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Das Dorf B.

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28.08.2003
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Das Dorf B.

Justiz in B.

(B. ist ein kleiner Ort irgendwo auf dieser weiten Welt, die einem doch so klein scheint. Er kann für eine jede Stadt stehen, wo ein Geheimnis nicht lange geheim bleibt.)

Einst war diese kleine Stadt Schauspiel einer wahrhaftigen Sensation. Wahrhaftig ist vielleicht das falsche Wort, denn für uns Stadtmenschen ist dies Ereignis alltäglich und kann nicht in den jeweiligen Relationen gesehen werden. In einer Grossstadt ist es nichts aussergewöhnliches einen Fremden in die Stadt kommen zu sehen, ja, wir merken es nicht einmal, denn der Bevölkerungsboom ist wahrlich nicht mehr aufzuhalten. In einem Dorf wie B. ist dies jedoch nicht so. Selbst, wenn der Junge, welcher morgens die Zeitungen konsequent auf das Dach des Hauses – sehr zum Frust des Abonnementen – wirft, wechselt, so ist dies auf jeden Fall fünf Minuten Klatsch und Tratsch beim örtlichen Friseur wert. Die Leute in B. sind nicht gerade kontaktfreudig. Sie gehören zu denen, welche schon seit einigen Jahrzehnten denselben Gemeindepräsidenten haben und auch seine Politik nicht anzweifeln. Sie sind bequem und man ist fast gewillt zu sagen faul, doch dieses Wort scheint in dem Örtchen nicht bekannt zu sein, da es auf alle zutrifft und so relativiert wird. Die Bewohner fahren selten in die Ferien und wenn, dann nur zu Verwandten. Sie scheuen die Grossstadt, nicht der grossen Entfernungen wegen, sondern der Menschen wegen. Recht war nur der, der hier wohnte.
Das Ereignis, von dem ich berichten will, ist vor nicht allzu langer Zeit in B. passiert. Eines Abends, als alle Bewohner zu Hause beim Essen sassen, kam auf der Landstrasse, welche das Dörfchen wie ein Strich durchzog, ein Fremder. Seine Kleider waren zerfetzt, das Gesicht unrasiert, einen Rucksack trug er und seine Schuhe schienen einen langen und anstrengenden Weg gegangen zu sein. Er lief weiter ins Dorf hinein. Die Vorhänge bewegten sich zugleich, obwohl niemand auf die Strasse kam. Die Telefone liefen heiss und die Bewohner entwickelten eine nicht geglaubte Aktivität.
Der Fremde lief weiter bis zum Wirtshaus. Es war ein schönes Gebäude, schien älter, aber noch gut erhalten zu sein. Der Unbekannte öffnete die schwere Tür und trat ein. Ihm bot sich ein kleiner Saal, in welchem es nur so von kleinen Tischen und Stühlen wimmelte. Die Wände waren mit Postern beklebt, die von Plastik-Rahmen verziert waren um so den Eindruck von Reichtum zu erwecken. Der Unbekannte ging nach vorne und setzte sich an Theke.
„Was darf es sein?“, fragte der Wirt, ein rundlicher Kerl, welcher sein strengstes Gesicht aufgesetzt hatte. Die fehlenden Haare sorgten zusammen mit der verschmierten Schürze für einen unsympathischen Eindruck.
„Ein Bier.“
Das Bier wurde gebracht. Langsam trank er es. Der Saal mit den Stühlen, welche vorhin so unnütz schienen, füllte sich langsam. Nach und nach kamen die Männer des Dorfes, setzten sich in eine Ecke und warfen ab und zu Blicke zum Fremden an die Bar. Der Saal schien gefüllt und zum Schluss kam der Stadtpolizist ins Wirtshaus. Er ging pfeilgerade auf den Unbekannten zu.
„Ihre Papiere, bitte.“, sagte er in einem unhöflich bürokratischen Ton aus welchem die Verachtung nur so herauszuschiessen schien.
Der Unbekannte würdigte ihn keines Blickes und trank sein Bier weiter.
„Die Papiere, Wollenpoth, her damit!“
„Wenn“, fing der Fremde, den Blick immer noch nach unten gerichtet, an, „wenn Sie meinen Namen kennen, wozu wollen sie die Papiere?“
„Hör zu, Wollenpoth, ich weiss, dass du aus dem Gefängnis ausgebrochen bist; ich weiss, dass du gesucht wirst. Vergewaltigung - eine schlimme Sache...“ Schweigen trat ein. „Doch“, fuhr der Polizeibeamte fort, „will ich keinen Ärger. – Pack dein Zeug zusammen und verlasse die Stadt. Du warst nie hier, verstanden?“
Schweigend nahm der Fremde seine Sachen, warf einige Münzen auf den Tisch und verliess das Dorf B. Die Bewohner kehrten zufrieden in ihre Häuser zurück und der Polizist bestellte sich Bier um seinen Sieg zu feiern. Das Dörfchen B. war frei von Gesindel. Wollenpoth jedoch setzte seine Reise ungehindert fort und erfreute sich an der Justiz der Bewohner.

