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Das Ende ist ein Lied

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31.07.2001
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Das Ende ist ein Lied

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Intro:
Wieso ausgerechnet wir Fünf den Tag überlebt hatten, kann ich nicht sagen.
Vielleicht hatten wir noch zu lernen.
Zu der Zeit, als ich unterwegs zum Bunker gewesen war, hatte die Stadt mit dem aufgewartet, was ich als geborener Stadtmensch eine wirklich perfekte Atmosphäre nenne. Klar, es war Sommer und das Wetter klasse gewesen. Klar, dass mit den Temperaturen die Laune der Menschen in unserer Betonarena gestiegen war und sogar die, welche den Tag aus beruflichen Gründen von Stahl, Glas und Mörtel umgeben an ihren Schreibtischen oder Kassen, Maschinen und Rechnern verbringen mussten, genossen es, wenn die Sonne sie zwischen zwei und vier in ihrer Umsatzhölle besuchte.
Für mich war das Geld zu der Zeit kein Problem. Mich trug der Staat. Die Ausbildung mit einem korrekten Abschluss hinter mir, hatte ich nicht mehr zu tun, als den Sommer zu genießen. So lange man nicht selbst aktiv wurde, war man doch nicht in der Gefahr, angeschrieben zu werden, vor allem mit einem frischen Zeugnis in der Tasche.
Dementsprechend verhielten sich auch Jesper und Jonte. Wir drei waren die Schmarotzer in der Band. Cedric ließ ab und an einen seiner Sprüche ab – aber irgendwie schien er darüber zu stehen – vielleicht durch Cosima, mit der er letzten Monat zusammen gekommen war. Ich fand seine neue Ruhe diesbezüglich erstaunlich, bei dem kapitalistischen Arsch von Vater, der ihn in die Welt geworfen hatte. Von diesem hatte er wohl auch den Zwang geerbt, Geld immer nur durch eigene Arbeit zu verdienen. Cedric hatte bei einem der große Discounter angefangen. Von denen gab es zumindest in unseren Stadtresten sicher keine Filiale mehr. Was auch egal ist, denn ich glaube nicht, dass sein Vater besonders stolz darauf gewesen war, dass sein fleischgewordenes Spermium die vergammelten Zucchini aus der Gemüseabteilung entfernte.
Nun, es ging um die Atmosphäre der Stadt an dem Tag. Das Wetter hatten wir bereits, aber was unbestreitbar davon beeinflusst wurde, waren die Frauen. Ich meine, man stelle sich einen Mann im Winter vor: Dicke Klamotten, eingemummt und unansehnlich; im Sommer rennen wir in Shorts und T-Shirt herum. Nach außen kein großer Unterschied. Dagegen die Frauen – im Winter nicht viel anders, da begeistert einen vielleicht die Vorstellung, wie die Nippel trotz der Verpackung darüber härter werden. Aber dann in den warmen Monaten – ich schwöre, ich könnte den ganzen Sommer hindurch die Straßen unserer Stadt durchstreifen und sie mir anschauen. Ihre Rundungen, ihre ganzen Reize erblühen in dieser Zeit und immer, wenn man denkt, man hat das Beste bereits gesehen, erwartet einen an der nächsten Ecke etwas Aufregenderes, etwas, das den Highscore weiter in die Höhe treibt. Am offensichtlichsten ist es im Park. Logisch, da wollen sie nichts anderes als betrachtet zu werden. Aber viel besser ist es an Plätzen, an denen man sich vorstellen kann, es wäre einfach nur die Hitze, die sie dazu veranlasst, möglichst viel Haut zu zeigen. Die sie dazu bringt, nur die wichtigen Stellen zu verdecken. Das macht mich richtig an. Die Bedienung einer Kneipe mit Terrasse. Oder eine von ihnen als Fahrradkurier – überhaupt Frauen auf Rädern. Vielleicht eine, die ihr soziales Jahr durchzieht und irgendeinen Alten im Rolli über die Straße schiebt. Und am besten noch eines von diesen engen T-Shirts trägt. Eines, auf dem vielleicht ‚Zicke’ steht. Ich stelle mir vor, sie denken nicht darüber nach, was sie den Männern der Stadt antun. Sie tun es einfach, weil es so heiß ist. Sie wissen nicht, dass man sich als Mann besser hinsetzt, wenn man sich in Gedanken zu lange damit beschäftigt, die Situation abändert. Und dann wartet.
Ja, damit ist schon der wichtigste Punkt genannt, den ich angeben würde, wenn man von mir wissen wollte, warum ich den Sommer so liebe. Aber letztendlich ist es doch einfach diese Atmosphäre als Ganzes, die zwischen den Hochbauten auflebt. Alles ist hell, freier und das Leben scheint in den Momenten, in denen man dies erkennt, einfach etwas jünger und länger zu sein. Es trägt diesen Hauch von Unendlichkeit und verdeckt seine Ecken und Kanten.
So hatte ich auch auf dem Weg zum Bunker empfunden. Ich hatte die S-Bahn beim Fluss verlassen und war, meine Gitarre auf dem Rücken, irgendwann auf Jesper gestoßen.
Er war der Sänger, ich der Gitarrist. Gut, er spielte Gitarre und ich sang auch, aber wenn mich jemand fragen würde, so hätte ich immer diese Aufteilung genannt. Jesper Sänger, ich Gitarre, Jonte Bass und Cedric hinter der Taktbatterie. Zusammen alles, alleine nichts.
Wir alle waren inmitten in der Sommeratmosphäre gefangen gewesen. Hatten nicht wenige sehr erfolgreiche Auftritte hinter uns gehabt und uns seit fünf oder sechs Wochen in einem Rausch befunden. Gute Kritiken in zwei oder drei stadtbekannten Magazinen, mehrere extrem positive Reviews im Internet und mit etwas Glück die erste richtig wichtige Connection geknüpft. Zusammen erreichten wir den Bunker und unseren Proberaum, von dem wir damals noch nicht gewusst hatten, wie existenziell er für uns werden würde.
Musikbunker sind etwas besonders. Wer noch nie in einem gewesen ist, wird das nie verstehen. Zuerst besticht er durch seine unaufdringliche Existenz. Ein inoffizielles Denkmal an die Scheiße des letzten Jahrhunderts. Oft ist die Vorderfront von mehren schönen Bäumen verdeckt und doch hat dieser Bau die Macht, eine ganze Straßenkreuzung zu dominieren. Wenn die Eingangstür durch das Spiel von Licht und Schatten durch die Äste hindurch beleuchtet wird, prahlt sie beinahe mit einem Schein von Heiligkeit.
Außen und innen erzählen die besprühten Wände Geschichten; zumeist unwichtig, aber es gibt Wahrheiten dazwischen und einige wenige davon habe ich mir bewahrt.
Wenn man eintritt, verlässt man die Welt für eine gewisse Zeit.
Ich weiß noch, wie die Musik der probenden Bands durch die schweren Türen hallte, als Jesper und ich durch die Gänge gegangen waren. Auch wenn einem die Musik, die dort gespielt wird, nicht gefällt oder man merkt, dass Anfänger ihre ersten zaghaften Schritte wagen, gibt es immer den kurzen Moment, in dem man die Verwandtschaft erkennt. In dem man die gleichen Träume oder manchmal auch denselben Frust durch die Türen dringen spürt.
Und dann gibt es diesen Augenblick, in dem man den eigenen Raum betritt.

Erste Strophe:
„Gerret!“
Ich sah müde auf. Schaute direkt in Cedrics erschöpftes Gesicht.
„Dein Wasser für heute Abend – wenn die Uhr noch stimmt.“
Automatisch sah ich zu dem kleinen Wecker. Es war eine dieser vollkommen hässlichen Comicuhren, die man in Ramschläden für einige Euro kaufen konnte. Ein ewig grinsendes Gesicht
dem egal ist, was draußen abgeht
von dessen Nase zwei Zeiger abgingen. Zehn Uhr. Am wievielten Tag?
Ich nahm den Becher aus seiner Hand und trank. Langsam. Dabei sah ich mir unseren Raum wieder an.
Wir gaben
hatten ausgegeben
jeden Monat einen knappen Hunderter für die zwanzig Quadratmeter aus. Im Gegensatz zu unserem letzen Raum gab es in diesem Bunker eine Toilette in der das Licht funktionierte und einmal die Woche kam sogar ein Reinigungsdienst. Jedenfalls vor dem großen Slam.
Die Belüftung war in Ordnung gewesen, das Dämmmaterial ebenso. Schon bei der ersten Probe war uns der gute Sound aufgefallen. Eine gute Probe steht und fällt mit dem Sound. Klar, viele würden sagen, zum Proben langt es, wenn man die anderen zumindest hören kann. Aber das ist falsch. Ein neuer Song wächst mit Energie, wenn der Sound stimmt. Wenn nicht, ist er ein steriles Stück, aufgeteilt in einen Anfang, die Strophen, den Refrain, das Ende und ab und an mal einige Parts dazwischen. Mit gutem Sound ist er ein Tier, das sich von einer Wand gegen die andere wirft und einem beim Spielen Tränen in die Augen treibt. Deshalb mag ich diesen Raum. Hier lebt das Tier.
Unsere Instrumente lagen jetzt alle in einer Ecke. Direkt unter den Plakaten unserer letzten Auftritte. Das ist auch ein weiterer Pluspunkt des eigenen Proberaums: Man richtet ihn sich ein. Im Prinzip gleicht das wohl der Werkstatt eines Künstlers. Hier ist man kreativ und dementsprechend muss man sich wohlfühlen. Wir hatten ein Sofa und einen kleinen Tisch in der einen Ecke platziert; die Wände mit den Gardinen aus den Siebzigern behängt, die Jesper so liebt. Zugegeben, zusammen sehen diese Stofffetzen irgendwie krank aus, aber sie machen den Raum ebenso aus wie Cedrics Pearl-Set und die Boxen von Jesper, Jonte und mir. Jonte hatte seinen Bassamp damals aus zweiter Hand gekauft und er glaubt fest daran, dass der ‚Property of Gene Simmons’ - Schriftzug darauf echt ist. Und wieso nicht – man weiß ja nie, welchen Weg diese Dinger gegangen sind.
Ich leerte meinen Becher und sah zu Cedric, der immer noch vor mir stand.
„Wie viel Wasser ist noch da?“
Er schüttelte kurz den Kopf, als würde er seine Gedanken zurechtrücken.
„Langt noch für ein paar Tage. Außerdem ist noch Cola da. Und Korn, wenn Du willst.“ Er lachte trocken auf.
„War echt ne gute Idee von euch, einkaufen zu gehen.“ Ich sah dabei zu Cosima. Sie war – wie gesagt - Cedrics Freundin und hatte ihn eigentlich nur nach oben begleitet, weil sie Jesper irgend etwas hatte fragen wollen. Als wir alle vielleicht fünf Minuten hier gewesen waren, war der große Knall gekommen.
Nun, es war eben unser Glück, dass die beiden zuvor für die Party eingekauft hatten, die an dem Abend bei ihnen hatte stattfinden sollen.
Cosima sah müde zurück und nickte. Sie war die letzte Zeit über sehr ruhig gewesen und man konnte Cedric die Sorge darüber ansehen. Wir anderen hatten bis heute morgen immer wieder probiert, die Tür zu öffnen, aber der halbe Bunker schien zusammengefallen zu sein und die Tür hatte sich nicht bewegen lassen. Der Lärm
die Macht
des großen Crashs hatte uns auch eigentlich auch nichts anderes vermuten lassen können. Die Vorstellung darüber, wie viel Betonschrott die Tür tatsächlich versperrte, hatte mich bis in meine Träume verfolgt. Dadurch würden wir allein nie kommen.
Jesper und Jonte saßen in einer anderen Ecke und spielten Karten. Die hatte Jesper immer dabei. Es gab kaum etwas, das die Zeit vor einem Auftritt besser totschlug und sobald es um die Band ging, hatte er einen Satz in der Tasche. Das ging schon immer so und ich weiß nicht mehr, ob es jemals anders gewesen war. Die beiden schienen das Ganze anders zu verarbeiten als wir drei. Jonte hatte gestern auf seinem Amp gesessen und Bassläufe gespielt. Von unserem neuesten Song.
Cedric drehte sich um und ging in die Scheißhausecke.
Recht schnell war uns klar geworden, dass wir so etwas brauchen würden. Trotz unserer rationalisierten Essensvorräte mussten wir alle scheißen und pissen. Da Cosima die erste gewesen war, die einen akuten Drang verspürt hatte, hatten wir eine der Gardinen abgenommen und mit dem Tacker, mit dem wir die Plakate an der Wand befestigten eine Ecke abgegrenzt. Unsere persönliche und ganz private Scheißecke. Schon zu Beginn unseres Trips hatte ich Gott gedankt, dass der Mülleimer einen gut schließenden Deckel hatte. Der Gestank war immer noch erträglich – und man gewöhnt sich ja an fast alles. Das geht so schnell. Nach vielleicht zwei Tagen haben wir anderen, die gerade nicht die Ecke benutzen, bereits aufgehört, absichtlich übertönende Geräusche zu machen.
„Viel Spaß“, rief ich ihm hinterher und er hob im Gehen müde die Hand, bestätigte, dass er ihn haben würde. Ich erhob mich, ging zur Tür und lauschte. Die letzte Hoffnung, die ich hegte, war die, dass es da draußen noch andere Bands gab, die auch überlebt hatten. Von außerhalb unserer Welt konnten wir sicher keine Hilfe mehr erwarten; würde sich noch irgendwer um diesen Bunker scheren, wäre noch irgendwer da, so hätten wir es sicher vor einigen Tagen erfahren. Aber es war immer nur ruhig. Gestern hatten wir versucht, darüber zu reden, es aber bald gelassen, denn alle Gedankengänge waren lediglich frustrierend. Es war klar, dass nicht nur unser Bunker zusammengefallen war, denn in dem Fall wären irgend welche rot-weißen Rettungstrupps sicher längst zu uns vorgestoßen. Also war es umfassender gewesen. So unwahrscheinlich es für unser Land – das sich stets an die Mächtigsten gehalten hatte – auch war, irgend etwas Großes war vom Himmel gefallen und hatte alles ausgeblasen. Der schöne Sommertag, den ich noch von meiner Ankunft in Erinnerung hatte, sah heute sicher anders aus. War sicher grau. Sicher dunkel. Uns irgendwo sah ich vor meinem geistigen Auge den Pilz, der sich vor einigen Tagen über unserer Stadt erhoben haben musste. Besser nicht daran denken. Besser den schönen Tag in Erinnerung behalten. Die hellen Straßen. Die bunten Parks und das Gelächter. Und die vielen Frauen. Wie Cosima zum Beispiel.
Ich wandte mich von der Tür ab und sah zu ihr hinüber. Wie auch immer Cedric es geschafft hatte, sich diese Frau zu angeln – er hatte eines der besten Stücke erwischt. Natürlich trug sie genau die Sachen, die alle Frauen an jenem letzten schönen Tag getragen hatten. Dünner, blau-weiß karogemusterter Rock. Das Top eng, kurz und hellgrün mit einem blauen Schriftzug einer Band, die ich noch nie gehört hatte, von der sie aber oft erzählte. Sicher keinen BH. Ihr Haar war lang, war schwarz und glatt. Dazu ihre algengrünen Augen, die eigentlich immer groß und sprühend waren. Die letzten Tage hatten sie abstumpfen lassen, aber sie sahen immer noch schön aus. Mehr als einmal war Cosima das Bild gewesen, vor dem ich mich zu Hause mit mir beschäftigt hatte.
Cedric schob die Gardine zurück und kam wieder zu uns. Er ging an ihr vorbei und setzte sich hinter sein Drumset. Die letzten Tage über hatte ich mich ab und an gefragt, warum die beiden sich so selten in den Arm nahmen. Hätte ich gerade eine Freundin und wäre sie hier, ich würde mit ihr sicher den Trost teilen, den wir alle so dringend brauchten. Er schien sich mehr mit seinem Set zu trösten. Jedenfalls saß er mehr dort als bei ihr.
Ich ging zu Jesper und Jonte und griff in das Kartenspiel ein.

