Das Haus am Stadtrand
Es ist nicht so, dass ich die Art Frau bin, die eine Affäre hat und dann ihren liebenden Mann und ihre Familie verlässt. Obwohl es wahr ist, dass ich zum einem eine Affäre habe und zum zweiten vor wenigen Minuten meinem Mann am Telefon gesagt habe, dass ich es vorziehe mich scheiden zu lassen. Was aber nicht wahr ist, ist die Tatsache, dass mein Mann mich liebt, zumindestens bezweifle ich das. Wir haben uns viel eher aneinander gewöhnt. Ich weis wie es ist neben ihm aufzuwachen, wie ist mit ihm Sex zu haben und ich weis, wie es ist, mit ihm zu streiten(vielleicht weis ich das in zwischen am Besten). Wir haben keine getrennten Betten und schlafen auch noch miteinander, was aber nichts mehr mit Leidenschaft zu tun hat sondern einfach nur zum Teil unserer Abmachung dazu gehört, nicht mehr mit anderen Menschen zu schlafen, die ich ja, wie schon erwähnt gebrochen habe. Ich bin nicht stolz darauf aber wirklich bereuen tue ich meine abendlichen Besuche bei Thomas auch nicht. Er ist zwei Jahre älter als ich, also genauso alt wie Stefan, mein Ehemann. Ich habe ihn auf einer Pressekonferenz kennen gelernt und mit ihm zu Abend gegessen, danach hat er mich einige Male angerufen und erst Ruhe gegeben als ich mit ihm ein zweites Mal ausgegangen bin. Nach diesem zweiten Mal nahmen wir uns ein Hotelzimmer irgendwo in der Pampa. Er weis, dass ich eine Tochter und einen Mann habe und seit 15 Jahren verheiratet bin, außerdem weis er noch, dass ich Journalistin bin. Sonst teilen wir nur gelegentlich das Bett für eine oder zwei Nächte miteinander. Wenn ich ehrlich bin, weis ich nicht einmal, ob ich ihn auf der Straße wieder erkennen würde.
Als ich auf die Uhr neben der Kilometeranzeige in meinem Auto schaue sind schon drei Stunden seit dem Telefonat vergangen. Es hatte nur knappe zwei Minuten gedauert, in denen nur ich gesprochen hatte und gut drei Millionen Gründe für eine Scheidung genannt hatte. Stefan hatte nur zugehört. Schweigen ist etwas, was Stefan nicht gut beherrscht, genauso wenig, wie ich es tue. Vielleicht macht genau das mich nervös, vielleicht bringt genau das mich dazu um ein Uhr nachts in meinem Auto auf einem Parkplatz zwischen dem kleinen Haus am Stadtrand und der Redaktion, in der ich arbeite zu stehen. Oder aber ich bin doch keine so schlechte Ehefrau und Mutter und mein schlechtes Gewissen plagt mich. Immerhin habe ich soeben 15 Jahre meines Lebens hinter mir gelassen mit dem Motiv… Ja, mit welchem Motiv? Vor dem Gespräch wusste ich es noch. In einem von diesen Liebesromanen, die meine 14 jährige Tochter seit neustem immer liest würde ich nun zu dem Schluss kommen, dass es keinen Grund gibt, warum ich mich von meinem Mann trennen sollte. Ich würde zu Thomas fahren und ihm sagen, dass ich nie mehr in eines der Hotels kommen würde und ich würde nach Hause fahren, in das kleine Haus am Stadtrand mit Garten, würde zu Stefan ins Bett krabbeln, mich an ihn kuscheln und ihm sagen, dass ich ihn liebe und er würde es verstehen, mir einem Kuss auf die Stirn geben und dann würden wir wieder zu dem glücklichen Paar von früher werden! Wer’s glaubt!
In Wahrheit liegt der Grund auf der Hand: Stefan und ich lieben einander nicht mehr. Im Gegenteil, in den meisten Fällen streiten wir und hassen einander leidenschaftlich. Wir haben uns in den 15 Jahren Ehe verändert. Ich habe die Freude an allem verloren, was ich mal geliebt habe, ob nun an meiner Arbeit oder an meinem Mann, ich mache kaum noch Sport, sehe aber Gott-sei-Dank immer noch annehmbar aus, nicht mehr wie vor zehn Jahren aber immerhin noch besser als die durchschnitts 36 Jährige. Stefan ist nur noch Lektor, früher hat er nebenbei selbst geschrieben, mehr oder weniger erfolgreich doch seit ein paar Jahren hat er nur Papierkorbfutter fabriziert. Auch Stefan sieht noch verhältnismäßig gut aus, gleicht dem Mann, den ich vor 17 Jahren kennen gelernt habe allerdings kaum noch. All das wäre ja noch gar nicht so schlimm aber aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass mein fehlender Enthusiasmus und seine mangelnde Kreativität mit unserem Zusammenleben zusammenhängt. Ich könnte ein Buch über Ehekrach schreiben aber einen relativ guten Thriller, wie Stefan sie geschrieben hat würde auch ich nicht zustande bringen. Früher haben wir uns gegenseitig motiviert, dass man mich nicht falsch versteht, auch heute ist es noch so, das Stefan mich tröstet, wenn ich an einer Story nicht weiter komme aber in unseren Streitereien nutzen wird dafür auch die Probleme des anderen um sie ihm unter die Nase zu reiben. Manchmal tut es sowohl mir als auch ihm gut, wenn es dem anderen schlecht geht. Das ist eine Art Genugtuung für unsere eigenen Leiden.