 

hi admer

Hm, dein Schreibstil hat mich (in seinen besseren Phasen ;)) ein bisschen an Kafka erinnert. Die altertümliche Schilderung des Dorfes, der Fremde, der in ein Wirtshaus kommt (siehe der Anfang von "das Schloss")...

Ich denke, jeder, der einmal in einem größeren Dorf gelebt hat, kann deine Schilderungen nachvollziehen. Es wird tatsächlich viel getratscht, zumindest unter den Alteingesessenen.
Allerdings scheint deine Erzählung in der Vergangenheit zu spielen, der Landstreicher, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist und der "Dorfpolizist", der keinen Ärger will: das erinnert doch stark an den wilden Westen :)

Der Schluss hat mich nicht überzeugt, ich denke, du wolltest dadurch nur die Ängstlichkeit der Dörfler und ihre Bemühtheit um Diskretion darstellen, aber mir kommt das ziemlich übertrieben vor, ist heute nicht mehr nachvollziehbar.

Die Sprache ist dir ganz gut gelungen, irgendwie altmodisch, aber das war sicher beabsichtigt.

Liebe Grüße
wolkenkind

 

@wolkenkind
danke für deinen kommentar. Ehrlich gesagt bin ich kein grosser Kafka Fan, aber trotzdem sehe ich dies als kompliment an.
Das Fazit meiner Geschichte ist nicht die Ängstlichkeit der Dorfbewohner, sondern vielmehr die Kritik an einer Gesellschaft (hier anhand des Dorfes dargestellt), welche sich mehr um ihre eigenen Dinge (ihr eigenes Ansehen, Vermögen, etc.) kümmert als um Gerechtigkeit.
Der Wild-West-Vergleich ist sicherlich naheliegend, doch darauf wollte ich nicht hinaus. Es gibt auch heutzutage solche kleinen Dörfer mit ihren Polizisten in vielen Ländern, welche nicht gerade an unseren Lebensstandart herankommen. Dort ist es tatsächlich so, dass es nur ein Wirtshaus gibt und auch lange Landstrassen....
Danke nocheinmal für deinen kommentar. Ich nehme ihn mir zu Herzen.

Gruss
admer

 

Ja, das mit der Gesellschaftskritik hab ich mir auch schon gedacht. Aber wenn man sich um sein Ansehen sorgt, kommt das der Angst vor dem schlechten Ruf gleich.
Damit, dass es auch heute noch solche Dörfer gibt, hast du wahrscheinlich recht, hab einfach nicht an andere Länder gedacht :hmm:
Aber dann kritisierst du ja auch eher die Leute dort und nicht unsere Gesellschaft. In unseren Dörfern geht es eher ziemlich anonym zu, man weiß z.T. nicht einmal, wie die Nachbarn heißen ;)

 

Da hast du sicherlich recht, ich weiss auch nicht, wie meine Nachbarn heissen... Aber bei uns kommt dies auch vor. Dass ich nun dieses kleine Dorf in einem anderen Land gewäht habe, ist Zufall. Ich glaube man sollte es generell auffassen...

 

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