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Das Gesicht des Windes

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19.08.2003
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Das Gesicht des Windes

Das Gesicht des Windes

„Immer fängst du mehr Fische als ich“, klagte Dschana und zupfte lustlos an der Angelschnur. „Ich habe nur eine Zahnbrasse, du hast schon zwei Tintenfische.“
„Magst du Tintenfische?“, fragte Opa.
„Igitt, nein, das weißt du doch!“ Dschana schüttelte sich.
„Hast du einen so großen Hunger, dass du heute Abend mehr essen möchtest als deinen Fisch?“
„Etwas Brot und den Fisch, das ist reichlich.“
„Dann mache es so wie ich“, riet der Opa, „bedanke dich bei der Adria, den Fischen und bei Gott, dass sie dir heute dein Abendessen gegeben haben.
Für mich müssen heute diese kleinen Fische reichen. Wir rudern zurück, es ist Zeit, es wird ein Gewitter geben.“
Dschana blickte hinauf zum Himmel, dann über die spiegelglatte Adria und sagte verschmitzt und mit einem vorwurfsvollen Unterton in ihrer Stimme: „Das Wetter ist wunderbar, es weht kaum ein Lüftchen. Du hast nur keine Lust mehr oder willst nicht, dass ich genau so viele Fische fange wie du.“
Opa lächelte und fragte, ob er sie jemals belogen hätte. Natürlich hatte er das nicht, und dennoch würde sie kontrollieren, ob das mit dem Gewitter so sein würde.

„Opa“, Dschana sah zu ihm auf, während sie ihre Angelschnur einholte, „Opa, gibt es einen Gott?“
„Das ist eine Frage", sagte Opa und begann zu rudern, "das ist eine Frage, die sich jeder selbst beantworten muss. Ich glaube, so sicher wie es das Meer, die Berge und den Himmel gibt, so sicher gibt es Gott!“

Es war still. Nur leichtes Plätschern war zu hören, immer dann, wenn die Ruder ins Wasser tauchten. Dschana hatte ihre Angelschnur noch nicht ganz aus dem Meer gezogen und saß bewegungslos da. Ihr war anzusehen, dass sie angestrengt nachdachte.
Schließlich schob sich mit einem Knirschen der Bug des Holzbootes in die Kieselsteine am Strand. Ein schwacher Wind war aufgekommen, nicht stark genug die Blätter der Palmen zu bewegen, aber doch genug, ein wenig Abkühlung zu bringen.

„Pater Josip hat gesagt, dass unsere Kirche das Haus von Gott ist“, begann Dschana, „aber auch in Podaca und Brist gibt es eine Kirche? ... Ah, ich weiß“, gab sie sich selbst eine Antwort, „Gott macht das bestimmt wie Onkel Mate. Der wohnt im Sommer hier in seinem Haus am Meer und im Winter in der Stadt, in Zagreb.“
Der Opa war aufgestanden und hatte das Seil, das aufgerollt am Bug gelegen hatte, auf den Strand geworfen. Er drehte sich um, lächelte und setzte sich zurück auf die Ruderbank.
„Wo ist Gott jetzt?“, fragte Dschana, „Sollen wir oben in der Kirche nachsehen?
„Gott muss nicht reisen, wie wir Menschen. Gott ist überall! Sieh dich um! Jeden Tag, jede Stunde schenkt Gott der Erde neues Leben und sorgt sich darum. Er lässt Olivenbäume wachsen, gibt ihnen Wasser und das Licht der Sonne. Damit sind auch wir versorgt mit ihren Früchten und dem Öl. Das Meer ist voller Fische und darüber kreisen die Möwen. Selbst oben in den Bergen, da wo keine Bäume mehr wachsen, finden unsere Ziegen Gräser und Flechten. Alles das gibt es durch Gott, selbst die Steine hier am Strand.“
Der Wind hatte aufgefrischt und das Meer gekräuselt. Erste Wellen rollten auf den Strand. Dschana war so beschäftigt mit dem, was ihr Opa gesagt hatte, dass sie nicht bemerkte, wie sich dunkle Wolken am Himmel zusammenzogen.
„Ja, aber“, kam es zögernd von Dschana, „wie geht das denn, dass er überall ist und wie sieht er aus?“
„Es ist so, wie mit dem Wind“, erklärte Opa, „er weht ständig auf dem Meer, über dem Land, rund um die ganze Welt. Mal spüren wir ihn kaum, mal ganz intensiv. Hier trägt er die Samen der Pflanzen, dort bläst er die Segel eines Schiffes auf. Überall auf der Welt bewirkt er etwas und das überall gleichzeitig. Du kennst den Wind, ich weiß, aber sage mir, kleine Dschana, wie sieht der Wind aus, hat er ein Gesicht?“

