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Das erste Mal
Eine Seitengasse, keine fünf Meter weiter der ewige Strom der Passanten. Niemand schaut in die Lücke zwischen den Häusern.
Hinter mir ein Bretterverschlag, ein rostiges Schloss sichert die Angeln der Tür. Die Späne des billigen Holzes bohren sich durch mein Top, meine linke Hand ist vom Sturz aufgescheuert.
Meine drei Verfolger kommen um die Ecke, sie entspannen sich, als sie sehen, dass ich in der Falle sitze. Auf dem Gesicht des Vordersten zeigt sich ein dreckiges Grinsen. Nathan heisst er, wenn ich mich richtig erinnern kann.
Warum schaut keiner her?
Alle drei sind dümmer als ein Stück Scheisse und alle drei sind unglücklicherweise doppelt so stark wie ich.
Kann ich an denen vorbeikommen? Die Gasse ist vielleicht vier Meter breit, und beweglicher als die bin ich allemal.
Meine Hoffnung an eine Flucht erstirbt mit dem Messer das Nathan aus der Tasche zieht. Es ist nicht wirklich gross, die Klinge misst etwa zehn Zentimeter, aber in der Hand des Sechzehnjährigen sieht sie riesig aus.
Er hat schon mal jemandem damit die Kehle aufgeschlitzt, das hat mir Blue erzählt. Einem alkoholkranken Penner an einer Strassenecke, einfach so zum Spass. Ich weiss nicht ob es stimmt aber ich will nicht herausfinden zu was der Pickelgesichtige fähig ist.
Wo ist Blue? Wir hatten uns einen Block weiter treffen wollen. Vielleicht beginnt er zu suchen, wenn ich nicht auftauche.
Vielleicht...
Hatte ich ihm überhaupt gesagt wo ich hinwollte?
Fuck!
„So, du kleine Hure, haben wir dich endlich. Du weisst, dass ich Jeden kriege der in meinem Revier ohne Erlaubnis klaut.“
Er lässt das Messer auf seiner Handfläche kreisen, eindeutig der Einfluss zu vieler schlechter Filme.
Was soll ich entgegnen? Ich hatte gehofft er wäre zu blöd es überhaupt zu bemerken, bis mich vor einer Woche einer seiner Unterhunde gesehen hat. Seitdem hab ich mich vor seiner Strasse gehütet, heute hatte ich eigentlich nur die Strecke abkürzen wollen damit ich mich mit Blue treffen konnte, hatte bloss vergessen, dass ich eigentlich gar nicht hier sein sollte.
„Ey hör mal, ich kann dir das bezahlen, ich könnte auch für dich arbeiten wenn du willst.“
„Ich nehme keine Entschuldigungen, wer auf meiner Strasse Scheisse baut der macht das kein zweites Mal.“
Mir läuft es kalt den Rücken runter.
„Was?“ Ich bemühe mich um eine feste Stimme „Willst du mich umlegen? In ein paar Minuten kommen meine Freunde hier an, die werden dich und deine Typen auseinander nehmen.“
Er lacht laut und schräg, seine Stimme kippt eine Oktave höher weil er noch im Stimmbruch ist.
„Du bist Mellana, die kleine Waisenschlampe aus dem dreizehnten, oder?“
Zwei Sachen sind beunruhigend: Erstens, seine Rechte die mit dem Messer in meine Richtung fuchtelt und zweitens, dass er anscheinend weiss wer ich bin.
Ich richte mich langsam auf. Das raue Holz schabt über meine Haut.
„Du bist immer alleine unterwegs, der Einzige der mit dir abhängt ist doch dieser kleine Schwächling. Ich kenne ihn, hab ihn vor Jahren mal verprügelt. Wenn du ihn mit deiner Crew meinst, dann soll er nur kommen.“
Seine beiden Trottel lachen wie auf Kommando los.
Das Ganze kommt mir immer mehr vor wie ein schlechter Film.
Wieder schätze ich meine Fluchtmöglichkeiten ab. Wenn es mir gelingt über den Zaun zu klettern, komme ich auf der anderen Seite des Blocks wieder raus. Dort hat es eine U-Bahn Station unter der Kreuzung, es wäre ein leichtes die drei Typen loszuwerden.
Ich riskiere einen kurzen Blick die Bretter hinauf. Es sind mindestens zwei Meter. Da käme ich schon hoch, aber bis dahin hat mir Pickelgesicht sein Messer schon dreimal in den Rücken gerammt.
Warum kann nicht einmal ein Bulle vorbeikommen wenn es nötig ist?
„Nein, ich werde dich nicht töten, ich hab heute mein gutes Hemd an.“ Er trägt ein verwaschenes, graues Ding und das auch schon seit mindestens drei Tagen.
Mit seinen kleinen Schweinsäuglein wandert er schamlos über meinen Körper, bleibt mit dem Blick an meinen Brüsten hängen.
Ich verstehe, womit das hier enden soll.
