Das Geheimnis des Gefolterten
Obwohl sein Körper, gepeinigt von farbenfrohen Blessuren, langsam zu kollabieren drohte, sprach er dennoch kein Wort, als ob seine Verschwiegenheit ihm sein Leben retten würde. Die blauen Flecken schienen lebhaft zu pulsieren, als er sich seine Arme ansah, aber er redete sich ein, dass die vielen Schläge, welche er erleiden musste die Ursache für diese Halluzination sein mussten, wenn es denn eine war. „Hören sie gut zu! Wir werden sie so lange foltern, bis sie uns sagen, was sie wissen, haben sie verstanden?“, fragte der große, kahlköpfige Mann zu seiner Linken. „Uns geht es am Arsch vorbei, ob das legal ist oder nicht, wissen sie? Hier unten wird niemand ihre Schreie hören.“, sagte der etwas kleinere, dafür aber stämmigere Mann mit einer markanten Narbe unter dem Auge zu seiner Rechten. Amir schenkte den drei Männern jedoch kaum eine Beachtung, denn sein Blick richtete sich meistens starr auf die Uhr, die über dem Kopf des Mannes in der Mitte zu schweben schien. Obwohl der Mann mit dem Glasauge vor ihm im Rollstuhl saß, fürchtete sich Amir vor seinen Hieben am meisten, denn er hatte ein langes, rostiges Rohr, das am Ende mit einem spitzen Nagel dekoriert war. Obwohl der Mann im Rollstuhl die „Rute“, wie er sie verharmlosend nannte, seltener benutzte als die restlichen Folterinstrumente, addierte sich der Schmerz des Nagels zu einer Summe, welche die anderen Schmerzmethoden um Längen schlug. Die Tatsache, dass er an diesen beschissenen Stuhl gefesselt war, machte seine Situation sogar noch unerträglicher, denn so konnte er sich nach den schmerzhaften Schlägen weder winden, noch die geschlagene Stelle mit seiner Hand abdecken um den Blutfluss zu stoppen, wie es der menschliche Reflex doch verlangte.
„Du willst uns also immer noch nicht sagen, was du und dein Dreckspack vorhabt, du verdammter Hosenscheißer, oder?“ Glasauge erhob die Rute und suchte sich eine Stelle auf Amirs Körper aus, die noch nicht von blauen Flecken oder eitrigen Geschwüren überdeckt war. Er holte aus und spannte dabei reflexartig seine Muskeln in seinem starken Arm an. Bevor Amir seine Augen schloss, dachte er noch daran, wie unsymmetrisch diese Arme im Vergleich zu seinem restlichen Körper aussahen, welcher so dünn und zerbrechlich war, wie die Schweigegrenze eines normalen Mannes. Amir schloss seine Augen und bereitete sich innerlich auf die Schmerzen vor, die sich wie ungebetene Gäste in seinen Körper einschleichen würden und sich zu ihren zahlreichen Freunden gesellen würden, doch der Schlag blieb aus. Amir öffnete seine Augen und sah, wie der Mann zu seiner Linken den Arm des Rollstuhlfahrers festhielt. „Noch nicht.“, sagte er. „Er wird noch reden, du wirst schon sehen.“ Erst jetzt realisierte Amir, dass der Mann im Rollstuhl sein Gesicht anvisierte und ihn wohl umgebracht hätte, wenn der Kahlkopf nicht das rostige Rohr an sich genommen hätte und es Amir nun vor seine verweinten Augen halten würde. „Siehst du das hier?“ Amir sah es nicht, denn die Uhr schien wieder interessanter zu sein. Es war kurz vor Acht. „Du wirst darum betteln, dass mein Kollege dich damit schlägt, wenn du siehst, was wir sonst noch für dich vorbereitet haben.“ Er folgte Amirs Blick und schaute auf die Uhr. „Was zum Teufel glotzt du so auf die Uhr, du Stück Scheiße? Worauf wartest du?“ Ein Lachen breitete sich auf Amirs Gesicht aus. Unter diesen Umständen schien es so fehl am Platz zu sein, wie die teure Uhr in diesem schäbigen Keller. Das Lachen verschwand blitzartig aus seinem Gesicht, als die Faust des Mannes zu seiner Rechten auf seiner Wange explodierte und den Abdruck eines Totenschädels hinterließ. Das Blut aus Amirs Mund spritze dem Rollstuhlfahrer frontal ins Gesicht, welches um ein abstraktes Kunstwerk aus einer rot- braunen Farbkombination reicher wurde. „Dieses Tattoo wird dich für den Rest deines Lebens begleiten, Süßer.“, lachte der Mann mit der Narbe während er seinen Ring küsste. Amir rechnete fest mit einer weiteren Tracht Prügel, welche die Konsequenz seines unabsichtlichen Spuckens sein würde, aber stattdessen betätigte Glasauge den Steuerknüppel an seinem Rollstuhl und fuhr langsam zurück. Amir betrachtete dieses Bild mit einem Grinsen im Gesicht, denn der Mann vor ihm sah mit seinem Glasauge, dem blutverschmierten Gesicht und den fehlenden Beinen wie eine makabere Karikatur eines Piraten aus, der gerade seine letzte Schlacht verloren hatte und rückwärts taumelnd einen Halt suchte, den es nicht gab. Glasauge putzte sich sein Gesicht mit seinem Ärmel ab und nickte dem Kahlkopf kurz zu.