Ein greller Blitz, gefolgt von einem gewaltigen Donnerschlag, ließ beide aufschrecken. Währen Opa das Boot weiter an Land zog und es vertäute, wickelte Dschana den Rest ihrer Angelschnur auf. Es ging schwer, so, als ob sich der Angelhaken in Algen verfangen hätte. Dann hatte sie es geschafft.
„Opa!“, rief Dschana gegen den pfeifenden Wind an, „schau dir das an!.“
Der Opa eilte herbei und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Da hast du aber einen richtig großen Tintenfisch herausgeholt“, nickte er anerkennend
„Tja“, antwortete Dschana, „ich habe endlich so viele gefangen wie du, und für dein Abendessen ist das nun auch reichlich“ ,und etwas leiser fügte sie hinzu, „vielen Dank Adria, vielen Dank Fisch, viele, vielen Dank Gott.“

 

Hallo Jadro

und wieder ist dir eine schöne Geschichte gelungen. Sehr flüssig hat sie sich lesen lassen, trotz der Dialoge hab ich mich nicht ein Mal verzettelt. Die Erklärungen des Opa`s,

„Es ist so, wie mit dem Wind“, erklärte Opa, „er weht ständig auf dem Meer, über dem Land, rund um die ganze Welt. Mal spüren wir ihn kaum, mal ganz intensiv. Hier trägt er die Samen der Pflanzen, dort bläst er die Segel eines Schiffes auf. Überall auf der Welt bewirkt er etwas und das überall gleichzeitig. Du kennst den Wind, ich weiß, aber sage mir, kleine Dschana, wie sieht der Wind aus, hat er ein Gesicht?“

sind gegenüber seinem Enkel, für Kinder leicht verständlich geschrieben. Obwohl ich denke dass es eine Geschichte für Erwachsene sein kann.
Da leider, denke ich , sehr wenig Eltern sich noch die Zeit und Ausdauer nehmen, ihren Kindern so schöne Erklärungen zu geben.
Man sollte nicht erst Opa werden.

Einen schönen Abend wünscht dir

Morpheus

 

Hallo Morpheus,
der ‚Opa’ alleine, glaube ich, macht es nicht. Eine gewisse Demut vor der Größe des Seins und Achtung vor dem Leben in jeder Form sind unabdingbar. Hinzu kommt natürlich die Liebe zu Kindern (zu Schutzbedürftigen), ...und das haben doch sicher auch viele Jüngere.
Danke für deinen netten Kommentar.

Lieben Gruß aus dem Norden

Jadro

 

Hallo Jadro.

Eine eigentlich gute Geschichte, aber ich hatte mir unter dem Titel etwas anderes vorgestellt. DAS Ende hatte ich nicht erwartet.
Insofern mein erster Vorschlag: warum nennst du die Geschichte nicht so, wie Opa es gesagt hat: Es ist so wie mit dem Wind

‚… und sagte verschmitzt und mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme: …’
Vorschlag: … und sagte verschmitzt, mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme: …

‚Dschana sah zu ihm auf, während sie ihre Angelschnur einholte,’
Ich habe mit dem Einholen der Angelschnur ein Problem: das dauert sehr lange, erst am Ende zieht sie den Rest ein. Deshalb meine ich, dass es hier besser wäre mit : ,Dschana sah zu ihm hinüber (auf? Steht Opa?) während sie ihre Angelschnur beobachtete,

‚Opa, gibt es einen Gott?’
Das zweite ‚Opa’ klingt nicht gut. Gibt es einen Gott? Warum nicht die Verknüpfung nach oben wieder finden, sonst ist die Frage etwas herbeigeholt: Also zum Beispiel: „Wenn ich mich bei Gott bedanken soll, wo ist er, Gott?“ Das erfordert sicher weitere Veränderungen, aber diese wichtige Frage kommt sonst aus dem hohlen Bauch.

