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Das Ende kann warten

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17.12.2005
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Das Ende kann warten

Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Wie trivial ihm der Gedanke durch den Kopf flattert. Mehrmals, als müsse sein Gehirn ihn erst einfangen. Die Blätter an den Bäumen hatten sich durch die Trockenheit frühzeitig verfärbt, waren abgefallen und machten sich unter seinen Tritten bemerkbar.

Im Sand des Weges sind nur seine Fußspuren vergangener Tage sichtbar – ab und zu gekreuzt von einem Fuchs oder mehreren Paarhufern.

Als er die Bank erreicht, weht eine sanfte Böe dünne Haarsträhnen in sein bärtiges Gesicht. Unten am Hang ragen verkohlte Mauerreste aus dem falben Gras. Wie faule Zähne in einem gespenstisch stillen, aufgerissenem Maul. Selbst der Geruch erinnert ihn an dieses Bild.

Der Blackout kam auf leisen Sohlen. Auch wenn Stimmen davor gewarnt hatten – Politiker beteuerten Zuversicht und Jochen las in ihren Augen die Scheinheiligkeit. Längst standen gepanzerte Fahrzeuge und Flieger bereit, um sie aus dem Pulverfass zu katapultieren, sollte die Lunte Feuer fangen. Sogenannte Volksverräter - das Gesocks der Straße - schrien verfängliche Behauptungen. Keine der Parolen zogen Jochen auf eine Seite. Er sah hinter jedem die unvorstellbare Litanei an Argumenten. Horchte er in sich, dann war da das Ende des Sommers gekommen. Für ihn, für die Jahreszeit, für die Gesellschaft, für das Land, ja, sogar für die Erde. Bei Letzterem war er sich nicht ganz sicher und insgeheim wünschte er ihr Glück. Möge sie sich erholen von der Bestie, die im Begriff war, ihre Kinder zu töten.

Am Horizont schimmert das Blau eines Sees, in dessen Mitte der dunkle Fleck einer Insel thront. Zwei dünne Rauchsäulen kräuseln sich empor, leicht geneigt durch den Wind aus Nordost. Schon vor Tagen hatte Jochen sie bemerkt. Anscheinend hatten die Menschen dort keine Angst davor, gesehen zu werden. Oder sie hatten eine Lösung gefunden, um sich sicher zu fühlen vor den marodierenden Banden. Zwei Tage, nach dem kein Strom auch nur die Anzeichen machte, den Alltag wieder in seine Bahnen zu lenken, geriet sich der Pöbel unkontrolliert in die Haare. Jochen floh in den ersten Tagen schon mit seinem Campingbus in ein entlegenes Tal voller Dornhecken, gefallener Bäume und sumpfigem Boden. Umschlossen von haushohen Felswänden, über die schwer in das Tal einzusteigen war. Für zwei Wochen hatte er vorgesorgt. Schüttelbrot, Bergkäse und fermentiertes Gemüse. Zweihundert Liter Wasser. Trockenobst, Nüsse, eine Plane in Tarnfarbe, über den Bus geworfen. Stille. Keine Waffen. Wenn es soweit käme – auch sein Sommer neigte sich dem Ende zu. Dann wäre es eben so.

Es ist nicht leicht, in einem Kasten zu überleben, der angefüllt ist mit den Errungenschaften einer Zivilisation, die da draußen gerade ihren steilen Abstieg feiert. Er liest aufmerksam das Buch, in dem der Nutzen aller heimischen Kräuter und Früchte eine Rückkehr zur Natur preisen. Aber seine Aufmerksamkeit huscht immer wieder durch die Scheibe nach draußen. Meisen feixen im Unterholz, ein Specht lacht und schlägt anschließend seinen Schnabel in den Stamm einer toten Fichte. Angst ist eine Illusion deines Geistes, sagt er sich immer wieder. Vorsicht die Einschätzung einer gefährlich anmutenden Situation. Alle diese Sätze eines Wissens geistern durch seinen Kopf. Dieses Wissen kommt in den letzten Jahren zu ihm wie eine Infektion, die ihn durchseucht und der er auch keinen Widerstand entgegensetzen will. Oder kann? Freunde entfernten sich in rasender Eile, unaufhaltsam drangen neue Bekannte in sein Umfeld, alle Beziehungen trudelten wie durch eine Sanduhr. Jene, die nicht durch sein geistiges Nadelöhr fanden wurden aussortiert. War es Bestimmung oder Zufall oder Schicksal? Wenn er der Gestalter seiner Welt war, wie konnte die Welt dann so rasch ihr gesamtes Bild in einer so drastischen Form verändern?

Langsam setzt er sich auf die Bank. Gestiftet von Familie Nothelfer im Jahre 2018. Lackiertes Aluminium. Vor ihm im Sand frische Spuren. Kleine Schuhgröße. Feste Sohle, ausgeprägtes Profil. Er spürt den Blick in seinem Nacken, es ist zu spät, um aufzuspringen, um wegzulaufen. Er hört, wie das trockene Gras unter dem Tritt sich nähernder Schritte knistert.

Kleine Schuhe – Kind oder Frau.
„Bleib, wo du bist und ich tu dir nichts“, leise, nur für ihn hörbar. Ihre Schritte verebben hinter ihm.
„Ich hab den Wagen gefunden. Deiner?“
„Ja“, krächzt Jochen, räuspert sich, wiederholt. „Ja, ist meiner.“
„Ich hab nichts weg genommen, aber ich brauche Wasser“, stößt sie ruckartig hervor. „Hast Du auch Medikamente? Aspirin? Ich hab böses Kopfweh.“
„Bist du bewaffnet?“
„Ja“, haucht sie. „Ich will keinen Ärger, verstehst Du? Ist nur für den Notfall, falls – falls einer dumm tut.“
Jochen richtet sich auf, dreht sich langsam um. Versucht zu lächeln. Ihre linke Gesichtshälfte ist bedeckt mit verkrustetem Blut, das Auge bläulich unterlaufen, auch aus der Nase muss Blut getreten sein, unbeholfen verwischt bis über die rechte Wange. In ihrer Hand eine P8, bekannt aus unzähligen Krimis. Schnee von gestern.

