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Das Geständnis
Der Raum war klein, dachte er bei sich. Ein muffiger Geruch hing in der Luft, vergleichbar mit dem antiquarischer Bücher. Die Wände waren unsauber verputzt, an manchen Stellen brüchig. Fahles Licht erhellte den Raum. Auf die übliche verdunkelte Glasscheibe hatte man verzichtet, es gab keine Überwachungskamera, die alles aufzeichnen könnte. Sogar eine Uhr suchte er vergeblich. Auf dem Tisch stand lediglich ein in die Jahre gekommener Kassettenrekorder, der leise vor sich hin surrte. Schott schluckte heftig. Jeder Satz, jedes Wort wurde aufgezeichnet. Das wusste er.
Der Polizist ihm gegenüber schloss eine Akte und blickte zu ihm hoch. Er war ende vierzig und deutlich übergewichtig. Das grau melierte Haar war unordentlich und ungekämmt und ein Stoppelbart wucherte im Gesicht. Der oberste Hemdknopf war offen, sodass lange Brusthaare zum Vorschein kamen. Offensichtlich hatte er es nicht der Mühe wert gefunden sich dienstlich zu kleiden.
„Ich nehme an, Sie wissen, warum Sie hier sind, Mr. Schott“, begann er mit starkem spanischem Akzent. Er gab sich nicht die leiseste Mühe seine Verachtung zu verbergen.
Schott antworte nicht; natürlich wusste er.
„Sie werden des sexuellen Missbrauchs verdächtigt. Das Opfer dieses Sexualverbrechens ist einer meiner Kollegen, wie Sie wissen. Was haben Sie dazu zu sagen?“
Schott holte tief Luft, seine Stimme war erstaunlich ruhig und gefasst:
„Ich war es nicht, ich kann es nicht oft genug wiederholen. Ich…Ich war hier auf Urlaub. Ich habe selbst Familie. Zwei Kinder und eine liebenswerte Frau. Ich bin ein guter Vater, passe immer auf meine Kinder auf, sorge für sie. Ich war noch nie in meinem Leben aktenkundig oder auffällig, Herr Officer. Homoerotische Neigungen verspüre ich eben so wenig. Warum um alles in der Welt, soll gerade ich ein solch scheußliches Verbrechen begehen?“
Er hatte einen Punkt im Raum fixiert, einen Riss an der gegenüberliegenden Wand. Alles um ihn verschwamm und wurde unwirklich. Er dachte mit einem Mal an seine Kinder, Maria und Peter. Maria war fünf und Peter würde in kürze den zwölften Geburtstag feiern. Sie waren sein ganzer Stolz. Kurz vor der Abreise hatten sie ihm einen Zettel gemalt. ‚Wir lieben dich Papa’, hatte darauf gestanden. Er hatte sich höflich bedankt, die Kinder umarmt und das Bild in dei nächste Mülltonne gworfen. Jetzt hasste er sich dafür. Jetzt, als es zu spät war. Er biss sich auf die Lippen, seine Augen wurden feucht.
„Fragen Sie sich das selber. Tatsache ist, Sie waren es.“ Die bassige Stimme seines Gegenübers riss ihn unsanft in die graue Wirklichkeit. „Sie haben meinen Kollegen vergewaltigt, Sie mieses Arschloch. Drei Augenzeugen haben Sie am Tatort gesehen, gleich drei. Alibi haben Sie auch keines. Machen Sie mir nichts vor, es gibt keinen Zweifel.“
Plötzlich verspürte er das dringende Verlangen aus dem Zimmer zu stürmen, die Tür hinter sich zuzuschlagen. Er stellte sich vor, wie er schweißgebadet aufwachte. Seine Hände würden nach seiner Frau tasten, er würde sie drücken und sich an sie schmiegen und den eben durchlebten Traum belächeln. Alles wäre gut.
Doch er saß hier fest. Es war zwecklos.
Er lauschte in die Stille, eine Stille die schrie. Das monotone Surren des Kassetenrekorders fraß sich in sein Ohr, brannte sich in sein Gedächtnis.
„Soll ich Ihnen etwas verraten, Mr. Schott? Er ist ein guter Freund von mir… Mein Kollege Fernando ist ein netter Kerl, er hat keiner Fliege was zu Leide getan. Nie. Er ist glücklicher Vater von vier Kindern und hat eine wunderbare Ehefrau. Er führte ein glückliches Leben. Dann kamen Sie. Sie haben sein Leben ruiniert, Herrgott nochmal. Er... Er ist in sich zusammengefallen. Er ist schwer depressiv, er hat sogar versucht sich umzubringen! Ist Ihnen das bewusst? Sie sind schuld daran und ich will, dass es Ihnen bewusst ist. Sie haben nicht nur sein Leben zerstört. Nein. Auch das Leben seiner Familie… und meines. Vergessen Sie das nie. Dieser Gedanke soll Sie zugrunde richten. Sie sollen daran verrotten in Ihrer kleinen Zelle, in die man sie stecken wird!“ Die letzten Worte schrie er, er funkelten ihn an.