Amir musste nicht mehr lange durchhalten, denn um Acht Uhr würde er endlich reden, aber bis dahin musste der kleinste Zeiger noch zehn Mal um den Ziffernblock der Rolexuhr wandern. Er war sich jedoch nicht sicher, ob er die zehn Minuten noch durchhalten könne, denn der Mann zu seiner Linken kramte aus einer Kommode eine Axt und Verbandszeug hervor. Kahlkopf überreichte Glasauge beides und verließ den Raum zusammen mit Narbengesicht. „Ich werde dir jetzt einen Finger nach dem anderen abhacken und dann werde ich mir deinen Schwanz und deine Arme vornehmen gefolgt von deinen Beinen.“, lachte der Rollstuhlfahrer leise. „Sähe das nicht witzig aus, Amir? Würde gut zu deinem Image passen, findest du nicht?“ Amir fand es gar nicht witzig, aber er hoffte, dass er in seiner eigenen Welt, die nur noch aus pulsierenden und stechenden Schmerzen zu bestehen schien, der Ohnmacht so nah war, dass er nichts mehr von den Abtrennungen seiner Extremitäten spüren würde.
Glasauge fuhr um Amir herum und drehte ihm die Hand auf den Rücken. Er sollte den Schmerz nicht nur in den Fingern spüren, sondern auch im Rücken, dachte er sich. „Brauchst du deinen kleinen Finger noch?“, fragte er sein hilfloses Opfer, doch er bekam nur das wimmernde Flennen eines erwachsenen Mannes zu hören. Zu diesem Zeitpunkt war der Schmerz einfach größer als der Stolz dieses jungen Mannes, welcher unmenschliche Foltertechniken an sich ergehen lassen musste. „Nein, sagst du?“ Glasauge holte aus und trennte ihm die ersten vier Finger auf ein Mal ab. Er lachte laut. „Oh, das tut mir Leid, wirklich! Jetzt habe ich dir eine Menge Leid erspart, aber was soll’ s. Du hast ja noch sechs, stimmt’ s?“ Das Blut schoss mit einer derartigen Geschwindigkeit aus den durchtrennten Kanälen der offenen Wunden, dass man meinen könnte, dass es die Qualen ihres Wirtes selbst fühlen konnte und den Körper auf dem schnellsten Weg verlassen wollte um lieber zu sterben, als weiter zu leiden.
Vier Minuten lang musste er noch versuchen die Schmerzen zu vergessen und - was noch viel wichtiger war - zu überleben, denn sein Tod wäre das Ende seiner Mission, derer er sein Leben widmete. „Ich hab’ s mir anders überlegt.“, sagte Glasauge, der immer noch nicht aufhören konnte zu lachen, während er die Finger seines Patienten ungeschickt verband. „Ich werde dir deine ganzen beschissenen Arme abschlagen und sie als Hut tragen. Was hältst du davon, Kleiner? Meinst du, dass mir das stehen würde?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, schnappte er sich Amirs rechten Arm und brach ihn, damit er das deformierte Glied auf den Stummel des linken Armes auf den Rücken legen konnte, so dass beide Handflächen exakt aufeinander lagen. Amirs Schreie klangen dieses Mal gedämpfter als vorher. Seine Kraft ließ allmählich nach und obwohl er dem Tod näher war als dem Leben, versuchte er dennoch seinen gläsernen Blick auf die Uhr zu richten. Es waren noch drei Minuten übrig. „Ich hör dich ja gar nicht mehr schreien, Kollege! Was ist los mit dir? Hast du den Spaß an unserem Spielchen verloren?“ Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, schnellte seine Hand mit dem alten Beil vorwärts und hackte Amir beide Hände ab. Die Blutlache, welche den feuchten Boden des Kellers rötlich färbte, wuchs weiter und verteilte sich wie ein flüssiger Teppich über dem Kellerboden. Glasauge hatte sogar so fest zugeschlagen, dass Amirs Rücken ebenfalls zu bluten anfing und den Wasserfall aus Blut komplett machte.
Einem kurzen, lauten Aufschrei des Schmerzes folgte ein bitterliches Weinen, welches den Gefolterten noch jünger machte, als er war. Kurz bevor Amir ohnmächtig wurde, schaute er noch einmal auf die Uhr. Es war jetzt eine Minute vor Acht. Glasauge lachte hinter ihm, wie ein junges Mädchen, welches einen schmutzigen Witz gehört hatte und wandte sich wieder dem vorderen Teil seines Opfers zu. Im Augenwinkel sah Amir, dass der Mann im Rollstuhl etwas auf seinem Kopf trug. Es waren seine teilweise verstümmelten Hände. Endlich schlug die Uhr zur vollen Stunde und Amir brach sein eisernes Schweigen. „Unser Anführer befahl uns bis Acht Uhr zu warten, denn die Acht ist unsere Glückszahl, verstehen sie? Ich musste einfach warten… Ich… musste… Es… Es ist jetzt so weit.“ Bevor Glasauge auch nur einen Ton von sich geben konnte, erlisch sein Leben und das aller anderen Personen in dem Gebäude. Der Zünder für die 17 atomaren Massenvernichtungswaffen, welche allesamt auf den Staat Nevada zielten, befand sich die ganze Zeit in Amirs Brusttasche und wurde durch eine bestimmte Frequenz in seiner Stimme ausgelöst. Einer Frequenz, welche die Schmerzensschreie von Amir ignorierte, so wie er versucht hatte, die Schmerzen zu ignorieren. Der Terror in der Welt fand mit Amir seinen neuen Höhepunkt.