„Jochen“, er nickt ihr zu und schätzt sie auf keine zwanzig. Ihre Haare sind auf Streichholzlänge gekürzt. Jeans, Hoodie, Parker, Rucksack, Panama Jack an den Füßen. Sie muss darauf vorbereitet gewesen sein. Nur nicht auf die Verletzung.
„Berrit“, antwortet sie. „Waren die da drüben“, zeigt mit der Pistole in Richtung der Insel, der Rauchsäulen. Ohne weiter den Angriff zu erläutern.
„Lass uns gehen – hab keine Angst vor mir, ich hab auch keine Waffen“, wieder lächelt Jochen und schmerzhaft denkt er an seine Tochter. Eigentlich war sie nur die Tochter seiner Partnerin, mit der er sieben Jahre verbracht und die er wie sein eigenes Kind ins Herz geschlossen hatte. Wie eine eigene Tochter. Bis sie mit ihrer Volljährigkeit aus seinem Leben verschwand, um in Spanien in einem unbesiedelten Dorf mit anderen Jugendlichen eine neue Gesellschaftsform zu üben. Drei Monate später folgte ihre Mutter ihr nach. Jochen blieb allein zurück; warum, dafür fand er bis heute keine Antwort.

Unrhythmisch tropft es von den Bäumen auf das Dach des Wagens, eine Spinne schmiegt sich in den oberen Rand des Fensters. Berrit schläft, in seine Decke gewickelt. Nur ihre dunklen Haare sind sichtbar. Drei Tage hat es gedauert, bis sie ihm soweit Vertrauen entgegen brachte, um zu schlafen, während er wachte. Jochen liest, sieht aus dem Fenster und lauscht den Geräuschen draußen; ihrem hörbaren Atem.

Sie hatte kein Wasser und wollte dort auf der Halbinsel welches stehlen. Sie war froh zu entkommen, nachdem sie erwischt worden war. Ohne Wasser, aber mit einer Verletzung, die sie sich im Kampf zugezogen hatte. Glimpflich – so nannte Jochen die geplatzte Beule am Kopf.

„Was liest Du?“ Berrit hält die Bettdecke mit beiden Fäusten umklammert unter ihrem Kinn. Ihre Stimme klingt verschlafen, ihre Augen glänzen wie zwei kleine Kastanien.
„Essbare Kräuter." Jochen hält das geöffnete Buch in ihre Richtung. „In der Hoffnung, auf meine alten Tage noch etwas zu lernen und – sollte ich diesen Winter und die Härte überleben – um im Frühling etwas Essbares zu finden.“ Jochen seufzt, lässt resigniert das Kinn auf die Stuhllehne sinken, sieht sie an und wünscht sich Jahre jünger. Mit ihr, aber wohin. Mein Alter macht mich verrostet für die Zukunft. Dabei dachte ich immer, das Jetzt sei ausschlaggebend und nicht die Illusion an Gestern und Morgen. Ha, platzt es durch seine Gedanken. Der alte Mann und seine Tochter, deren Zukunft er versemmelt hat. Nicht er allein, aber auch nicht ohne ihn. Wir haben die Erde verbraucht und nicht gebraucht. Nachhaltigkeit war ein Zauberwort. Think-Tanks, NGOs, Greenwashing und all die Methoden des Neoliberalismus poltern schwerfällig wie Steinlawinen durch seine Gedanken. Kreiseln, finden keinen Ausgang und immer wieder sieht er nur das Ende.
Berrit hat sich angezogen.
„Wo willst Du hin bei dem Sauwetter?“
Sie schweigt, lässt sich Zeit mit ihrem Parker. Jochen versteht.
Als sie die Pistole auf ihn richtet entgeht ihm nicht, wie ihre Hand zittert.
„Ich hab gestern Sachen in den Rucksack gepackt. Den kannst Du haben. Ich nehme auch den Wagen. Geh jetzt – bitte.“
Langsam kommt sie näher. Jochen erhebt sich nicht, legt das Buch aufgeschlagen auf den kleinen Ausklapptisch. Schaut vor sich auf den Boden.
„Zwing mich nicht“, haucht Berrit, schnieft die Nase hoch.
„Du weißt doch, dass es nicht für uns beide reicht. Es reicht nicht einmal für einen den Winter über." Sie steht jetzt an seiner Seite, die P8 keine Armlänge entfernt von seinem Kopf.
Jochen seufzt und plötzlich ist ihm zu weinen zumute. Wie er das Ende erleben würde war ihm völlig schleierhaft, aber dass ein Mädchen – er lässt den Gedanken los. Langsam steht er auf, sieht ihr in die Augen. Berrit erwidert seinen Blick – so stehen sie eine Weile, das Tropfen auf dem Dach hat nachgelassen.
Als sie sich umarmen, fällt die Pistole mit einem lauten Scheppern unter das Regal.

 

Hallo @Detlev!

Ich hatte im Mittelteil einige Probleme mit deiner Geschichte, den Anfang fand ich interessant und die letzten paar Absätze haben mich dann vollständig in die Geschichte gezogen, aber ich will im Detail darauf eingehen:

Unten an Hang ragen verkohlte Mauerreste aus dem falben Gras.
"unten am Hang"

Der Blackout kam auf leisen Sohlen. Auch wenn Stimmen davor gewarnt hatten – verantwortliche Organe des Staates beteuerten Zuversicht und Jochen las in ihren Augen die Scheinheiligkeit. Längst standen gepanzerte Fahrzeuge und die Flieger bereit, um sie aus dem Pulverfass zu katapultieren, sollte die Lunte Feuer fangen. Verfängliche Behauptungen schrien Volksverräter und das Gesocks der Straße. Keine der Parolen zogen Jochen auf eine Seite. Er sah hinter jedem die unvorstellbare Litanei an Argumenten.
Das war der Moment, in dem du mich verloren hast. Der ganze Absatz und auch in den zwei folgenden erzählst du mehr oder weniger, was passiert ist, verwendest recht viele ausschweifende Beschreibungen und Metaphern. Als Leser wird mir schon klar, dass es um den Zusammenbruch der Gesellschaft geht, aber du verbringst sehr viel Zeit damit und noch ist nicht wirklich etwas passiert, außer dass Jochen eben zu einer Bank geht und die Umgebung beobachtet. Danach folgen erstmal drei Absätze "tell" und dann kommt es erst zu einer Handlung. Da fiel es mir recht schwer, dran zu bleiben.