Erstes Solo:
Ich saß hinter meinem Drumset und beobachte Jesper, Jonte und Gerret beim Kartenspielen. Und mein steigendes Misstrauen wurde von Wehmut durchzogen. Ich erinnerte mich an den letzten Auftritt, ein absolut perfekter Abend. Wir hatten als Vorband für eine echt gute Gruppe aus den Staaten gespielt und bereits kurz nach dem kennen lernen hatten wir den Abend mit unserem Kartenspiel eingeläutet, den Amerikanern die Regeln erklärt und viel Spaß gehabt. Das Konzert war für alle ein Erfolg gewesen und danach waren wir zusammen durch die Straßen gezogen.
Wir waren doch eigentlich ein Team.
Am Montag hatte diese Amiband in unserer Stadt spielen sollen. Sie waren wahrscheinlich tot. Der Bunker war unsere Rettung gewesen, sie hatten sicherlich nicht viele Chancen im Schlachthof gehabt. Was auch immer passiert war, es war groß gewesen, daran zweifelte ich nicht weniger als jeder andere von uns hier.
Ein oder zwei Mal schon hatte ich mich gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn wir einen Proberaum gehabt hätten, der näher an der Außenwand gewesen wäre.
Ich wandte meinen Blick ab und sah zu Cosima. Sie saß in einer Ecke und spielte mit ihren Haaren.
Ich liebe es, wenn sie das macht. Das gibt ein wunderschönes Bild, ihre Lippen zusammengekniffen – aber nicht verkniffen, den Kopf leicht schräg, die Beine angezogen und ihre Knie treffen sich, während die Füße weit auseinander stehen. Dazu ihre Klamotten. Ich liebe ihre Art, sich zu kleiden. Sie versteht es, die Blicke anderer Männer auf sich zu ziehen - und der Gedanke, dass ich es war, der Abends zwischen ihren Schenkeln lag, gibt dem Ganzen den entscheidenden Touch. Der zweite Blick der anderen fällt nämlich immer auf denjenigen, der die Hand dieser Frau in der seinen hält. Und so bin ich immer Teil ihrer Schönheit gewesen.
Ich liebte sie. Und das war das Problem.
Alle in der Band lieben Frauen. Und Frauen lieben Bands. Ob so etwas dazu gehört, das kann ich nicht sagen. Bei uns war es so und wir hatten es stets ausgenutzt. Vor Cosima war ich auch selten nach Auftritten alleine im Bett gewesen. Es hatte irgendwann einen besonderen Reiz entwickelt, sich an alle die verschiedenen Schlafplätze zu erinnern und sie mit den Frauen in Verbindung zu bringen. Selten kamen mir dabei die Gesichter und Körper deutlich in den Sinn. Durch Cosima wurde das anders. Sie hat mich in kurzer Zeit geändert, mich auf sie fixiert. Das ist einer der Gründe, warum sie mein Leben war.
Und wir waren jetzt den vierten Tag im Bunker gefangen. Die Chancen auf ein Entkommen schätzte ich inzwischen als relativ niedrig ein. Abgesehen davon, dass ich ihr nicht das Gefühl, hier zu sterben, aufdrängen wollte, war ich mir nicht sicher, wie die drei anderen auf diese Situation reagieren würden. Sie waren nicht zu berechnen. Cosima war eine schöne Frau. Ich würde darauf achten müssen, dass niemand durchdrehte. Deswegen saß ich mehr am Schlagzeug und ließ sie in Ruhe. Die Beachtung durfte nicht auf sie fallen. Und ich musste meine körperlichen und geistigen Kräfte bewahren. Für den Notfall. Was sie zu verstehen hatte.
Ich trommelte einen einfachen Takt auf den Knien und ging mit den Augen über unsere Vorräte. Optimistisch geschätzt hatten wir für vielleicht noch zwei Tage zu Essen. Das Wasser mochte für noch einen oder zwei Tage länger genügen. Den Korn und die Cola hatte ich für das Ende gedacht. Wenn wir hier sterben sollten, dann würden die letzen Tage noch für die gute Party stehen, die ich mir für unser Ableben wünschte. Doch wir würden warten. Alkohol lässt Menschen zu leichtfertig gewisse Grenzen überschreiten, die von Freundschaften gezogen und in den ganzen alltäglichen, natürlichen Situationen auch akzeptiert werden. Aber wahrscheinlich würden die Probleme vorher anfangen. Denn meine drei Freunde, so gern ich sie auch mochte, waren sicher geistig nicht sehr stark und eher einfach gestrickt. Vor ihrem Ende wollten sie sicher noch eine Frau. Das war ihr – und zuvor auch mein – Leben.
Ohne darüber nachzudenken, war ich in den Takt unseres neuen Liedes übergegangen und beobachtete schweigend die Szene.
Eine weitere Nacht verging.

Zweite Strophe:
Das Essen war zur Neige gegangen.
Zwei weitere Tage vorbei und obwohl Cedric die Nahrung streng eingeteilt hatte – was er sicher auch von seinem Vater hatte – war der letzte Bissen heute gegessen worden. Es gab zwischen uns nicht mehr viel zu bereden. Jeder von uns ging anders mit dem Gedanken an das Ende um. Jesper und Jonte hatten sich auf das Kartenspiel fokussiert und bereits den ersten, handfesten Streit mit Cedric um unseren Cola- und Kornvorrat gehabt. Cedric und Cosima waren schweigsam. Cedric eher nachdenklich und in sich gekehrt, was mir Sorgen bereitete. Cosima sah ich Verzweiflung, Angst und Einsamkeit deutlich an und das tat mir irgendwie weh.
Am Anfang hatte das Kartenspiel auch mich noch von tieferen Gedanken abgelenkt, aber inzwischen erschien es mir doch nur noch als eine Farce, denn wir würden hier sterben. Alle fünf. Und mir waren es viel zu wenig Worte zwischen uns. Es gab viele Sachen, die ich gerne bereden würde. Wir alle waren zu jung zum Sterben, viel zu jung, um unter diesen Umständen aus dem Leben zu gehen. Ich hätte mit Autounfall, mit Krebs – denn Raucher waren wir alle – oder bei Jonte vielleicht mit einer zu unreinen Platte gerechnet, aber ein beschissen langsames Abtreten ohne auch nur irgend eine Krankheit oder Chance hatte bei mir eine unglaublich hohe Quote gehabt.
Ich saß an der Tür und dachte an meinen letzten Tag in der heilen Welt. An den Sonnenschein, den Alltag auf den Straßen, in den Bürogebäuden, an die Frauen auf meinem Weg in mein graues, von Bäumen umsäumtes Grab.
Von ihnen gab es jetzt nur noch eine in meinem, in unser aller Leben.
Wenn ich schlief, träumte ich inzwischen von Cosima und zuerst war mir unwohl dabei – obwohl es sehr schöne Träume waren. Aber jetzt, da die Vorräte leer und die Kommunikation schon beinahe vor uns gestorben war, da machten mir diese Träume immer weniger aus und ich dachte ernsthafter darüber nach, wie ich sie vielleicht doch noch einmal ficken könnte. Noch einmal, bevor sie, bevor ich und alle anderen nur noch totes Gewebe in einer von einem unermüdlichen Generator beleuchteten Gruft sein würden.
Doch was würde ich damit tun? Ich liebte Cedric, ich liebte Jonte und Jesper. Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft – schon seit über zwölf Jahren. Mehr als mein halbes Leben hatte ich mit diesen Dreien verbracht und schon mehr als acht Jahre machten wir zusammen Musik, hatten beinahe alles geteilt, was die Erfahrung eines Menschen wachsen lässt. Wir waren ein Team. Und Cosima gehörte zu Cedric. Aber sie war so allein. So verängstigt und allein und wir hatten nur diesen einen Raum. Hier würde alles passieren, alles, was noch vor unserm Tod passieren könnte. Vielleicht sollte ich abwarten, was genau.
Und es passierte einiges.


Zweites Solo:
Seit gestern hatten wir nichts mehr zu essen. Das Wasser war beinahe leer. Vielleicht noch bis morgen.
Gerret hielt ich für gefährlicher. Er hatte diesen seltsamen Blick drauf. Er sah Cosima zu oft auf diese Art an. Das gefiel mir nicht.
Gerret war wirklich heiß auf meine Freundin.
Ich hatte gewusst, es würde soweit kommen. Deswegen verstand ich, dass Jesper und Jonte den ersten Aufstand anzettelten. Gerret agierte aus dem Hintergrund. Die beiden anderen waren deutlicher in dem, was sie wollten. Logisch, dass sie zuerst darauf aus waren, den Korn an den Start zu bringen. Uns alle in gute Stimmung zu bringen.
Und dann einen gemeinsamen Cosima-Fick hinzulegen.
Wir alle hatten sie vorher gekannt, denn sie war mit Jesper in einer Abschlussklasse gewesen; wir alle hatten gewusst, dass sie gerne und erfolgreich lebte. Ich kann mir die Einstellung der drei zu ihr gut vorstellen. Noch damals, als ich gerade mit ihr zusammen war und eine Party in ihrer WG anstand, da hatte Jonte noch gesagt: „Auf zu der Party von der Schlampe!“ Er hatte es sicher nicht böse gemeint und sich gleich darauf bei mir entschuldigt, aber es war etwas geblieben.
Der Streit war das erste Anzeichen für das gewesen, was mit Sicherheit folgen würde und die beiden gaben nicht auf. Ich hatte sie zurückdrängen müssen und dann war Gerret dazu gekommen. Er hatte seine Chance erkannt. Er hatte gewusst, wenn sie zu dem Zeitpunkt die Oberhand bekommen würden, dann könnte er seinen dreckigen, seinen kleinen Schwanz in meine Frau stecken. Und Jesper und Jonte würden mich halten, würden mich zwingen, dabei zuzusehen, mich halten, sich mit Gerret abwechseln und ihre hässlichen Dinger hinterher schieben.
Ich hatte es geschafft, sie verbal zu stoppen. Sie im Zaum zu halten. Aber wie lange noch? Ich allein wäre zu schwach gegen drei. Wie sollte ich Cosimas beschützen können, wenn diese drei Wichser ausrasten würden?
Nach dem Streit saß ich hinter meinem Set, einen Takt auf den Knien; die anderen saßen in einer Ecke und Cosima nicht weit davon entfernt. Ich machte mir Sorgen. Sah das Schlimmste kommen. Die Party zum Ende würde doch hässlich werden. Wie mir das Sorgen bereitete.
Eine Nacht schlief ich darüber.
Dann war ich mir klar, dass mein bisheriger Weg der falsche gewesen war. Cosima war der Weg, ihr musste ich klarmachen, dass wir alleine gegen drei waren. Dass ich sie vernachlässigt hatte – wenn auch nur, um sie zu schützen – und das es nur einen Weg gab, um in Frieden zu sterben. Wir beide allein.
Denn sie ist mein.

Intermezzo:
Am Morgen nach dem Streit rastete Cedric aus. Und es kam hart.

Refrain, dissonant:

Erster Takt:
Cedric steht auf, geht auf Cosima zu, greift ihren Arm und versucht, sie hinter den Vorhang zur Toilette zu zerren. Cosima wehrt sich, mit weit aufgerissenen Augen starrt sie ihn an, gerade aus einem der beruhigenden Träume gerissen; Cedric redet von zweien gegen drei und von einem Aufstand der Wichser. Mit einer Hand öffnet er seine Hose und spricht von Vereinigung, von Reinheit, von Mord und Frieden danach.

Zweiter Takt:
Jesper, Jonte und Gerret wachen auf. Cosimas’ zutiefst erschrockene Rufe hallen durch den Raum.
Gerret sieht alles ganz langsam geschehen, nimmt die Einzelheiten des Raumes wahr: Den von Poren durchzogenen Beton der Wände, das Flackern der Neonröhre und die tanzenden Schatten; die malmenen Zähne Cedrics, während er seine Freundin an ihrem Top hinter den Vorhang zerrt und sich der Stoff über ihren Körper spannt; Gerret sieht Cosimas’ Brustwarzen, die sich unter dem psychischen Druck aufrichten und sein Blut konzentriert sich auf seinen Penis – ab da hält er sich zurück und verbleibt in der Rolle des Betrachters.
Jesper und Jonte sind gereizt, weil sie Cedric seit dem gestrigen Streit um den Korn doch vermehrt negativ gegenüberstehen. Sie denken weniger an Cosimas’ Brüste, eher an den Alkohol. Da auch diese beiden begriffen haben, dass sie in diesem Raums sterben werden, wollen sie die letzten Tage genießen – so gut es eben geht. Ohne sich ihr Sterben vorschreiben zu lassen. Sie halten Cedric an den Armen fest und erheben die Fäuste. Er brüllt indes auf Cosima ein, sieht die Sache aus dem Rahmen laufen, versucht nach Jonte zu schlagen und trifft Cosima, die sich in diesem Moment aus seiner Umklammerung befreit und nach dem erstbesten greift, dass sie finden kann.

Dritter Takt:
Cosimas’ Hände erfassen Jontes’ Bass und sie rammt das Ding frontal gegen Cedrics Schläfe. Cedric vergisst seine Theorien im Allgemeinen, vergisst Cosima und den Aufstand der Wichser im Besonderen und fällt.

Vierter Takt:
Jesper, Jonte, Gerret und Cosima starren auf Cedrics Körper; Cosima lässt den Bass fallen. Für einige Momente sind alle ruhig und man hört nur Cosimas’ schweren Atem. Dann Gerrets’ Stimme.

Bridge:
„Cedric?“
Seine eigene Stimme klang ihm seltsam fremd in den Ohren und schien sich hier in diesem Raum zu verlieren. Wie sie alle. Offensichtlich.
„Er atmet nicht mehr. Oder?“
Cosima lehnte sich zitternd an die Wand. Ihre Haut schien ihm fahl in dem flackernden Licht, doch hob sie sich bezaubernd von dem Rest der Welt ab, der nur noch grau und nichtsagend daher kam. Ihre Nippel waren immer noch hart.
„Ist nun mal halt so.“ Jonte war der erste, der mit dem Ende weiter machte. Er zog Jesper mit sich und gemeinsam öffneten sie die erste Kornflasche.
Ab hier war der Handel abgemacht. Die beiden hatten ihre Welt – eine, die er auch gewählt hätte, wenn nicht Cosima gewesen wäre.

Dritte Strophe:
Es war soweit. Endlich.
Cosima lag in meinen Armen. Ich betrachtete sie mit müder Verwunderung - erstaunlich, wie dünn und krankhaft man werden kann, bevor der Körper endgültig aufgibt.
Mühsam hob ich einen von ihnen
nur beinahe noch Teil von mir
und strich ihr durch das schwarze Haar. Sie lächelte.
Und starrte weiter in die Ferne.
Ich suchte den Punkt an der Wand, den sie für sich genommen hatte. Natürlich war da nicht mehr als Wand. Und so wandte sich mein Blick ab und geisterte auf einem schattenhaften Weg noch einmal durch diesen Raum.
Das Schlagzeug, in der Ecke aufgetürmt.
Mit vereinten Kräften hatten wir Cedrics Körper am Tag seines Todes in die entfernteste Ecke geschafft, ihn mit einem Vorhang bedeckt und unter den einzelnen Bestandteilen seines Schlagzeuges versteckt. Für die verbleibende Zeit sollte er von uns abgegrenzt sein. Sein Verwesungsgestank war natürlich darunter hervorgekommen und hatte sich mit dem restlichen Gestank eingeschlossener Menschen vermischt. Wir hatten es akzeptiert und einige Male Galle gekotzt. Das war im Prinzip das, was uns Cedric an Erinnerungen hier gelassen hatte.
Mein Blick schlich weiter und tastete sich über die Körper von Jesper und Jonte. Sie hatten sich die Ecke bei den Alkoholvorräten zum Sterben gewählt und ich wusste, sie beide waren damit zufrieden gewesen. Jesper war zuerst gestorben. Jonte hatte noch einige Zeit Patiencen gelegt und sich dann irgendwann dazu gelegt. Da ich wusste, dass es für sie okay gewesen war, war es auch für mich in Ordnung und ich hatte einfach ein gutes Gefühl in meinem Bauch, wenn ich an sie dachte. Auch hatten sie immerhin noch nicht begonnen zu verwesen.
Cosima und ich hatten uns in einer anderen Ecke den gesamten Rest an Vorhängen zu einem kleinen Lager zurecht gemacht und waren von hier nur noch selten gewichen. Da wir alle vier mit unserem jeweiligen Schicksal einverstanden gewesen waren, hatte es keinen von uns gestört, dass wir beide hier so oft wie möglich gevögelt hatten. Solange die Kraft noch reichte. Dass wir miteinander geredet und uns gegenseitig ruhig in den Arm genommen hatten. Solange wir noch Menschen waren.
Ich kann es schlecht beschreiben, aber Cedrics Ausrasten und sein folgerichtiger Tod hatten uns anderen die Ruhe gegeben, so sterben zu können. Obwohl wir so langsam darbten und dabei, einer nach dem anderen den noch Lebenden den Tod vorstellten, obwohl es in diesem Raum so ekelerregend stank und wir in der Gewissheit starben, dass es so einen Sommer, wie ich ihn in Erinnerung hatte, nie wieder geben würde, hatte ich die Gewissheit, dass wir alle ungefähr so auch immer hatten sterben wollen.

Refrain, einstimmig:
Cosima hörte auf zu atmen. Sie starrte weiter die Wand an.
Ich nahm ihren Kopf sanft von meinem Arm, legte mich vollständig hin und umarmte ihren Körper. Dann schloss ich die Augen.
Wohin auch immer, ich hatte das tiefe Gefühl, dass ich diese drei, die mit mir überlebt hatten, dort wiedersehen würde.


Outro:
Vor dem Raum mit den fünf Leichen lagen Berge von Beton. Ein Durchkommen wäre nie möglich gewesen.
Von dem Bunker standen nur noch Reste. Von den umliegenden Gebäuden noch weniger. Ebenso die Stadt. Und es lag alles in all den weiteren Dimensionen brach.
Leer und tot.

Wer zufrieden gestorben war, konnte glücklich sein.

 

Hi baddax!

Eine beklemmede Stimmung ist dir gelungen. Du schaffst eine gute Charakterisierung der beteiligeten Jungs - Cosima kommt allerdings zu kurz. Alles, was mir in Erinnerung ist, ist ihre für Männer anziehende Art, sich zu kleiden, ihr Widerstand gegen ihren Freund, vögeln zum Schluss. Schön fand ich Untergliederung, die Du vorgenommen hast. Auch die Innensicht und die Gedanken der Jungs erscheinen glaubwürdig und machen viel von der Athmosphäre aus.


"Von diesem hatte er wohl auch den Zwang geerbt, ja nicht in die Verlegenheit zu kommen, sich das Geld nicht aus eigener Kraft verdienen zu können" - klingt für mich etwas holprig

"etwas, dass den Highscore weiter in die Höhe treibt" etwas, das

"Oft ist die Vorderfront von mehren schönen Bäumen verdeckt; trotz dessen hat dieser betone Quader die Macht," trotz dessen - klingt für mich unschön

„Langt noch für ein paar Tage. Außerdem ist noch Cola da. Und Korn, wenn Du willst.“ du würde ich in Dialogen generell klein schreiben

Ein bisschen unlogisch erscheint mir, dass sie Licht haben - wenn doch alles möglich zerstört ist und sie kein Fenster haben?