Die Landung des Bootes kommt mir zu früh.
Sie können ruhig noch über das Thema weiterreden. Der Absatz mit der Landung auf dem Strand dann hinter die Erklärung des Opa. … selbst die Steine hier am Strand.“

Dabei müsste die Frage ‚… gibt es eine Kirche? ‚ anders formuliert werden.
Und Dschana ‚fuhr dann fort, sie begann nicht.

Dann würde sich auch der Absatz: ‚Der Wind hatte aufgefrischt …’ nach unten verschieben, hinter: … wie sieht der Wind aus, hat er ein Gesicht?“

‚Dann hatte sie es geschafft.’
Hier müsste mehr Kraftanstrengung hinein, mehr Überraschung.

Im letzten Absatz ist ein ‚und’ zu viel: ‚… reichlich“, und ….’ Weglassen.

Als Dreckfuhler sind mir aufgefallen:
WährenD Opa das Boot weiter …
Und
… Dank Fisch, vieleN, vielen Dank Gott.“

Vielleicht habe ich dir ein paar Anregungen geben können.
Viel Erfolg und Gruß an meine alte Heimat.

Peter

 

Hallo pholz,
danke für deinen ausführlichen Kommentar. Ich habe ihn ausgedruckt und werde ihn Stück für Stück abarbeiten.

Lieben Gruß aus Hamburg

Jochen

 

Hallo Jadro!
Ich kann mich den andren beiden nicht wirklich anschließen. Mir hat die Geschichte nicht so gut gefallen. Das liegt aber nur an einem Grund.
Und zwar bei der Stelle:

„Opa“, Dschana sah zu ihm auf, während sie ihre Angelschnur einholte, „Opa, gibt es einen Gott?“
„So sicher, wie es das Meer, die Berge und den Himmel gibt, so sicher gibt es Gott“, antwortete Opa und begann zu rudern.
Vorneweg: Ich glaube nicht an Gott. Daher weiß ich nicht, ob ich es anders empfinden würde, wenn ich an Gott glauben würde.
Ich habe natürlich nichts dagegen, dass Menschen an Gott glauben und so. Was mich aber an der Geschichte stört, ist die Bestimmtheit, mit der der Opa sagt, dass es einen Gott gibt. Auf die Frage, ob es einen Gott gibt, antwortet der Opa, dass es ihn auf jeden Fall gibt. Ganz sicher.
mMn lässt der Opa dem Kind so keine Chance, für sich selbst zu entscheiden, ob es einen Gott gibt.
Ich finde, jeder Mensch, jedes Kind sollte für sich alleine rausfinden, ob es einen Gott gibt oder nicht. Und ich denke, genau das könnte die geschichte verbauen.
Ich würde meinem Kind auch nicht sagen, nur weil ich nicht an Gott glaube, dass es keinen Gott gibt. Mein Kind soll das selbst entscheiden, rausfinden.
Verstehst du meinen Stand- und Kritikpunkt?

Ansonsten liest sich die Geschichte angenehm, mir ist nichts weiter aufgefallen. Phloz hat ja schon ein paar Dinge angesprochen, denen ich nichts mehr hinzufügen kann, außer einer Stelle:

„Ich habe nur eine Zahnbrasse, du hast schon zwei Tintenfische.“
Ich glaube nicht, dass die Kinder wissen, was eine Zahnbrasse ist. Okay, sie wissen, ein Fisch. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie fragen, wie eine Zahnbrasse aussieht. Unter dem Namen „Tintenfisch“ können sie sich mMn schon eher etwas vorstellen.

