- Beitritt
- 12.10.2005
- Beiträge
- 586
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Das fallende Blatt
Es schien ein Abend wie jeder anderer zu werden. Ich wollte gut aussehen und entschied mich nach langem Suchen im Kleiderschrank für die Levi´s Jeans und den Ralph Lauren Pullover. Es war gerade zehn Uhr, als Josi, das Mädchen, dass ich liebe und begehre, bei mir auf dem Handy anklingelte, ich zwei Kölsch aus dem Kühlschrank nahm, die Tür meiner WG hinter mir zuwarf und nach draußen rannte. Sie sah wunderschön aus, lächelte süß, umarmte mich und fragte, ob es mir gut ginge. Es ging mir nicht gut, schon alleine, weil ich in ihrer Nähe war, aber das sagte ich ihr auch diesen Abend nicht. Ich sagte ihr auch nicht, wie sehr ich sie die letzten Tage vermisst hatte und das ich sie sogar dann vermisse, wenn sie hier, direkt neben mir steht. Josi lächelte einfach, unwissend und unschuldig.
"Lass uns ins Mox gehen", meinte sie und ich mochte den dunkel anmutenden Kellerbau mit dem engen Tanzbereich schon immer und hatte nichts einzuwenden. Auf dem Weg dahin tranken wir die Kölsch, und ich redete davon, wie gut ihr die neuen Schuhe stehen würden und dass das, was sie mit ihren Haaren gemacht hätte, wirklich super wäre. In letzter Zeit würde ich mich wie ein fallendes Blatt fühlen, sagte ich irgendwann und sie lachte, weil es Herbst war und überall fallende Blätter durch die Luft flogen und man eigentlich nur seine Hand ausstrecken musste, um eines einzufangen. Und wie schön Josi lachte und wie mein Herz aufging, als sie mich einfach so anstupste, vollkommen grundlos, sagte ich ihr natürlich nicht.
Im Mox angekommen, bestellte ich zwei Beck´s ,weil Josi auch eines wollte, für das sie mir aber die 2,50 Euro gab. Wir hatten uns vor einiger Zeit darauf geeinigt, uns nichts gegenseitig auszugeben, so ein Kumpelverhältnis zu führen und den anderen nicht zu lieben oder zu begehren.
Der Laden war nicht sehr voll, nur in einer Ecke drängten sich ein paar Emo-kids aneinander und lachten. Auf der Wand lief, von einem Beamer projektiert, Jackass und ich entdeckte einen Freund, der davor saß und darüber lachte, wie Johnny Knoxville von kleinen Kindern in die Eier getreten wurde. Josi hatte auch jemanden entdeckt, einen Kerl in meinem Alter, mit Nietengürtel und Zigarette zwischen den Lippen, und weil ich ihn sofort aus tiefstem Herzen hasste, ließ ich sie alleine hingehen und fing ein leeres und unnützes Gespräch mit meinem Kumpel an. Der wiederum kannte ein Mädchen, das sich zu uns setzte und den ganzen Abend nur Sekt trank. Wir redeten, tranken Bier, lachten über die Idioten auf der Leinwand und sahen Josi mit dem Kerl auf die Tanzfläche verschwinden. Der DJ spielte Franz Ferdinand, eigentlich unsere Musik, also Josis und meine, aber ich folgte den beiden nicht, ließ mich lieber noch weiter in den Sessel fallen und führte mit der Bekannten meines Freundes dahinkrieschenden Smalltalk, den ich zwischendurch immer wieder aufs Neue beenden wollte, es aber nicht schaffte. Josi könnte sehen, wie ich hier mit ihr flirte und eifersüchtig werden und sich vielleicht wieder zu uns setzen, aber dann lief Mando Diao und das war schon immer unsere Musik, zu der sich die beiden anscheinend amüsierten. Wie fern ich mich ihr in diesem Moment fühlte und wie weh es tat, zu wissen, dass sie keine zehn Meter weiter tanzte ... Also hörte ich mir an, wie mir das Mädchen, welches ziemlich niedlich und blond war, von ihrem Freund erzählte, der gerade zum Studieren nach Wiesbaden gezogen war und sie hier alleine gelassen hatte und sie eine Ausbildung zur Industriekauffrau absolvierte, es aber, wie eigentlich alles im Leben, auf Dauer keinen Spaß brachte. Sie war angetan davon, dass ich Jura studierte, fragte mich Dinge, die keinen interessieren und ich antwortete auf ihre Fragen, um alles schneller hinter mir zu haben. Zwischendurch brachte mein Freund eine ganze Weinflasche von der Theke mit und ich schüttelte mir Wein in die halb leere Bierflasche. Es schmeckte nicht, was mich in keinster Weise hinderte, es zu trinken. Schließlich stand ich auf, es war schon nach eins. Die Stunden waren wieder schnell vergangen und ich fühlte mich zurückgelassen, von einem Baum auf den Boden geworfen und von dreckigen Schuhen zertrampelt.