Seine Finger schliessen sich fester um den Kunststoffgriff.
Es beginnt. Diese Blase im Lauf der Zeit, wenn der Körper mit Adrenalin durchflutet und alles beginnt sich in Zeitlupe zu bewegen. Klar, ich war schon aufgeputscht von der Verfolgung und meiner Angst. Aber was ich jetzt verspüre verschlägt mir regelrecht den Atem.
Ich kann sehen, wie die Adern auf seiner Hand mit jedem Pulsschlag anschwellen, die feinen Tropfen auf seiner Stirn langsam grösser werden und ich höre, nein ich spüre wie sich sein Atem beschleunigt.
Quälend langsam senkt sich sein Oberkörper, als er das Gewicht nach vorne verlagert. Der erste Schuh hebt sich vom Boden, gleich darauf der zweite. Mit weiten Schritten überbrückt er die zwei Meter Distanz zwischen uns.
Ich strecke die Hände aus, habe vor sein Messer zu stoppen. Oder es wenigstens abzulenken.
Meine Arme sind nicht viel schneller als seine Bewegungen. Alles kommt mir irgendwie verwaschen vor, als würde ich die Szene in einem Kino sehen.
Er hat nicht vor mir die Klinge in den Bauch zu stossen, nutzt mehr die Tatsache, dass ich auf seine rechte Hand konzentriert bin. Sein linker Arm zuckt im letzten Moment hoch, legt sich an meinen Hals und knallt mich hart gegen den Zaun. Ich sehe den Arm noch hochkommen, aber meine Bewegungen sind viel zu langsam.
Einen Moment sehe ich gar nichts, nur weiss. Dafür sorgen die Bretter gegen die mein Hinterkopf schlägt. Ich frage mich schon ob ich ohnmächtig bin, doch mein Blick klärt sich wieder.
Nathan steht vor mir, schwer atmend. Mit der linken Hand drückt er mich gegen die Wand, sein Messer schwebt über meiner Bauchdecke.
Er ist nicht grösser als ich, fast ein Stückchen kleiner. Trotzdem schwebe ich fast in seinem Griff, so hoch drückt er mich.
Endlich gelingt es mir meine Arme hochzureissen und nach seiner Waffe zu fischen. Ich fasse in die Klinge, spüre etwas warmes an meinen Fingern.
Seine beiden Begleiter packen meine Hände.
Wann sind sie neben mich getreten?
Ich halte mit meiner ganzen Kraft dagegen, doch sie drücken sie mühelos auseinander und pressen sie gegen das Holz.
Nun löst Pickelgesicht den Arm von meinem Hals. Tritt einen Schritt zurück, wie um sein Werk zu begutachten. Keuchend schnappe ich nach Luft, ich heule fast aber nicht aus Trauer oder Furcht. Ich würde ihn am liebsten umbringen, ihm das Messer ins Herz rammen damit er für alles Unrecht bezahlt.
Mein Bein kommt hoch, trifft ihn kraftlos ans Schienbein. Er boxt mich dafür mit voller Wucht in die Magengrube.
Mir kommt die Galle hoch, mühsam huste ich um nicht zu kotzen.
Währenddessen nimmt er seelenruhig sein Messer in die Linke, meine Augen folgen jeder Bewegung der blitzenden Keramik.
„Ok, jetzt will ich sehen was du da versteckst.“
Ich verstehe kaum was er sagt. Spüre aber umso besser seine Hand auf meinen Brüsten. Als suche er nach Flöhen grapscht er grob darüber.
Er setzt die Klinge an und beginnt mein Oberteil von unten her aufzuschneiden, ritzt mir dabei zweimal in die Haut. Der Schmerz ist kaum fühlbar.
Oben angekommen zeigt sich ein zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen. Ohne gross zu überlegen, stosse ich mich so gut es geht nach vorne und ramme ihm mein Knie zwischen die Beine.
Als ich wieder begreife, was meine Augen eigentlich sehen, blicke ich in seine hervorquellenden Augen. Das Gesicht rot wie eine Tomate stolpert er nach hinten, kann sich knapp auf den Beinen halten. Mit beiden Händen umfasst er schützend seinen Schritt, in der Hoffnung den Schmerz damit lindern zu können.
Der Moment dauert ewig, die Zeit läuft immer noch nach ihren eigenen Regeln.
In seinem Blick zeigt sich eine fürchterliche Wut. Mit einem Aufschrei wirft er sich nach vorne, mehr schlecht als recht aber es funktioniert: Das Messer zeigt in meine Richtung.
Unwillkürlich will ich die Hände vor mich reissen, sie liegen nach wie vor im eisernen Griff seiner Kumpane.
Während die schwarze Keramikklinge langsam auf mich zuschiesst, dringt etwas Anderes in meinen Verstand: Jemand schreit wie ein Wilder. Ich bin es nicht und Nathan ist es ebenso wenig.