"Cosima lag ausgezerrt in meinen Armen. Ich betrachtete verwundert ebendiese" ausgezehrt, ebendiese erscheint mir unschön.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo baddax,

von der Idee her gefällt mir dein musikalischer Abgesang auf die Welt gut. Ein bisschen transporteirt er den Mythos von Sex and Drugs and Rock'n'Roll, so erklärt sich das Umgehen deiner fünf Protagonisten mit dem nahenden Tod.
Etwas verwirrend, wenn auch konsequent sind die Perspektivwechsel in der Erzählung. Die könnten sich für mein Gefühl gern sprachlich etwas deutlicher von einander abheben.
Die einleitene Betrachtung über Frauen im Sommer ist mir persönlich etwas zu lang, das Zusammenleben in den letzten Stunden zu sehr auf die männliche Libido fixiert. Gut daran fand ich aber, dass nicht gleich schwerwiegende existenzialistische Betrachtungen aufgetaucht sind. Andererseits hätte zumindest auch von deinen Prots einer gern Angst haben dürfen. Sie fügen sich ein bisschen schnell.

Die srachlichen Details sind bestimmt nich vollständig. In der Beziehung solltest du noch einmal rüberschauen.

Wieso ausgerechnet wir fünf den Tag überlebt hatten, kann ich nicht sagen.
da kein Substantiv folgt, auf welches sich Fünf bezieht, ist es selbst das Substantiv und wird groß geschrieben.
Dementsprechend verhalten hatten sich auch Jesper und Jonte.
Zeitenwechsel: (verhielten)
Nun, es ging um die Atmosphäre der Stadt an dem Tag. Das Wetter hatten wir bereits, aber was unbestreitbar davon beeinflusst wird, sind die Frauen.
Diesen Sprung in die Gegenwart würde ich erst machen, wenn du bei den Vorstellungen bist.
immer, wenn man denkt, man hat das beste bereits gesehen, erwartet einen an der nächsten Ecke etwas aufregenderes
Hier wird "Beste" und "Aufregenderes" mE groß geschrieben.
etwas, dass den Highscore weiter in die Höhe treibt.
und hier "dass" mit nur einem s
trotz dessen hat dieser betone Quader die Macht,
Ist betone Quader tatsächlich richtig für Quader aus Beton?
Die letzte Hoffnung, die ich hegte, war die, das es da draußen noch andere Bands gab
dass

Lieben Gruß, sim

 

Hi baddax!

Ein paar Anmerkungen - hochsubjektiv:

Für mich war das Geld zu der Zeit kein Problem gewesen.
Dieses "gewesen" stört mich ungemein, ist sehr subjektiv, aber trotzdem. Man kann es hier leicht weglassen, schließlich schreibst du "zu der Zeit"...

der ihn in die Welt
Exwelt
geworfen hatte.
Ich bin kein Freund dieser absatzbetonten Wörter - ist ebenfalls sehr subjetiv.

des großen Chrashs hatte
Crash?


Interessant an deiner Geschichte ist sicher die Idee: die Welt geht unter und du beschreibst eine Band. Ganz simpel gesagt. Das hat schon was.

Nur kann ich meinen Vorrednern da nicht unbedingt zustimmen: ich finde die Charakterisierungen der Jungs nicht besonders gelungen. Einzig den ersten Ich-Erzähler (Gerret) finde ich plastisch.
Jesper und Jonte wirken wie angeklebt, Cosima finde ich auch nicht sonderlich geglückt und bei Cedric bin ich mir noch nicht ganz sicher.

Hattest du vor, eine Art Groteske zu schreiben? Denn irgendwie wirkt mir diese Geschichte unentschlossen... manchmal klingen leicht ironische Töne an: denn kann es tatsächlich sein, dass die besten Freunden im Angesicht des Todes dermaßen entarten? Dass sie sich einen Dreck umeinander scheren und nur noch auf die primitivsten Triebe horchen? Das scheint mir etwas gar zynisch zu sein - ist aber Ansichtssache.

Eines, was mir noch auffiel: warum versuchen die Leute sich nicht selbst zu befreien? Ist nicht das auch ein Trieb, der jedem Menschen innewohnt? Zu überleben? Statt dessen fügen sich deine Protagonisten in ihr Schicksal und sterben nacheinander. Alkohol und Sex sind ihnen dazu genug.
Das fand ich etwas wenig.

Interessant ist die Geschichte trotzdem, vor allem, weil sie ungewöhnlich ist. Irgendwie gut, ich kann nicht erklären, warum.

Stilistisch auf jeden Fall sehr fein.

In diesem Sinne
c

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi, ihr drei. vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. :)

@Maus:
Erstmal vielen Dank für Dein Lob, les ich natürlich gerne.
Was Cosima angeht hast Du recht, das Bild, dass von Ihr bleibt, ist im Prinzip nur das, welches Gerret und Cedric von ihr haben. Ich dachte, ich mach es so, weil die ganze Geschichte nur aus der teilweise verqueren Ansicht der beiden Jungs geschrieben ist. Cedric war mit ihr ja auch erst einen Monat zusammen und konnte sie daher vom Charakter her auch noch nicht so gut kennen. Da alles aus der ich-Perspektive erzählt ist, bräuchte sie ebenfalls eine ganze ich-Passage, um sich etwas deutlicher darzustellen. Möglich wäre es, dies irgendwo nach der ersten Strophe und vor dem zweiten Solo. Denkst Du, es würde der Geschichte gut tun, zu wissen, wie sie über die Sache denkt? Ich bin mir etwas unsicher, ob der Text davon nicht nur in die Länge gezogen wird. Aber chazar findet sie ja auch nicht so geglückt, also sollte ich das vielleicht doch noch mal dazuschreiben.
Zur Frage mit dem Licht folgender Textverweis :D :

...in einer von einem unermüdlichen Generator beleuchteten Gruft sein würden.
Finde einen Generator in einem Musikbunker durchaus vertretbar. Und ebenso wie ihr Raum könnte der auch heil geblieben sein. Sie könnten andererseits natürlich auch Kerzen für die Party gekauft haben. Aber dann hätte man immer wieder mal das mit den Kerzen einwerfen müssen (neue anünden, die gehen dann auch langsam zur Neige und so). Mit einem Generator muss man sich nicht so viel Gedanken über das Licht machen.
Frage zu dem "Du" oder "du" in Dialogen: Muss man es klein schreiben oder kann man es klein schreiben? Ich habs bisher in allen Geschichten groß geschrieben.... Mit den anderen Anmerkungen hast Du recht, die werd ich gleich mal ändern.
Danke fürs Lesen und LG!

@sim:
Auch Dir dank ich fürs Lesen und loben (und kritisieren :D).
Zu Anfang gleich mal das Angst haben betreffend: Ich hab die Geschichte mit Absicht vier Tage nach dem Crash einsteigen lassen (Sagt Cedric ja auch im ersten Solo: "Und wir waren jetzt den vierten Tag im Bunker gefangen.") So wollte ich die ersten akuten Reaktionen auf die Situation umgehen, die wahrscheinlich zu Beginn Panik, Verwirrung und dann auch Todesangst gewesen waren. Aber ich bin davon ausgegangen, dass sie diese Phasen mehr oder weniger passiert haben und dabei sind abzustumpfen (Jesper, Jonte und Cosima), beziehungsweise irgendwelche Psychotrips entwickeln (Cedrics Mistrauen und Verschwörungsgedanken, Gerrets Fixierung auf Cosima). Sowas wie ein 'sich mit der Situation abfinden'. Daher hab ich auf Angst verzichtet, um mich gleich darauf konzentrieren zu können. Es sind ja irgendwie auch alles Stoiker, daher ebenso der Verzicht auf existenzialistische Betrachtungen (welche die Geschichte sicher auch überladen hätten).
Die Einleitung (Frauen im Sommer) von Gerret soll als Grund dafür dienen, dass Gerret sich am Ende so auf Cosima konzentriert. Aber ich gebe Dir recht, ist vielleicht wirklich etwas arg lang, ich schau mal, ob ich da was rausnehmen kann (dann wäre auch mehr Platz, um evtl. Cosima eine Passage einzuräumen). Die Fixierung auf das Ficken am Ende (jetzt mal von Jesper und Jonte abgesehen, die haben sich ja für eine Endlosparty zu zweit entschlossen) ist das, was die Psychotrips von Gerret und Cedric ausmacht. Da sie, wie Cedric im ersten Solo bedenkt, die ganzen Jahre als Band über dieses Frauending hatten (nach Konzerten, etc.), bleibt dieses als nachhaltigstes Merkmal stehen. Und für sich allein genommen ist jeder möglicherweise noch etwas anders, aber in dieser Situation sind sie ja als Band zusammen und leben ihre letzten Tage unter diesem Einfluss - hier zerstört dieses Band-Frauen-Ding die Freundschaftsbande (wäre Cosima nicht mit im Raum gewesen, hätten die vier meiner Meinung nach sicher die Party gefeiert, die Cedric sich erträumt). Daher die Fixierung auf die Libido am Ende. In dem Fall sollte ich - wie schon Maus meinte - Cosimas Einstellung tatsächlich etwas mehr Platz einräumen, um dem Ganzen mehr Halt zu geben. Cedric definiert sie ja kurz so: "wir alle hatten gewusst, dass sie gerne und erfolgreich lebte." Daher ist mein Bild von ihr, dass sie, sich ebenso körperliche Nähe wünscht, die ihr Cedric nicht gibt und sie daher später Gerret stattdessen dafür akzeptiert (da sie ja auch erst kurz mit Cedric zusammen ist). In gewisserweise Weise eine Art Geborgenheit, da sie die ist, die am ehesten eine unterdrückte Angst hat (sie sitzt ja immer nur beinahe apathisch rum). Sie jetzt noch Panikattacken haben zu lassen (als Rückbezug auf das Angstding), wäre allerdings doch zu klischeehaft. Letztendlich ist deshalb die Libidofixierung der Punkt, um den sich das Ende dreht.

Mit den Perspektivwechseln ist das so eine Sache: ich wollte unbedingt Gerret und Cedric in der ersten Person erzählen lassen. Ihre Art, sich auszudrücken ist ebenfalls eine ähnliche (sie hängen ja auch schon ewig miteinander rum). Deshalb blieben mir zum Unterscheiden einmal die Einteilungen (Gerret erzählt im Intro und der Strophe, Cedric im Solo) und zum anderen inhaltliche Hinweise, z.B. bei Cedric, dass der Ich-Erzähler hinter dem Schlagzeug sitzt, dass er Gerret, Jesper und Jonte beim Kartenspielen beobachtet. Oder das Gerret in der ersten Strophe direkt angesprochen wird. Bridge und Refrain, also die Punkte, in denen tatsächlich was Entscheidenes passiert, sollten hingegen objektiv bleiben, daher hier der Erzähler. War es denn in bestimmten Abschnitten vollkommen unklar, wer gerade erzählt oder war es nur nicht sofort herauszulesen?

Deine Textanmerkungen setzte ich gleich mal um. (hab noch mal geschaut, "betone" hab ich tatsächlich nicht gefunden - schade, irgendwie mochte ich das Wort als Adjektiv ...aber jetzt ist mir ja gerade aufgefallen, dass es ja das Imperativ von "betonen" ist ... :D).

LG


@chazar:
Und noch einmal vielen Dank fürs Lesen, Loben und Kritisieren!
Die drei Zitate werd ich umsetzen, klingen besser. Das "Exwelt" gefällt mir beim zweiten Lesen auch nicht so gut. Generell bin ich allerdings ein großer Fan von diesen eingeschobenen, absatzbetonten 'zwischen-den-Zeilen-Botschaften', nutze diese auch recht oft in meinen Geschichten (und da komm ich nicht so schnell von los... :D).

Nachtrag: googelt man "des Börsencrashs", erhält man ganz viele Treffer "zur Zeit des Börsenchrashs von 1929" - ich weiß nicht genau, lass es erst mal so, muss zu Hause noch mal im Duden schauen...

Zur Charakterisierung: Cosima siehe bei Kommentar zu Maus und Sim: es stimmt schon, sie kommt tatsächlich zu kurz und ihr will ich auch gerne einen Platz einräumen, um ihren Charakter unabhängig von den Betrachtungen Gerrets und Cedrics auszubauen. Jesper und Jonte sind Nebenfiguren, ich dachte, ich tue dem Text keinen Gefallen, wenn ich ihnen ebenso viel Platz einräume, wie den anderen beiden (von wegen Länge der Geschichte und zu viele gleichwertige Figuren nebeneinander). Angeklebt (geiles Charakteristikum für zu wenig Charakter!) sollten sie aber natürlich nicht wirken, ihre Entscheidung, sich mit einem Besäufnis und Kartenspielen zu verabschieden, sollte nebenher laufen, aber schon als eigenständig und unabhängig gelten. Hast Du vielleicht irgend welche Ideen, wie man diese beiden von den anderen lösen könnte, ohne sie zu sehr zu betonen? Das 'angeklebt' würde ich gerne da raushaben wollen.

...und bei Cedric bin ich mir noch nicht ganz sicher.
Inwiefern?


Hattest du vor, eine Art Groteske zu schreiben?
Da musste ich erst selbst mal nachschauen:
"[...]Seit der Renaissance Sammelbegriff für die Darstellung des Monströs-Grausigen, aber auch Komischen in Kunst und Literatur. Allgemein Bezeichnung für die Verbindung von scheinbar Unvereinbarem, mit dem in der Moderne häufig Phänomene des Formverlustes und der Entfremdung gestaltet werden."
...hmmmm... Formverlust und Entfremdung .... Wobei ich beim Schreiben einer Geschichte mir im Vorfeld eigentlich nie sage: "Hey, jetzt schreib ich mal ne Satire (Groteske, Liebesgeschichte, was auch immer)." Als ich anfing, wollte ich nur etwas über eine Band und über Proberäume schreiben. Als Band verbringt man - eigene Erfahrung - ziemlich viel Zeit zusammen im Proberaum (wobei dann die Band so ne Art eigenständiges Lebewesen wird - übertrieben betrachtet...deshalb auch der Abschnitt über den Sound und das Lied als Tier in der Geschichte). Daher fand ich die Idee, dass der Proberaum, der für die Band und die Einstellung gleichsam ein Abbild ist, hier zum letzten Ort im Leben wird ganz spannend. Dazu kam die Idee, dass Cosima hier als Fremdkörper reinkommt und so die Band daran ... naja, stirbt. Deshalb dieser leicht zynische Charakter: Frauen als wichtiger Punkt im Leben der Band und deren Mitglieder und deshalb geht alles den Bach runter. Zum Ende finden sie dann in den simplen Wünschen nach Sex, bzw. Rausch so etwas wie Zufriedenheit. Und sterben relativ locker.

Zur Frage mit dem sich-Befreien-versuchen:

Wir anderen hatten bis heute morgen immer wieder probiert, die Tür zu öffnen, aber der halbe Bunker schien zusammengefallen zu sein und die Tür hatte sich nicht bewegen lassen.
Einen anderen Weg als die Tür sehe ich nicht in einem Bunkerraum. Und die geht nicht auf.
Interessant ist die Geschichte trotzdem, vor allem, weil sie ungewöhnlich ist. Irgendwie gut, ich kann nicht erklären, warum. Stilistisch auf jeden Fall sehr fein.
Danke schön. :)

Gruß, baddax

 

Hi nochmal!

Puh, das war ja mal ne Antwort.
Und ich dachte, ich wäre ausschweifend... :D

Generell bin ich allerdings ein großer Fan von diesen eingeschobenen, absatzbetonten 'zwischen-den-Zeilen-Botschaften', nutze diese auch recht oft in meinen Geschichten (und da komm ich nicht so schnell von los... ).
Das meinte ich eben mit streng subjektiv... würden alle Leute King so sehr lieben wie ich, dann müsste der arme Mann wieder als Lehrer arbeiten... :D Geschmäcker sind verschieden. So ist das und das ist gut so. (Muss man das jetzt als Zitat kenntlich machen?)
Jedenfalls: schreib die Dinge auf jeden Fall so wie du selbst es für richtig hälst.

zur Zeit des Börsenchrashs von 1929
Schreibfehler!
Nein, kleiner Scherz, ich dachte eben, mich an meine Grundschulzeit erinnernd, dass man Crash ohne zweites H schreibt - kann mich auch irren (was erklären würde, wieso meine Hefte immer so rot waren...)

Cosima siehe bei Kommentar zu Maus und Sim: es stimmt schon, sie kommt tatsächlich zu kurz und ihr will ich auch gerne einen Platz einräumen, um ihren Charakter unabhängig von den Betrachtungen Gerrets und Cedrics auszubauen.
Ein Vorschlag: warum schreibst du nicht eine Perspektive aus ihrer? Cedric und Gerret sind sich fast ähnlich - was meinen Kommentar erklärt ("und bei Cedric bin ich mir noch nicht ganz sicher") Um ehrlich zu sein wirkt mir Cedric ein wenig wie ein zweiter Gerret. Und deshalb ist auch der Perspektivenwechsel kein richtiger. Wenn du allerdings aus Cosimas Perspektive schreiben würdest... dann könntest du ihr mehr Charakter geben und der Geschichte mehr Abwechslung.
Ist eine gravierende Änderung und ich weiß auch nicht, ob es was bringt... aber ich behaupte es jetzt einfach mal dreist...

"Hey, jetzt schreib ich mal ne Satire (Groteske, Liebesgeschichte, was auch immer)."
Mhm, da habe ich mich unsauber ausgedrückt. Jedenfalls: genau so wirkt deine Geschichte - als hättest du dir eben keine Gedanken über Richtung und Form gemacht. Ich sage nicht, dass dies schlecht ist, aber es fällt eben auf beim Lesen. Vielleicht bilde ich es mir aber auch nur ein.

