Das ersparte Buch
Das ersparte Buch
>> Darf ich jetzt endlich losgehen Mutti? <<
Thomas war ungeduldig, und seine Wangen glühten vor Aufregung. In seiner Hand hielt er eine große blaue Tüte fest umklammert.
Sie war voller Pfandflaschen, und er war im Begriff diese im örtlichen Supermarkt abzugeben. Er würde dafür nur ein paar wenige Geldstücke bekommen, welche er sich jedoch mühsam zusammensparte. Jedes Mal wenn er nach Hause kam, steckte er die für ihn so wertvollen Münzen in eine kleine selbst gebastelte Blechbüchse. Danach nahm er sich einen schon recht zerknüllten Zettel, strich eine Zahl durch, und schrieb den neuen Geldbetrag unter den Alten.
Schon viele Zahlen waren auf dem Zettel durchgestrichen, heute würde er endlich das Geld zusammenhaben, welches er sich für sein Buch so wünschte.
Seine Eltern besaßen nur wenig Geld, deshalb gab es nur zu Geburtstagen und Weihnachten eine Kleinigkeit, über die sich Thomas jedes Mal riesig freute.
>> Gleich mein Engel, Papa und ich haben noch etwas für dich. Hier nimm! <<, sagte seine Mutter und reichte ihm eine Plastikflasche, die Thomas überglücklich an sich drückte.
Seine Eltern strahlten, waren sie sich doch über die Seltenheit bewusst; solche Freude bei einem Kind auszulösen, nur durch eine einfache Pfandflasche
Doch umgerechnet war dies wieder eine viertel Münze mehr, für den kleinen Thomas viel Geld.
Seine Mutter gab ihm noch einen Kuss auf die Stirn und drückte ihn an sich,
>> Bis nachher Liebling, pass auf dich auf, du hast viel Geld in deiner Hand! <<
Thomas nickte, winkte seinem Vater, öffnete die Tür, und stürmte das Treppenhaus hinunter.
Er hatte es geschafft. Überglücklich gab er der Kassiererin seinen Beutel, die daraufhin die Flaschen zählte. Sein Lächeln zog sich über das ganze Gesicht, als sie ihm die Münzen in seine Hand legte. Sie waren kalt und hart, trotzdem hielt er seine Faust fest geschlossen, damit niemand sehen konnte, was für einen Schatz sie beherbergte.
Schnell rannte er nach Hause, sein Vater, dass wusste Thomas, wartete schon im Flur auf ihn, war fertig angezogen – mit den schwarzen Sonntagsmantel, für den er so manche Sonderschicht in der Fabrik machen musste und den er nur zu besonderen Anlässen anzog.
Thomas war nun schon in seiner Straße, nur vier Aufgänge trennten ihn von der elterlichen Wohnung. Da versperrten ihn einige Jugendliche den Weg. Thomas’ Knie wurden weich. Sollte dieser wunderschöne Tag ein so abruptes Ende finden?
Er hätte weinen können, als einer von ihnen die Faust in sein Gesicht schlug, so doll, dass er sein eigenes Blut schmecken musste. Am liebsten hätte er nach seinem Vater gerufen, doch der würde ihn nicht hören können, da er wahrscheinlich immer noch im Flur auf ihn wartete und jetzt vielleicht schon ungeduldig auf seine Uhr schaute.
Schnell war es vorbei. Sie nahmen sein Geld und liefen weg. Thomas blieb stehen. Die Schmerzen und all das Blut waren nicht schlimm; er merkte es gar nicht. Viel schlimmer war die Trauer, die sein Herz wild gegen die kleine Brust schlagen ließ.
Er schämte sich nicht, als er mit Tränen in den Augen seinen Vater gegenüberstand, der ihn liebevoll in die Arme nahm, ohne darauf zu achten, dass das Blut seines Sohnes den schönen teuren Mantel beschmutzen könnte.