Horchte er in sich, dann war da das Ende des Sommers gekommen.
Entweder "Er horchte in sich" oder "Horchte in sich" - wenn du willst, dass es im Zusammenhang mit dem zweiten Satz gelesen wird. Aber "Horchte er in sich" kommt mir ein wenig holprig vor.

Umschlossen von haushauen Felswänden, über die schwer in das Tal einzusteigen war.
Ich glaube du meintest hier "haushohen" :)

alle Beziehungen trudelten wie durch eine Sanduhr. Die nicht durch sein geistiges Nadelöhr fanden wurden aussortiert.
Das Bild fand ich recht schön. Allerdings würde ich den Satz nach Sanduhr mit "Jene" anfangen, weil du benötigst eigentlich zwei "die". "Die die nicht" bzw. "Jene die nicht.."

Langsam setzt er sich auf die Bank. Gestiftet von Familie Nothelfer im Jahre 2018. Lackiertes Aluminium. Vor ihm im Sand frische Spuren. Kleine Schuhgröße. Feste Sohle, ausgeprägtes Profil. Er spürt den Blick in seinem Nacken, es ist zu spät, um aufzuspringen, um wegzulaufen. Leise bricht das trockene Gras unter dem Tritt sanfter Schritte, die sich nähern. Kleine Schuhe – Kind oder Frau.
„Bleib, wo du bist und ich tu dir nichts“, leise, nur für ihn hörbar. Ihre Schritte verebben hinter ihm.
„Ich hab den Wagen gefunden. Deiner?“
Das war der Moment an dem ich wieder in die Geschichte fand, denn jetzt zeigst du mir wieder etwas und endlich geht die Handlung los - meiner Meinung nach zu spät für eine Kurzgeschichte. Ich würde dir raten den Mittelteil auf das notwendigste zu kürzen und dann recht schnell in die eigentliche Handlung einzusteigen.

hab keine Angst vor mir und ich hab auch keine Waffen
Hier würd ich das "und" streichen. "hab keine Angst vor mir, ich hab auch keine Waffen"

Jochen seufzt, lässt resigniert das Kinn auf die Stuhllehne sinken, sieht sie an und wünscht sich Jahre jünger.
Wie alt ist Jochen eigentlich? Denn wie er so da drüber nachdenkt, kam mir das Bild eines wirklich alten Mannes in den Sinn, das könntest du vielleicht - wenn es so ist ein wenig früher schon andeuten, dass er vielleicht sogar mit einem Gehstock durch's Laub geht am Anfang der Geschichte.

Mein Alter macht mich verrostet für die Zukunft. Dabei dachte ich immer, das Jetzt sei ausschlaggebend und nicht die Illusion an Gestern und Morgen.

Diese Stelle, wo Jochen denkt, würd ich vielleicht kursiv machen oder zumindest irgendwie herausstellen.


Insgesamt mit dem Ende zusammen genommen, gefiel mir die Geschichte, aber den Mittelteil solltest du vielleicht noch einmal überarbeiten - mir fiel es recht schwer da weiterhin dran zu bleiben; aber am Ende hat es sich dann doch gelohnt. Das Ende kam für mich etwas schnell, ich hätte mir vielleicht noch ein wenig mehr gewünscht, aber meiner Meinung nach funktioniert das auch so ganz gut. Ich bin mir nicht sicher, ob Jochen noch von ihr erschossen wird, ob er gehen wird und das nur die Verabschiedung ist oder ob - auch wenn die Chancen gering dafür sind - sie vielleicht doch noch eine Lösung finden, irgendwie den Winter gemeinsam zu überstehen. Ich finde, das offen zu lassen ist legitim für eine Kurzgeschichte und lässt einen noch schaudern.

LG Luzifermortus

 

Danke Luzifermortus,

dass Du die Story gelesen hast - die Schreib- und Formfehler hab erst mal fix geändert - das mit dem Mittelteil muss ich mir noch zu Herzen nehmen, leider erst ein bisschen später - hab grad Ärger mit dem PC, läuft nicht so stabil :-) - auch mal schauen, was andere dazu meinen, bevor ich mich an´s Kürzen und Ändern mache.
Den Schluss möchte ich schon offen lassen - gehen sie zusammen? Erschießt sie ihn? Ich denke, dass wir nicht ausgerichtet sind, einen Menschen, der einem geholfen hat, eines kleinen Vorteils wegen zu töten. Und der Jochen ist so alt wie ich - 66 - und ich brauche noch keinen Stock, auch wenn meine Haare weiß sind und im Winde wehen :-).
Nochmals vielen Dank und liebe Grüße - Detlev

 

Hallo @Detlev

vielen Dank für deine Geschichte - sie hat mich richtig eingesaugt und ich hab sie gerne gelesen. Meine Gedanken sind noch gar nicht so klar geordnet aber ich wollte dir unbedingt schon einen Kommentar dalassen.

Vorab ein paar kleine Fehler, die mir aufgefallen sind:

war er sich nicht ganz sicher und insgeheim wünschte er ihr Glück.
NOGs, --> NGOs
Diese Anmerkungen sind jetzt wahrscheinlich eine Frage des persönlichen Geschmacks, aber z. B. hier
„Du weißt doch, dass es nicht für uns beide reicht. Es reicht nicht einmal für einen den Winter über“, sie steht jetzt an seiner Seite, die P8 keine Armlänge entfernt von seinem Kopf.
hätte ich nach "[...] Winter über" einen Punkt gesetzt und mit "Sie steht jetzt..." weiter gemacht.

Ebenso an dieser Stelle z. B.

[...] „Essbare Kräuter“, und Jochen hält das geöffnete Buch in ihre Richtung.
Du verwendest ja keine Inquit-Formel und irgendwie erwarte ich da dann den Folgesatz eigenständig --> Hab aber keine Ahnung, ob es so wie du es schreibst vielleicht gängig ist?
Eigentlich war sie nur die Tochter seiner Partnerin, mit der er sieben Jahre verbracht und ihr Kind in sein Herz geschlossen hatte. Wie eine eigene Tochter.
Das hätte ich in einen Satz gepackt [...] mit der er sieben Jahre verbracht und die er wie sein eigenes Kind [...]