Wir anderen hatten bis heute morgen immer wieder probiert, die Tür zu öffnen, aber der halbe Bunker schien zusammengefallen zu sein und die Tür hatte sich nicht bewegen lassen.
Ja, das habe ich gelesen, aber um es kurz zu machen: das ist mir zu wenig. Wo ist die Wut? Wo die Verzweiflung? Wo das vergebliche Aufbäumen gegen das grausame Schicksal?
Das hat mir eben gefehlt, weil es mir so logisch erschien.

Und zum Schluss: warum wirken Jonte und Jesper (ich musste die Namen schon nachschlagen, wirklich kein gutes Zeichen für einen Charakter...) wirken deshalb aufgeklebt, weil sie beide wirklich überhaupt nichts haben, was sie besonders macht. Die Namen klingen ähnlich (zwei J!), sie reagieren ähnlich, sie reden eigentlich nicht (oder?) und sie agieren gleich (bzw reagieren beide eigentlich gar nicht). Eigentlich ist es egal wer Jonte ist oder wer Jesper? Ob es einer ist oder zwei.
Und das ist der Punkt: gib ihnen etwas, was sie auszeichnet, ich erwarte nicht, dass du sie ausbaust und aufblähst wie Thomas Mann seinen Hans Castorp im Zauberberg, aber du musst sie zumindest etwas besonders machen. Popelt der eine in der Nase? Spielt der andere die ganze Zeit mit seinen Haaren? Gib ihnen irgendetwas, was sie abhebt. Das meinte ich.

Alle Klarheiten beseitigt?
c

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi,

ohh...achso, das erste 'h' hab ich gar nicht gesehen, dachte Du meintest das 's'... :shy: Das erste 'h' muss meiner Meinung nach auch weg.

dann müsste der arme Mann wieder als Lehrer arbeiten...
:D Du bist aber hart... :D

Cosima will ich einbauen (haben bis jetzt ja auch 100% der Leser bemängelt) und die ich-Perspektive halte ich auch für sinnig. Braucht aber sicher etwas Zeit. Ebenso will ich mal schauen, ob ich Gerret und Cedric voneinander noch etwas abgrenzen kann.

Groteske: okay, jetzt weiß ich , was Du meinst. Ich sag einfach mal, dass es besser ist, wenn ich mir vor dem Schreiben keine Gedanken mache.... :D

Zu dem Wut und Verzweiflung-Dings: meine Beweggründe hab ich in meinem ersten Absatz bei der Antwort zu sim erklärt (von wegen, die Phase übergehen). Aber da Ihr da jetzt auch schon zwei seid, denen das fehlt, muss ich mir da vielleicht auch noch mal Gedanken drüber machen...

Jesper und Jonte: okay, da werd ich drüber nachdenken, stimmt auf jeden Fall, was Du sagt und so soll es nicht bleiben.

So die Todo-Liste ist lang genug, jetzt muss sie erst mal abgearbeitet werden. Ich fang mal mit dem 'h' bei Crash an... :D

Alle Klarheiten gekillt und vielen Dank für die Anregungen!

Gruß, baddax

 
Zuletzt bearbeitet:

Das Ende ist ein Lied - überarbeitet

Was ich mir beim Überarbeiten so gedacht habe, steht im folgenden Posting...

Intro:
Wieso ausgerechnet wir fünf den Tag überlebt hatten, kann ich nicht sagen.
Vielleicht hatten wir noch zu lernen.
Zu der Zeit, als ich unterwegs zum Bunker gewesen war, hatte die Stadt mit dem aufgewartet, was ich als geborener Stadtmensch eine wirklich perfekte Atmosphäre nenne. Klar, es war Sommer und das Wetter klasse gewesen. Klar, dass mit der Temperatur die Laune der Menschen in unserer Betonarena gestiegen war und sogar die, welche den Tag aus beruflichen Gründen von Stahl, Glas und Mörtel umgeben an ihren Schreibtischen oder Kassen, Maschinen und Rechnern verbringen mussten, genossen es, wenn die Sonne sie zwischen zwei und vier in ihrer Umsatzhölle besuchte.
Für mich war das Geld zu der Zeit kein Problem. Mich trug der Staat. Die Ausbildung mit einem korrekten Abschluss hinter mir, hatte ich nicht mehr zu tun, als den Sommer zu genießen. So lange man nicht selbst aktiv wurde, war man doch nicht in der Gefahr, angeschrieben zu werden, vor allem mit einem frischen Zeugnis in der Tasche.
Dementsprechend verhielten sich auch Jesper und Lovis. Wir drei waren die Schmarotzer in der Band. Cedric ließ ab und an einen seiner Sprüche los – aber irgendwie schien er darüber zu stehen – vielleicht durch Cosima, mit der er letzten Monat zusammengekommen war. Ich fand seine neue Ruhe diesbezüglich erstaunlich, bei dem kapitalistischen Arsch von Vater, der ihn in die Welt geworfen hatte. Von diesem hatte er wohl auch den Zwang geerbt, Geld immer nur durch eigene Arbeit zu verdienen. Cedric hatte bei einem der großen Discounter angefangen. Von denen gab es zumindest in unseren Stadtresten sicher keine Filiale mehr. Was auch egal ist, denn ich glaube nicht, dass sein Vater besonders stolz darauf gewesen war, dass sein fleischgewordenes Spermium die vergammelten Zucchini aus der Gemüseabteilung entfernte.
Nun, es ging um die Atmosphäre der Stadt an dem Tag. Das Wetter hatten wir bereits, aber was unbestreitbar davon beeinflusst wurde, waren die Frauen. In den warmen Monaten – ich schwöre, ich könnte den ganzen Sommer hindurch die Straßen unserer Stadt durchstreifen und sie mir anschauen. Ihre Rundungen, ihre ganzen Reize erblühen in dieser Zeit und immer, wenn man denkt, man hat das Beste bereits gesehen, erwartet einen an der nächsten Ecke etwas Aufregenderes, etwas, das den Highscore weiter in die Höhe treibt. Am offensichtlichsten ist es im Park. Logisch, da wollen sie nichts anderes als betrachtet zu werden. Aber viel besser ist es an Plätzen, an denen man sich vorstellen kann, es wäre einfach nur die Hitze, die sie dazu veranlasst, möglichst viel Haut zu zeigen. Die sie dazu bringt, nur die wichtigen Stellen zu verdecken. Das macht mich richtig an. Die Bedienung einer Kneipe mit Terrasse. Oder eine von ihnen als Fahrradkurier – überhaupt Frauen auf Rädern. Vielleicht eine, die ihr soziales Jahr durchzieht und irgendeinen Alten im Rolli über die Straße schiebt. Und am besten noch eines von diesen engen T-Shirts trägt. Ich stelle mir vor, sie denken nicht darüber nach, was sie da tun und wie sie aussehen. Sie tun es einfach, weil es so heiß ist.
Ja, damit ist schon der wichtigste Punkt genannt, den ich angeben würde, wenn man von mir wissen wollte, warum ich den Sommer so liebe. Aber letztendlich ist es doch einfach diese Atmosphäre als Ganzes, die zwischen den Hochbauten auflebt. Alles ist hell, freier und das Leben scheint in den Momenten, in denen man dies erkennt, einfach etwas jünger und länger zu sein. Es trägt diesen Hauch von Unendlichkeit und verdeckt seine Ecken und Kanten.
So hatte ich auch auf dem Weg zum Bunker empfunden. Ich hatte die S-Bahn beim Fluss verlassen und war, meine Gitarre auf dem Rücken, irgendwann auf Jesper gestoßen.
Er war der Sänger, ich der Gitarrist. Gut, er spielte Gitarre und ich sang auch, aber wenn mich jemand fragen würde, so hätte ich immer diese Aufteilung genannt. Jesper Sänger, ich Gitarre, Lovis am Bass und Cedric hinter der Taktbatterie. Zusammen alles, alleine nichts.
Wir alle waren inmitten der Sommeratmosphäre gefangen gewesen. Hatten nicht wenige sehr erfolgreiche Auftritte hinter uns gehabt und uns seit fünf oder sechs Wochen in einem Rausch befunden. Gute Kritiken in zwei oder drei stadtbekannten Magazinen, mehrere extrem positive Reviews im Internet und mit etwas Glück die erste richtig wichtige Connection geknüpft. Zusammen erreichten wir den Bunker und unseren Proberaum, von dem wir damals noch nicht gewusst hatten, wie existenziell er für uns werden würde.
Musikbunker sind etwas Besonderes. Wer noch nie in einem gewesen ist, wird das nie verstehen. Zuerst besticht er durch seine unaufdringliche Existenz. Ein inoffizielles Denkmal an die Scheiße des letzten Jahrhunderts. Oft ist die Vorderfront von mehren schönen Bäumen verdeckt und doch hat dieser Bau die Macht, eine ganze Straßenkreuzung zu dominieren. Wenn die Eingangstür durch das Spiel von Licht und Schatten durch die Äste hindurch beleuchtet wird, prahlt sie beinahe mit einem Schein von Heiligkeit.
Außen und innen erzählen die besprühten Wände Geschichten; zumeist unwichtig, aber es gibt Wahrheiten dazwischen und einige wenige davon habe ich mir bewahrt.
Wenn man eintritt, verlässt man die Welt für eine gewisse Zeit.
Ich weiß noch, wie die Musik der probenden Bands durch die schweren Türen hallte, als Jesper und ich durch die Flure gegangen waren. Auch wenn einem die Musik, die dort gespielt wird, nicht gefällt oder man merkt, dass Anfänger ihre ersten zaghaften Schritte wagen, gibt es immer den kurzen Moment, in dem man die Verwandtschaft erkennt. In dem man die gleichen Träume oder manchmal auch denselben Frust durch die Türen dringen spürt.
Und dann gibt es diesen Augenblick, in dem man den eigenen Raum betritt.

Erste Strophe:
„Gerret!“
Ich sah müde auf. Schaute direkt in Cedrics erschöpftes Gesicht.
„Dein Wasser für heute Abend – wenn die Uhr noch stimmt.“
Automatisch sah ich zu dem kleinen Wecker. Es war eine dieser vollkommen hässlichen Comicuhren, die man in Ramschläden für einige Euro kaufen konnte. Ein ewig grinsendes Gesicht, völlig unbeeindruckt, von dessen Nase zwei Zeiger abgingen. Zehn Uhr. Am wievielten Tag?
Ich nahm den Becher aus seiner Hand und trank. Langsam. Dabei sah ich mir unseren Raum wieder an.
Die zwanzig Quadratmeter kosteten im Monat einen knappen Hunderter. Im Gegensatz zu unserem letzen Raum gab es in diesem Bunker eine Toilette, in der das Licht funktionierte, und einmal die Woche kam sogar ein Reinigungsdienst. Jedenfalls vor dem großen Slam.
Die Belüftung war in Ordnung gewesen, das Dämmmaterial ebenso. Schon bei der ersten Probe war uns der gute Sound aufgefallen. Eine gute Probe steht und fällt mit dem Sound. Klar, viele würden sagen, zum Proben langt es, wenn man die anderen zumindest hören kann. Aber das ist falsch. Ein neuer Song wächst mit Energie, wenn der Sound stimmt. Wenn nicht, ist er ein steriles Stück, aufgeteilt in einen Anfang, die Strophen, den Refrain, das Ende und ab und an mal einige Parts dazwischen. Mit gutem Sound ist er ein Tier, das sich von einer Wand gegen die andere wirft und einem beim Spielen Tränen in die Augen treibt. Deshalb mag ich diesen Raum. Hier lebt das Tier.
Unsere Instrumente lagen jetzt alle in einer Ecke. Direkt unter den Plakaten unserer letzten Auftritte. Das ist auch ein weiterer Pluspunkt des eigenen Proberaums: Man richtet ihn sich ein. Im Prinzip gleicht das wohl der Werkstatt eines Künstlers. Hier ist man kreativ und dementsprechend muss man sich wohlfühlen. Wir hatten ein Sofa und einen kleinen Tisch in einer Ecke platziert; die Wände mit den Gardinen aus den Siebzigern behängt, die Jesper so liebt. Zugegeben, zusammen sehen diese Stofffetzen irgendwie krank aus, aber sie machen den Raum ebenso aus wie Cedrics Pearl-Set und die Boxen von Jesper, Lovis und mir. Lovis hatte seinen Bassamp damals aus zweiter Hand gekauft und er glaubt fest daran, dass der ‚Property of Gene Simmons’-Schriftzug darauf echt ist. Und wieso nicht – man weiß ja nie, welchen Weg diese Dinger gegangen sind.
Ich leerte meinen Becher und sah zu Cedric, der immer noch vor mir stand.
„Wie viel Wasser ist noch da?“
Er schüttelte kurz den Kopf, als würde er seine Gedanken zurechtrücken.
„Langt noch für ein paar Tage. Außerdem ist noch Cola da. Und Korn, wenn du willst.“ Er lachte trocken auf.
„Sehr gute Idee, noch Einkaufen zu gehen.“ Ich sah dabei zu Cedrics Freundin Cosima. Sie hatte ihn eigentlich nur begleitet, weil sie Jesper irgend etwas hatte fragen wollen. Als wir alle vielleicht fünf Minuten hier gewesen waren, war es passiert.
Nun, es war eben unser Glück, dass die beiden zuvor für die Party eingekauft hatten, die an dem Abend bei ihnen hätte stattfinden sollen.
Cosima sah müde zurück und nickte. Sie war die letzte Zeit über sehr ruhig gewesen und man konnte Cedric die Sorge darüber ansehen. Wir anderen hatten bis heute Morgen immer wieder probiert, die Tür zu öffnen, aber der halbe Bunker schien zusammengefallen zu sein und die Tür hatte sich nicht bewegen lassen. Der Lärm, die Macht des großen Crashs hatte uns eigentlich auch nichts anderes vermuten lassen können. Die Vorstellung, wie viel Betonschrott die Tür tatsächlich versperrte, hatte mich bis in meine Träume verfolgt. Allein würden wir nie da durch kommen und die ersten Stunden hier im Bunker waren lang und hart gewesen. Dunkel schwebten die Bilder unserer verzweifelten Gesichter vor meinen Augen. Jesper und ich hatten die Boxen unserer teuren Anlage als Rammböcke missbraucht und zerstört. Cedric hatte gegen die Tür geschlagen, bis seine Hände bluteten und war als Letzter zu uns anderen auf den Boden gesunken. Unsere Hilferufe hallten noch in meinen Ohren nach. Rufe, die irgendwann in zusammenhangsloses Schreien übergegangen und dann verstummt waren. Die Energie war verbraucht. Das nächste Stadium erreicht. Ich hatte davon mal gelesen – irgend ein Artikel über die verschiedenen Phasen, die Todkranke durchlaufen. Wir durften das jetzt ohne Krankheit testen.
Jesper und Lovis saßen in einer anderen Ecke und spielten Karten. Die hatte Jesper immer dabei. Es gab kaum etwas, das die Zeit vor einem Auftritt besser totschlug und sobald es um die Band ging, hatte er einen Satz in der Tasche. Das ging schon immer so und ich weiß nicht mehr, ob es jemals anders gewesen war.
Die beiden schienen das Ganze anders zu verarbeiten als wir drei. Lovis zum Beispiel hatte gestern auf seinem Amp gesessen und Bassläufe gespielt. Von unserem neuesten Song. Diese stoische Ruhe trug er immer zur Schau, sogar, als einmal Beamte an der tschechischen Grenze drei Stunden unseren Bus durchwühlt hatten, hatte er Läufe geübt. Jesper hingegen war auf die grandiose Idee gekommen, Dreads in seine Haare zu drehen. Als Frontmann der Band hatte er mit den Jahren einen kleinen Aufmerksamkeitstick entwickelt, um diese Position zu betonen. Letzen Monat war er mal in einem schwarzen Lackoverall aufgetreten, der Spinner. Allerdings würde seine neue Frisur diesmal wohl keinen Auftritt mehr erleben.
Cedric drehte sich um und ging in die Scheißhausecke.
Recht schnell war uns klar geworden, dass wir so etwas brauchen würden. Trotz unserer rationalisierten Essensvorräte mussten wir alle scheißen und pissen. Da Cosima die erste gewesen war, die einen akuten Drang verspürt hatte, hatten wir eine der Gardinen abgenommen und mit dem Tacker, mit dem wir die Plakate an der Wand befestigten eine Ecke abgegrenzt. Unsere persönliche und ganz private Scheißecke. Schon zu Beginn unseres Trips hatte ich Gott gedankt, dass der Mülleimer einen gut schließenden Deckel hatte. Der Gestank war immer noch erträglich – und man gewöhnt sich ja an fast alles. Das geht so schnell. Nach vielleicht zwei Tagen haben wir anderen, die gerade nicht die Ecke benutzen, bereits aufgehört, absichtlich übertönende Geräusche zu machen.
„Viel Spaß“, rief ich ihm hinterher und er hob im Gehen müde die Hand, bestätigte, dass er ihn haben würde.
"Mach alles schön sauber, wenn du fertig bist", sagte Jepser und Cedric zeigte ihm im Vorbeigehen den Finger.
Ich erhob mich, ging zur Tür und lauschte. "Meint ihr, da draußen ist vielleicht noch eine Band, die überlebt hat?" Das war tatsächlich die letzte Hoffnung, die ich noch nicht sterben lassen wollte, auch wenn ich kaum daran glauben konnte.
"Ja, klar", sagte Lovis, "eine Band, die netterweise den Bunker nach weiteren Glücklichen durchsucht. Mann, Gerret, keiner, der hätte rauskommen können, ist so blöd, länger als nötig im Bunker rumzurennen."
Jesper drehte wieder eine seiner Locken zusammen. "Da hat er Recht."
Hatte er wohl tatsächlich und von außerhalb unserer Welt konnten wir sicher keine Hilfe mehr erwarten; würde sich noch irgendwer um diesen Bunker scheren, wäre noch irgendwer da, so hätten wir es sicher vor einigen Tagen erfahren. Aber es war immer nur ruhig. Gestern hatten wir versucht, darüber zu reden, es aber bald gelassen, denn alle Gedankengänge waren lediglich frustrierend. Es war klar, dass nicht nur unser Bunker zusammengefallen war, denn in dem Fall wären irgend welche rot-weißen Rettungstrupps sicher längst zu uns vorgestoßen. Also war es umfassender gewesen. So unwahrscheinlich es für unser Land – das sich stets an die Mächtigsten gehalten hatte – auch war, irgend etwas Großes war vom Himmel gefallen und hatte alles ausgeblasen. Der schöne Sommertag, den ich noch von meiner Ankunft in Erinnerung hatte, sah heute sicher anders aus - grau und dunkel. Irgendwo sah ich vor meinem geistigen Auge den Pilz, der sich vor einigen Tagen über unserer Stadt erhoben haben musste. Besser nicht daran denken. Besser den schönen Tag in Erinnerung behalten. Die hellen Straßen. Die bunten Parks und das Lachen. Und die vielen Frauen. Wie Cosima zum Beispiel.
Ich wandte mich von der Tür ab und sah zu ihr hinüber. Wie auch immer Cedric es geschafft hatte, sich diese Frau zu angeln – er hatte eines der besten Stücke erwischt. Ich wusste es, wir hatten vor einigen Jahren ein paar Wochen lang miteinander gefickt. Zum Glück hatte das zwischen uns nichts zerstört, denn ich konnte sie gut leiden. Natürlich trug sie genau die Sachen, die alle Frauen an jenem letzten schönen Tag getragen hatten. Dünner, blau-weiß karogemusterter Rock. Das Top eng, kurz und hellgrün mit einem blauen Schriftzug einer Band, die ich noch nie gehört hatte, von der sie aber oft erzählte. Sicher keinen BH. Ihr Haar war lang, war schwarz und glatt. Dazu ihre algengrünen Augen, die eigentlich immer groß und sprühend waren. Die letzten Tage hatten sie abstumpfen lassen, aber sie sahen immer noch schön aus. Mehr als einmal war Cosima das Bild gewesen, vor dem ich mich zu Hause mit mir beschäftigt hatte.
Sie bemerkte, dass ich sie ansah. "Wie geht es dir?", fragte ich. Nach einem kurzen Blick auf die Tür sagte sie: "Ich möchte hier raus, Gerret. Du weißt sicher wie es mir geht." Ich wollte etwas sagen, aber mir fiel nichts ein und dann schob Cedric die Gardine zurück und kam wieder zu uns. Er ging an ihr vorbei und setzte sich hinter sein Drumset, schaute niemanden von uns an. Die letzten Tage über hatte ich mich ab und an gefragt, warum die beiden sich so selten in den Arm nahmen. Hätte ich gerade eine Freundin und wäre sie hier, ich würde mit ihr sicher den Trost teilen, den wir alle so dringend brauchten. Er schien sich mehr mit seinem Set zu trösten. Jedenfalls saß er mehr dort als bei ihr.
Ich ging zu Jesper und Lovis und griff in das Kartenspiel ein.

