnte ich nicht ertragen. Es war wie einem Gefängnis hier.
Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an alles. Nicht, daß man es vergißt, aber die Erinnerung verblaßt und man verdrängt es zunehmend. Was nicht heißen soll, daß ich jemals noch einmal im Wald spazieren war.
Ich habe mich in all den Jahren in der Stadt selbst sicher gefühlt. Hierher würde das Ding nicht kommen, das war mir auf unerklärliche Weise zur Gewißheit geworden. Jetzt aber bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Es scheint, als wären sie dem Ding auf der Fährte.
Ich streiche die Zeitung glatt und zwinge mich, die Schlagzeile noch einmal zu lesen.
FORSCHERTEAM AUF DER SUCHE NACH DEM URSPRUNG DES LEBENS
Und darunter in kleinerer Schrift:
Wie aus noch nicht bestätigten Quellen verlautet, erhoffen sich die Wissenschaftler, in den Wäldern von Midwinter einen entscheidenden Schlüssel zum Nachweis nichtirdischen Lebens zu finden.
Mein Gott, was, wenn sie diesen Schlüssel finden?

 

Tach ihr beiden...

Ich weiß jetzt fast nichts zu sagen außer: Riesengroßes Danke! Echt, eure Worte gehen runter wie schön lecker Bier an solch heißen Tagen. :)

@ Tamira

auch wenn ich immer an bigfoot dachte und nicht an ein extraterestrisches lebewesen.
Hoffentlich nicht an den Hollywoodstruwwelpeter mit den Kindersärgen :D

deine geschichte quilt über vor lauter geilen metaphern (wie bereits oben erwähnt), lässt sich super lesen.
Supi, freut mich total, echt. An manchen Tagen fallen mir die Dinger fast in den Schoß, da hab ich hier wohl mal Glück gehabt, an anderen weiß ich nicht einmal mehr, wie man Metaffa schreibt.

darf ich katzano zitieren?
Die Rechte liegen bei ihr, hehe. Ernsthaft: danke! (meine Güte, gibt es eigentlich keine Synonyme dafür? Mir fällt nie was anderes ein).

@ Dreimeier

Mitten im Grauen, und dann bringst du die Ruhe fertig von einem Besuch im Fischmarkt zu erzählen.
Astrein, daß du ausgerechnet diese Stelle zitierst. Ich hab nämlich echt überlegen müssen, wie man dieses Bild plastisch rüberbringen kann. Dann fiel mir irgendwann dieser Vergleich mit einem umkippenden Sack ein. Schwupp, schon ging der Prot kurz mal eben auffen Fischmarkt :)

Die von dir erwähnte Stelle mit dem Ohr hört sich wirklich fast so an, als würde er das Müschelken abknibbeln und an die Tür halten. Aber ich glaube, ich werde es so stehen lassen.

Die andere Stelle hat natürlich ein Leck. Das „auf“ kommt gleich noch rein. :)

diese Geschichte ist der Hammer!
Dein Lob auch!

THX
Some

 
Zuletzt bearbeitet:

Sehr spannend und gut geschrieben. Das Wesentliche wurde schon gesagt, ich weiß ich komme viel zu spät.
Aber besser zu spät als gar nicht, wie schon Vultan zu Flash Gordon sagte. Hehe.
Yo, die Story ist nicht revolutionär, wie chazar schon sagte, aber - verdammte Pisse - wen juckt das, wenn man so gut unterhalten wird?
Ich will gleich mal sehen, ob die Empfehlung schon ausgesprochen wurde. Keine Ahnung, warum manche um sowas so ein feiges Theater machen müssen. Als wenn die eine PM Geld kosten täte. Oder ist es Schüchtenheit? Egal.

Edit: Okay, Empfehlung wurde schon ausgesprochen.

r

 

Heyho Somebody,

hervorragende Geschichte. Flott geschrieben, lebendige Figuren, klasse Dialoge.

Das einzige Problem: Was hat Mr. Dare in der Kneipe verloren? Das Ding tötet seinen Partner, er rennt (verständlicherweise) davon, aber plötzlich macht er in einer Kneipe halt, um ein Glas Wasser zu trinken ... erscheint mir unlogisch und unglaubwürdig. Hat er kein Auto? Ich würde meinen, dass Menschen in dieser Situation alles tun würden, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und dieses Ding zu bringen - zumal er ja offensichtlich weiß, dass es auf den Inhalt seiner Kiste aus ist.

Hier besteht - wie ich finde - noch Erklärungsbedarf.

Ansonsten habe ich nix zu meckern *grummel*

Cheers

 

Tach Somebody!