Ich habe keine Zeit weiter darüber nachzudenken, das Messer bohrt sich lautlos in meinen Brustkorb. Jeder Zentimeter schmerzt wie die Hölle, keuchend stosse ich die Luft aus. Ohne es zu wollen entfährt mir ein Schmerzensschrei, die Klinge brennt wie Feuer in meinem Fleisch.
Perfekt mittig platziert zwischen meinen entblössten Brüsten steckt das Messer in der Brust. Sicher drei Viertel der Klinge sind in mir versenkt.
Meine Sicht engt sich ein, ich fühle mich weder müde noch schwach. Trotzdem wird es immer dunkler.
Ein paar Augenblicke sehe ich gar nichts, nur der Schmerz brennt in meinem Oberkörper. Ich habe Mühe zu atmen, jeder Zug ist eine Qual.
Im nächsten Moment liege ich seitlich verkrümmt auf dem dreckigen Asphalt. Zum Glück bin ich nicht auf dem Messer gelandet, schiesst es mir durch den Kopf. Meine grauen Zellen funktionieren ohne Probleme. Nur meine Augen wollen nicht wirklich, schwarze Flecken wabern in meinem Blickfeld.
Wenn ich mich auf einen konzentriere verschwindet er, bloss um an einem anderen Ort wieder aufzutauchen. Nach ein paar Sekunden verschwimmen die Formen zu einem körnigen Bild, wie von einer schlechten Kamera.
Erst jetzt gelingt es mir mich wieder auf meine Umgebung zu konzentrieren.
Keinen Meter vor mir liegt Nathan am Boden der sich schon wieder seine Eier hält, diesmal rollt er mit schmerzverzerrtem Gesicht umher. Wer auch immer ihn diesmal getreten hatte war wesentlich effizienter gewesen als ich.
Hinter ihm bewegt sich ein Knäuel aus Leibern über den Boden: Seine Busenfreunde die auf einer schmächtigen Gestalt liegen und darauf einprügeln.
Dem Pickelgesicht gelingt es sich vom Boden hochzustemmen und zu der Prügelei hinüber zu wanken. Ohne sich um das Geschehen zu kümmern greift er sich das Opfer seiner beiden Kumpane und beginnt schreiend darauf einzuschlagen.
Jetzt erst begreife ich, wer das da eigentlich ist.
Blue muss es gewesen sein der vorhin geschrien hatte. Wahrscheinlich hat er Nathan gleich nach seinem Angriff von hinten zwischen die Beine getreten, und das aus vollem Lauf.
Jetzt bezahlt er gerade für seinen Mut.
Wieder legt sich ein Schleier über mein Blickfeld, diesmal ist er aber anders. Ich kann es nicht genau in Worte fassen, irgendetwas drängt mich. Die Schmerzen in meiner Brust verebben. Ich kann sie zwar immer noch spüren, aber sie sind nicht mehr penetrant im Vordergrund.
Als ich mich bewege wird mir beinahe schwarz vor Augen.
Beim zweiten Versuch gelingt es mir mich herumzudrehen und langsam am Zaun aufzurichten. Ich wäre liegengeblieben, aber irgendetwas zwingt mich nach oben.
Mit fahrigen Bewegungen streife ich die letzten Reste meines Oberteils ab, falle beinahe wieder hin.
Nathan sitzt mit dem Rücken zu mir auf Blue und prügelt auf dessen Gesicht ein. Er wartet regelrecht darauf von mir überrascht zu werden. Jetzt begreife ich was mich bewegt und bei Bewusstsein hält: Wut, und mit ihr der Gedanke meine Finger um seinen Hals zu legen.
Ich versuche meine Verfassung zu ignorieren und setze einen Fuss vor den Anderen, jeder Schritt ist eine Herausforderung. Vom halten des Gleichgewichts will ich gar nicht anfangen, ich muss aussehen wie eine Besoffene überlege ich leicht amüsiert.
Das Messer in meiner Brust scheint mir inzwischen unglaublich weit weg, wie eine Skulptur ragt es aus meinem Profil.
Ob es wohl ungesund ist, es aus der Wunde zu ziehen?
Obwohl, es muss ja sowieso da raus und es gibt wesentlich bessere Aufbewahrungsmöglichkeiten als meinen Körper.
Wenn das hineinstossen grausam war, dann ist das hier ein Witz. Wie aus seiner Scheide flutscht es aus der Wunde und liegt mir in der Hand als hätte es nie woanders hingehört.
Warum sehe ich immer weniger?
Mit Mühe gelingt es mir die Hand zu heben.
Der Rest spielt sich in riesigen Schritten ab:
Das Messer wie es in Nathans Rücken steckt.
Sein entsetzter Blick über die Schulter.
Wie ich auf ihm knie.
Rote Striche auf seinem Hemd.
Der geschockte Blick seiner Freunde.
Blut an meinen Händen.
Das Gesicht von Blue der mich anschreit.
Dunkelheit.