Hier hatte ich ein bisschen Schwierigkeiten:

Umschlossen von haushohen Felswänden, über die schwer in das Tal einzusteigen war.
Ist gemeint, dass es schwer ist aus dem Versteck rauszukommen?

Und hier:

Dieses Wissen kam in den letzten Jahren zu ihm wie eine Infektion, die ihn durchseuchte und der er auch keinen Widerstand entgegensetzen wollte. Oder konnte? Freunde entfernten sich in rasender Eile, unaufhaltsam drangen neue Bekannte in sein Umfeld, alle Beziehungen trudelten wie durch eine Sanduhr. Jene, die nicht durch sein geistiges Nadelöhr fanden wurden aussortiert. War es Bestimmung oder Zufall oder Schicksal? Wenn er der Gestalter seiner Welt war, wie konnte die Welt dann so rasch ihr gesamtes Bild in einer so drastischen Form verändern?
Ich hab hier irgendwie das Bild im Kopf, dass Jochen sich angefangen hat fürs Preppen zu interessieren und die Freunde ihn vielleicht für verrückt abgestempelt haben, während er andere aus der Szene kennengelernt hat. Aber kriege noch nicht ganz den Deckel an die Gestaltung der Welt.

So toll geschrieben:

Es war nicht leicht, in einem Kasten zu überleben, der angefüllt war mit den Errungenschaften einer Zivilisation, die da draußen gerade ihren steilen Abstieg feierte.
Ihre linke Gesichtshälfte ist bedeckt mit verkrustetem Blut, das Auge bläulich unterlaufen, auch aus der Nase muss Blut getreten sein, unbeholfen verwischt bis über die rechte Wange. In ihrer Hand eine P8, bekannt aus unzähligen Krimis. Schnee von gestern.
Kann dir gar nicht genau sagen warum, aber diese beiden Passagen habe ich gleich zwei mal gelesen, weil ich sie echt gut finde (den Rest auch ;))

Zum Ende: Es hat mich mitgerissen und in meinem Kopf sind sofort zwei Möglichkeiten aufgeploppt. Entweder Jochen, wie er vornüberkippt, weil sie abgedrückt hat und jetzt in seinen Armen liegt. Oder aber, Jochen und Berrit, wie sie sich umarmen, weil sie "aufgegeben" hat. Generell hast du mich irgendwie in so eine "trockene" Endzeitstimmung geführt und ich war da mittendrin im Wald.

Vielen Dank für die tolle Geschichte! Merke gerade, dass das nun doch gar nicht so ungeordnet war ;)

So long!
-Marla

 

Horchte er in sich, dann war da das Ende des Sommers gekommen. Für ihn, für die Jahreszeit, für die Gesellschaft, für das Land, ja, sogar für die Erde.

Hallo Detlev

Die Wehmut dieses Satzes und allgemein die Stimmung, die Du mit Deiner Geschichte bewirkst, hat mir sehr gut gefallen. Ich habe Deine Geschichte gerne gelesen.

Der Blackout kam auf leisen Sohlen. Auch wenn Stimmen davor gewarnt hatten – verantwortliche Organe des Staates beteuerten Zuversicht und Jochen las in ihren Augen die Scheinheiligkeit. Längst standen gepanzerte Fahrzeuge und die Flieger bereit, um sie aus dem Pulverfass zu katapultieren, sollte die Lunte Feuer fangen. Verfängliche Behauptungen schrien Volksverräter und das Gesocks der Straße
Dies war der Teil Deiner Geschichte, den ich am ehesten ändern würde. Zwar kann ich mir darunter wohl etwas vorstellen, aber irgendwie denke ich, ein Satz, eine Andeutung würde reichen. Ich als Leserin verstehe, dass es um das Ende geht.
Zwei Tage, nach dem kein Strom
Schreibt man hier nachdem nicht zusammen?
loh den ersten Tag schon mit seinem Campingbus in ein entlegenes Tal voller Dornhecken, gefallener Bäume und sumpfigem Boden. Umschlossen von haushohen Felswänden, über die schwer in das Tal einzusteigen war
Diese Stelle ist für mich nicht ganz logisch, denn wenn er mit dem Campingbus dorthin fahren konnte, hat es eine Strasse oder mindestens Wege. Deshalb muss man nicht über Berge steigen, oder?

Er las aufmerksam das Buch, in dem der Nutzen aller heimischen Kräuter und Früchte eine Rückkehr zur Natur priesen.
Ich habe tatsächlich ein solches Buch geschenkt bekommen kürzlich :)
Lass uns gehen – hab keine Angst vor mir, ich hab auch keine Waffen“, wieder lächelt Jochen
Ich würde das "auch" weg lassen, denn sie hat ja eine Waffe. Und müsste nicht eigentlich er Angst vor ihr haben?

Den Rest der Geschichte finde ich sehr gelungen. Wie gesagt, gerne gelesen. In der Hoffnung, dass Deine Geschichte noch lange "Science Fiction" bleibt, wünsche ich Dir einen schönen Tag.
Grüsse
Aida Selina

 
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Hallo @Detlev!

Ich glaube ich habe mich an zwei Stellen etwas unklar ausgedrückt, darum noch ganz kurz:

Den Schluss möchte ich schon offen lassen - gehen sie zusammen? Erschießt sie ihn? Ich denke, dass wir nicht ausgerichtet sind, einen Menschen, der einem geholfen hat, eines kleinen Vorteils wegen zu töten.

Ich finde es gut, dass du das Ende offen lässt! Als ich sagte, das kam für mich plötzlich, meinte ich nur, dass ich hier gerne weitergelesen hätte. Also die Geschichte mit dem offenen Ende würde ich objektiv bevorzugen, nur mein neugieriger subjektivier Teil, der nicht-wissen kaum aushält hat damit ein Problem. :D

Und der Jochen ist so alt wie ich - 66 - und ich brauche noch keinen Stock, auch wenn meine Haare weiß sind und im Winde wehen :-).

