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Das Feld

Seniors
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01.09.2005
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Das Feld

Für einen Moment war Jörn sicher, dass sein Vater ihn schlagen würde. Schließlich verloren sie gut einen halben Tag Arbeit, weil er den Traktor einfach hatte stehen lassen und die eine Stunde Fußweg vom Acker zum Hof seiner Eltern gelaufen war. Zwar liebte Klaus Oller jeden seiner drei Söhne mehr als sein Augenlicht, doch er war auch gläubiger Christ, der auf die Lebensstützen harte Arbeit und strenge Erziehung vertraute und nichts von kommunistischen Umtrieben wie anti-autoritärer Erziehung hielt. Umso überraschter war Jörn, als keiner der Arme Vaters zu einer kräftigen Backpfeife ausholte, sondern sie sich stattdessen um ihn schlossen und zudrückten wie Anakondas beim Liebesspiel.

„Gott sei Dank ist dir nichts passiert! Ich... Was habe ich mir bloß dabei gedacht? Ich hätte dich nicht auf dieses Feld schicken dürfen! Nach all diesen Jahren, mein Gott, ich dachte, es wäre... einfach dahin zurück wo es herkam.“ Kläffend gesellte sich der Feldmarschall, Schäferhund und biologisch abbaubares Alarmsystem des Ollerschen Hofes, zu den beiden Herrchen, die sich da in den Armen lagen, um fröhlich sabbernd mitzuteilen, dass er auch zum Club gehörte. „Weg! Geh weg! Feldmarschall! Sitz!“ Nicht sofort, aber doch schneller als bei anderen leistete der Hund wie gewohnt dem Befehl des alten Herrchens folge, auch wenn er weiterhin nicht nur mit dem Schwanz sondern mit dem gesamten Körper zu wedeln schien. Fast hätte man in Deckung gehen wollen aus Angst, das Tier könne jeden Moment explodieren.

Klaus Oller entließ seinen Sohn aus seiner Umarmung. Reflexartig atmete Jörn tief ein. Er war schon sehr groß und kräftig für einen Vierzehnjährigen, aber den Baumstämmen, die sein Vater da hatte wo andere die Arme trugen, konnte seine angehende Männerbrust nichts entgegen setzen. Voller Bewunderung fragte er sich einen Moment, ob das jemals anders sein würde.
„Setz dich in die Küche.“ befahl der Vater. „Ich muss schnell etwas vom Speicher holen. Dann kannst du mir gleich erzählen, was passiert ist.“ Mit diesen Worten drehte er sich um, leise zu sich selber sprechend, wie es seine Art war, wenn er wütend oder sonst wie aufgebracht war: „Wenn es dich mit irgendwas angesteckt hat, tränke ich das ganze gottlose Ding in Benzin und zünde es an...“ Jörns Verstand versuchte nur kurz, Sinn aus diesen Worten zu filtern. Dann übernahm ein anderer, im Moment wichtigerer Gedanke die Kontrolle: Durst! Er ging eilig über die Diele in die Küche, der Feldmarschall bellend hinter ihm her. Aus einem der Schränke, die genau wie das ganze Haus bereits alt gewesen waren, als Jörn noch lange nicht geboren war, nahm er ein Glas. Er füllte es mit Leitungswasser und setzte sich auf den Stuhl am Querende des Tisches, der zu den Mahlzeiten eigentlich seinem Vater vorbehalten war. Dann leerte er das Glas in einem Zug und rülpste so leise es ging hinter vorgehaltener Hand. Der Feldmarschall honorierte den Laut des jungen Herrchens mit einem schiefen, fragenden Blick, dann streckte er sich auf dem kühlen Küchenfußboden aus, schnaufte einmal, und begann zu dösen. Während der Hund ruhte brachte die Stille, nur unterbrochen von dem lauten Tick Tack der Kuckucksuhr auf der Diele, wieder Bewegung in Jörns Gedanken. Sein Vater war nicht wütend. Toll! Oder? Hatte er nicht insgeheim gehofft, Papa würde ihn fragen, was passiert sei, um ihm dann eine zu knallen? Für diese lächerliche, abergläubische, womöglich gotteslästerliche (So ziemlich alles konnte gotteslästerlich sein, von Horrorfilmen über Sonnenbrillen bis zu stark gesalzenem Essen; selbst mit Menschen, die sich die Haare färbten, schien Gott nach Ansicht seines Vaters ein Problem zu haben, was in Jörns Kopf stets zu der Frage führte, warum zum Teufel Gott überhaupt Menschen schuf, denen es Spaß machte, sich die Haare zu färben, wenn er sie doch eh nicht leiden konnte.) Geschichte, die er zu erzählen hatte?

