Mitglied
- Beitritt
- 16.02.2010
- Beiträge
- 3
Das Erwachen
Ich spüre, dass ich auf dem Boden liege. Vorsichtig streiche ich mit der Hand darüber. Es fühlt sich an wie glattes Holz. Ich wage noch nicht die Augen zu öffnen und horche in die Stille. Da ist nichts. Selbst bei höchster Konzentration bleibt alles still. Mein Atem geht leise und ruhig. Kurz frage ich mich ob ich jetzt ganz unten angekommen bin. So oft bin ich gefallen und dachte jetzt geht es nicht mehr tiefer. Doch es ging immer. Plötzlich entglitt mir der Boden wieder und ich stürzte erneut.
Hat es dieses Mal endlich ein Ende? Langsam öffne ich die Augen. Ich befinde mich in einem leeren, nur von milchigem Licht erfüllten Raum. Das Licht kommt von draußen durch ein völlig verschmutztes Fenster. Die Tapete hängt in großen Fetzen von den Wänden und der Boden ist zentimeterdick mit Staub bedeckt. Die Decke hat bereits tiefe Risse. Nach einigen Augenblicken erhebe ich mich langsam. Jetzt erst sehe ich die Tür links von mir. Ein Ausweg! Vorsichtig und misstrauisch wage ich einige Schritte in ihre Richtung. Nichts passiert und ich fange an zu hoffen. Vielleicht wird jetzt doch noch alles gut. Die Hoffnung wurzelt in meinem Herzen.
Der Boden unter mir zerbricht. Ich stürze ins bodenlose. Angst und Verzweiflung überfallen und zerreißen mich wie hungrige Raubtiere. In meinem Kopf bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass dies wohl nie ein Ende haben wird solange ich lebe. Das einzige was ich tun kann ist nicht mehr zu hoffen und es damit erträglicher zu machen. Keine Seele wird mir je Frieden schenken können. Mit übermächtiger Wucht pralle ich auf.
Ich liege zerbrochen in der Dunkelheit. Ausgestreckt auf dem Rücken. Als ich langsam die Augen öffne ist da nur tiefe Schwärze. Undurchdringlich und fast so greifbar wie Materie. Diesmal habe ich auch mich selbst verloren, denke ich. Eigentlich bin ich noch zu stark um hier zu liegen, aber ich bin zu schwach um noch mal aufzustehen.
Mein Zeitgefühl existiert nicht mehr. Nichts existiert mehr außer dem tiefen Schmerz vergangener Enttäuschungen, die meine Seele noch quälen. Ob ich ihn nun schon Stunden, Tage oder vielleicht sogar Monate ertrage kann ich nicht sagen. Dass sich das Blatt für mich noch mal wenden könnte daran wage ich gar nicht zu denken. Hoffnung gibt dem Schmerz nur Nahrung. In mir lösche ich jede Spur auf Emotionen aus. Kein Gefühl bedeutet keinen neuen Schmerz. Um mich herum wird es immer kälter. Bis mein Herz kaum noch schlägt und ich nur noch auf den Tod hoffe.
Wie lange ich in diesem Zustand emotionaler Starre nun schon verharre weiß ich nicht.
Etwas verändert sich. Lange Zeit kann ich nicht einordnen was es ist. Ich meine etwas zu sehen, aber in absolute Schwärze kann man auch vieles hineinsehen. Irgendwann kann ich es nicht mehr ignorieren. Es scheint als käme aus weiter Ferne ein Licht auf mich zu. Noch winzig und kaum zu sehen, aber doch da.
Ich starre den Punkt an. Wird er größer oder ist es Täuschung? Ist es überhaupt da oder verliere ich nur meinen Verstand? Erlöst mich nun endlich der Tod? Sollte dies wirklich ein Licht sein kann es nur eine weitere Qual sein, denn gutes gibt es auf der Welt nicht. Das ist zumindest das was ich gelernt habe.
Ich schließe die Augen um es nicht mehr zu sehen und nicht der Täuschung und damit eventuell Hoffnung anheim zu fallen. Jetzt da ich nicht mehr durch seinen Anblick abgelenkt bin fällt mir etwas anderes auf. Es wird wärmer. Kaum merklich, aber wenn ich mich darauf konzentriere doch spürbar. Die Kälte um mich herum zieht sich zurück. Ich spüre wie mein Herz sich langsam beginnt zu rühren und mein Verstand lässt es wieder verstummen. Immer in der Ahnung einer sinnlosen Hoffnung, die wieder enttäuscht wird.