Erstes Solo:
Von meinem Platz hinter dem Schlagzeug aus beobachtete Jesper, Lovis und Gerret beim Kartenspielen. Und mein steigendes Misstrauen wurde von Wehmut durchzogen. Ich erinnerte mich an den letzten Auftritt, ein absolut perfekter Abend. Wir hatten als Vorband für eine echt gute Gruppe aus den Staaten gespielt und bereits kurz nach dem Kennenlernen hatten wir den Abend mit unserem Kartenspiel eingeläutet, den Amerikanern die Regeln erklärt und viel Spaß gehabt. Das Konzert war für alle ein Erfolg gewesen und danach waren wir zusammen durch die Straßen gezogen.
Wir waren doch eigentlich ein Team.
Am Montag hätte diese Amiband in unserer Stadt spielen sollen. Sie waren wahrscheinlich alle tot. Der Bunker war unsere Rettung gewesen, sie hatten im Schlachthof sicherlich keine Chance gehabt. Was auch immer passiert war, es war groß gewesen, daran zweifelte ich nicht weniger als jeder andere von uns hier.
Ein oder zwei Mal schon hatte ich mich gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn wir einen Proberaum näher an der Außenwand gehabt hätten.
Ich wandte meinen Blick ab und sah zu Cosima. Sie saß in einer Ecke und spielte mit ihren Haaren.
Ich liebe es, wenn sie das macht. Das gibt ein wunderschönes Bild, ihre Lippen zusammengekniffen – aber nicht verkniffen, den Kopf leicht schräg, die Beine angezogen und ihre Knie treffen sich, während die Füße weit auseinander stehen. Dazu ihre Klamotten. Ich liebe ihre Art, sich zu kleiden. Sie versteht es, die Blicke anderer Männer auf sich zu ziehen - und der Gedanke, dass ich es war, der Abends zwischen ihren Schenkeln lag, gibt dem Ganzen den entscheidenden Touch. Der zweite Blick der anderen fällt nämlich immer auf denjenigen, der die Hand dieser Frau in der seinen hält. Und so bin ich immer Teil ihrer Schönheit gewesen.
Ich liebte sie. Und das war das Problem.
Alle in der Band lieben Frauen. Und Frauen lieben Bands. Ob so etwas dazu gehört, das kann ich nicht sagen. Bei uns war es so und wir hatten es stets ausgenutzt. Vor Cosima war ich auch selten nach Auftritten alleine im Bett gewesen. Es hatte irgendwann einen besonderen Reiz entwickelt, sich an alle die verschiedenen Schlafplätze zu erinnern und sie mit den Frauen in Verbindung zu bringen. Selten kamen mir dabei die Gesichter und Körper deutlich in den Sinn. Durch Cosima wurde das anders. Sie hat mich in kurzer Zeit geändert, mich auf sie fixiert. Das ist einer der Gründe, warum sie mein Leben war.
Wir waren jetzt den sechsten Tag im Bunker gefangen. Die Chancen auf ein Entkommen schätzte ich inzwischen als relativ niedrig ein. Abgesehen davon, dass ich ihr nicht das Gefühl, hier zu sterben, aufdrängen wollte, war ich mir nicht sicher, wie die drei anderen auf diese Situation reagieren würden. Sie waren nicht zu berechnen. Cosima war eine schöne Frau. Ich würde darauf achten müssen, dass niemand durchdrehte. Und ich wusste, dass sie und Gerret mal was zusammen gehabt hatten. Deswegen saß ich mehr am Schlagzeug und ließ sie in Ruhe. Die Beachtung durfte nicht auf sie fallen. Und ich musste meine körperlichen und geistigen Kräfte bewahren. Für den Notfall. Was sie zu verstehen hatte.
Ich trommelte einen einfachen Takt auf den Knien und ging mit den Augen über unsere Vorräte. Optimistisch geschätzt hatten wir für vielleicht noch zwei Tage zu essen. Das Wasser mochte für noch einen oder zwei Tage länger genügen. Den Korn und die Cola hatte ich für das Ende gedacht. Wenn wir hier sterben sollten, dann würden die letzen Tage noch für die gute Party stehen, die ich mir für unser Ableben wünschte. Doch wir würden warten. Mir war klar, dass die drei anderen - besonders Lovis - im breiten Zustand gerne die Kontrolle verlieren, schnell gewisse Grenzen überschreiten könnten, die von Freundschaften gezogen und in den ganzen alltäglichen, natürlichen Situationen auch akzeptiert werden. Vor ihrem Ende wollten sie vielleicht noch eine Frau. Das war ihr – und zuvor auch mein – Leben, das Leben der Band.
Ohne darüber nachzudenken, war ich in den Takt unseres neuen Liedes übergegangen und beobachtete schweigend die Szene.
Eine weitere Nacht verging.

Zweite Strophe:
Das Essen war zur Neige gegangen.
Zwei weitere Tage vorbei und obwohl Cedric die Nahrung streng eingeteilt hatte – was er sicher auch von seinem Vater hatte – war der letzte Bissen heute gegessen worden. Es gab zwischen uns nicht mehr viel zu bereden. Jeder von uns ging anders mit dem Gedanken an das Ende um. Jesper und Lovis hatten sich auf das Kartenspiel fokussiert und bereits den ersten, handfesten Streit mit Cedric um unseren Cola- und Kornvorrat gehabt. Das war auch früher schon vorgekommen. Cedric war mehr der Kontrollfreak und wenn Lovis nicht irgend eine blöde Idee hatte, so kam sicher von Jesper eine und die beiden legten sich dann gerne mit ihm an – wobei es für sie irgendwie immer auf der Freundschaftsschiene ablief. Cedric dagegen sah manche Dinge ernster. Ich weiß noch, wie er und ich Lovis nach einem Konzert einmal in volltrunkenem Zustand von einem Fabrikdach runterholen mussten. Er war fest entschlossen gewesen, dort oben die Nacht und vielleicht auch noch den folgenden Tag in Freiheit zu verbringen. Cedric war ziemlich wütend gewesen.
Jetzt waren er und Cosima schweigsam. Cedric eher nachdenklich und in sich gekehrt, was mir Sorgen bereitete. Cosima sah ich Verzweiflung, Angst und Einsamkeit noch deutlicher an und es tat mir weh. Das hatte sie nicht verdient. Ich traute mich nicht, zu ihr zu gehen. Cedric benahm sich seltsam und ich war unsicher, wie es um ihn stand.
"Hey!" Jesper tippte mich an. "Lust auf 'ne Runde Karten?" Dabei ließ er das Spiel durch seine Finger gleiten. Elegant wie immer, aber gerade nervte er mich damit gewaltig. "Verpiss dich mit deinem Scheißspiel, du Spinner. Hast du echt nichts Besseres zu tun?" Er sah mich wenig überrascht an und fuhr in einer unvollständigen Geste mit den Händen durch den Raum, als wolle er ihn präsentieren: "Wenn du was Besseres findest, sag mir Bescheid." Er wandte sich ab, fragte Cosima, die nur müde den Kopf schüttelte. Cedric sah er kurz an, unterließ es aber, ihn zu fragen. Dann setzte er sich zu Lovis und gab Karten aus.
Eigentlich hatte er Recht. Am Anfang hatte das Kartenspiel auch mich noch von tieferen Gedanken abgelenkt, aber inzwischen erschien es mir doch nur noch als eine Farce, denn wir würden hier sterben. Alle fünf. Und mir waren es viel zu wenig Worte zwischen uns. Es gab viele Sachen, die ich gerne bereden würde. Wir alle waren zu jung zum Sterben, viel zu jung, um unter diesen Umständen aus dem Leben zu gehen. Ich hätte mit Autounfall, mit Krebs – denn Raucher waren wir alle – oder was auch immer gerechnet, aber ein beschissen langsames Abtreten ohne auch nur irgend eine Krankheit oder Chance hatte bei mir eine unglaublich hohe Quote gehabt.
Ich saß an der Tür und dachte an meinen letzten Tag in der heilen Welt. An den Sonnenschein, den Alltag auf den Straßen, in den Bürogebäuden, an die Frauen auf meinem Weg in mein graues, von Bäumen umsäumtes Grab.
Von ihnen gab es jetzt nur noch eine in meinem, in unser aller Leben.
Wenn ich schlief, träumte ich inzwischen von Cosima und zuerst war mir unwohl dabei – obwohl es sehr schöne Träume waren. Aber jetzt, da die Vorräte leer und die Kommunikation schon beinahe vor uns gestorben war, da machten mir diese Träume immer weniger aus und ich dachte ernsthafter darüber nach, wie ich sie vielleicht doch noch einmal ficken könnte. Noch einmal, bevor sie, bevor ich und alle anderen nur noch totes Gewebe in einer von einem unermüdlichen Generator beleuchteten Gruft sein würden.
Doch was würde ich damit tun? Ich liebte Cedric, ich liebte Lovis und Jesper. Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft – schon seit über zwölf Jahren. Mehr als mein halbes Leben hatte ich mit diesen dreien verbracht und schon mehr als acht Jahre machten wir zusammen Musik, hatten beinahe alles geteilt, was die Erfahrung eines Menschen wachsen lässt. Wir waren ein Team. Und Cosima gehörte zu Cedric. Aber sie war allein. So allein und wir waren hier doch alle zusammen.
In diesem Raum.
Hier sollte alles passieren, was noch vor unserm Tod geschehen mochte.
Und es passierte einiges.

Hintergrundrauschen:
Was für eine Situation, dachte Cosima. Immer wieder und wieder.
Sie saß an der Wand und spielte mit ihrem Haar. Cedric hatte sich wieder hinter seinem Schlagzeug verschanzt und die drei anderen saßen wortlos auf dem Boden und spielten Karten. Dieses andauernde Schweigen konnte einen irre machen.
Ihr Blick glitt wieder zu ihrem Freund; mehrere Male hatte sie versucht, einen Augenschlag mit ihm zu tauschen, doch er schien es zu vermeiden. Sie sah wieder nach unten, drehte langsam eine Haarsträhne um ihren Finger und dachte an die Zeit zuvor.
Cedric war ihr erst spät aufgefallen. Er war der Ruhepol der Band und sie hatte erst hinter diese Fassade blicken müssen, um sein sanftes und – wie ihr es manchmal erschien – unsicheres Wesen zu erkennen und sich in ihn zu verlieben. Er liebte es, sie abends zu streicheln, ihre Muttermale auf dem Rücken zu umkreisen, bis sie beinahe einschlief. Doch kurz bevor es soweit war, drehte er sich und ließ sich von ihr umarmen. So schlief er dann ein und ihre neue Beschützerrolle, die sie darin im Ansatz wahrnahm war für sie ein sehr schönes Gefühl. Ja, Cosima wusste, dass viele sie für lebensfreudig
fickgeil
hielten und sie machte sich da nicht viel daraus. Sie liebte das Leben und sie hatte gerne Sex. Aber es gab da eben die altbekannte und schon immer diskutierte Unterscheidung, welche auch sie zwischen Sex und Liebe traf. Das eine schließt das andere nicht aus, spielt nur in einer ganz anderen Liga und diese Momente des gemeinsamen Einschlafens waren ein Teil von dem, was die meisten nicht von ihr wussten.
Daher schmerzte sie der Entzug, den Cedric jetzt so grundlos praktizierte. Und auch wenn sie es sich noch nicht eingestehen wollte, so fühlte sie sich in seiner Nähe nun stetig unruhiger, ängstlicher, denn sie konnte sich nicht erklären, was in ihm vorging, fand aber in dieser Situation, nach den vielen Stunden der Angst in den ersten Tagen im Bunker und der nun in ihr aufsteigenden Resignation nicht mehr die Kraft und den Mut, ihn direkt danach zu fragen. Seine Ausstrahlung hatte sich verändert – wie Nord- und Südpol eines Magneten kam sie nicht mehr an ihn heran und mit dem Gefühl, ignoriert zu werden, war sie noch nicht oft konfrontiert gewesen.
Sie sah auf und bemerkte, dass Gerret sie von seinem Platz aus ansah. Sie lächelte ihm müde zu und er zwinkerte kurz mit den Augen.
Dass er mit hier war, machte die Situation so seltsam. In einigen Belangen waren er und Cedric sich sehr ähnlich, das hatte sie schon früher gespürt, ohne es je genau benennen zu können. Doch in den letzten Tagen hatte Gerret sie – im Gegensatz zu Cedric – mit seinen Blicken gestreichelt und ihr etwas Halt gegeben. Sie hatten ebenfalls nicht viele Worte gewechselt, aber es tat ihr gut, beachtet zu werden – und sie erinnerte sich auch an die schöne Zeit, welche sie früher geteilt hatten. Zwischen ihnen war alles perfekt gelaufen: Gemeinsame Freunde, gemeinsame Partys, gemeinsamer Sex. Sie hatte zuerst erwartet, dass sich die Beziehung abkühlen würde, nachdem der Sex beendet worden war, aber sie waren immer gute Freunde geblieben.
Gerret hatte immer noch das, was Cedric in diesem Raum so abrupt abgelegt hatte. Er trug es noch mit sich.