Stattdessen war er nicht einmal gefragt worden, was los war. Es war so, als wäre Jörn längst nicht der Erste, der mit einer Geschichte von diesem Feld zurückkehrte. Vielleicht war schon mal jemand gar nicht mehr wiedergekommen. Das war sogar mehr als wahrscheinlich. Hätte Jörn das Messer nicht dabei gehabt, wie hätte er...
‚Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.’
Der Satz hallte in Jörns Kopf wie die frommen Gesänge sonntags in der Kirche. Sein Vater hatte verängstigt geklungen, als er das gesagt hatte. Sein eigener, unbesiegbarer, unverwundbarer Vater, schien genauso viel Angst gehabt zu haben wie er. War das eben auf dem Feld doch keine Halluzination gewesen? Hatte es wirklich versucht... ihn festzuhalten?

Die Küchentür sprang auf. Klaus Oller hielt ein Gewehr und lud es, während er mit dem rechten Fuß einen Stuhl zu sich heranzog. Das Geräusch des Stuhls, der über die Fliesen geschliffen wurde, ließ den Feldmarschall für eine Sekunde aufmerken. Doch Gevatter Schlaf hatte das Tier bereits zu fest in seinem Griff und orderte es unverzüglich zurück in sein Reich, ein Befehl dem der Hund widerstandslos Folge leistete. Klaus Oller saß neben seinem Sohn. „Erzähl mir, was passiert ist.“ Und Jörn erzählte seinem Vater seine Geschichte. Wie er den Acker gepflügt und dabei Radio gehört hatte. Wie der Traktor plötzlich abrupt zum Stehen gekommen war, und die Reifen angefangen hatten, durchzudrehen, als er weiter Gas gegeben hatte. Wie er den Motor abgestellt und sich dann den Pflug angesehen hatte, um den sich feine rote Fäden gewickelt hatten, die sich bewegt und dabei ausgesehen hatten wie lange Würmer. Plötzlich hatten die Würmer aufgehört, sich zu winden, so als hätten sie ihn bemerkt. Dann waren sie in der Erde verschwunden. Und Jörn war gerannt, so schnell er konnte, denn etwas in ihm, jemand im Fernsehen hatte es mal „Institution“ oder so ähnlich genannt, hatte ihm zugeflüstert, dass diese roten Dinger nicht hinter dem Pflug oder dem Traktor her waren, sondern dem schmackhaften Happen darin. Der Traktor war die Kokosnuss, und er, dass hatte seine Institution ihm gesagt, war das Fruchtfleisch. Als er sich umgedreht hatte, da hatte er gesehen, wie dicht hinter ihm die Erde von einem unsichtbaren Pflug bearbeitet zu werden schien. Nein, nicht unsichtbar... es war mehr so, als hätte sich der Pflug unter der Erde befunden. Da hatte er versucht, noch schneller zu rennen, und als er das Ende des Ackers fast erreicht hatte, war er gestürzt, weil er über den Kadaver einer Katze gestolpert war, und unversehens hatte er etwas an seinem Knöchel gespürt, so als würde jemand ein Seil darum binden. Mit Fingern, die ihm mehr schlecht als recht gehorchten wie diese Greifarme, mit denen man auf dem Rummel Plüschtiere aus einem Glaskasten fischen kann, hatte er sein Taschenmesser hervorgeholt, es aufgeklappt und in etwas gestochen, das ausgesehen hatte wie eine zwei Finger dicke Vene und sich um seinen Nike Turnschuh gewickelt hatte. Als die Klinge in die Vene fuhr, hatte er aus der Erde ein Quieken gehört, ein Quieken wie das der Schweine in Onkel Derbalts Schlachthof, den er im zarten Alter von fünf einmal besucht und danach wochenlang nicht geschlafen hatte. Als er diesen Vergleich anbrachte, musste sein Vater kurz grinsen, wendete sich aber nur eine Sekunde später todernsten Blickes wieder seinem Gewehr zu. Er schien die Chancen auszurechnen, dass ihm das alte Ding bei Gebrauch mit einem staubigen „Paff!“ um die Ohren flog.