Okay- und nein, das mit dem Stock war für mich nur ein Beispiel, weil ich mir halt zunächst jemanden vorgestellt habe der so um die 30-40 ist und dann im Wagen jemanden der 80-90 ist und die beiden Bilder haben sich in meinem Kopf gebissen, darum meinte ich, dass vielleicht schon vorher Andeutungen zum Alter kommen könnten.

Lg Luzifermortus

 

Hey @Detlev,

eine Geschichte über eine postapokalyptische Welt nach einem Blackout, wenn ich das richtig verstehe. Dabei geht es dir aber vor allem um die Beziehung der Menschen untereinander, repräsentiert durch deine beiden Figuren. Eigentlich ist das Ende ja sehr positiv. Trotz der ganzen Probleme raufen sich die beiden zusammen und die Waffe fällt auf den Boden. Insgesamt ist mir die Geschichte zu kurz, um das Ganze glaubhaft rüberzubringen. Berrit wurde gerade von Fremden verprügelt, es braucht aber nur ein paar Worte von Jochen, damit sie ihm vertraut. Da müsste mehr kommen, sonst nehme ich das dem Text nicht ab. Du springst an der Stelle zeitlich einfach nach vorne und sagst, dass es lange gedauert habe. Also du lässt den interessanten Teil einfach weg, finde ich. Auch ist der eigentliche Weltuntergang nur sehr vage angedeutet, obwohl das schon wichtig wäre für den Text, denke ich. Die Stimmung, die du vermittelst gefällt mir allerdings ganz gut. Sie ist wehmütig/melancholisch mit einem unterschwelligen Nachtrauern um die Vergangenheit und mir gefällt auch der positive Schluss.


waren abgefallen und machten sich unter seinen Tritten bemerkbar.
Was heißt das? Wie machen sie sich bemerkbar?

Auch wenn Stimmen davor gewarnt hatten – verantwortliche Organe des Staates beteuerten Zuversicht und Jochen las in ihren Augen die Scheinheiligkeit.
Inwiefern können Organe des Staates Augen haben, in denen man Scheinheiligkeit lesen kann?

Längst standen gepanzerte Fahrzeuge und die Flieger bereit, um sie aus dem Pulverfass zu katapultieren, sollte die Lunte Feuer fangen.
Verstehe ich nicht.

Er las aufmerksam das Buch, in dem der Nutzen aller heimischen Kräuter und Früchte eine Rückkehr zur Natur priesen.
Eigenartiger Satz. Der Nutzen preist etwas an? Da stimmt auch etwas nicht mit dem Verb am Ende.

Dieses Wissen kam in den letzten Jahren zu ihm wie eine Infektion, die ihn durchseuchte und der er auch keinen Widerstand entgegensetzen wollte.
Ist Durchseuchung nicht der Verbreitungsgrad einer Krankheit in der Bevölkerung? Müsste es nicht Verseuchung heißen?

Berrit schläft, in seine Decke gewickelt.
Du meinst hier, dass die Decke Jochen gehört nehme ich an. So wie es da steht, liest es sich aber, als gehöre sie Berrit.

Sie hatte kein Wasser und wollte dort auf der Halbinsel welches stehlen. Sie war froh zu entkommen, nachdem sie erwischt worden war. Ohne Wasser, aber mit einer Verletzung, die sie sich im Kampf zugezogen hatte. Glimpflich – so nannte Jochen die geplatzte Beule am Kopf.
Nur von der Logik her: Die Insel liegt ja auf einem See. Könnte man da nicht das Wasser einfach aus dem See trinken? Wenn nicht, würde ich das irgendwo dazu schreiben.

NGOs

und all die Methoden des Neoliberalismus
Was denn genau? Ich will keine Abhandlung über die Rolle des Neoliberalismus in dem Gebiet, aber ich finde, dass du es dir hier etwas zu leicht machst, indem du einfach dieses Neoliberalismus Wort droppst.

Grüße
Klamm

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Marla,

danke Dir für Deinen Kommentar - die Fehler hab ich korrigiert. Das mit der wörtlichen Rede und anschließend Komma und der Satzweiterführung hab ich öfters verwendet - hab ich grad gesehen - nicht absichtlich, aber ich denke immer, lass es fließen und ob das jetzt richtig oder falsch ist ... Schulterzucken von mir. Nochmals danke für die aufmunternden Sätze :-)
Liebe Grüße - Detlev

Hallo Rob,

danke für die vielen Tipps und dass Du die Story gelesen hast - es ist nach über 10 Jahren Pause der erste Versuch einer Geschichte und ich lese, dass da noch viel Arbeit auf mich wartet. Aber teilweise bin ich mir auch nicht sicher, ob ich das "Gestelzte" nicht opfere, um die Wirkung mancher Sätze abzuflachen. Diese Frage trat schon früher bei meinen Stories auf und ich bin oft zwiegespalten, wenn es einem Leser gefällt und dem nächsten nicht - was ist da zu tun? Da denke ich dann, vielleicht auch bei den eigenen Vorstellungen bleiben. Aber danke - ich schau sie mir nochmal an - vielleicht hatte ich sie auch zu schnell gepostet.
Liebe Grüße - Detlev

Hallo Aida Selina,

vielen Dank für deinen Kommentar - hat mich sehr gefreut. Die Stelle mit dem Versteck - hast Du recht - muss ich ein bisschen eindeutiger beschreiben; aber ich werde die Story eh nochmals ein wenig überarbeiten müssen, aber habe gerade ein bisschen wenig Zeit - leider. Das mit der Waffe habe ich geändert - stimmt. Das auch muss weg.
Nochmals danke und liebe Grüße - Detlev

Hallo Klamm,

danke für Deinen Kommentar. All die Fragen, die Du aufwirfst, hab ich mir notiert und werde sie in der Überarbeitung berücksichtigen. Ich komme in den nächsten Tagen leider nicht dazu, da ich auch male und an mehreren Ausstellungen beteiligt bin. Aber ich werde es angehen - versprochen. Deine/Eure Arbeit wird nicht umsonst gewesen sein :-)
Liebe Grüße
Detlev

 

Hallo @Detlev ,

deine Geschichte hat mich etwas an den Roman Oryx and Crake von Margaret Atwood erinnert. Viel Kontemplation in einer nun stilleren Welt nach dem Untergang der modernen Zivilisation. Das ist eine gute Formel und Denkansatz für eine Sci-fi Geschichte und dieser Aspekt funktioniert hier für mich sehr gut.