Bye bye

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jadro,

ein schwieriges Thema, angenehm leicht erzählt und locker formuliert. :)

Ich habe die Geschichte wirklich gerne gelesen und mir gefällt die Art, wie liebevoll der Opa auf die Fragen der Enkelin eingeht und sie beantwortet.

Obwohl ich mich für einen gläubigen Menschen halte, habe ich auf die Fragen meiner Kinder nach Gott immer mit "Ich glaube ganz sicher, dass es ihn gibt ..." oder "Für mich gibt es ihn ..." geantwortet. An dieser Stelle Deiner Geschichte hat moonshadow für mich recht mit ihrer Kritik. Ich finde nicht, dass Du den Opa die ganze zweifelnde Diskussion über die Existenz Gottes aufrollen lassen solltest, aber es wäre gut, wenn der Opa in einem kleinen Nebensatz nur, darauf hinweist, dass es seine Meinung ist, dass Gott sicher existiert. Für mein Gefühl würde das schon genügen und Du würdest dem Opa nichts von seinem unerschütterlichen Vertrauen nehmen.

Mit dem Titel Deiner Geschichte ist es mir ganz anders gegangen als Peter. Ich dachte beim Lesen des Titels daran, dass man das Gesicht des Windes nicht sehen kann und erwartete dadurch schon etwas Unbegreifliches, Unsichtbares, Verborgenes ...

Das Wort "Zahnbrasse" würde ich nicht verändern. Ersten wirkt es sehr glaubwürdig, weil Dschana sicher oft mit ihrem Opa fischt, der ja wohl ein Fischer ist, so dass man erwarten kann, dass sie sich schon in ihrer Kindheit mit den unterschiedlichen Fischen auskennt. Und zweitens habe ich es eigentlich immer ganz gern, wenn in Kindergeschichten ab und zu Begriffe vorkommen, die die zuhörenden oder lesenden Kinder noch nicht kennen, weil das in der Regel zu Gesprächen, Fragen und Antworten führt. Dabei lernen die Kinder ohne dicken pädagogischen Zeigefinger etwas und das schadet doch nicht.

Drei Bemerkungen habe ich noch:

„Das Wetter ist wunderbar, es weht kaum ein Lüftchen." --> Diesen Satz soll ein Kind sagen? Für mein Gefühl ist das ein ziemlich altkluges Kind, es klingt für mich eher wie der Ausspruch einer Oma! :)

"Alles das gibt es durch Gott, selbst die Steine hier am Strand.“ --> "gibt es durch Gott"? Irgendwie stolperte ich hier. Wie wäre es mit "Alles das schenkt uns Gott ..."?

"vielen Dank Fisch, viele (vielen!), vielen Dank Gott.“

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo, ich melde mich zurück. Habe ein paar Wochen im Land von Dschana und Opa verbracht.

Hallo moonshadow,
sicher ist es bei einer Thematik wie dieser eine Frage der eigenen Denkensweise, ob und in wie weit eine solche Geschichte ankommt. Die absolute Aussage des Großvaters werde ich abschwächen, da (darauf aufmerksam gemacht) sie keinen Spielraum für eigene Überlegungen lässt. Danke für deinen Beitrag.


Hallo al-dente,
Da ‘Opa’ ein reales Gegenstück hat und selbst während der Zeit des Kommunismus ein bekennender Christ war, sollte dieser Satz ihn kennzeichnen, wobei mir entgangen ist, wie eingrenzend diese Aussage ist – der ‚Ausweg’, den du vorgeschlagen hast, lässt wieder alles offen.
Dschanas Satz über das Wetter klingt im Deutschen wirklich altklug – manchmal (so wie in diesem Fall) erwische ich mich dabei, dass ich kroatische Redensart versuche ins Deutsche zu übersetzen (klingt im Kroatischen wesentlich simpler).


Werde Eure Anregungen einbauen.
Vielen Dank.

Euch beiden einen lieben Gruß aus Hamburg

Jadro

 

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