Zweites Solo:
Seit gestern hatten wir nichts mehr zu essen. Das Wasser war beinahe leer. Vielleicht noch bis morgen.
Gerret hielt ich für gefährlicher. Er hatte diesen seltsamen Blick drauf. Er sah Cosima zu oft auf diese Art an. Das gefiel mir nicht.
Gerret war wirklich heiß auf meine Freundin.
Ich hatte gewusst, es würde soweit kommen. Deswegen verstand ich, dass Jesper und Lovis den ersten Aufstand anzettelten. Das machten sie ja immer. Gerret agierte aus dem Hintergrund. Die beiden anderen waren deutlicher in dem, was sie wollten. Logisch, dass sie zuerst darauf aus waren, den Korn an den Start zu bringen. Uns alle in gute Stimmung zu bringen.
Und dann einen gemeinsamen Cosima-Fick hinzulegen.
Wir alle hatten sie vorher gekannt, denn sie war mit Jesper in einer Abschlussklasse gewesen; wir alle hatten gewusst, dass sie gerne und erfolgreich lebte. Ich kann mir die Einstellung der drei zu ihr gut vorstellen. Noch damals, als ich gerade mit ihr zusammen war und eine Party in ihrer WG anstand, hatte Lovis den Abend als ‚Jahrhundert-Schlampenparty’ bezeichnet. Er hatte sich gleich darauf bei mir entschuldigt, aber es war etwas geblieben.
Der Streit war das erste Anzeichen für das gewesen, was mit Sicherheit folgen würde und die beiden gaben nicht auf. Ich hatte sie zurückdrängen müssen und dann war Gerret dazu gekommen. Er hatte seine Chance erkannt. Er hatte gewusst, wenn sie zu dem Zeitpunkt die Oberhand bekommen würden, dann könnte er seinen dreckigen, seinen kleinen Schwanz in meine Frau stecken. Und Jesper und Lovis würden mich halten, würden mich zwingen, dabei zuzusehen, sich dann mit Gerret abwechseln und ihre hässlichen Dinger hinterher schieben.
Ich hatte es geschafft, sie verbal zu stoppen. Sie im Zaum zu halten. Aber wie lange noch? Ich allein wäre zu schwach gegen drei. Wie sollte ich Cosima beschützen, wenn diese drei Wichser ausrasten würden?
Nach dem Streit saß ich hinter meinem Set, einen Takt auf den Knien; die anderen saßen in einer Ecke und Cosima nicht weit davon entfernt. Ich machte mir Sorgen. Sah das Schlimmste kommen. Die Party zum Ende würde doch hässlich werden. Wie mir das Sorgen bereitete.
Eine Nacht schlief ich darüber.
Dann war mir klar, dass mein bisheriger Weg der falsche gewesen war. Cosima war der Weg, ihr musste ich klarmachen, dass wir alleine gegen drei waren. Dass ich sie vernachlässigt hatte – wenn auch nur, um sie zu schützen – und dass es nur einen Weg gab, um in Frieden zu sterben.
Wir beide allein.
Denn sie ist mein.
Niemand hatte das Recht, sich ihr auch nur zu nähern und es lag an mir, es allen deutlich zu machen. Ihr zuerst, dann den anderen. Und dieser Moment war gekommen.

Intermezzo:
Am Morgen nach dem Streit rastete Cedric aus. Und es kam hart.

Refrain, dissonant:

Erster Takt:
Cedric steht auf, geht auf Cosima zu, greift ihren Arm und versucht, sie hinter den Vorhang zur Toilette zu zerren. Cosima wehrt sich, mit weit aufgerissenen Augen starrt sie ihn an, gerade aus einem der beruhigenden Träume gerissen; Cedric redet von zweien gegen drei und von einem Aufstand der Wichser. Mit einer Hand öffnet er seine Hose und spricht von Vereinigung, von Reinheit, von Mord und Frieden danach.

Zweiter Takt:
Jesper, Lovis und Gerret wachen auf. Cosimas’ zutiefst erschrockene Rufe hallen durch den Raum.
Gerret sieht alles ganz langsam geschehen, nimmt die Einzelheiten des Raumes wahr: Den von Poren durchzogenen Beton der Wände, das Flackern der Neonröhre und die tanzenden Schatten; die malmenen Zähne Cedrics, während er seine Freundin an ihrem Top hinter den Vorhang zerrt und sich der Stoff über ihren Körper spannt; Gerret sieht Cosimas’ Brustwarzen, die sich unter dem psychischen Druck aufrichten und sein Blut konzentriert sich auf seinen Penis – ab da hält er sich zurück und verbleibt in der Rolle des Betrachters. Kann nicht ganz klar denken.
Jesper und Lovis sind gereizt, weil sie Cedric seit dem gestrigen Streit um den Korn doch vermehrt negativ gegenüberstehen. Sie denken weniger an Cosimas’ Brüste, eher an den Alkohol. Da auch diese beiden begriffen haben, dass sie in diesem Raum sterben werden, wollen sie die letzten Tage genießen – so gut es eben geht. Ohne sich ihr Sterben vorschreiben zu lassen. Sie halten Cedric an den Armen fest und erheben die Fäuste. Er brüllt indes auf Cosima ein, sieht die Sache aus dem Rahmen laufen, versucht nach Lovis zu schlagen und trifft Cosima, die sich in diesem Moment aus seiner Umklammerung befreit und nach dem Erstbesten greift, das sie finden kann.

Dritter Takt:
Cosimas’ Hände erfassen Lovis’ Bass und sie rammt das Ding frontal gegen Cedrics Schläfe. Cedric vergisst seine Theorien im Allgemeinen, vergisst Cosima und den Aufstand der Wichser im Besonderen und fällt.

Vierter Takt:
Jesper, Lovis, Gerret und Cosima starren auf Cedrics Körper; Cosima lässt den Bass fallen. Für einige Momente sind alle ruhig und man hört nur Cosimas’ schweren Atem. Dann Gerrets’ Stimme.

Bridge:
„Cedric?“
Seine eigene Stimme klang Gerret seltsam fremd in den Ohren und schien sich hier in diesem Raum zu verlieren. Wie sie alle. Offensichtlich. Dann stellte Cosima leise, zitternd eine Frage in den Raum.
„Er atmet nicht mehr. Oder?“
Sie lehnte sich zitternd an die Wand. Ihre Haut schien ihm fahl in dem flackernden Licht, doch hob sie sich bezaubernd von dem Rest der Welt ab, der nur noch grau und nichtsagend daher kam. Ihre Brustwarzen waren immer noch hart.
„Nein.“ Jesper hatte sich zu neben Cedric gekniet und den Puls gefühlt. Er richtete sich wieder auf und begann, eine neue Dreadlock in seine Haare zu drehen. Gerret konnte sich gut vorstellen, dass sich Jesper während seines Zivildienstes auf dem Rettungswagen genauso verhalten hatte. Ungewöhnlich abgeklärt.
"Und was jetzt?"
„Ist nun mal halt so.“ Lovis war der erste, der mit dem Ende weiter machte. Er hob seinen Bass auf und fuhr langsam mit den Fingern über den Kopf, setzte das Instrument dann auf das hochgezogene Bein und spielte einen einfachen Lauf. Wir standen um Cedric herum und ließen die Töne, die Lovis wählte wirken.
Irgendwann setzte er ab, warf den Bass mit einer achtlosen Geste in eine Ecke und griff Jesper beim Arm. Er zog ihn mit sich und gemeinsam öffneten sie die erste Kornflasche.
Gerret sah ihnen nach.
Jesper, an die Wand gelehnt, spielte weiter mit den ersten fertigen Dreads, dann griff er zu seinem Tabakbeutel. Lovis machte die ersten Mischungen fertig und dann redeten sie. Ganz ruhig.
Gerret behielt dieses Bild für sich in seinem Gedächtnis. Dann wandte er sich Cosima zu und nahm sie in die Arme.
Ab hier war der Handel abgemacht. Die beiden hatten ihre Welt – eine, die Gerret auch gewählt hätte, wenn nicht Cosima gewesen wäre.

Dritte Strophe:
Es war soweit. Endlich.
Cosima lag in meinen Armen. Ich betrachtete sie mit müder Verwunderung - erstaunlich, wie dünn und krankhaft man werden kann, bevor der Körper endgültig aufgibt.
Mühsam hob ich eine Hand und strich ihr durch das schwarze Haar. Sie lächelte.
Und starrte weiter in die Ferne.
Ich suchte den Punkt an der Wand, den sie für sich genommen hatte. Natürlich war da nicht mehr als blanker Beton. Und so wandte sich mein Blick ab und geisterte auf einem schattenhaften Weg noch einmal durch diesen Raum. Das Licht flackerte.
Das Schlagzeug, in der Ecke aufgetürmt.
Mit vereinten Kräften hatten wir Cedrics Körper am Tag seines Todes in die entfernteste Ecke geschafft, ihn mit einem Vorhang bedeckt und unter den einzelnen Bestandteilen seines Schlagzeuges versteckt. Für die verbleibende Zeit sollte er von uns abgegrenzt sein. Sein Verwesungsgestank war natürlich darunter hervorgekommen und hatte sich mit dem restlichen Gestank eingeschlossener Menschen vermischt. Wir hatten es akzeptiert und einige Male Galle gekotzt. Das war im Prinzip das, was uns Cedric an Erinnerungen hier gelassen hatte.
Mein Blick schlich weiter und tastete sich über die Körper von Jesper und Lovis. Sie hatten sich die Ecke zum Sterben gewählt, in die sie sich nach seinem Tod gesetzt hatten und ich wusste, sie beide waren damit zufrieden gewesen.
Jesper war zuerst gestorben. Seine Dreadlocks lagen unfertig um seinen Kopf herum auf dem Boden. Lovis hatte noch einige Zeit Patiencen gelegt und sich dann irgendwann dazu gelegt. Vielleicht hatte er beim Sterben noch einmal an sein Fabrikdach gedacht – es würde ihn niemand mehr da oben stören. Da ich wusste, dass ihr Ende für sie okay gewesen war, war es auch für mich in Ordnung und ich hatte einfach ein gutes Gefühl in meinem Bauch, wenn ich an sie dachte. Auch hatten sie immerhin noch nicht begonnen zu verwesen.
Cosima und ich hatten uns in einer anderen Ecke den gesamten Rest an Vorhängen zu einem kleinen Lager zurecht gemacht und waren von hier nur noch selten gewichen. Da wir alle vier mit unserem jeweiligen Schicksal einverstanden gewesen waren, hatte es keinen gestört, dass wir beide hier so oft wie möglich miteinander geschlafen hatten. Solange die Kraft noch reichte. Dass wir miteinander geredet und uns gegenseitig ruhig in den Arm genommen hatten. Solange wir noch Menschen waren.
Ich kann es schlecht beschreiben, aber Cedrics Ausrasten und sein folgerichtiger Tod hatten uns anderen die Ruhe gegeben, so sterben zu können. Obwohl wir so langsam darbten und dabei, einer nach dem anderen den noch Lebenden den Tod vorstellten, obwohl es in diesem Raum so ekelerregend stank und wir in der Gewissheit starben, dass es so einen Sommer, wie ich ihn in Erinnerung hatte, nie wieder geben würde – ich war mir sicher, dass wir alle ungefähr so auch immer hatten sterben wollen.

Refrain, harmonisch:
Cosima hörte auf zu atmen. Sie starrte weiter die Wand an.
Ich nahm ihren Kopf sanft von meinem Arm, legte mich vollständig hin und umarmte ihren Körper. Dann schloss ich die Augen.
Wohin auch immer, ich hatte das tiefe Gefühl, dass ich diese drei, die mit mir überlebt hatten, dort wiedersehen würde.


Outro:
Vor dem Raum mit den fünf Leichen lagen Berge von Trümmern. Ein Durchkommen wäre nie möglich gewesen.
Von dem Bunker standen nur noch Reste. Von den umliegenden Gebäuden noch weniger. Ebenso die Stadt.
Und alles lag in all den weiteren Dimensionen brach.
Leer und tot.

Zufrieden konnten jene sein, die glücklich gestorben waren.

 
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So, habs jetzt endlich überarbeitet... (neue Version im Posting hierüba)

1. Cosima hat jetzt ihren eingenen Part ('Hintergrundrauschen'). In dem wird ihre Beziehung zu Cedric und Gerret etwas näher betrachtet, etwas von ihrer Selbstsicht wird erklärt und der Part gibt einen Grund, warum sie am Ende mit Gerret glücklich ist.
Allgemein hab ich noch geändert, dass sie vor einigen Jahren mal mit Gerret ne sexuelle Beziehung hatte, die beiden gut in Erinnerung geblieben ist. Allgemein wird auch angedeutet, dass sich Cedric und Gerret in manchen Belangen ähneln, weshalb Cosima beide 'spannend' findet.

2. Jonte und Jesper:
Jonte heißt nicht mehr Jonte, sondern Lovis. Die beiden J waren echt blöd. In verschiedenen Parts (Strophe 1 und auch 2 in der Bridge und kurz am Ende) habe ich versucht, sie etwas individueller zu gestalten ohne ihnen zu viel Platz einzuräumen. Hoffe, sie wirken nicht mehr so angebatscht, gell chazar? ;)

3. Allgemeines:
Den Part von Frauen im Sommer am Anfang habe ich etwas gekürzt.
Ausserdem sind natürlich noch einige Formulierungen abgeändert (Das passiert ja immer automatisch :shy: ).

So, hoffe, es hat was gebracht, freue mich über weitere Kritik (macht mich fertig!) :D.

LG, baddax


PS:
Die Sache mit Panikattacken und Verzweiflung habe ich in der 1. Strophe noch mal angemerkt: [...] Allein würden wir nie dadurch kommen und die langen ersten Stunden hier im Bunker waren hart gewesen. Wir alle hatten unsere Anfälle, unsere Panikattacken gehabt, aber die Energie war verbraucht. Es scheint, als hätten wir das nächste Stadium erreicht. Ich hatte davon mal gelesen – irgend ein Artikel über die verschiedenen Phasen, die Todkranke durchlaufen. Wir durften das jetzt ohne Krankheit testen. [...]

Ich hab hin und her überlegt, aber große Panikattacken und Ausbruchsversuche würden meiner Meinung nach den Fluß der Geschichte brechen, der ja auf was ganz anderes zielt. Ich hab die Zeit, die sie am Anfang der Geschichte schon im Bunker sind, auf sechs Tage gesetzt und denke, das spätestens dann sowas wie Resignation einsetzt... :shy:

PPS:
Männliche Libido: Weiß nicht, ob es sich dadurch etwas entschärft, dass Cosima ebenso auf den Sex am Ende Bock hat, um das Ende möglichst schön zu machen. Und Gerret und sie reden am Ende viel miteinander und geben sich Nähe: [...] dass wir beide hier so oft wie möglich miteinander geschlafen hatten. Solange die Kraft noch reichte. Dass wir miteinander geredet und uns gegenseitig ruhig in den Arm genommen hatten. Solange wir noch Menschen waren. [...] Man beachte den genialen (*scherz* :D) Schritt: miteinander schlafen, solange noch Kraft da ist <=> miteinander reden und umarmen, solange man noch Mensch ist.

 

Hi baddax!

Also ich finde sie besser, ganz ehrlich.
Gefallen hat sie mir ja schon vorher, eben weil sie irgendwie anders ist. Aber jetzt ist sie besser.
Ein paar Dinge haben mich wieder gestört:

Sie war ? wie gesagt - Cedrics Freundin und hatte ihn eigentlich nur nach oben begleitet
Das "wie gesagt" stört mich - unnötig.
Auch der erste Teil des Satzes, wenn man es genau nimmt. Entweder der Leser hat es schon kapiert oder er wird es noch kapieren.

Der Lärm
die Macht
des großen Crashs hatte uns auch
Naja, wollte ich nur noch einmal anführen - sicher das letzte Mal, versprochen. :D

Wir alle hatten unsere Anfälle, unsere Panikattacken gehabt, aber die Energie war verbraucht.
Etwas berichtartig, findest du nicht.
Wäre: "Jesper hatte gegen die Tür geschlagen, bis seine Faust geblutet hatte. Cosima hatte geweint, bis keine Träne mehr in ihrem Körper gewesen war, ect. ect." nicht emotionaler? Und detailierter? Und somit ergreifender?

...der Spinner. Allerdings würde seine neue Frisur diesmal wohl keinen Auftritt mehr erleben.
Neu der Absatz? Jedenfalls finde ich ihn sehr gelungen.

Die letzte Hoffnung, die ich hegte, war die, dass es da draußen noch andere Bands gab, die auch überlebt hatten.
Noch eine kleine Idee: was wäre, wenn... da wirklich eine Band wäre, oder zumindest ein Gitarrist? Gerret hört durch die dicken Betonwände, wie der leise Akkorde spielt... und irgendwann, nach ein paar Tegen, verstummt.

Alkohol lässt Menschen zu leichtfertig gewisse Grenzen überschreiten, die von Freundschaften gezogen und in den ganzen alltäglichen, natürlichen Situationen auch akzeptiert werden. Aber wahrscheinlich würden die Probleme vorher anfangen. Denn meine drei Freunde, so gern ich sie auch mochte, waren sicher geistig nicht sehr stark und eher einfach gestrickt. Vor ihrem Ende wollten sie sicher noch eine Frau. Das war ihr ? und zuvor auch mein ? Leben.
Das hier ist mir fast ein bisschen zu erklärend. Streichen??

würden mich halten, würden mich zwingen, dabei zuzusehen, mich halten,
mich halten... mich halten.

Denn sie ist mein.
Das ist Cedrics letzter Gedanke - den der Leser miterlebt. Man könnte das Ende dieses Absatzes vielleicht etwas atmeloser machen, etwas aufgewühlter, damit dann Cedrics Ausraster etwas glaubwürdiger rüberkommt.

Und noch etwas: vielleicht unter den Kumpels ein paar Dialoge. Nur ein paar und fragmentarisch. Wäre aber vielleicht ganz stimmungsvoll an den richtigen Stellen.

Zu deinen Anmerkungen:

Cosima hat jetzt ihren eingenen Part ('Hintergrundrauschen').
Ja, ist mir sehr positiv aufgefallen.

Hoffe, sie wirken nicht mehr so angebatscht, gell chazar?
Nein, aber: ein paar Dialoge wären noch gut.

Den Part von Frauen im Sommer am Anfang habe ich etwas gekürzt.
Der Einstieg ist schneller und runder.

Ich hab hin und her überlegt, aber große Panikattacken und Ausbruchsversuche würden meiner Meinung nach den Fluß der Geschichte brechen
Da hast du Recht, aber ein bisschen persönlicher wäre nicht verkehrt. (Siehe oben.)

macht mich fertig!
Gar nicht nötig. :D

In diesem Sinne
c

 

Nur her mit den störenden Dingen! :D

1. Stimmt, das wie gesagt schmeiß ich mal raus. Das sie Cedrics Freundin ist, kann der Leser vorher nicht wissen, weil es nirgendwo steht. Ich dachte, ich machs lieber gleich deutlich, damit gar nicht erst Unschlüssigkeiten aufkommen. Aber vielleicht kann ich es ja irgendwo anders reinbauen.