Eine Kleinigkeit bei der Formulierung die mir aufgefallen ist noch:

Selbst der Geruch erinnert ihn an dieses Bild.
Dieser Satz wirkt wie ein etwas unnötiger Anhang zur vorhergegangenen Beschreibung. Den solltest du vielleicht streichen.

Was ich an deiner Geschichte etwas schwierig fand war dein Prota. Für mich wirkte er sehr unsympathisch. Ich habe in seine Gedanken und Erinnerungen oft einen sehr rechthaberischen, nachträglichen Ton gelesen. Das mag durchaus beabsichtigt sein, und ich selbst schreibe auch beizeiten gerne aus der Sicht von unsympathischen Charakteren da sie oft interessantere Erzählperspektiven erzeugen. Aber in Kombination mit den sehr kritischen Aussagen über die Moderne die wir nur durch die Perspektive deines Prota sehen können bekommt die Geschichte einen sehr moralisierenden Ton der mich eher aus dem Geschehen geworfen hat als hinein gezogen (und ich bin generell einer Meinung mit der kritischeren Perspektive).

Dann habe ich bei deinem Prota selbstkritische Ansätze, vor allem in Bezug auf seine vorhergehende Ehe gelesen, und du hattest mich dabei dann fast. Fehler in der Vergangenheit und Reue humanisieren schnell. Was ich dann aber ungeschickt fand war, dass fast augenblicklich der gesellschaftliche Kommentar folgte. Und da war für mich der Effekt irgendwie zerstört.

Ha, platzt es durch seine Gedanken. Der alte Mann und seine Tochter, deren Zukunft er versemmelt hat. Nicht er allein, aber auch nicht ohne ihn. Wir haben die Erde verbraucht und nicht gebraucht. Nachhaltigkeit war ein Zauberwort. Think-Tanks, NGOs, Greenwashing und all die Methoden des Neoliberalismus poltern schwerfällig wie Steinlawinen durch seine Gedanken.

Dieses Problem würde wahrscheinlich mit einer Fortsetzung langsam aus dem Weg geschafft werden, da noch mehr Zeit für Selbstreflektion für deinen Prota vorhanden wäre. Generell war mein Eindruck das es sich wie ein Auszug, oder der Anfang einer längeren Geschichte liest.

Ich hoffe das war jetzt nicht zu kritisch.

Gruß, Horla

 

Hallo Horla,
danke für deinen Kommentar und die klaren Worte. Nein, Du warst nicht zu kritisch, denn es geht um die Story und nicht um meine Person. Kritik hilft ja weiter und ist keine Herabsetzung oder Beurteilung. Ja, ich hab versucht, den Prot zwar mit Erkenntnissen aus jüngster Vergangenheit auszustatten aber eben auch mit dem Ballast des "untergegangenen" Status quo. Auch war geplant, die Geschichte weiter fort zu führen, aber ich wollte sie schlussendlich wie ein Fragment stehen lassen. Danke für deine Hilfe - ich werd mich nochmals dransetzen.
Liebe Grüße
Detlev

 

Hoi @Detlev
Ich bin wahrscheinlich ein bisschen spät für die Party, wollte aber meinen Senf auch noch dazugeben.

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen, sie hat sich grösstenteils reibungslos gelesen und die Wortwahl hat mir meistens auch gefallen. Ich fand mich in deiner beschriebenen Welt zurecht und hatte sie bildlich vor Augen.
Beim Einstieg hatte ich aber ein bisschen Mühe. Ich brauchte eine Weile, bis ich checkte, dass ich mich in einem Weltuntergangsszenario befinde. Und auch während der Beschreibung konnte ich nicht richtig nachvollziehen, was den nun genau passiert ist. Da war der Blackout, ja. Aber was war der ultimative Grund für den Zusammenbruch der Zivilisation?

Wenn es soweit käme – auch sein Sommer neigte sich dem Ende zu. Dann wäre es eben so.
Ich kann Jochen nicht richtig nachvollziehen. Aus diesem Satz lese ich, dass er bereit ist, zu sterben, wenn es so weit käme. Aber dennoch betreibt er massiven Aufwand, um in seinem Campingwagen zu überleben. Warum, wenn er doch bereit ist zu sterben?

Es war nicht leicht, in einem Kasten zu überleben, der angefüllt war mit den Errungenschaften einer Zivilisation, die da draußen gerade ihren steilen Abstieg feierte.
Wow. Dieser Satz zeigt sehr eindrücklich seine aktuelle Beziehung zu Aussenwelt. Super geschrieben.

Kleine Schuhe – Kind oder Frau.
„Bleib, wo du bist und ich tu dir nichts“, leise, nur für ihn hörbar. Ihre Schritte verebben hinter ihm.
„Ich hab den Wagen gefunden. Deiner?“
„Ja“, krächzt Jochen, räuspert sich, wiederholt. „Ja, ist meiner.“
„Ich hab nichts weg genommen, aber ich brauche Wasser“, stößt sie ruckartig hervor. „Hast Du auch Medikamente? Aspirin? Ich hab böses Kopfweh.“
„Bist du bewaffnet?“
„Ja“, haucht sie. „Ich will keinen Ärger, verstehst Du? Ist nur für den Notfall, falls – falls einer dumm tut.“
Das erste Aufeinandertreffen von Jochen und Berrit wirkt dynamisch und natürlich. Hat sich reibungslos gelesen.
Aber was denkt Jochen denn über das Mädchen. Er erinnert sich an die Tochter seiner Frau, die er "verloren" hat. Das mag vielleicht eine schwache Verbindung zu Berrit aufbauen, aber für mich reicht das nicht wirklich.
Das hat mich auch sehr an das Videospiel "The Last of Us" erinnert, dort baut sich die persönliche Verbindung über mehrere Stunden Spielzeit langsam und fragil auf, bis sie schlussendlich zustande kommt. Darum finde ich diesen Grund in einer Kurzgeschichte wie dieser etwas unzureichend.
Vielleicht kann er es nicht glauben, dass nun auch Menschen, die kaum in der Welt angekommen sind, ums nackte Überleben kämpfen müssen. Vielleicht hat er einfach nur Mitleid.