Du hast da eine echt klasse Geschichte hingelegt! Kompliment! Spannung permanent gesteigert, perfekt ausgeleuchtete Charaktere und Örtlichkeiten beschrieben, flüssigen Schreibstil bewiesen, interessante Metaphern eingebaut, u. s. w. ... :thumbsup:

Meine Lieblingsstellen wurden bereits erwähnt, weshalb ich auf erneute Zitierung verzichte. Nichtsdestotrotz möchte ich darauf hinweisen, dass Dir der Abschnitt mit der Schilderung, wo der alte Winston überall lag, am Besten geglückt ist. So etwas wirkt lange nach ...

Hier noch ein paar Stellen, die mir auffielen:

Wie von Mücken, die ihre Rüssel in meine blutprallen Hämmorrhoiden bohren.
... Hämorrhoiden ...
Ein hüfthoher Jutesack, vollgepfropft mit blutigen Fischabfällen, kippte um und ergoß seinen fauligen Inhalt auf das marode Straßenpflaster, und ich schrie, und die Leute sahen mich an wie einen Verrückten, und ich schrie weiter, sie konnte ja nicht wissen, dass ich wieder dieses Bild vor Augen hatte...
... sie konnten ja ...
Ein dritter Tentakel zwängte sich durch eines der Löcher, klatschte auf den Boden und kroch auf sein Opfer zu, daß wie von einer Würgeschlange ...
..., das ...
Die Zahnreihen drückten sich jetzt tief in das aufgesägte Fleisch, klappten unwiderstehlich auseinander, drückten die Wundränder wie eine Spreizzange auseinander.
Unelegante Wortwiederholung.
Ich war noch nicht ganz hinausgeklettert, da kletterten sie mir schon nach.
Dito.

@Wendigo:
Vielleicht befand sich der Autoschlüssel in der Kleidung des gestückelten Partners?
Und: Flüchten macht durstig. Als ich das letzte Mal einem dieser Biester davonrannte, ... :D


Ciao
Antonia

 
Zuletzt bearbeitet:

Vorweg, eine bemerkenswert gutgeschriebene Geschichte, zu der ich nicht viel mehr sagen kann, als hier bereits geschehen ist.
Ich liebe Tentakel.

Einige Worte zur Lokalität, da Du sie in einigen anderen Erzählungen verwenden wolltest kannst Du hoffentlich noch etwas damit anfangen.
Ich habe etwa anderthalb Jahre im Südwesten Englands, gar nicht weit von Stonehenge, gelebt und wäre nie darauf gekommen, daß die Geschichte dort spielen soll. Über einige Andeutungen dafür im Text bin ich eher gestolpert, mich z.B. gefragt warum ein amerikanischer Barmann von Wembley reden sollte.
Es fängt an mit dem Ortsnamen. Midwinter klingt unzweideutig nach Amerika. Orte im Südwesten Englands haben Namen wie Hinton Parva, East Bloxworth oder Turners Puddle (ein Glück, daß ich meine Ordnance-Survey-Karte gleich gefunden habe.)
Ich habe viel Zeit in abgelegenen Pubs am Rande englischer Kleinstädte verbracht, und weder die Atmosphäre noch die Leute in dieser Geschichte haben das geringste damit zu tun. Sie scheinen eher direkt aus einem Dutzend amerikanischer Horrorromane und -filme entsprungen zu sein. Tut mir leid, das sagen zu müssen.
An anderer Stelle ist über englische bzw. amerikanische Namen und Lokalitäten diskutiert worden, und diese Geschichte ist ein Musterbeispiel dafür wie gefährlich es ist, über Orte zu schreiben, die man nicht gut kennt.

Trotzdem, die Geschichte selbst hat Spaß gemacht.
Grüße,
K.

 
Zuletzt bearbeitet:

Na super,

da sind mir ja drei Kommentare durch die Lappen gegangen. Danke auch insofern, J. Korzeniowski (ja, wie kürze ich das denn jetzt mal geschickt ab ... hmmm), aber natürlich insbesondere fürs Hervorkramen aus dem Geschichtenkeller. Echt :)

Relysium, Wendigo, Antonia (danke fürs Aufezigen von Fehlern und stilistischen Fehltritten, werde ich ausbügeln) – sorry und Entschuldigung und so, auch wenn ihr das vielleicht gar nicht mehr lesen werdet, Mann, ich hab euch echt übersehen, wie es aussieht. Tut euch ein Bier notieren.