Die Vene hatte sich sofort gelockert, und aus der Wunde, die Jörn ihr beigebracht hatte, war etwas geflossen, das ausgesehen hatte wie mit Maschinenöl vermengtes Himbeergelee. Der Junge hatte gesehen, wie was immer es war sich wieder in die Erde zurückgezogen hatte, aber er hatte nicht gewartet, bis es wieder vollständig in der Welt jenseits allen Lichts verschwunden war. Er war weitergerannt, ohne sich umzudrehen, mit einem Kopf der leer war bis auf einen einzigen, im Sekundentakt aufblitzenden Gedanken: „Nicht in die Hose pissen, nicht in die Hose pissen, oh Gott, bitte nicht in die Hose pissen, nicht...“, den er seinem Vater allerdings verschwieg.

„Und mein Taschenmesser habe ich dabei auf dem Acker verloren.“ Jörgs Vater sah von seinem Gewehr auf und blickte seinem Sohn in die Augen. Für einen Moment war Stille, dann begann Klaus Oller zu erzählen, in einem Ton so sachlich und emotionslos wie ein Tagesschau-Sprecher:

„Als ich noch ein kleiner Junge war, fand mein Vater eines Tages auf diesem Feld einen Findling, ungefähr so groß.“ Mit seinen Händen deutete Jörns Vater in etwa den Umfang eines Medizinballs an. „So einen Stein bemerkt man normalerweise, wenn man auf einem Feld arbeitet, vor allem wenn man es pflügt. Aber dieser Findling, der war einfach von einem Tag auf den nächsten da, lag da auf dem Feld als wäre er immer da gewesen. Mein Vater hatte sich daran gemacht, ihn vom Feld zu wuchten. Das Ding war zu schwer, um es zu heben, deshalb wollte er es vom Feld rollen. Und als er den Stein dann das erste Mal herumgedreht hatte, da sah er etwas Merkwürdiges. Es war etwas herausgehauen worden, eine Form, wie von einem Bildhauer. Die eine Seite des Steins, die jetzt oben lag, zeigte eindeutig Teile eines Pferdekopfes, Mund, Nüstern, und die Schnauze bis zu den Augen. Mein Vater brachte mit Hilfe von Hoppmanns Ulli, dem Großvater von deinem Freund Marco, den Stein nach Hause, legte ihn zunächst in den Geräteschuppen und erzählte uns abends beim Essen davon. Als er fertig war, meinte meine Urgroßmutter, sie wolle den Stein sehen, und zwar sofort. Meine Mutter, die ohnehin glaubte, das Pferdegesicht im Stein wäre bloß ein Symptom für Papas Biere im Dorfkrug, die in den letzten Jahren immer mehr geworden waren, bestand darauf, das wir erst zu Ende aßen, aber meine Urgroßmutter konnte sehr bestimmend sein, wenn sie etwas wollte. Also gingen wir zum Schuppen, mein Vater, meine Urgroßmutter, die meine Großmutter wegen des verdammten... Entschuldigung, wegen des Blasenkrebs überlebt hatte und ich. Ich konnte es gar nicht erwarten, den Stein zu sehen, während meine Brüder am Tisch sitzen blieben und mit meiner Mutter Blicke wechselten, die zu sagen schienen, dass der Alte nun wohl endgültig den Verstand verloren habe. Da wir im Schuppen kein elektrisches Licht hatten, nahm mein Vater eine Taschenlampe mit und meine Urgroßmutter, wohl rein aus Gewohnheit, eine brennende Kerze. Als sie mit dieser Kerze den Stein anleuchtete, sah ich, dass mein Vater tatsächlich recht gehabt hatte. Ich dachte zuerst, es würde an der dämmerigen Beleuchtung durch seine Taschenlampe und Urgroßmutters Kerze liegen, aber dann sah ich ganz deutlich den Kopf eines Pferdes in dem Stein. Meine Urgroßmutter begann zu schluchzen. Als mein Vater sie fragte, was los sei, erklärte sie, dass das da im Stein einmal ihr Pferd gewesen sei. Als sie ein kleines Mädchen gewesen war, erzählte sie, da hatten eines Nachts Lichter über dem Feld gestanden, heller als alles, was sie je gesehen hatte, und doch schienen sie nur dieses Feld zu beleuchten. Aufgeregt waren die Leute runter zu den Feldern gelaufen, um zu sehen, was los war. Da es später August und ein langer, heißer Sommer gewesen war, hatten einige befürchtet, jemand hätte vielleicht auf der Rückkehr von einer nächtlichen Sauftour eine Zigarettenkippe in das Feld geschnippt und irgendwas habe darauf angefangen, zu brennen. Aber das war wohl Quatsch, denn man hatte bereits aus der Ferne gesehen, dass das Licht von über dem Feld kam – so als würde eine Menschenmenge mit Fackeln auf dem Kopf stehend darüber schweben. Als die Leute und meine Urgroßmutter, die sich aus ihrem Zimmer geschlichen hatte und dem Pulk so unauffällig wie möglich gefolgt war, bei dem Feld ankamen, da sahen sie gerade noch etwas in der Erde verschwinden, eine schwarze, metallene Rundung, die aussah, als gehöre sie zu etwas Größerem, das bereits unter den Acker gesunken war. Mit dem Metall verschwand das Licht, und nun waren es nur noch die Fackeln gewesen, die das Feld erleuchteten. Jemand, an dessen Name ich mich nicht mehr erinnern kann, der Dorfraufbold, ein allerorts bekannter Säufer, der den gesamten Weg über geschrieen hatte, was man den Brandstiftern so alles abschneiden und in den Mund steck... Entschuldige, was man ihnen halt alles antun solle, bevor man sie am nächsten Baum aufhängt, lief zu der Stelle, an der das Etwas im Boden verschwunden war. Er hatte eine Forke dabei statt wie die meisten anderen Dörfler einen Eimer Wasser. Damit stach er in den Acker, immer und immer wieder, wie rasend, und als ein paar der Männer gerade loslaufen wollten, um ihn vom Feld zu holen, da schoss etwas aus der Erde, wie lange, dünne Finger, die hefteten sich an seine Beine wie Kletten. Dann begannen seine Hosenbeine zu qualmen und sich an den Stellen aufzulösen, an denen diese Dinger auflagen, und als sie das nackte Fleisch berührten, war es so als würden sie mit den Beinen den alten Säufers verschmelzen, so als würden sie in ihn hineinwachsen, wie Wurzeln in die Erde. Mit jeder Sekunde, die er dastand und weiter mit dem Erdboden eins wurde, wie meine Urgroßmutter es genannt hatte, wurde sein Schreien schriller und schmerzverzerrter, aber niemand hatte sich getraut, sich ihm zu nähern. Sie standen alle da und wechselten ihre Blicke zwischen dem Ding im Boden und dem Gesicht des Mannes hin und her. Schließlich zogen… diese Dinger ihn in den Acker, und es sah so aus, als würde er in Treibsand versinken.“

Jörns Vater stand auf und zielte mit dem Gewehr durch das geschlossene Küchenfenster auf einige Krähen, die auf dem morschen, moosbewachsenen Zaun herumhüpften, der den Garten von einem Feld des Nachbarhofes trennte.
„Die Geschichte mit den Lichtern über dem Feld und dem verschwundenen Säufer verließ natürlich nie das Dorf. Wer traut sich schon, so was zu erzählen? Damals gab es auch noch keine Bildzeitung.“
Jörn lachte, und die Gesichtszüge seines Vaters konnten sich für eine Sekunde zu einem Lächeln aufraffen.
„Kennst du den Stein mit dem weinenden Gesicht im Dorfmuseum?“

Dieses melonengroße Gestein mit den deutlich erkennbaren Gesichtszügen eines weinenden Mannes hatte Jörn seit der Grundschule immer mal wieder einige Nächte Schlaf gekostet. Ein Besuch im Dorfmuseum gehörte zu einem liebgewordenen Pflichtprogramm der älteren Lehrer an den örtlichen Schulen, völlig egal ob sie eine zweite oder eine zehnte Klasse unterrichteten. Von den letzten sechs Jahren war keins zu Ende gegangen, ohne das Jörn nicht einen unfreiwilligen Ausflug in das Museum gemacht hätte. Und nicht einmal hatte er sich der Faszination des Gesichts im Stein entziehen können, von dem es lächerlicherweise überall hieß, es sei nur eine Laune der Natur, ein Muster, das das menschliche Auge als weinende Augen und schreienden Mund interpretierte. Aber das Gesicht war ein Gesicht, so deutlich erkennbar wie der Busen eines Mädchens in einem zu kleinen T-Shirt. Noch nie hatte Jörn jemanden im Dorf diese offenkundige Wahrheit aussprechen hören. Bei den Tagesausflügen in das Museum verstummten sie alle, wenn sie in den Raum mit dem Gesichtsfelsen kamen, die Lehrer, die kichernden Mädchen, die gelangweilten Jungs, die sonst bei jeder Gelegenheit ungefragt darauf hinwiesen, das ihnen der Sinn mehr nach Fußballplatz stand. Sie alle starrten den Stein an, und sahen dabei aus, als würden sie von einer unsichtbaren Kraft daran gehindert werden, kreischend aus dem Museum zu laufen. Wenn man ihn lange genug ansah, hatte man das Gefühl, die Augen würden... Jörn spürte Kälte, die in seiner Brust ausgeschüttet wurde und von dort in seine Glieder floss.
Oh ja, und wie er diesen verdammten Stein kannte. Der Traum seiner schlaflosen Nächte. Er nickte.

„Deine Urgroßmutter war dabei, als sie das Ding gefunden haben. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits fast sechzig gewesen, und von den Erwachsenen, die in der Nacht damals dabei gewesen waren, war keiner mehr am Leben. Der Bruder deiner Urgroßmutter, Willhelm, war fest entschlossen, die Ackererde, die er da im Besitz hatte, nicht weiter nutzlos vor sich hin faulen zu lassen wie sein Vater es getan hatte, und das wegen einiger Spukgeschichten, die im Dorf die Runde machten. Beim Pflügen fanden Knechte dann den Stein mit dem Gesicht, und als sie ihn mit nach Hause brachten und meine Urgroßmutter ihn sah, da schrie sie, weil sie darin den Säufer wiedererkannte, und sie hörte nicht auf zu schreien und verbrachte die nächsten zehn Jahre in, na ja, in der Klapsmühle...“
„Ein Sanatorium.“ erinnerte Jörn sich an einen Begriff, den er im Religionsunterricht gehört hatte.
„Na ja, jedenfalls hat sie den Ärzten dort nur erzählt, sie habe gesehen, wie die Erde sich einen Mann geholt hatte, der dann als Stein wieder auftauchte, und weil sie ansonsten nicht viel erzählt hat, haben die in der Klapse, also dem Sanatorium, sie eine ganze Weile dort behalten. Tja, und der Stein hat Karriere im Dorfmuseum gemacht. Aber die Sache mit deiner Urgroßmutter haben sie nicht auf die Plakette darunter geschrieben. Was steht da noch gleich? ‚Diese einzigartige Laune der Natur’ und so weiter. Blödsinn. Als ob Gottes Schöpfung so einen dämlichen Stein nötig hätte. Aber das ist es ja...“ Klaus Oller legte noch einmal für weitere Zielübungen an. „Mit Gott hat das Ganze nichts zu tun.“
„Was war mit dem Pferd?“
„Das einzige Pferd unserer Familie zu Zeiten deiner Urgroßmutter. Sie hat es geliebt. Ihr Vater hatte den Acker nach dieser Nacht nur noch als Galoppierfeld benutzt. Einige Leute im Dorf dachten, er wäre einfach nur leichtsinnig. Andere sollen gesagt haben, er würde experimentieren und dafür das Leben des Pferdes riskieren. Sie sagten, er wolle sehen, was passiert. Wie die Typen in den Universitäten heute, die Affen Schrauben in den Kopf drehen. Eines Tages ging meine Urgroßmutter zu dem Feld, um das Pferd zu reiten, und es war einfach verschwunden.“
„Bis du es wiedergefunden hast... irgendwie.“
Klaus Oller nickte. Knarrend öffnete sich die Tür und der Feldmarschall verließ tapsend die Küche, so als hätten ihm die Geschichten des alten Herrchens den Schlaf geraubt.
„Was ist in dem Feld, Papa?“
Jörns Vater schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht. Aber wir werden es heute zusammen rausfinden.“ Sie machten sich auf den Weg.

 

Hi Proof und herzlich Willkommen im Horrorgenre!

Keine Sorge, beim ersten Kontakt lass ich meist die Kettensäge noch im Schrank... :D


Erstmal: Die Geschichte hat mir gefallen. Allerdings ist sie spannungsarm - und das liegt daran, dass du nichts geschehen lässt, sondern sie nur eine Nacherzählung in Dialogform ist. Deine Protagonisten erzählen sich nacheinander etwas Unheimliches, das ihnen geschehen ist und als sie tatenfreudig werden, ist deine Geschichte vorbei.
In den meisten (!) Fällen, schließlich gibt es auch Ausnahmen, ist einen Nacherzählung in der Erzählung weniger interessant, schließlich weiß der Leser, dass die Prots überleben, er weiß, dass etwas so schreckliches nicht passieren kann, sonst wären die Protagonisten nicht mehr so ruhig.

Genug davon: Dein Stil ist flüssig und ich denke, das ist nicht eine deiner ersten Geschichten. Einige Sätze sind jedoch so lang, dass man in der Zeile springt - ein paar Punkte wären eine Wohltat. Ebenso ist jeder einzelne Absatz ein Block - und so lesen sie sich auch. Ein paar Zeilenumbrüche wären Balsam fürs Auge. ;)
Vor allem, da das Lesen am PC meist nicht besonders angenehm ist.


Kleinkram:

Kläffend gesellte sich der Feldmarschall, Schäferhund und biologisch abbaubares Alarmsystem des Ollerschen Hofes, zu den beiden Herrchen, die sich da in den Armen lagen, um fröhlich sabbernd mitzuteilen, dass er auch zum Club gehörte.
Du neigst zu einer Verlächerlichung der Atmosphäre - ist mir öfters aufgefallen.

Oder hier:

Fast hätte man in Deckung gehen wollen aus Angst, das Tier könne
jeden Moment explodieren.
Im Horrorgenre durchaus möglich, nur passt es zu der drückenden Atmosphäre des Plots nicht.

Nicht sofort, aber doch schneller als bei anderen leistete der Hund wie gewohnt dem Befehl des alten Herrchens folge
... als bei anderen, leistete...

Er war schon sehr groß und kräftig für einen Vierzehnjährigen
Das sind unnötige Füllwörter, die den Text nur in die Länge ziehen, die kannst du in diesem Fall getrost streichen. ;)

aber den Baumstämmen, die sein Vater da hatte wo andere die Arme trugen,
hatte, wo

Aus einem der Schränke, die genau wie das ganze Haus bereits alt gewesen waren, als Jörn noch lange nicht geboren war, nahm er ein Glas.
... die genau wie das gesamte Haus bereits vor Jörns Geburt alt gewesen war, ...
würde mir hier besser gefallen, ist allerdings Geschmacksache


den er im zarten Alter von fünf einmal besucht und danach wochenlang nicht geschlafen hatte
unnötiger Weichmacher *g*
kann man streichen

Der Traum seiner schlaflosen Nächte.
Das ist ein Paradoxon. ;)


Vielleicht konnte ich dir ein wenig helfen.

Alles in allem ein schöner Einstieg, mal sehen, was noch so kommt von dir, und ich wünsche dir noch viel Spaß hier! :D


Liebe Grüße,
Tama


„Setz dich in die Küche.“ befahl der Vater.
Eine kleine Anmerkung:
Bei wörtlicher Rede, der kein ! oder ? folgt, lässt man den Punkt weg und fügt stattdessen nach den "" oder »« ein Komma ein.
In diesem Falle:
»Setz dich in die Küche«, befahl der Vater.
Bei Fragen:
»Setzt du dich bitte in die Küche?«, fragte der Vater.
Oder:
»Setz dich in die Küche!«, befahl der Vater.