Drei Tage hat es gedauert, bis sie ihm soweit Vertrauen entgegen brachte, um zu schlafen, während er wachte.
Auch hier macht mich der Text ein wenig stutzig. Warum vertraut Berrit Jochen nach nur drei Tagen, nachdem sie kurz davor war, auf ihn zu schiessen? Was für Gründe gibt Jochen denn Berrit, dass sie ihm vertrauen kann? Lässt er sie ihre Waffe stets tragen? Gibt er ihr essen oder sorgt er um ihre Wunden? Hier kommt die Beziehung auch etwas knapp.

Nun, paradoxerweise hat auf mich die Beziehung der beiden trotz alldem einwandfrei funktioniert.

Nicht, weil es der Text super verständlich macht, viel eher, weil ich mich, als Leser, mich mit Jochen UND Berrit identifizieren kann. So kann ich all die feinen Lücken und Fragen in meinem Unterbewusstsein beantworten, ohne dass die Geschichte konkret diese Themen anspricht.
Ausserdem habe ich das Gefühl, dass Jochen und Berrit gleiche Charakterzüge haben, aber in einer anderen Situation stecken und sich darum anders verhalten. Beide wollen einander vertrauen, sind gütig und nicht sehr aggressiv. Wollen niemandem wehtun. Trotzdem sind beide grundlegend verschiedene Personen. Berrit fast zwanzig, im Überlebenskampf, von den Eltern getrennt (möglicherwiese verstorben), und hat schon viel mehr von der Apokalypse abbekommen als Jochen.
Du hast ja gesagt, dass Jochen gleich alt ist wie du und das hat mir direkt das Gefühl gegeben, dass Jochen eigentlich eine andere Version von dir ist und nicht eine komplett eigenständige Person.

Aber trotzdem, deine Geschichte hat mir sehr gefallen, super geschrieben. Wäre es ein vollwertiges Buch, würde ich es gerne lesen.

Gruess Starrider

 

Hallo Starrider,

danke für Deinen Kommentar - und lieber später als nie :-) - das mit dem Sterben und doch hoch gerüstet für den Überlebenskampf ist so eine Sache. Alt werden und sehen, dass man dem Tod entgegen geht und dann auch die Zivilisation simultan dem Ende entgegen sehen heißt ja nicht, sterben wollen. Auch hier ein paradoxes Verhalten.
Auch Berrit wächst in dieser brutalen Wirklichkeit auf, hat aber immer noch die ethischen Vorstellungen des Miteinander in ihrem Gefühl - auch das ja eine paradoxe Situation.
Du schreibst:
So kann ich all die feinen Lücken und Fragen in meinem Unterbewusstsein beantworten, ohne dass die Geschichte konkret diese Themen anspricht.
Ausserdem habe ich das Gefühl, dass Jochen und Berrit gleiche Charakterzüge haben, aber in einer anderen Situation stecken und sich darum anders verhalten. Beide wollen einander vertrauen, sind gütig und nicht sehr aggressiv. Wollen niemandem wehtun. Trotzdem sind beide grundlegend verschiedene Personen.

Danke, dass Du das erwähnst - genau das beabsichtige ich (eigentlich) in meinen Stories - ich muss nicht immer alles lückenlos beschreiben; ich setze voraus, dass der Leser über ausreichend Phantasie verfügt, um das Bild zu vervollständigen. Erlebbar, wenn ein Buch verfilmt wird, welches Du gelesen hast und ganz erschrocken feststellst, dass der Prot. anders aussieht, wie Du ihn in deiner Phantasie erschaffen hattest.
Trotzdem werde ich an der Story noch ein bisschen feilen müssen.
Danke für´s Lesen und liebe Grüße
Detlev

 

Hallo @Detlev,

das ist eine Geschichte, die für mich wirklich funktioniert (im Gegensatz zu meinem Versuch am Flussufer). Von der Stimmung irgendwo zwischen "Blackout" und "Die Wand", eigentlich näher bei Haushofer.

Hat mir gut gefallen, mich mitgenommen und ich konnte die Geschichte spüren, hatte Bilder im Kopf. Das ist immer ein gutes Zeichen. Mir gefällt die melancholische Traurigkeit, die Mehrdeutigkeit von "Ende des Sommers" und auch, dass er sich nicht mehr so am Leben festklammert.

Und das Ende gibt doch ein bisschen Hoffnung.

Flusenlese:

Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Wie trivial ihm der Gedanke durch den Kopf flattert. Mehrmals, als müsse er von ihm gefangen werden. Die Blätter an den Bäumen hatten sich durch die große Trockenheit frühzeitig verfärbt, waren abgefallen und machten sich unter seinen Tritten bemerkbar.
Ein schöner Einstieg. Das "von ihm" stört ein bisschen. Könnte aus meiner Sicht gestrichen wären. Oder ... als müsste sein Gehirn ihn erst einfangen.

Die große Trockenheit gefällt mir nicht so. Ansonsten ein toller Absatz.

Im Sand des Weges sind nur seine Fußspuren vergangener Tage sichtbar – ab und zu gekreuzt von einem Fuchs oder mehreren Paarzehern
Paarhufern?

Der Blackout kam auf leisen Sohlen. Auch wenn Stimmen davor gewarnt hatten – verantwortliche Organe des Staates beteuerten Zuversicht und Jochen las in ihren Augen die Scheinheiligkeit. Längst standen gepanzerte Fahrzeuge und Flieger bereit, um sie aus dem Pulverfass zu katapultieren, sollte die Lunte Feuer fangen. Angebliche Volksverräter - das Gesocks der Straße - schrien verfängliche Behauptungen. Keine der Parolen zogen Jochen auf eine Seite. Er sah hinter jedem die unvorstellbare Litanei an Argumenten. Horchte er in sich, dann war da das Ende des Sommers gekommen. Für ihn, für die Jahreszeit, für die Gesellschaft, für das Land, ja, sogar für die Erde. Bei Letzterem war er sich nicht ganz sicher und insgeheim wünschte er ihr Glück. Möge sie sich erholen von der Bestie, die im Begriff war, ihre Kinder zu töten.
Auch gut. Chronik einer angekündigten Überraschung. Die "verantwortlichen Organe" gefallen mit nicht wirklich. Klingt so pseudo-neutral. Politiker?
Warum "Angebliche"? Würde sogenannte nicht besser passen?