Wieder schaue ich auf die Uhr und stelle fest, dass schon wieder eine Stunde vergangen ist ohne dass ich etwas anderes getan habe, als nachzudenken. Schließlich lasse ich den Motor an und fahre in Richtung Zuhause, ohne wirklich zu wissen ob ich noch eines habe.
Mein Schlüssel harkt im Schloss und die Tür knarrt wie immer beim Öffnen. Im Schlafzimmer brennt noch Licht und Stefan sitzt auf dem Fußboden vor unserem gemeinsamen Ehebett, er hat Fotos vor sich ausgebreitet. Als ich an der offenen Tür klopfe blickt er verwirrt auf.
„Scheidung?“
Ich nicke.
„Fein!“, er deutet auf die rechte Ecke des Zimmers, dort stehen zwei Koffer.
„Für mich?“, frage ich und wage keinen weiteren Schritt in das Zimmer.
„Ja. Elli und ich finden, dass du ausziehen solltest.“
Ich schaue ihn fassungslos an.
„Du hast mit unserer Tochter darüber geredet?“
„Sie ist 14. Was dachtest du, was ich ihr sage?“
Wenn ich ehrlich bin, weis ich es nicht. Also nicke ich und nehme mir die Koffer.
„Es tut mir Leid Stefan.“
„Mir auch!“
„Was soll das denn heißen?“
„Was soll was heißen? Du willst die Scheidung, nicht ich.“
Ich seufze und lasse die Koffer neben mir auf den Boden fallen: „Sag bloß du bist glücklich.“
„Nein, das bin ich nicht.“
„Also?“
„Also was?“
„Also ist es das logischste wenn wir beide endlich so erwachsen sind und uns trennen.“, antworte ich und nehme dabei den scharfen Ton an, den ich immer ganz automatisch benutze, wenn wir streiten.
„Logisch. In deiner Welt ist alles logisch. Deswegen haben wir diese Probleme, weil du immer alles nach einer bestimmten Logik machen musst.“
„Und? Was ist schlecht daran?“
„Was schlecht daran ist? Du siehst ja, wo uns das hinführt!“
„Ach? Also bin ich ganz allein an dieser Situation schuld?“, ich warte nicht auf die Antwort sondern nehme mir die Koffer und rase die Treppe runter.
„Natürlich Jane, lauf weg, so wie du es immer tust wenn es schwierig wird und etwas nicht logisch ist.“
Ich drehe mich auf dem Ende der Treppe um und blicke ihm direkt ins Gesicht. Nichts ist mehr übrig von unserer Ehe, denke ich und halte den Mund, dann verschwinde ich durch die frisch gestrichene, knarrende Tür des Hauses am Stadtrand und setze mich in mein Auto. Ich wage es nicht den Motor anzulassen sondern sitze einfach nur da. Wenn ich eine normale Mutter und Ehefrau wäre, würde ich jetzt weinen aber das tue ich nicht. Ich sitze lediglich in meinem Wagen und warte. Ich könnte zurückgehen, die Sache bereinigen, mich mit ihm aussprechen und versuchen unsere Ehe zu retten oder ich könnte mich in einem Hotel einmieten und Thomas anrufen. Doch aus irgendeinem Grund sträube ich mich gegen diesen Gedanken. Es kommt mir falsch und schändlich vor mich mit ihm zu treffen, geschweige denn Sex mit ihm zu haben, obwohl ich nun wohl offiziell in der Trennungsphase bin.
Auch wenn ich jetzt gern sagen würde, dass es die wiederentdeckte Liebe zu meinem Mann ist, die mich vom Fahren abhält bin ich mir nicht sicher, ob das der Wahrheit entspricht. Natürlich gibt es manchmal noch die Momente, in denen ich Stefan liebe. Zum Beispiel als er im letzten Sommerurlaub mit mir und Elli am Strand spazieren ging, meine Hand nahm und sie an seine Lippen führte. Aber diese Momente sind rar, zu rar. Zumindestens dachte ich das bis zu diesem Zeitpunkt, jetzt in meinem Wagen, auf meiner Einfahrt, vor meinem Haus will ich wieder an den Strand. Ich will wieder glücklich sein, mit meinem Mann und meinem Kind und will nicht hören, dass eben dieser Mann und dieses Kind entschieden haben, dass ich, die Mutter, ausziehen sollte.
Noch einmal wäge ich mein Optionen ab und komme schließlich zu dem Schluss, dass ich eigentlich gar keine habe. Ich werde früher oder später diesen Wagen anlassen, in einem Hotel allein übernachten und am nächsten Morgen (oder eher Nachmittag, es ist schließlich inzwischen vier Uhr morgens) die Zeitung nach einer Wohnung durchschauen, nach einer Wohnung, die nicht am Stadtrand liegt, keine Blumen im Garten hat und in dem ich nicht die Stimmen meines Mannes und meiner Tochter höre.