So, ähhh... Rest kommt nachher, weil ich gerade Feierabend machen muss... ( der EDV-Dienst will was an den Rechnern machen ) :D

 

So, jetzt kanns weitergehen:

2. Meinst Du das 'die Macht' ? Ich denke, dass kann weg (ist auch nicht so ein toller eingeschobenes Dings) - dafür ersetze ich Lärm mit einem mächtigeren Wort, dann passt es.

3. Ja, das kann ich in ein paar Sätzen weiter ausbauen. Denke gerade so an einen gedanklichen Rückblick von Gerret, der vom Stil her anders ist, dann muss ich nicht kompliziert überleiten. Ich denk mal weiter drüber nach.

4. Ja, der Absatz ist neu (sollte Jesper und Lovis mehr verdeutlichen). Perfekt, dass er gefällt. :)

5. Die Idee mit dem Gitarrenspieler finde ich cool. Allerdings besteht die Gefahr, dass er als die Geschichte nicht weiterführendes Element vielleicht etwas stört - denn dann müsste ja zumindest darauf eingegangen werden, wie sie darauf reagieren, dass noch wer lebt. Ich denk mal drüber nach.

6. Ich glaub ich kürz den Part eher und schreib ihn um.

7. Das eine 'mich halten' kommt weg.

8. Cedrics letzter Gedanke: ja, klingt gut. Auch hier werd ich mir was überlegen.

9. Stimmt, kann man noch welche reinbauen, aber ich muss mir vernünftige Themen dafür überlegen, damit die Dialoge nicht so eingebaut wirken. Vielleicht gibt da der einsame Gitarrenspieler in einem anderen Raum eine ganz gute Basis? Werd ich auch mal überdenken.

Auf jeden Fall klasse, dass die Änderungen gewirkt haben. Vor allem auch bei Jesper und Lovis. Wie gesagt, die Anmerkungen ändere ich noch, bzw. die Vorschläge check ich ab. Sind vom Prinzip her alle cool. Mach ich aber später, jetzt muss ich erst mal entspannen. :D

Danke fürs erneute Lesen und durchdenken!

LG, baddax

 
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So, habe nochmal geändert:

Die genannten Kleinigkeiten sind geändert.

Jetzt sind auch an drei Stellen Dialoge drin (eben nur sehr kurze):
1. Strophe; als Cedric aufs Klo geht und ob noch ne andere Band da ist.
1. Strophe, Ende; zw. Gerret und Cosima
2. Strophe; Kartenspielvorschlag

Ausserdem ist Cedrics letzter Gedanke etwas ausgebaut.

Die Beschreibung der ersten Panik-Stunden (wo vorher " Wir alle hatten unsere Anfälle, unsere Panikattacken gehabt, aber die Energie war verbraucht." stand) ist jetzt auch etwas ausgebaut (ebenso nicht sehr stark, um nicht zu sehr drauf einzugehen) und umgeschrieben, damit es besser reinpasst.

Ebenso gibt es natürlich wieder einige Ausdrucksänderungen und so...

Der einsame Gitarrenspieler: obwohl ich die Idee echt gut finde, erscheint sie mir jetzt doch zu mächtig als kleines Gimmick. Wenn sie ihn hören können, kann er sie ja sicher auch hören und das könnte man nicht so kurz abhandeln. Bräuchte mE zu viel Platz. Es müsste Aktion und Reaktion folgen. Man könnte zwar das Ganze schon als Vergangenheit schreiben (dass der Gitarrenspieler bereits verstummt ist und Gerret sich daran erinnert), aber das würde der Idee - glaub ich - nicht gerecht werden und sie würde irgendwie hilflos verpuffen ohne die Atmosphäre zu stärken. Deswegen lass ich es raus - leider. Vielleicht sollte man dazu mal ne eigene Geschichte schreiben....

Also, nochmal vielen Dank für die Tipps, hoffe, die Dialoge wirken nicht so reingebaut.

LG, baddax

 

Jo, ich wieder.

Hab dieses Mal nur die Änderungen überflogen.
Die Dialoge gefallen mir. Gut gemacht.
Auch Cedrics letzter Gedanke ist jetzt eine bessere Überleitung.

Der einsame Gitarrenspieler:
Ja, wenn ich mir deine Ausführungen und Gedanken so durchlese, dann muss ich dir Recht geben. Es war gut, ihn nicht einzubauen.

Gruß
c

 

Jo, danke - auch noch mal für alle Deine Anmerkungen und Vorschläge im Allgemeinen. Hat der Geschichte mE viel gebracht. :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo baddax!

Grundsätzlich gefällt mir die Plotidee ganz gut – allerdings finde ich, daß das alles viel zu problemlos abläuft, oder auch zu wenig in die Tiefe geht. Zu wenig Reibereien, zu wenig gezeigte Angst – das deutest Du alles nur an. Bis auf das Erschlagen Cedrics läuft irgendwie alles wie im Märchen ab: Sie sind fürs erste bestens versorgt, vertreiben sich die Zeit, spielen Karten, warten auf ihr Ende; das alles, ohne in Panik zu verfallen. Als sie sich am Schluß dann noch alle so diszipliniert zum Sterben hingelegt haben, konnte ich das gar nicht glauben.

Zum Beispiel könntest Du die Versuche, die Tür zu öffnen, noch ein wenig beschreiben – da ist doch sicher Verzweiflung mit dabei, die wollen nicht da in dem Raum verrecken, und strengen sich an.
Außerdem würden sie vielleicht alle paar Stunden horchen, ob sie Rettung kommen hören.


Das Essen war zur Neige gegangen.
Auch das ist ein wichtiger Punkt, den Du meiner Meinung nach viel mehr ausbauen solltest. Essen geht nicht einfach so zur Neige. Man ißt eher nicht jeden Tag seine Portion, so lange, bis nichts mehr da ist, sondern es ist wahrscheinlicher (und gescheiter), wenn man immer gerade so viel ißt, daß der Hunger weg ist. Nicht nur, weil man dann länger etwas davon hat, dadurch länger lebt, und die Chance, daß man noch lebt, wenn vielleicht doch noch Rettung kommt, größer wird. Also, da sind fünf junge Leute, die werden doch sicher über das Thema irgendwie sprechen, und im Gespräch kommen sie bestimmt drauf, daß es vielleicht nur etwas länger dauert. Nach einer Atombombe oder was auch immer das in Deiner Geschichte war, wird das vermutlich internationale Hilfe sein. Wie man nicht erst bei der Flutkatastrophe sieht, geht das alles nur sehr schleppend – klar im Vorteil, wer sich seine Vorräte strenger und strenger einteilt, um länger auszukommen.
Aber selbst, wenn man am Ende doch verhungert, ist es besser, die Rationen von Tag zu Tag zu verkleinern, das begreift man in der Situation dann auch recht schnell – dann verkleinert sich nämlich auch der Magen langsam und es tut weniger weh. Und man hat ja auch Angst vor dem Tag, an dem man nichts mehr hat, ein Grund mehr, es auf immer kleinere Portionen zu rationieren. – Apropos weh: Auch das Sterben geht in Deiner Geschichte zu schmerzlos. Niemand jammert, daß er Durst hat, keinem tut der Magen weh? Keiner, der noch etwas sagen will, aber die Kehle schon so ausgetrocknet ist, daß kein Ton mehr herauskommt, keiner der heult, aber keine Tränen mehr hat… Und kalt wird einem, wenn man nichts mehr zu essen hat, sogar, wenn Sommer ist. Außerdem bekommt man vom Hunger auch ziemlich starkes Kopfweh. (Sollten zugleich mit der Kritik ein paar Anregungen sein. ;-))
Eine Variante wäre auch, sie doch nicht auf die Idee kommen zu lassen, auf Hilfe zu hoffen, sie dafür aber am Schluß kommen zu lassen, ganz überraschend, als gerade noch der Protagonist und Cosima leben.

Außen und innen erzählen die besprühten Wände Geschichten; zumeist unwichtig, aber es gibt Wahrheiten dazwischen und einige wenige davon habe ich mir bewahrt.
Schade, daß wir sie nicht erfahren, die Geschichten und Wahrheiten. Vielleicht könntest Du noch ein paar davon in die Geschichte einbauen? Das könnte auch ein bisschen mehr zur Charakterisierung beitragen, denn die Gedanken um Cosima können doch nicht alles sein, was in dem Protagonisten vor sich geht, das fände ich schon ein bisschen mager. (Sehen Männer das anders? :susp: ) So liegt die Spannung halt irgendwie nur auf dem altbekannten »kriegt er sie oder kriegt er sie nicht«…
Zuvor hat er kritisiert, daß Cedric nicht mit ihr redet, und er selbst hat dann nichts als ficken im Kopf. Hier könnte er mit ihr – zumindest nebenbei – noch Gedanken austauschen – zum Beispiel über die Sprüche an der Wand.

Nachdem Cosima Cedric erschlagen hat, könntest Du auch eine Disku…, nein, einen Streit einbauen, ob sie ihn nun essen sollen. Einem von den vieren könnte der Hunger schon so weh tun, daß er das ernsthaft in Erwägung zieht, meinst Du nicht? Bevor er stirbt, ist der Mensch zu viel fähig.

Ich würde die Geschichte wirklich noch ausbauen. Daß sie dadurch länger würde, macht meiner Meinung nach nichts aus, wenn der Inhalt interessant genug ist. Würde mich freuen, wenn meine Tips auf fruchtbaren Boden fallen. :)


Noch die üblichen Kleinigkeiten:

»Wieso ausgerechnet wir Fünf den Tag überlebt hatten,«
– wir fünf

»Klar, dass mit den Temperaturen die Laune der Menschen in unserer Betonarena gestiegen war«
– würde die Temperatur ebenfalls in der Einzahl lassen: dass mit der Temperatur die Laune …

»Cedric ließ ab und an einen seiner Sprüche ab«
– Wiederholung von »ab«

»mit der er letzten Monat zusammen gekommen war.«
– Öfter schafften sie es nicht? Und wieso weiß der Erzähler das? :susp: Ach so, Du meinst »zusammengekommen«. :D

»Cedric hatte bei einem der große Discounter angefangen.«
– großen

»Wir alle waren inmitten in der Sommeratmosphäre gefangen gewesen.«
– ein »in« zuviel

»Musikbunker sind etwas besonders.«
– etwas Besonderes

»gab es in diesem Bunker eine Toilette in der das Licht funktionierte und einmal die Woche«
– Toilette, in der das Licht funktionierte, und

»Wir hatten ein Sofa und einen kleinen Tisch in der einen Ecke platziert;«
– irgendwie erwähnst Du keine andere Ecke, warum dann »in der einen«? Vorschlag: in einer Ecke

»der ‚Property of Gene Simmons’ - Schriftzug«
– ohne Leertasten vor und nach dem Bindestrich (ein Bindestrich verbindet, da ist kein Platz für Leertasten ;))

»Als wir alle vielleicht fünf Minuten hier gewesen waren, war der große Knall gekommen.«
– würde »gekommen« streichen

»die an dem Abend bei ihnen hatte stattfinden sollen.«
– hätte

»Wir anderen hatten bis heute morgen immer wieder probiert, die Tür zu öffnen,«
– heute Morgen

»Der Lärm, die Macht des großen Crashs hatte uns auch eigentlich auch nichts anderes«
– ein »auch« zuviel

»Die Vorstellung darüber, wie viel Betonschrott die Tür tatsächlich versperrte«
– würde »darüber« streichen, ansonsten hieße es richtiger »davon«

»Allein würden wir nie dadurch kommen und die langen ersten Stunden hier im Bunker waren hart gewesen.«
– da durch (auseinander)
– würde »langen« nach hinten schieben: die ersten Stunden hier im Bunker waren lang und hart gewesen.

»Dunkel schwebten die Bilder unserer verweifelten Gesichter vor meinen Augen.«
– verzweifelten

»als einmal Beamte an der Grenze Richtung Tschechei«
– würde sagen »an der tschechischen Grenze«, dann umgehst Du auch das eher unkorrekte »Tschechei«

»"Meint ihr, da draussen ist vielleicht noch eine Band, die überlebt hat?"«
– draußen

»Das war tatsächlich die letzte Hoffnung, die ich noch nicht hatte sterben lassen wollen,«
– warum nicht »die ich noch nicht sterben lassen wollte«?

»Und von außerhalb unserer Welt konnten wir sicher keine Hilfe mehr erwarten;«
– würde das »Und« streichen

»unser Land – das sich stets an die Mächtigsten gehalten hatte«
– meinst Du: »das stets zu den Mächtigsten gezählt hatte« oder »das sich stets an den Mächtigsten orientiert hatte«, oder was? So, wie der Satz da steht, verstehe ich ihn nicht.

»sah heute sicher anders aus. War sicher grau. Sicher dunkel. Uns irgendwo sah ich vor meinem geistigen Auge«
– sind die drei »sicher« Absicht? Wenn ja, sollte mir das demnach gefallen? Na, ich weiß´ nicht…:susp: ;-)
– Und

»Die bunten Parks und das Gelächter.«
– würde »das Lachen« statt »Gelächter« schreiben, Gelächter klingt so nach auslachen, ein Lachen ist da viel unbeschwerter

»Sie bemerkte, dass ich sie ansah. "Wie geht es dir?", fragte ich. Sie sah kurz an mir vorbei«
– »Sie bemerkte«, »Sie sah« – zweimal ähnliche Satzanfänge

»Ich ging zu Jesper und Lovis und griff in das Kartenspiel ein.

Ich saß hinter meinem Schlagzeug«
– detto: »Ich ging«, »Ich saß«

»Am Montag hatte diese Amiband in unserer Stadt spielen sollen. Sie waren wahrscheinlich tot.«
– hätte
– würde zwischen wahrscheinlich und tot »alle« einfügen, klingt besser

»sie hatten sicherlich nicht viele Chancen im Schlachthof gehabt.«
– würde den Schlachthof nach vorne verschieben und aus »nicht viele Chancen« »keine Chance« machen: sie hatten im Schlachthof sicherlich keine Chance gehabt.

»Ein oder zwei Mal schon hatte ich mich gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn wir einen Proberaum gehabt hätten, der näher an der Außenwand gewesen wäre.«
– Vorschlag: wenn wir einen Proberaum näher an der Außenwand gehabt hätten.

»Ich liebe es, wenn sie das macht.«
– Warum wechselst Du ab hier in die Gegenwart?

»Sie versteht es, die Blicke anderer Männer auf sich zu ziehen«
– verstand es, Männerblicke auf sich zu ziehen

»Und wir waren jetzt den sechsten Tag im Bunker gefangen.«
– würde das »Und« streichen

»Optimistisch geschätzt hatten wir für vielleicht noch zwei Tage zu Essen.«
– »zu essen« oder »hatten wir noch für zwei Tage Essen«

»"Runde Karten?"«
– das wär doch mal ein Hit, runde Karten! :lol: Vielleicht willst Du ja »´ne Runde Karten?« draus machen? (Ich hab runde Würfel, daher ist der Gedanke an runde Karten nicht so abwegig, wie er vielleicht scheint. ;-))

»Hast du echt nichts besseres zu tun?" … "Wenn du was besseres findest,«
– nichts/was Besseres

»Mehr als mein halbes Leben hatte ich mit diesen Dreien verbracht«
– mit diesen dreien

»Hier würde alles passieren, alles, was noch vor unserm Tod passieren könnte. Vielleicht sollte ich abwarten, was genau.
Und es passierte einiges.«
– irgendwie paßt das alles nicht ganz so, wie Du es glaub ich gern hättest. Besonders der dritte Satz paßt nach dem zweiten nicht so richtig. Aber ich weiß auch nicht, wie Du es besser machen kannst, außer, daß ich den ersten Satz mit »Alles« beginnen würde und statt »könnte« »sollte« oder ähnliches: Alles würde hier passieren, alles, was noch vor unserem Tod passieren sollte.
Irgendwie ergibt der zweite Satz nicht viel Sinn, da dem Protagonisten ja ohnehin nichts anderes übrig bleibt, als abzuwarten, würde ihn vielleicht streichen, denn der dritte paßt gut nach dem ersten.

»Ja, Cosima wusste, dass viele sie für lebensfreudig
fickgeil
hielten und sie machte sich da nicht viel daraus.«
– Daß Du jetzt auch mit diesem King-Zeugs anfängst, da bin ich jetzt aber ziemlich enttäuscht.

»dann könnte er seinen dreckigen, seinen kleinen Schwanz in meine Frau stecken.«
– paßt das zu der Freundschaft, die sie angeblich hatten? Würde zumindest das zweite »seinen« streichen…

»Wie sollte ich Cosimas beschützen können, wenn diese drei Wichser ausrasten würden?«
– Cosima (s zuviel)

»und das es nur einen Weg gab, um in Frieden zu sterben.«
– dass

»Da auch diese beiden begriffen haben, dass sie in diesem Raums sterben werden,«
– Raum (s zuviel)

»die sich in diesem Moment aus seiner Umklammerung befreit und nach dem erstbesten greift, dass sie finden kann.«
– nach dem Erstbesten greift, das sie

»Jesper hatte sich zu Cedric heruntergebückt und den Puls gefühlt.«
– hieße richtig »hinuntergebückt, würde aber »hatte sich neben Cedrik gekniet/gehockt« schreiben, gebückt ist es doch etwas unbequem

»Gerret konnte sich gut vorstellen, dass sich Jesper genauso während seines Zivildienstes auf dem Rettungswagen verhalten hatte.«
– wirkt irgendwie verdreht, Vorschlag: dass sich Jesper während seines Zivildienstes auf dem Rettungswagen genau so verhalten hatte.