Ich öffne die Augen wieder. Es scheint jetzt doch recht deutlich, dass es näher kommt. Ängstlich und angestrengt kneife ich die Augen wieder zu. Ich will es nicht sehen, nicht spüren. Ich darf mich nicht wieder auf leere, törichte Versprechungen von Glück einlassen. Es gibt kein Glück. Es gibt kein Glück. Es gibt kein Glück…Ich wiederhole es immer und immer wieder. Lasse ich mich darauf ein dann heißt das wieder Schmerz und mich peinigen noch meine alten Wunden. Nie sind sie wirklich verheilt und selbst die Kälte hat sie nicht betäuben können. Ich fange an zu weinen während es um mich herum angenehm warm wird. Mein Widerstand bröckelt, aber noch behält mein Verstand die Oberhand. Mein Herz aber regt sich trotz aller Versuche es verstummen zu lassen. „Schsch…“, flüstert eine ruhige Stimme neben mir, „ Alles wird gut. Mach die Augen auf.“ Die Sanftheit der Stimme beruhigt mich. Ich höre auf zu weinen und mein Körper entspannt sich. Ich blicke in das wunderschöne Lächeln der schönsten Frau, die ich mir vorstellen kann. Das Licht hüllt sie ein und scheint gleichzeitig aus ihr selbst heraus zu strahlen. Vorsichtig richte ich meinen Oberkörper etwas auf. „Bist du ein Engel? Sollst du mich in das Reich des Todes führen?“, frage ich hoffnungsvoll. Ihr warmes Lächeln bleibt bestehen als sie den Kopf schüttelt und antwortet: „Nein. Ich habe die Mauern deines selbst geschaffen Seelengrabes durchschritten um dich wieder ins Leben, ins Licht zurückzuholen. Du warst schon viel zu lange tot.“ Mit diesen Worten legt sie ihre Hand auf meine Brust. Die Wärme , die ich um mich herum verspürt habe breitet sich nun auch in meiner Brust aus. Sie beginnt sich in meinem ganzen Körper auszubreiten und mein Herz beginnt vollends wieder zu schlagen. Verwundert fasse ich an meine Brust und sehe sie erstaunt an während sie sich elegant erhebt. „Komm.“, fordert sie mich auf und streckt mir ihre Hand entgegen, „Befreien wir deine Seele von Dunkelheit und Kälte.“ Mein Herz macht Freudensprünge, die mein Verstand sofort wieder mit Misstrauen und Angst erstickt. „Nein. Hier mag es dunkel und kalt sein, aber hier bin ich sicher. Ich werde bleiben.“, antworte ich und lege mich wieder hin. „Ich kann deine alten Wunden heilen und dich von dem Schmerz befreien der dich quält. Ich kann dir Schutz bieten vor jedem neuen Leid. Wenn du jetzt mit mir kommst und mir vertraust wirst du Frieden finden. Das wirst du hier nie. Hier werden dich vergangene Qualen immerdar verfolgen.“ Gütig sieht sie mich an. Ich kann mich nicht dagegen wehren, ich werde von ihr angezogen wie Metall von einem Magneten. Alles schreien meiner Vernunft vermag gegen das Begehren meines Herzens nichts auszurichten, denn das vertraut ihr und will ihr folgen. Die warnende Stimme in meinem Kopf wird leiser und lässt mein Herz zu Wort kommen: „Wage es! Deine letzte Chance.“ Sie streckt erneut ihre Hand aus. Ich zögere doch etwas in mir kann sich ihr nicht widersetzen und ich ergreife sie. Ihr Lächeln wird zu einem Strahlen und ihr Licht leuchtet kurz noch heller als zuvor. „Komm.“
Sie führt mich durch die Finsternis. Jeder Schritt sicher und ohne Zögern. Mit jedem Schritt lichtet sich die Finsternis ein winziges Stück und ein wenig Angst und Zweifel fallen von mir ab. Von Zeit zu Zeit vibriert der Boden, jedoch beunruhigt auch das mich immer weniger. Immer heller und heller wird es. Auf einmal bleibt sie stehen und sieht mich an. „Willst du es wagen?“, fragt sie mich. Zum ersten Mal ist ihr Lächeln fort und sie sieht mich ernst an. Ich spüre, dass ich mich jetzt entscheiden muss und zögere wieder. Nach kurzem Kampf von Herz und Verstand antworte ich knapp: „Ja.“ Vor uns bricht ein heller Strahl Licht aus. „Mach dich von allen Zweifeln los. Du musst es wollen.“ Die Stimme in meinem Kopf, die ich bisher für die Stimme der Vernunft gehalten hatte, verstummt ganz. Es kracht einmal laut, meine Seele erbebt und auf einmal stehen wir in hellem Licht, dessen Quelle direkt vor uns liegen muss. Es drängt die Finsternis in unserem Rücken zurück. Sie kann uns nicht mehr antasten. Jedoch spüre ich eine unsichtbare Grenze, die mich immer noch von dem Licht trennt. Es ist so wunderschön und überwältigend, dass ich für Sekunden den Atem anhalte. Es ist dasselbe Licht, dass aus ihrem innersten scheint. Es zieht mich an und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit spüre ich einen Hauch Glückseeligkeit. „Ein Schritt. Dein Glück und dein Frieden warten dort auf dich.“, sagt sie, lächelt und weist mit der Hand in die Richtung des Lichtes. Sie lässt meine Hand los und tritt einen Schritt vor. Im selben Moment ist sie verschwunden.
Ich atme tief ein und wieder aus. Ich blicke zurück und sehe unendliche Schwärze, drehe mich um und blicke ins Licht. Die letzten Zweifel und die letzte Angst fallen ab und erleichtert tue ich den letzten Schritt aus dem dunklen Gefängnis meiner Seele ins Licht.