@ J. Korzeniowski

Vorweg, eine bemerkenswert gutgeschriebene Geschichte, zu der ich nicht viel mehr sagen kann, als hier bereits geschehen ist.
Ich liebe Tentakel.
Freut mich, wirklich. Ich kann mich nicht davon freisprechen, dass ich hin und wieder von Monstren fasziniert bin, und dann eben – ab damit in eine Story.

Einige Worte zur Lokalität, da Du sie in einigen anderen Erzählungen verwenden wolltest kannst Du hoffentlich noch etwas damit anfangen.
Mal sehen ... da ich diese Lokalität zuvor schon in einigen Geschichten verwurstet habe, wird eine (ggf.) nachträgliche Änderung wohl Schwierigkeiten bringen.

Ich habe etwa anderthalb Jahre im Südwesten Englands, gar nicht weit von Stonehenge, gelebt und wäre nie darauf gekommen, daß die Geschichte dort spielen soll. Über einige Andeutungen dafür im Text bin ich eher gestolpert, mich z.B. gefragt warum ein amerikanischer Barmann von Wembley reden sollte.
Okay, du führst noch Beispiele auf, dennoch: soviel Lokalkolorit habe ich doch gar nicht eingebracht – insbesondere die Beschreibung der Örtlichkeit ist eigentlich recht unspezifisch.
An dieser Stelle sei gesagt: ich war noch nie in England.

Es fängt an mit dem Ortsnamen. Midwinter klingt unzweideutig nach Amerika. Orte im Südwesten Englands haben Namen wie Hinton Parva, East Bloxworth oder Turners Puddle (ein Glück, daß ich meine Ordnance-Survey-Karte gleich gefunden habe.)
Es mag sein, dass Midwinter in anderen Ohren nach Amerika oder sonstwas klingen mag – mir selbst gefiel der Name an sich, daher habe ich mir die künstlerische Freiheit genommen, das Städtchen in England aus dem Boden zu stampfen.
Denn eines ist absolut nicht meine Intention: Geschichten im amerikanischen Umfeld anzusiedeln. Denk ich an Horror, denk ich an England – trotzdem ich die Insel (bislang) leider Gottes noch nicht betreten habe.

Ich habe viel Zeit in abgelegenen Pubs am Rande englischer Kleinstädte verbracht, und weder die Atmosphäre noch die Leute in dieser Geschichte haben das geringste damit zu tun. Sie scheinen eher direkt aus einem Dutzend amerikanischer Horrorromane und -filme entsprungen zu sein. Tut mir leid, das sagen zu müssen.
Muss dir nicht leid tun, ist eine wertvolle Anregung für mich, mal über die Darstellung von Gegenden und Protagonisten in meinen Geschichten nachzudenken. Allerdings sehe ich auch hier nicht, inwiefern meine Prots „typisch“ amerikanisch sind. Woran stößt du dich im Speziellen?
Ich hätte die Geschichte ebensogut in Castrop-Rauxel spielen lassen können, das hätte auf die Darstellung der Prots wohl nicht viel Einfluss gehabt.
Was ich auf keinen Fall möchte, ist, den typischen Engländer oder meinetwegen auch den typischen Amerikaner rüberzubringen – allerdings wäre ich dir dankbar, wenn du mir einige allzu augenfällige Unstimmigkeiten vor den Latz hauen könntest.

An anderer Stelle ist über englische bzw. amerikanische Namen und Lokalitäten diskutiert worden, und diese Geschichte ist ein Musterbeispiel dafür wie gefährlich es ist, über Orte zu schreiben, die man nicht gut kennt.
Da bin ich zwiegespalten. Einerseits hast du recht, je besser man die Örtlichkeit selbst kennt, umso authentischer kann man darüber schreiben. Andererseits schränkt mich das aber auch wieder zu sehr ein – ich komm einfach nur schlecht rein in Geschichten (vor allem, wenn es das Horrorgenre betrifft), die in Moers-Asberg oder Duisburg-Rheinhausen spielen.
Versteh mich nicht falsch, ich nehme deine Anmerkungen sehr ernst, weil ich auch weiterhin meine Stories überwiegend in England ansiedeln werde – wenn mir da Murks unterläuft, bin ich natürlich bestrebt, dies in Zukunft weitgehend zu eliminieren.
Nur, insgesamt, ich sehe diesen typischen amerikanischen Horror nicht in meiner Geschichte. Natürlich Käse, wenn es dem Leser so geht.

Also, gibt es ein, zwei prägnante Aspekte, die du mir nennen kannst?