Schott hörte nicht hin. Der Riss dort hinten hatte etwas Schönes an sich, er war so unscheinbar. Seine zarten Abzweigungen schlängelten sich über die gesamte Wand. Der Blick blieb daran haften. Es war ein Rettungsreifen in dem bitterkalten Nichts, das ihn umgab und das an seiner Seele nagte.
Ihm wurde übel, er konnte es nicht länger unterdrücken. Er war wieder im Wald. Dezember, vor zwei Wochen. Hier, in New Mexiko. Er lag auf dem Boden gepresst, roch den fauligen Atem. Den fauligen Atem des Mannes, der über ihm lag. Er schrie ihn an. Er schrie sich die Seele aus dem Leib. Niemand war da, niemand. Die Kleider lagen verstreut am Boden, achtlos hingeworfen. Er spürte einen stechende Schmerz. Sein ganzer Körper bibberte. Der Schmerz hörte nicht auf, er würde nie aufhören. Er übergab sich, gleich mehrmals, auf den Fußboden des Verhörzimmers.
Der Polizist hatte sich zurückgelehnt und paffte genüsslich an einer Zigarre. Qualm erfüllte den Raum. Ob er das „Rauchen Verboten“ Schild nicht sah? Die eben vorgefallene Sauerei schien ihn jedenfalls nicht im Mindesten zu stören. Der Riss verschwand hinter Rauchschwaden.
In die Länge gezogene Minuten des Schweigens folgten. Zeit, auf seine Gefühle zu achten. Er stellte fest, dass er keine hatte. Er fühlte im Moment nichts, absolut nichts. Das war wohl ein Schutzmechanismus. Um nicht dem Wahnsinn zu verfallen, eine Art Schockzustand also. Jeder Psychologe hätte ihm das erklären können. Eigentlich faszinierend, wie man auf solche Extremsituationen reagiert. Er hatte schon davon gelesen, selbst erlebt allerdings noch nie. Auch dieses analytische Denken, dem er gerade verfiel, eigentlich unpassend für diese Situation, war wohl bezeichnend dafür. Dennoch wurde es ihm zu viel. Er konnte nicht länger. Seine Augen suchten verzweifelt den Riss, das Surren wurde lauter und lauter. Pochen setzte ein, sein Kopf hämmerte.
Das war’s, er musste dieses Schweigen brechen, hier und jetzt. Er holte tief Luft. „Ich war es, verdammte Scheiße, ich war es.“ Man konnte ihm nicht anmerken, was in ihm vorging, da war er sich sicher. Unter anderen Umständen, wäre er wohl recht zufrieden mit sich gewesen. „Ich kann nicht erklären, was los war. Von einem Moment zum anderen, plötzlich, wie aus dem Nichts, verspürte ich dieses Verlangen. Es fühlte sich falsch an, aber es war da. Ich konnte nichts dagegen unternehmen. Ich wurde zum Tier, zum Sklave meines Triebs. Den Rest kennen wir ja….“ Ein Schwall bitterer Traurigkeit überkam ihn, riss ihm den Boden unter den Füßen weg. Das Gesicht vergrub er hinter seinen Händen. Er fühlte sich so elend, wie nie zuvor in seinem Leben.
Klack. Der Kassettenrekorder wurde ausgeschaltet. Stille erfüllte den Raum. Er hob die Augen. Was seine Familie wohl gerade machte? Sicher hatten sie sich Sorgen gemacht, da er nicht pünktlich zuhause war, oder? Er hatte sich auch früher oft nicht gemeldet, war für Wochen verschwunden, um dann mit einem Blumenstrauß vor der Tür zu stehen. Diesmal würde er sie vielleicht nie wieder sehen.
Ein breites, unmenschliches Grinsen hatte sich indes auf das Gesicht des Polizisten gelegt. „Braver Junge, sehr gut gemacht. Ich bin echt beeindruckt. Deine schauspielerische Leistung kann sich sehen lassen. Ehrlich. Netter Rollentausch. In einem nächsten Leben, solltest du dich auf Theaterbühnen trauen, mein Freund“.
Schott hatte den Riss wieder entdeckt, der Qualm hatte sich verflüchtigt. Ob sie auch ohne ihn zurecht kamen, seine Familie? Am Geld würde es mit Sicherheit nicht liegen. Aber wer würde dann noch das Papier entsorgen? Sein Zynismus überraschte ihn.
„Gute Entscheidung nicht die Wahrheit zu sagen, hätte ich an deiner Stelle auch nicht gemacht. “
Ein gehässiges Lachen erfüllte den Raum. Dem Polizisten schienen die Qualen, die Schott durchlebte, köstlich zu amüsieren. Er zog die Waffe aus dem Halfter. Es bestand kein Zweifel, dass sie geladen war, bereit seinem Leben ein Ende zu setzen.
„Naja, sei’s drum, schöne Tage noch. Genieße deine wiedererlangte Freiheit. Ich schätze, das dürfte nicht allzu schwer sein. Schönes Wetter, blaues Meer. Darum bist du doch hier, oder?“ Er lachte wieder. Fröhlich pfeifend verließ er das Verhörzimmer, ganz so, als wäre nichts gewesen; in seiner Hand umklammerte er die Kassette.