Josi tauchte plötzlich auf, kitzelte mit ihren Fingern über meine Schultern und gab mir ihre Bierflasche. Ihr Kerl, dem ich am liebsten in die Fresse gehauen und jegliche Zähne ausgeschlagen hätte, stand neben ihr und lächelte dämlich. Ich sagte natürlich nicht, wie schlecht es mir geht und das ich mit ihr zu den Arctic Monkeys, die gerade liefen, tanzen wollte und das sie das Mädchen ist, das ich liebe und begehre, beschwerte mich stattdessen über meinen mangelnden Alkoholpegel. "Wir gehn was nach draußen rauchen. Kommen aber gleich wieder", antwortete sie und ich sah die beiden diese Nacht nicht wieder.
Mein Kumpel war auf die Tanzfläche verschwunden, ich wankte die Treppe hoch zum WC und weil ich es nicht ab kann, wenn mir ein Kerl auf den Schwanz schaut, wartete ich solange, bis die Einzeltoilette frei war. Als ich fertig war, ging ich wieder nach unten, gab Josis Flasche an der Theke ab, verabschiedete mich von niemanden und verließ das Mox.
Draußen war es kalt. Betrunken lief ich in Richtung meiner WG, meine Hände in den Hosentaschen versteckt und sicher mit mehr als einer Träne in den Augen. Dies war nicht der Abend geworden, den sich meine Träume, diese katastrophal schlecht verfilmten Drehbücher, ausgemalt hatten.
"Hey du", sagte auf einmal eine Stimme hinter mir und als ich mich umdrehte, sah ich das Mädchen, mit dem ich den ganzen Abend geredet und deren Namen ich lange schon vergessen hatte, an einer kleinen Statue sitzen und eine Zigarette rauchen. Die Zigarettenglut tanzte fiebrig in der Nacht. Ihre Stimme klang traurig, aber vielleicht war es auch nur der Alkohol. Ich ging auf sie zu und half ihr aufzustehen.
"Ich geh was mit dir, wenn dir das Recht ist."
"Klar", antwortete ich.
Nach ein paar Schritten waren wir vor ihrer Tür. Sie war wirklich verdammt hübsch und ich überlegte, was ich tun könnte, um meinen Schmerz, dieses zuckende Etwas in mir drin, kurzzeitig zu betäuben.
"Magst du mich vielleicht mal kurz umarmen?"
Ich stutze kurz, so etwas war ich noch nie gefragt worden, wusste aber mit einem mal, dass ich die Nacht alleine schlafen würde. Sie hauchte ein "Danke", als ich meine Arme um sie legte und ihre Wange auf meiner Schulter spürte. Es tat gut. Ich fühlte mich irgendwie besser. Mehr fliegend. Nicht mehr so fallend.
Marburg, 18.10.2006