Sonst gefällt mir der Absatz auch. Hat mich mitgenommen.

Am Horizont schimmert das Blau eines Sees, in dessen Mitte der dunkle Fleck einer Insel thront. Zwei dünne Rauchsäulen kräuseln sich empor, leicht geneigt durch den Wind aus Nordost.
Das hinterlässt sofort ein Bild bei mir. :thumbsup:

Jochen floh den ersten Tag schon mit seinem Campingbus in ein entlegenes Tal voller Dornhecken, gefallener Bäume und sumpfigem Boden.
Fehlt hier ein Wort? Jochen floh schon in den ersten Tagen?

Stille. Keine Waffen. Wenn es soweit käme – auch sein Sommer neigte sich dem Ende zu. Dann wäre es eben so.
:thumbsup:

Es war nicht leicht, in einem Kasten zu überleben, der angefüllt war mit den Errungenschaften einer Zivilisation, die da draußen gerade ihren steilen Abstieg feierte. Er las aufmerksam das Buch, in dem der Nutzen aller heimischen Kräuter und Früchte eine Rückkehr zur Natur priesen. Aber seine Aufmerksamkeit huschte immer wieder durch die Scheibe nach draußen.
Ich frage mich gerade, ob der Satz nicht im Präsenz besser funktionieren würde. Denn das ist ja eine grundsätzliche Beobachtung.

Wobei ich mich gerade frage, warum dieser Absatz überhaupt in der Vergangenheitsform steht. Hast Du zwischenzeitlich die Zeitform gewechselt oder ist es Absicht?

Langsam setzt er sich auf die Bank. Gestiftet von Familie Nothelfer im Jahre 2018. Lackiertes Aluminium. Vor ihm im Sand frische Spuren. Kleine Schuhgröße. Feste Sohle, ausgeprägtes Profil. Er spürt den Blick in seinem Nacken, es ist zu spät, um aufzuspringen, um wegzulaufen. Leise bricht das trockene Gras unter dem Tritt sanfter Schritte, die sich nähern.
Cool, jetzt wird es spannend. Aber wie bricht Gras unter dem Tritt sanfter Schritte? Der Satz hat mich eher 'raus geholt.


Ihre linke Gesichtshälfte ist bedeckt mit verkrustetem Blut, das Auge bläulich unterlaufen, auch aus der Nase muss Blut getreten sein, unbeholfen verwischt bis über die rechte Wange. In ihrer Hand eine P8, bekannt aus unzähligen Krimis. Schnee von gestern.
Dein Protagonist erkennt die P8? Auch nicht schlecht. Erstaunlich, was das Gehirn in solchen Momenten so denkt. Aber nicht unrealistisch.

Will es sich mit "Schnee von gestern" wieder der Situation zuwenden? Dann fehlt mir ein entsprechender Satz.

Ohne weiter den Angriff zu erläutern.
"Ohne den Angriff weiter zu erläutern", oder?

„Lass uns gehen – hab keine Angst vor mir, ich hab auch keine Waffen“, wieder lächelt Jochen und schmerzhaft denkt er an seine Tochter. Eigentlich war sie nur die Tochter seiner Partnerin, mit der er sieben Jahre verbracht und die er wie sein eigenes Kind ins Herz geschlossen hatte. Wie eine eigene Tochter. Bis sie mit ihrer Volljährigkeit aus seinem Leben verschwand.
Das ist gut. Gibt Motivation für seine späteren Handlungen. Aber "Tochter seiner Partnerin" klingt nach Erzählerstimme. Würde er so denken?
Und die Doppelung "eigenes Kind" und "eigene Tochter" ist für mich nicht notwendig oder nützlich.

Jochen blieb allein zurück; warum, da fand er bis heute keine Antwort für.
Absichtlich Umgangssprache / Dialekt? Dafür fand er bis heute keine Antwort.

„Was liest Du?“ Berrit hielt die Bettdecke mit beiden Fäusten umklammert unter ihrem Kinn. Ihre Stimme klang verschlafen, ihre Augen glänzten wie zwei kleine Kastanien.
„Essbare Kräuter." Jochen hält das geöffnete Buch in ihre Richtung. „In der
Warum Vergangenheit im ersten Satz?

Jochen seufzt und plötzlich ist ihm zu weinen zumute. Wie er das Ende erleben würde war ihm völlig schleierhaft, aber dass ein Mädchen – er lässt dem Gedanken freien Lauf. Langsam steht er auf, sieht ihr in die Augen. Berrit erwidert seinen Blick – so stehen sie eine Weile, das Tropfen auf dem Dach hat nachgelassen.
Der erste Satz ist super. Trift mich. Nur der Teil nach dem Gedankenstrich stört eher.
Wie wäre es mit "aber dass ein Mädchen ... Er lässt den Gedanken los.

Freien Lauf heißt für mich eher, dass ich Gedanken nachhänge, sie zumindest Stückweise verfolge etc. Deshalb bin ich hier gestolpert.

Ansonsten mag ich diesen Absatz und den Schluss sehr.

Ich hoffe, du kannst mit meinen - vermutlich subjektiven - Anmerkungen etwas anfangen.

Liebe Grüße
Gerald (GG)

 

Hallo @C. Gerald Gerdsen,

danke für Deinen Kommentar - freut mich sehr, dass Du vorbeischaust und ich werde Deine Tipps (sehr wertvoll!) einarbeiten.

Paarhufern?
... gilt beides... aber ich nehme Paarhufer ...
Ich frage mich gerade, ob der Satz nicht im Präsenz besser funktionieren würde. Denn das ist ja eine grundsätzliche Beobachtung.
... hast recht.
Will es sich mit "Schnee von gestern" wieder der Situation zuwenden? Dann fehlt mir ein entsprechender Satz.
... die Krimis liefen ja im TV, aber das gibt´s ja nun nicht mehr, also Schnee von gestern.

Danke und liebe Grüße
Detlev

 

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