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Das Ende des Regens
Ich sitze in meinem Zimmer. Es ist dunkel, fast schwarz. Nur eine schwache Kerze brennt auf meinem Tisch. Draußen regnet es. Ich höre die Tropfen, wie sie gegen die heruntergelassenen Rollläden schlagen. Es ist eigentlich schon Mittag, doch ich habe nicht die Kraft, in den Tag zu treten. Ich sitze auf meinem Stuhl und betrachte die Kerze. Sie flackert leicht, wenn ich ausatme. Bald wird sie ausgehen. Sie ist beinahe heruntergebrannt. Ich rieche den Schwefel, der sich mit der Luft vermischt. Eine Träne rollt mir über die Wange. Das Bild der Kerze verschwimmt vor meinen Augen. Ich schließe sie und spüre eine weitere Träne. Mir ist kalt. Und der Geruch der Kerze wird langsam beißend. Ich öffne die Augen erneut und blicke wieder auf sie. Langsam wird ihre Flamme schwächer...
Mir fährt wieder der Gedanke an Marie durch den Kopf. Wie sie über mich lacht, nachdem ich ihr meine Liebe gestanden habe. „So was wie du?“, hatte sie gespottet.
Erneut rollen Tränen über mein Gesicht. Draußen donnert es. Sie war immer zärtlich und einfühlsam gewesen, zu ihren Freunden. Aber nicht zu mir. Sie hatte es den anderen erzählt. Und wieder sehe ich die Finger, die auf mich zeigen, und sehe die spottenden Gesichter...
Erneut muss ich die Augen schließen. Sie brennen – wie mein Herz. Langsam spürte ich die Müdigkeit. Vor mir liegt eine leere Packung Schlaftabletten.
Wann habe ich das letzte Mal gelacht? Wann habe ich eine Freude verspürt? Wieder erscheint ihr lachendes Gesicht. Und ihr Finger zeigt auf mich. Ich muss schluchzen. Meine Nase verstopft. Ich bekomme kaum Luft. „Wie konntest du mir das antun?“ Ich spreche diese Worte nicht. Ich habe keine Kraft mehr. Der strömende Regen rückt in immer weitere Ferne. Ich lehne meinen Kopf an die Tischkante. Er wird schwerer und schwerer. Ich glaube ihre Lippen zu sehen. Ihre Wangen und ihr langes goldenes Haar, das über die Schultern gleitet. Eine zierliche Gestalt; aber sie lacht. Sie lacht über mich. Jeder lacht über mich. Und wieder sehe ich ihre Freunde. Wie sie mit dem Finger auf mich zeigen und lachen. „Warum bist du so ein Versager“, denke ich.
Ich will noch einmal die Kerze sehen. Will mich noch einmal in der Flamme verlieren. Mit letzter Kraft hebe ich den Kopf und öffne die Augen. Doch die Kerze ist erloschen. Eine leichte Rauchsäule dringt durch das Schwarz, das mein Zimmer einhüllt. Ein letztes Mal spüre ich eine Träne auf meiner Wange.
„Sie wird es gar nicht interessieren. Man wird es ihr sagen, und sie wird lachen. Endlich ist er weg, wird sie sagen.“ Diesen einen letzten Gefallen will ich dir noch tun. Marie. Marie. Marie...
Der Regen versiegt, und die Sonne bricht durch. Durch einen kleinen Spalt im Rollladen dringt ein heller Schein auf mein totes Gesicht.