Vielen Dank auf jeden Fall auch dir fürs Lesen, Kommentieren und die Hinweise/Anregungen :)

Some

 

Ich kann grad eh nicht einschlafen, deshalb noch einige Gedanken:

...insbesondere die Beschreibung der Örtlichkeit ist eigentlich recht unspezifisch.
Das ist richtig. Für die Geschichte selbst ist es nicht weiter relevant, wo sie spielt. Nichtsdestotrotz liegt Dir ja daran, sie an einem bestimmten Ort anzusiedeln, und da muß man zwangsläufig etwas spezifischer werden.

Nun etwas genauer dazu, weshalb sie einen amerikanischen Eindruck auf mich gemacht hat.

Der Name Midwinter ließ mich sofort an Midwinter, South Dakota oder sowas denken. Soll natürlich nicht heißen, daß es vollkommen unwahrscheinlich ist, daß es in England eine Stadt namens Midwinter gäbe. Hieße sie aber beispielsweise Midham Wintrington wäre es eindeutig, daß sie nur in England liegen kann.

Die Beschreibung der Kneipe tut ein übriges. Sie ist wieder recht vage, aber zu Landstraße - Blockbohlen - Waldrand hat meine Vorstellung sofort einen riesigen Parkplatz voller Pickups und eine Leuchtreklame für Bud Light im Fenster geliefert. Jetzt steht das alles zwar nicht so im Text, englische Pubs sehen aber doch etwas anders aus.

Letztendlich sind es die alten Säufer, die das amerikanische Bild abrunden. Das ist zum Teil natürlich Unfug, in englischen oder deutschen Kneipen gibt es genauso alte Säufer. Alte Knacker die in Kneipen herumhängen sind allerdings ein derartiger Topos in amerikanischen Romanen und Filmen, daß die Assoziation sich schnell aufdrängt.

Zusammenfassend würde ich es vorläufig so eingrenzen: durch die englischsprachigen Namen gibst Du eine bestimmte Richtung vor, bleibst dann aber zu sehr im Allgemeinen, weshalb der Leser die Lücken selbst füllt. Nun werden wir dermaßen mit amerikanischen Filmen und Serien berieselt, daß die entsprechenden Bilder von selbst kommen.

Wenn man dem Leser jetzt glaubhaft machen will, daß die Geschichte in England spielt, ist es unabdingbar, konkreter zu werden. Kleinigkeiten sind da schon völlig ausreichend, ein Hinweis auf die Sperrstunde, Doppeldeckerbusse, die in England tatsächlich nicht nur in den Städten sondern auch den abgelegensten Käffern rumfahren, einheimische Biersorten (die andererseits den meisten Lesern nicht viel sagen werden).

Südengland ist eine großartige Gegend, ich bin da schon viel zu lange nicht mehr gewesen. Jetzt habe ich beinahe Heimweh bekommen.
Grüße,
K.

 

Hallöchen Some!

Ich kann gar nicht glauben, dass ich diese Geschichte wirklich noch nicht kommentiert habe, gehört sie doch zu meinen absoluten Lieblingen hier auf kg.de. Mindestens schon fünfmal gelesen und auch beim sechsten Mal noch gut. :) Der Stil kommt wunderbar cool und dreckig daher, überspringt ab und zu gekonnt Jahre und Jahrzehnte.

Meine gefundenen Schätze:

Und ich wette hundert zu eins, daß die Würmer, die jetzt an ihm nagen, sich neuerdings mit einem fröhlichen Lachen durch die Totenerde wühlen.
:thumbsup:

Er hielt die Box umklammert, als hätte ihm jemand die Hoden abgeschnitten, sie in diesen Kasten gelegt und ihm gesagt, daß man die Testikel wieder annähen konnte, wenn er nur gut acht auf diesen Schatz gäbe.
:lol:

... neben der Kloschüssel. Er lag in der Kloschüssel. Er lag in der gegenüberliegenden Ecke. ...
Wunderbar plastisch.

Ein hüfthoher Jutesack, vollgepfropft mit blutigen Fischabfällen, kippte um und ergoss seinen fauligen Inhalt auf das marode Straßenpflaster, und ich schrie, und die Leute sahen mich an wie einen Verrückten, und ich schrie immer weiter, sie konnten ja nicht wissen, daß ich wieder dieses Bild vor Augen hatte.
Auch sehr schön. Das ist so eine gekonnte Zeitsprung-Stelle.

Das war wie eine zur Besinnung führende Ohrfeige einer liebenden Mutter.
:lol:

- bis ich begriff, dass es nicht der Mond war, sondern ein Auge.
:thumbsup:

Nix zu meckern, meiner Meinung nach einfach ein ganz rundes Ding.

Beste Grüße,
Seaman

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom