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Das Geburtstagsgeschenk
Das Geburtstagsgeschenk
Ältliche Verwandte haben viele Vorteile. Sie helfen gerne mal aus. Beim Kinder hüten z.B., wenn mal sich mal gemütlich einen hinter die Binde gießen will. Beim ernten und einkochen von allerlei Obst. Sie können längst vergessene Handarbeiten. Wie dass Strümpfe stricken, wobei die Ferse nicht immer wie ein Sack herunter hängt. Es gibt aber auch Nachteile. Wenn sie haarklein Wartezimmer Gespräche wiedergeben oder den letzten Krieg anschaulich wieder aufleben lassen. Einer der schlimmsten Nachteile aber ist: Sie haben einmal im Jahr Geburtstag! Was schenken? Nach eigener Aussage haben sie ja bereits alles. „Ihr müsst mir nichts schenken Kinder, wirklich nicht!“ sagte Tante Lotti neulich. Ihr säuerliches Gesicht, als wir tatsächlich mit leeren Händen vor ihr standen, war nicht gerade erfrischend.
Bei Onkel Walter wollten wir es besser machen. Da sich der Onkel vor kurzem ein neues Auto zugelegt hatte, bot es sich an, das passende Zubehör zu schenken. Aus irgendwelchen dunklen Quellen hatte mein Schwager Lautsprecherboxen fürs Autoradio organisiert. Für den richtigen Sound. „Da fliegen ihm die Kastelruther Spatzen nur so um die Ohren“, orakelte er. Das Geschenk hatten wir, aber keinen blassen Schimmer wie alt der gute Onkel wurde. „Ich glaube, der hat beide Weltkriege mitgemacht“, meinte mein Mann und betrachtete versonnen vergilbte Familienfotos. „Onkel Walli wird 70 und will eine Kuh werden“, bemerkte der Jüngste unserer Sippe, ein aufgewecktes 7-jähriges Kerlchen, mit einer fatalen Vorliebe für Frösche. Er hatte mich dazu gebracht die 100 Meter in 5,5 Sekunden zu laufen, als sein selbst gebasteltes Terrarium runter fiel. Auf unsere fragenden Blicke hin, erklärte er lässig.“ Onkel Walli hat gesagt: Nun werde ich 70 und beiß bald ins Gras.“
Am Ehrentag wurde wie immer, um 12°° Uhr mit dem Glockenschlag, gegessen. Drei Gänge. Anschließend Verdauungsschnäpschen und Zigarre. Um 15°° Uhr Kaffeetrinken. Drei verschiedene Torten mit Schlagsahne. Wieder ein Schnäpschen. Endlich war es soweit!! Feierlich überreichten die Kinder das Geschenk. Liebevoll alternativ von meiner Schwägerin verpackt. Wobei die Betonung auf „alt“ liegt. Diesmal war es die Raufasertapete, die von der Kinderzimmer Renovierung übrig geblieben war. Wir hatten auch schon die „Bildzeitung“ und Umwelttoilettenpapier. Gespannt und nervös, wie Rennpferde vor dem Start, beobachteten wir den Onkel. Fassungslos hielt er die Schachtel in den zittrigen Greisenhänden. Tränen traten in seine Augen. Fast sah es so aus als würde er lachen, als er das Päckchen endlich ausgepackt hatte. Aber warum? Waren denn erstklassige Lautsprecherboxen so lustig? Wir schoben es auf sein fortgeschrittenes Alter.
Mann und Schwager standen in den Startlöchern. „Komm, Onkel Walter, wir bauen dir die Dinger schnell ein. Da kannst du auf dem Heimweg schon Heino hören.“ Onkel Walli weinte noch ein bisschen (vor lachen??), als die beiden bereits das umfangreiche Werkzeug zum Auto schleppten. Meine Schwägerin brachte ihre ironische Seite zum klingen: „Mit dem Zubehör hätte ich die Titanic zusammen geschraubt:“ „Das hätten mal lieber gehabt,“ keuchte mein Schwager, der schweißüberströmt die Kreissäge über die Strasse schleppte,“ dann wäre die nicht abgesoffen.“ Die Hutablage, im Fall von Onkel Walter, die Ablage für Klopapier und Wackeldackel, musste weg. Nach gut einer Stunde, unzähligen Flüchen (meine Schwägerin hielt den Kindern abwechselnd die Ohren zu) und einem eingeklemmtem Daumen, war es geschafft. Mein Mann holte die Stichsäge und bohrte fein säuberlich runde Öffnungen ins Brett. Leider waren die Boxen eckig. Also musste eine neue Ablage gebastelt werden. Eine Sperrholzplatte fand sich nach langem Suchen, ganz unter im Schuppen. Die wurde zu R echt geschnitten und gesägt und schließlich waren die Öffnungen eckig. Leider fehlten jetzt die kleinen Löcher für die Kabel, die der Hersteller hier ursprünglich mal vorgesehen hatte. Der Akkubohrer musste her. Natürlich waren die Akkus leer und mein Schwager hatte sofort die Kinder im Verdacht. „Für jeden Sch…… holen sie sich das Ding!“ Er sprach drakonische Strafen aus: Eine Woche Fernsehverbot und jeden Abend um acht ins Bett! Die Kinder grinsten, sie kennen ihren Vater, er ist streng, aber nicht konsequent. Mein Mann hatte Opas alten Handbohrer wiederentdeckt und bohrte, als ginge es ums Leben. Sein Bruder musste festhalten. Zwei Männer, beide fast 2 Meter groß und gut genährt, eingeklemmt in einen Kleinwagen, das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Die Nachbarn wurden allerdings erst auf uns aufmerksam, als mein Schwager schon 5 Minuten auf der Hupe saß.
Das Abendessen fand ohne die Helden statt, die verzweifelt eine Verbindung zwischen Hutablage und Motorblock suchten. Onkel Walter wäre gerne nach Hause gefahren. Leider wurde der Wagen gerade in seine Einzelteile zerlegt und die Teile vorsorglich durchnummeriert. Für eine spätere, reibungslose Zusammensetzung. Mein kleiner Neffe suchte nach den PS und wurde von seinem entnervten Vater augenblicklich zur Adoption freigegeben. Meine Schwägerin überlegte, wie sie den Ölflecken wieder aus der Hose bekommt und das Geburtstagskind machte derweil ein kleines Nickerchen. Weit nach Mitternacht, die Arbeiten fanden unter Flutlicht statt, trat Onkel Walter gestärkt und ausgeruht zu seinen Neffen. Die warfen sich mittlerweile allerlei Grobheiten an den Kopf und Handgreiflichkeiten lagen in der Luft. Als Opas Testament ins Spiel kam, machte der Onkel dem Spuk ein Ende. Er telefonierte einen KFZ Mechaniker aus dem Schlaf, versprach dem Mann einen Schinken aus eigener Schlachtung und brachte ihn dazu, noch vor Morgengrauen den Wagen wieder fahrbreit zu machen. Er wollte jetzt doch gerne ins heimische Bett und morgen würde er in die Stadt fahren und ein Autoradio kaufen.