 

Hallo und vielen Dank für deine Kritik. Ich hatte bereits eine ziemlich umfangreiche Antwort fertig, da stürzte mein Rechner ab... :sick:

Ich kürz das jetzt mal ab: In den meisten Punkten hast du völlig recht.

Nochmal Danke und bis zum nächsten Mal,

Proof

 

Hi Proof,

ich habe mir diese Geschichte von dir ausgesucht. Ich bin ja eher ein Gruselfan als ein Servant of Splatter. So hat mir dein „Feld“ wirklich gut gefallen. Auch die Geschichte in der Geschichte finde ich ein gelungenes Mittel zum Zweck. Hab so was auch schon mal gemacht. Durch deinen bildhaften und flüssigen Stil, lässt Du einen sehr schnell in die Handlung eintauchen. Die Idee deiner markanten ››Findlinge‹‹ finde ich ebenfalls gelungen. Konnte ich mir gut vorstellen. Will hier jetzt nicht näher darauf eingehen. Es soll ja neugierige Menschen geben, die immer zuerst die Kommentare lesen. ;)
Auch den Schluss fand ich zur Geschichte passend, da mysteriös. Der Leser ist gezwungen die eigene Fantasie zu bemühen. Ich vermute mal, dass Du auch viel Zeit in deine Texte investierst. Fehler sind mir keine aufgefallen. Allerdings überlese ich auch gerne, wenn ich ››drin‹‹ bin. :Pfeif:
Tamara hat bereits angesprochen, dass Du manchmal sehr ins Detail gehst. Ich denke, dies gehört zu deinem Schreibstil. Doch bin auch ich an einer Stelle aus der Zeile gehüpft. Du kannst es dir vielleicht denken – die Klammer-Affäre
Ich würde den Satz einfach mit ›› …Geschichte, die er zu erzählen hatte?‹‹ abschließen, und deine philosophischen Betrachtungen danach anschließen. Dies ist nicht wirklich ein Fehler, doch gerade durch deinen flüssigen Stil, fällt‘s einem halt auf. War mir jedoch kein Stein im Weg, eher ein spitzes Kieselsteinchen, das sich dezent durch meine barfüßigen Quadratlatschen bohrte. :D
Wünsche Dir noch viele gute Ideen.

Cruz von Fugali P8sh

P. S. Jieepiiih, hab mich an Textarbeit beteiligt. *Gewissen beruhig und auf die Schulter klopf*

 

Hallo und Danke fürs Lesen, Fugalee!

Das jemand den alten Schinken nochmal ausgraben würde... Und dann auch noch Gefallen daran findet! Vielen Dank fürs Lob.

Detailreichtum und Schachtelsätze... Ich hoffe, ich habe mich, was das angeht, mittlerweile verbessert. Und die Hoffe stirbt ja bekanntermaßen zuletzt.

Gruß,

Jan-Christoph

 

als keiner der Arme Vaters zu einer kräftigen Backpfeife ausholte
des Vaters
einfach dahin zurück wo es herkam."
zurückKOMMA
leistete der Hund wie gewohnt dem Befehl des alten Herrchens folge
Folge
auch wenn er weiterhin nicht nur mit dem Schwanz sondern mit dem gesamten Körper zu wedeln schien.
SchwanzKOMMA
die sein Vater da hatte wo andere die Arme trugen
hatteKOMMA
"Setz dich in die Küche." befahl der Vater
Küche",
der Feldmarschall bellend hinter ihm her.
"der" weg
Während der Hund ruhte brachte die Stille
ruhteKOMMA
(So ziemlich alles konnte gotteslästerlich sein
so
ein Befehl dem der Hund widerstandslos Folge leistete.
BefehlKOMMA
mit einem Kopf der leer war bis auf einen einzigen
KopfKOMMA
bestand darauf, das wir erst zu Ende aßen
dass
ein allerorts bekannter Säufer, der den gesamten Weg über geschrieen hatte
geschrien
Er hatte eine Forke dabei statt wie die meisten anderen Dörfler einen Eimer Wasser
dabeiKOMMA
Damals gab es auch noch keine Bildzeitung."
wann spielt die Geschichte?
Der Bruder deiner Urgroßmutter, Willhelm
Wilhelm
"Ein Sanatorium." erinnerte Jörn sich an einen Begriff
Sanatorium",
Hi Proof,
ich finde das Ende so dickdreckig wie ich die Geschichte gut finde. So ein Rotzende, ohne Scheiß, was soll das???
Was meine These bestätigt, dass dir nie ne Erklärung einfällt ... ;)
Nee, aber die Idee mit den Steinen und so is schon echt voll cool ...
Ja.
Sorry.
Bruder :sad: Tserk