»warf den Bass mit einer achtlosen Geste in eine Ecke und Griff Jesper beim Arm.«
griff

»Mühsam hob ich einen von ihnen
nur beinahe noch Teil von mir
und strich ihr durch das schwarze Haar.«
– diese King´schen Zeilenwechsel mitten im Satz, ähm, dasselbe kann man doch mit Gedankenstrichen erzeugen, ohne die Zeile zu wechseln. Auf mich wirkt das, als meinte der Autor, der dumme Leser bräuchte den Zeilenwechsel, damit er mit dem Denken hinterherkommt.
Obendrein sind die Arme, die da wohl gemeint sind
einer von ihnen
schon etwas weit weg, sodaß ich den Bezug erst suchen mußte, was er denn hob.
– Sorry. ;-)

»Zufrieden konnten die sein, welche glücklich gestorben waren.«
– »konnten jene sein, die« fände ich schöner

Liebe Grüße,
Susi :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Susi,
vielen Dank fürs Lesen, Kommentieren und Anregen. :)

Zuerst einmal zu den üblichen Kleinigkeiten :D (wozu ich nix schreibe, übernehme ich dankend):

»Wieso ausgerechnet wir Fünf den Tag überlebt hatten,«
– wir fünf
Ich hatte es erst klein, sim schrieb dazu: "da kein Substantiv folgt, auf welches sich Fünf bezieht, ist es selbst das Substantiv und wird groß geschrieben." (auf der ersten Seite) - daher hab ichs groß gemacht - was ist denn nun richtig?

"Ach so, Du meinst »zusammengekommen«."
Ich hasse dieses zusammen- und auseinanderschreiben. Werd ich mich nie dran gewöhnen. Aber danke. :D

"»unser Land – das sich stets an die Mächtigsten gehalten hatte«
– meinst Du: »das stets zu den Mächtigsten gezählt hatte« oder »das sich stets an den Mächtigsten orientiert hatte«, oder was? So, wie der Satz da steht, verstehe ich ihn nicht."
Sich an jemanden halten = sich nach ihm richten, ihm nach dem Mund reden. Denke, das ist ein geläufiger Ausdruck? Oder kennt ihr ihn da unten nicht? ;) Lass ich erst einmal so stehen.

"»sah heute sicher anders aus. War sicher grau. Sicher dunkel. Uns irgendwo sah ich vor meinem geistigen Auge«
– sind die drei »sicher« Absicht? Wenn ja, sollte mir das demnach gefallen?"
Ich schau mal, ob mir was anderes einfällt.

"»Ich liebe es, wenn sie das macht.«
– Warum wechselst Du ab hier in die Gegenwart?"
Na, weil der Ich-Erzähler (in diesem Part Cedric) ja noch lebt, wieso sollte er dann in der Vergangenheit von seiner Liebe berichten? Bei so etwas bin mir öfter unsicher, aber da erschien es mir sinnig, sonst würde es ja so klingen, als würde er sie da schon nicht mehr lieben, was ja nicht stimmt.

"»"Runde Karten?"«
– das wär doch mal ein Hit, runde Karten! ..."
Hehe...ich dachte, das ist aus dem Kontext ersichtlich, aber ich kann gern noch ein 'ne vorsetzen.

"»Ja, Cosima wusste, dass viele sie für lebensfreudig
fickgeil
hielten und sie machte sich da nicht viel daraus.«
– Daß Du jetzt auch mit diesem King-Zeugs anfängst, da bin ich jetzt aber ziemlich enttäuscht."
Das mach ich doch schon ewig - ich glaub, das war schon in Zacharias Garten damals oder auch in der Geschichte über das Kühlhaus. Warte ich schau mal nach... ja, finde es sogar in meiner dritt-ersten Geschichte hier und in einigen anderen. Mach ich wirklich schon ewig. Ich hab in der überarbeiteten Version schon einiges davon rausgenommen, aber das möchte ich gerne drinlassen, gefällt mir einfach so doll als Stilmittel (wie gesagt, schon seit Jahren).

"»dann könnte er seinen dreckigen, seinen kleinen Schwanz in meine Frau stecken.«
– paßt das zu der Freundschaft, die sie angeblich hatten? Würde zumindest das zweite »seinen« streichen…"
Naja, Cedric dreht ja langsam ab, daher hat er diese Gedanken. Er würde ja nicht an Mord denken, wenn er die anderen immer noch für nette Kerle halten würde.

"diese King´schen Zeilenwechsel mitten im Satz, ..."
Klar, man könnte auch Gedankenstriche nutzen, aber ich persönlich finde, dass - vor allem, wenn nicht in der ersten Person erzählt wird, sondern in der dritten - Gedankenstriche einfach nicht Zeichen genug sind, um darzustellen, dass es ein unterbewusster Gedanke des Prot. ist, der sich zwischen das bewusst Gedachte schiebt und zeigt, was der Prot. unterbewusst wirklich fühlt. Gut, das Beispiel mit den Armen ist kein Gutes, da kann ich es auch ganz rausnehmen, aber Cosimas 'fickgeil' stellt sowas dar. Mit Gedankenstrichen wirkt es wie eine erweiternde, beschreibende Phrase des Erzählers, aber es zeigt eben nicht diesen unterbewussten Gedankenblitz, der schnell kommt und den man einfach unbeachtet wieder fortschiebt.
Ich weiß, dass es ein nicht immer passendes Stilmittel ist und das man vorsichtig damit umgehen muss, aber ganz drauf verzichten will ich nicht.
Sorry sagen ist nicht nötig. ;)


Zum Inhalt:

- Panik, Verzweiflung, Versuche, die Tür zu öffnen:
Das ist, wovon ich in dieser Geschichte gerade nicht erzählen wollte. Mir ging es eher darum, wie die Figuren mit dem akzeptierten Ende anders umgehen. Sie haben es akzeptiert, weil der Crash so mächtig war, weil sie seit sechs Tagen nichts, aber auch gar nichts gehört haben und sie nicht davon ausgehen, dass es überhaupt noch jemanden gibt. (Im Text z.B. in der ersten Strophe ab 'Ich erhob mich, ging zur Tür und lauschte. "Meint ihr, da draussen ist vielleicht noch eine Band, die überlebt hat?"'). Sie haben versucht die Tür zu öffnen (Gerret erinnert sich ja kurz daran), es aber irgendwann aufgegeben, denn die Tür bewegt sich nicht. Hätte ich das intensiver in die Geschichte eingebaut, wäre es ein längerer, aber mE eigentlich unnötiger Teil geworden, weil sie ja eh nicht herauskommen sollten und es nicht um die fehlschlagenden Versuche geht. Daher nur der Rückblick. Konzentrieren wollte ich mich ja auf ihre Art, mit dem Ende umzugehen und nicht, wie sie dagegen ankämpfen und ich denke, dass dieses sich-Abfinden durchaus ein möglicher Weg ist. Daher steige ich ja auch in die Geschichte ein, als sie schon sechs Tage in dem Raum sind. Wie Gerret in der ersten Strophe sagt: Die erste Panikphase ist da schon vorbei, das nächste Stadium erreicht.

Damit ich die Geschichte bis in diese nächsten Stadia treiben konnte, mussten die Figuren versorgt sein (Getränke, Essen, Licht und natürlich Alkohol). Diese Grundbedürfnisse (Alk jetzt nicht mir eingerechnet) sollten aber nicht von dem ablenken, von dem ich schreiben wollte, ihre Abdeckung musste gegeben sein. Ist - klar - etwas märchenhaft, aber ich denke, dass es durch ihr voriges Einkaufen noch vertretbar ist. Wenn sie jetzt durch Zufall hinter einem Stein Konserven aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden hätten, würde ich auch meckern. ;)
Deshalb geht das Essen auch irgendwann einfach zur Neige. Dass man es weiterhin einteilt, ist klar (macht Cedric ja auch und keiner hat was dagegen). Aber irgendwann ist halt der letzte Bissen getan, egal, wie sehr man rationiert. Sollte aber eben nicht die Geschichte dominieren.
Das mit Cedric essen ist ne Sache, die ich mir noch einmal durch den Kopf gehen lasse. Klingt interessant, weiß aber im Moment noch nicht, wie ich es sinnvoll und kurz einbauen soll.

Das Kartenspielen und aufs Ende warten: Naja, das war ja gerade die Idee - was passiert, nachdem die Panikphase vorbei und das Ende so ziemlich akzeptiert ist? Wie wartet man auf das Ende? Sie machen, was möglich ist: Rumhängen und sich irgendwie die Zeit vertreiben. Da das Kartenspielen schon immer mit zur Band gehört, liegt es für sie nahe, dies zu tun. Lovis klimpert zusätzlich ab und an auf seinem Bass rum, Jesper dreht sich Dreads, Gerret denkt über Cosima nach und Cedric denkt über alle anderen nach (und dreht durch).

lso, da sind fünf junge Leute, die werden doch sicher über das Thema irgendwie sprechen, und im Gespräch kommen sie bestimmt drauf, daß es vielleicht nur etwas länger dauert. Nach einer Atombombe oder was auch immer das in Deiner Geschichte war, wird das vermutlich internationale Hilfe sein.
Das ist ja gerade das Ding: sie glauben nicht mehr daran. Wenn sie noch an Rettung glauben würden, dann würden sie sicher anders handeln (nicht den Körper durch Alkohol zusätzlich schwächen und austrocknen, Cedric würde sicher nicht so extrem durchdrehen, wenn er nicht denken würde, dass sie dort sterben müssen). Und:
klar im Vorteil, wer sich seine Vorräte strenger und strenger einteilt, um länger auszukommen.
Stimmt auf jeden Fall, aber da sie - wie gesagt - nicht mehr an Rettung glauben, denken sie nicht mehr in diese Richtung.
Apropos weh: Auch das Sterben geht in Deiner Geschichte zu schmerzlos. Niemand jammert, daß er Durst hat, keinem tut der Magen weh?
Ja, ich gebe zu, ich hab es mir da etwas einfach gemacht, da ich in der dritten Strophe so einsteige: "Es war soweit. Endlich. [...]" Es ist die Phase, kurz bevor der Tod eintritt. Ich stelle mir vor, dass man beim Verhungern/Verdursten beim Sterben direkt und kurz davor keine Schmerzen mehr spürt (hab ich nicht überprüft, glaub ich aber). Lovis und Jesper sind schon tot und die beiden anderen kurz davor, daher liegt das Ganze "Schmerzen haben" schon hinter ihnen - ebenso wie das Panikstadium zu Beginn der Geschichte. ;) Beides würde mE - wenn man es in der Geschichte behandelt - zu viel Platz verlangen und dem eigentlichen Inhalt den Platz nehmen. Die Schmerzen könnte ich höchstens auch noch einmal in einem Rückblick erzählen, aber irgendwie würde ich es blöd finden, wenn Gerrets letzte Gedanken sich mit den Schmerzen beschäftigen würden. Aber deswegen legen sie sich auch nicht diszipliniert zum Sterben hin, sondern liegen eben da, weil sie kurz vor dem Ende sind. (Kommt das mit dem "Es war soweit. Endlich." nicht gleich raus? Vielleicht sollte ich da dann auch noch ein kurzen Hinweis darauf geben, dass mehr Zeit verstrichen ist und es nicht gleich nach Cedrics Tod ist - was meinst Du? Obwohl es ja durch seine letzte Beschreibung des Raumes wieder deutlich wird...? )
Eine Variante wäre auch, sie doch nicht auf die Idee kommen zu lassen, auf Hilfe zu hoffen, sie dafür aber am Schluß kommen zu lassen, ganz überraschend, als gerade noch der Protagonist und Cosima leben.
Stimmt, wäre möglich. Meine Variante ist die, sie nicht auf Hilfe hoffen zu lassen und auch keine Hilfe kommen zu lassen. ;) Darauf zielt ja auch das Ende ab. Es gibt niemanden mehr, der helfen könnte.
Schade, daß wir sie nicht erfahren, die Geschichten und Wahrheiten.
Tja, diese Sprüche an den Wänden sollten eigentlich nur den Bunker beschreiben, die sehen eben so aus. Und dass er sie gelesen hat, ist mehr oder weniger nur Anzeichen dafür, wie oft er schon hier war. Die wenigen von diesen Sprüchen, die Sinn machen, sind zumeist politische, witzige Statements - und sowas wollte ich nun wirklich nicht mit in die Geschichte bringen, um ihn zu charakterisieren.
Aber grundsätzlich könnte man über so eine Wand ne eigene Geschichte schreiben - was da manchmal alles dransteht. *kopfschüttel*

Zuvor hat er kritisiert, daß Cedric nicht mit ihr redet, und er selbst hat dann nichts als ficken im Kopf.
Zu Beginn ist das sein erstes Ziel, stimmt - aber nachher erzählt er ja (dritte Strophe): "...hatte es keinen gestört, dass wir beide hier so oft wie möglich miteinander geschlafen hatten. Solange die Kraft noch reichte. Dass wir miteinander geredet und uns gegenseitig ruhig in den Arm genommen hatten. Solange wir noch Menschen waren." Hier wird das Ficken und das menschliche Miteinander mindestens gleichgestellt, wie ich finde. Da die Kraft vor dem Mensch sein schwindet, hat Letzteres letzten Endes sogar noch mehr Bedeutung als Ersteres - das war nur sein anfänglicher Beweggrund.
Das mit dem über-die-Sprüche-an-der-Wand-reden finde ich gut. Das müsste ja in der dritten Strophe untergebracht werden. Wenn ich eine Möglichkeit sehe, das mit reinzubauen ohne den Fluss zu stören, denke ich mir da auf jeden Fall was aus.

Fazit: ich sehe selbst, dass ich nicht wenige Deiner Einwände abschlage, aber ich habe versucht, es jeweils am Text zu belegen oder zu erklären und hoffe, dass es mir zumeist gelungen ist. Die Ideen, Cedric aufzuessen und ein letztes Gespräch zw. Cosima und Gerret in der dritten Strophe (über die Wandsprüche) finde ich gut. Da werde ich drübergehen und nachdenken.

Auf jeden Fall vielen Dank fürs Lesen und Kritisieren, hat mir in Bezug auf die Geschichte viel gebracht (ich hab ganz schön doll über meine eigene Intention nachdenken müssen) - und ich schreibe sicher noch an einigen Stellen rum.

Liebe Grüße,
baddax


Anmerkung: Das Textliche ist geändert (ich ändere der Einfachheit halber nur noch die überarbeitete Version, die erste bleibt als warnendes Beispiel...).

 

Hallo Baddax,

das ist eine sehr admosphärische Geschichte, keine Frage, und vor allem sehr gut arrangiert mit den einzelnen, wie ein Lied aufgegliederten Passagen.
Hm ... aber leider ist es das auch schon. Wenn man (ich) sich erstmal aus dem Bann der Geschichte gelöst hat, ist die Frage, warum hat sie überhaupt so gefesselt? Das muss wohl einzig und allein an der Erzählweise, an dem Stil und der Athmosphäre gelegen haben. Im Nachhinein muss ich der Geschichte totale Unglaubwürdigkeit bescheinigen, schade. Du hast die Überlebenstriebe deiner Figuren - sind ja schließlich auch nur Menschen, und zwar anscheinend lebensbejahende - weitgehend ausklammert. Du wolltest Menschen beschreiben, die sich in so einer apokalyptischen Situation auf ihr baldiges Ende verlassen können, und dann machst du dem Leser weiß, alles ginge ganz einfach mit einem "Hi Onkel Tod, wir kommen denn mal!", und degradierst die wirklich für eine solche Situation bezeichnenden menschlichen Reaktionen einfach zu Marginalien, um dich in tatsächlich eher zweitrangigen Aspekten zu ergießen... komisch, für mich ein gravierender Minuspunkt der Geschichte. Oder soll das eine im gewissen Sinne surreal wirkende Geschichte sein?


Dennoch ohnreuig gelesen, FLoH.

 

Hi floh,

vielen Dank erstmal für Dein Lob. Damit:

Wenn man (ich) sich erstmal aus dem Bann der Geschichte gelöst hat, ist die Frage, warum hat sie überhaupt so gefesselt? Das muss wohl einzig und allein an der Erzählweise, an dem Stil und der Athmosphäre gelegen haben.
hab ich ja alles geschafft, was ich wollte. :D
Nee, ernsthaft: Es geht eben einfach um Leute, die sterben werden (und sie sind eine Band). Worauf ich dabei eben nicht rumreiten wollte, sind 'für eine solche Situation bezeichnenden menschlichen Reaktionen' - ich gehe mal davon aus, Du meinst damit Panik, Verzweiflung, Durchdrehen und diese Sachen, die in Katastrophenfilmen gängig sind. Damit will ich Deine Kritik nicht abschmettern, denn fast alle Deine Vorgänger haben das auch angemerkt. Aber (wie ich auch schon zu chazar und Häferl schrieb) ich wollte zeigen, dass sie sich damit abfinden und dafür Wege finden. Jeder fokussiert sich auf eine andere Sache, die Panikphase ist durchlebt: "Daher steige ich ja auch in die Geschichte ein, als sie schon sechs Tage in dem Raum sind. Wie Gerret in der ersten Strophe sagt: Die erste Panikphase ist da schon vorbei, das nächste Stadium erreicht." (Das hab ich Häferl dazu geschrieben). Ob die Geschichte dadurch surreal wird - das denke ich eher nicht. Ist eben nur ein anderer Weg irgendwie. Naja, auf jeden Fall freut es mich, dass die Geschichte Dich gefesselt hat, obwohl Dich der Inhalt nicht überzeugen konnte, das sagt mir, handwerklich isses nicht ganz daneben. :shy:

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. :)

Gruß,
baddax

 

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