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Das Haus an der Klippe

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05.11.2019
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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe war ein gemütliches Haus. Es war gerade groß genug für die zwei Menschen, die darin wohnten und Anna und Tom hießen. Sie konnten darin alles machen, was sie wollten. Es gab ein paar Werkzeuge und einen kleinen Garten, eine Bürste für die Katze. Wenn man die Tür von außen öffnete, stand man in einem kleinen Vorraum. Dort fand man genug Platz für Schuhe und Jacken, und auch für den Regenschirm gab es ein kleines Eckchen. Es gab eine kleine Küche, wo die beiden oft leckere Speisen bereiteten, und es gab ein kleines wohliges Wohnzimmer mit dem gemütlichsten Sofa, das du dir vorstellen kannst. Dort gab es kuschelweiche Decken und einen Kamin. An der Wand mit dem Kamin gab es auf der Seite noch eine Tür. Dahinter war das Schlafzimmer, in dem es immer nach frischer Bettwäsche duftete. An der Wand hingen wenige Bilder von Menschen, die den beiden Bewohnern schon immer sehr nahe waren.
Anna und Tom fuhren gerne gemeinsam weg und besuchten auf dem Weg die Menschen auf ihren Fotos. Sie packten dann je nach Jahreszeit ihre Kletter- und Schwimmsachen oder die Snowboardmonturen in ihr Auto und fuhren los. Oft fuhren sie weit weg, manchmal sogar für mehrere Monate. Das ging, weil sie genügsam waren und in ihrem Wagen auch alles hatten, was sie brauchten: ein Bett, Kochzeug, Bücher und ein bisschen Wäsche. Sie hatten schöne Reisen, die sie sehr genossen. Und wenn sie wieder nach Hause kamen, kochten sie etwas leckeres und machten es sich vor ihrem Kamin gemütlich.
Wenn man im Wohnzimmer aus dem Fenster gegenüber vom Kamin blickte, sah man den Wald, der hinter den Wiesen lag. Es war ein schöner Wald, mit vielen verschiedenen Bäumen, die im Frühjahr viele verschiedene Blüten in verschiedensten Formen trugen und im Herbst in allen Farben leuchteten. Dort gingen sie oft hin, um Kräuter oder Pilze zu sammeln, oder Kastanien, wenn sie reif waren. Dahinter sah man die Berge mit ihren Almen und den schroffen Felskanten. Sie waren etwas weiter weg, doch gerne fuhren oder wanderten sie dorthin und erklommen so manche Steilwand.

Wenn man im Schlafzimmer aus dem großen Fenster blickte, sah man den Himmel. Also hauptsächlich den Himmel. Er erstreckte sich bis hinunter zum Horizont, an dem er auf das Meer traf. Das Meer sah man nur ein bisschen, denn es lag unter einer hohen Klippe, die wiederum nur zweihundert Meter vom Haus entfernt war. Oft saßen die beiden an der Klippe, ließen ihre Gedanken über das Meer schweifen und unterhielten sich über das Leben. Wie es sich bewegt und sich verändert, wie es manchen Leuten übel mitspielt und wie es manche bevorzugt. Wie unfair es ist und wie wunderschön es sein kann.
Da saßen die beiden, ganz oben auf der Klippe, vor ihrem Häuschen, umgeben von Bäumen, hinter denen sich die Berge aufreckten. Sie waren noch jung, und sie machten keine Pläne. Sie wollten das Leben genießen, und das taten sie. Sie sahen sich gerne in die Augen und lebten im Moment. Ihr Respekt und ihre Liebe waren groß. Es war zu schön, um nach vorne zu blicken und daran zu denken, dass ihnen dieses Haus nicht gehörte und sie irgendwann weiterziehen mussten. Sie vertrauten darauf, dass das Leben sich gütig erweisen würde und dachten meistens gar nicht daran. Nur manchmal – meistens dann, wenn sie ihre Zeit gerade nicht gemeinsam verbrachten – erinnerten sie sich. Daran, dass das Leben weitergehen wird, dass sie das Haus eines Tages würden verlassen müssen. Dann verdrängten sie diese Gedanken, denn sie waren glücklich im Hier und Jetzt. Von Anfang an hatten sie gewusst, dass sie dieses Haus wohl nur für ein paar Jahre haben könnten und irgendwann weiterziehen mussten. Doch Pläne machten sie keine.
Eines Tages – da hatten sie schon fast drei Jahre in dem Haus an der Klippe gelebt – erfuhren sie, dass sie etwa ein Jahr später ausziehen sollten. Und so nutzten sie weiterhin die Zeit, um in die Berge zu fahren und in den Wald zu gehen, den Garten zu bestellen und auf dem Sofa vor dem Kamin zu kuscheln.