 

Moin Tserk,

Was meine These bestätigt, dass dir nie ne Erklärung einfällt

Quatsch, das ist Kunst!!! :D

Ernsthaft: Vielleicht hab' ich den Bogen noch nicht so ganz raus, die goldene Mitte zu finden zwischen "alles offen" und "am Ende so logisch wie die binomische Formel" (Oder waren das mehrere? Gott, ist das lange her . . . ).

Schade, dass es dir hier nicht gefallen hat, aber wie du ja an deinen Vorkritikern sehen kannst, ist das Geschmackssache. Ich denke, dass es sich bei den Wesen unter dem Feld um Außerirdische handelt, ist durch meine Andeutungen klar geworden.

Was es mit den Gesichtern in den Steinen auf sich hat, weiß ich selber nicht. Und warum soll ich mir krampfhaft irgendeine Erklärug ausdenken, der man dann wahrscheinlich doch nur anmerken würde, wie mühevoll sie konstruiert wurde?

Warum erscheint der Candyman, nachdem man fünfmal seinen Namen vor dem Spiegel gesagt hat? Warum nicht drei-, vier- oder sechsmal?

Wie genau öffnet die Le-Merchand-Konfiguration eigentlich das Tor zur Dimension der Zenobiten? Gibt es da irgendwie Blaupausen, anhand derer man das nachprüfen kann?

Mein Verständnis vom Geschichten erzählen ist, dass ich aufschreibe, was ich hinter einer Tür, die sich irgendwo in meinem Kopf (zwischen "Fernsehprogramm Mittwoch" und "Nicht vergessen: Toilettenpapier kaufen!") sehe. Wenn diese Tür wieder zuschlägt, ist sie dicht. Ich habe noch keinen Weg gefunden, sie danach wieder aufzubrechen. Was danach in der Geschichte unerkärt ist, das bleibt unerklärt. Punkt.

Übrigens bin ich mir darüber im Klaren, dass die Metapher mit den Türen dickdreist von Stephen King geklaut ist. :)

Still: Sorry for dissapointing you :( ,

Jan-Christoph

 

Warum erscheint der Candyman, nachdem man fünfmal seinen Namen vor dem Spiegel gesagt hat? Warum nicht drei-, vier- oder sechsmal?
hast du das etwa net gecheckt? CANDYman? FÜNF mal? Nein? Candy hat nun mal 5 Buchstaben, un nicht 3, 4 oder 6.
Wie genau öffnet die Le-Merchand-Konfiguration eigentlich das Tor zur Dimension der Zenobiten?
ich hab keine AHnung, was das bedeuten soll, aber an unsrer Schule gibts ne Lehrerin mit Namen LeMarchand ...
Außerirdische? Ohhkaayyy ... wär ich nie im Leben drauf gekommen ... du bei-Stephen-King-Klauer, du ... ;)
Bruder :sad: Tserk

 

Das muss ich jetzt wissen, und zwar ganz ohne Flax:

CANDYman? FÜNF mal?

Du verarscht mich doch, oder?

ich hab keine AHnung, was das bedeuten soll

Dann wird es höchste Zeit, dass zu ändern, wenn du dich für das Horrorgenre interessierst, und da kann ich ja wohl von ausgehen!

Lesen: The Hellbound Heart von Clive Barker.

Gucken: Die Hellraiser-Serie. Die ersten beiden Teile sind Pflichtprogramm, alles danach nur für Hardcore-Fans und Allesgucker interessant.

Mann, das erste Mal Hellraiser gucken . . . Irgendiwe beneide ich dich.

Tserk, Tserk . . . We have such sights to show you . . . :baddevil:

Viel Spaß,

Jan-Christoph

 

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