Das Leben der beiden war noch immer schön, und doch war da etwas. Eine Unbestimmtheit schlich sich in den Tag, ein Drücken von innen. Sie mussten irgendwann weiter.
Annas Gedanken entschwanden nun oft über die Berge, wo eine Stadt lag, die sie schon lange kannte. Sie war ihr schon immer ein wenig fremd, und doch fühlte sie sich dort sicher. Die meisten Straßen waren ihr bekannt, die Leute einigermaßen vertraut. Dort könnte sie ohne größere Schwierigkeiten eine neue Arbeit finden, dachte sie, und ihr Leben weiterleben, sicher und ohne Entbehrungen.
Tom saß oft an der Klippe. Wenn man ganz nah heranrückte – was ihm schwerfiel, denn er hatte Höhenangst und im Gegensatz zum Klettern war man ja nicht mit einem Seil gesichert – konnte man am Fuß des felsigen und nur spärlich bewachsenen Abgrunds den Strand sehen. An stürmigen Tagen krachten dort die Wellen an die Felsen und es gab nur wenige Flecken weißen Sandes, die immer trocken blieben. Wenn das Meer ruhig war, erstreckte sich ein weißer, glatter Streifen soweit man sehen konnte bis dorthin, wo die Klippe, der Strand und das Meer in der Ferne zu einem Punkt verschmolzen. Dort war Tom noch nie zuvor gewesen, er wusste gar nicht, wo dieser Strand aufhörte. Er hatte auch noch nie jemanden unten am Strand gesehen, denn es gab eigentlich keinen Weg von der Klippe hinunter.
Die beiden hatten viel Zeit miteinander verbracht und doch merkten sie, dass es sie in verschiedene Richtungen zog. Sie hatte noch immer keine Pläne gemacht, wo und wie sie weiterleben möchten. In ihren Gedanken, die nie ruhten, begannen sie also, ihre Pläne einzeln zu schmieden. Erst sehr vage, doch Anna hing in ihren Gedanken hinter den Bergen und Tom unten unter der Klippe. Die beiden merkten das, ihre Stimmung trübte sich ein, Unbestimmtheit lastete über ihnen. Langsam war es Zeit, aufzubrechen.
Und so kam es, dass sie eines Tages vor die Tür traten und sich in die Augen sahen. Tränen begannen ihnen über ihre Gesichter zu laufen. Sie hielten sich an den Händen und umarmten sich – es war Zeit für den Abschied.
Tom packte seinen Rucksack und ging zur Klippe.

Ich kenne diese Geschichte nur vom Zuhören. Tom hat sie mir erzählt, als ich ihn traf. Ich wohnte damals weit hinter jener Stelle, an der sich Klippe und Meer trafen – auf halber Höhe zwischen dem Strand und der grünen Ebene oben, zu der man erst über eine steile Treppe und dann einen kleinen Schotterweg hinaufgehen kann.
Eines Tages sah ich einen Mann die Treppe heraufkommen, den ich nie zuvor gesehen hatte. Er hatte etwas zerzaustes Haar, seine Kleidung war alt aber intakt. Er war von sehr schlanker Gestalt und seine Wangen waren etwas eingefallen, doch seine Schritte waren sicher und sein Blick war klar. Als ich ihn fragte, wo er denn herkomme, zeigte er nur hinter sich den Strand hinunter. Er hielt kurz inne, als ob sich ein Gedanke kurz in seinem Kopf festsetzte. Was er denn hier mache, fragte ich ihn.
„Ich suche.“
„Was denn?“
„Mich.“
„Und findest du etwas?“
„Ja, aber nur langsam. Ich brauche mehr Zeit.“
Ich lud ihn zum Abendessen ein. Er erzählte mir von Anna und ihrem Leben in ihrem Häuschen. Wundervolle Geschichten hatten sie gemeinsam erlebt. Wir tranken Wein und sahen auf das Meer hinaus. Wir redeten und lachten, waren amüsiert und erschrocken über das Leben zugleich.
Am nächsten Tag ging er die Treppe zurück zum Strand und setzte seinen Weg fort. Ich sah ihm hinterher, bis er als kleiner Punkt hinter ein paar Felsen verschwand. Da ging ich den Weg hinauf bis zur grünen Ebene und machte mich ebenso auf den Weg. Ich wanderte oben auf der Klippe entlang. Mehrere Schluchten musste ich umgehen oder durchqueren, bis ich auf einer Wiese zwischen den Klippen und dem Wald das Haus entdeckte, von dem mir Tom erzählt hatte.
Als ich dort ankam, trat eine wunderschöne Frau zur Tür heraus.
„Ich habe Tom getroffen“, sagte ich.
Sie sah mich an und lächelte. Dann stieg sie in den vollgepackten Wagen und fuhr weg.
Ich glaube, Anna und Tom haben sich nie wiedergesehen.

 

Au Backe ... soll heißen, willkommen Candy Andy.
Ich glaube, meinen Leseeindruck gibt @lakita am besten wieder. Erst dachte ich, da käme eine Kindergeschichte auf mich zu, kam aber nicht. Dann dachte ich, er stürzt sich von der Klippe, immerhin, hat er aber nicht. Dann plötzlich Perspektivenwechsel, also könnte ja doch noch ... nein, doch nicht.
Also irgendwie ein belanglos dahinplätschernder Text, der immer dann einen Rückzieher macht, wenn es nach mehr Nähe verlangt. Da geht mehr. Wenn ich mir den Verlauf der "Diskussion" ansehe, bezweifle ich allerdings, dass da mehr kommt. Ich bleibe aber mal optimistisch.

Liebe Grüße
Joyce

„Mithilfe dieser drei Ableitungssilben“, die Nachsilbe -lich wird gleich mitbesprochen, „werden aus Substantiven Adjektive abgeleitet. Dabei heißt -ig so viel wie „das vom Wortstamm Bezeichnete ist vorhanden“ (nebelig = „Nebel ist vorhanden“). Mit -isch werden oft Adjektive aus Substantiven für Lebewesen gebildet (diebisch, künstlerisch), -isch meint dann so viel wie „in der Art einer/eines bzw. wie ein/eine“ (betrügerisch = „in der Art eines Betrügers bzw. wie ein Betrüger“). Aber auch aus anderen Substantivstämmen bildet man mit -isch Adjektive (grammatisch, karolingisch) und hat dann in etwa die Bedeutung „gehört zu“. Am neutralsten ist -lich, das ganz allgemein nur aussagt „hat irgendetwas zu tun mit“ (ärztlich, ärgerlich, rühmlich). Auch Ableitungen von Stämmen anderer Kategorie sind möglich (begreiflich, verletzlich). In einigen Bereichen kann man die Bedeutungen von Doppelbildungen systematisch unterscheiden.“ (Duden | Adjektive auf „-ig, -isch, -lich“)
Friedel, auch wenns nicht mein Text ist, ich liebe deine Kommentare. Duden auf Rädern. :D Wissen auf den Punkt frei Haus. Mehr kann man sich nicht wünschen. :thumbsup:

 

Moin @Candy Andy ,

du merkst, wir kommentieren sogar ohne Dich, den wir lieben Texte, ihre Wirkung, ihre Gestaltung, ihren Klang und ihre Entwicklung. Schade, das Du Deinem nicht mehr so recht die Teilnahme an dem Leben hier gönnen magst, mich würde tatsächlich interessieren, was Dich her geführt hat ...
Ich mag den Ton Deiner Geschichte, sehe viele Feinschliffansätze, je nach Deiner Intuition, aber schon viel Schönes - also sag ich einfach nur Danke für den netten Beitrag, denn den Hauptspaß, dass Zuschauen beim Wachsen einer Geschichte hast Du uns vorenthalten.
Beste Wünsche
witch

 

Servus @Candy Andy,

auch auf die Gefahr, dass der Kommentar ins Leere schießt: Ich sehe es sehr ähnlich wie Peeperkorn: Die Geschichte ist so narrativ, so voller Tell, dass ich eigentlich erst mal zurückschrecken sollte, aber du schaffst es trotzdem - auch, weil das Tell gut geschrieben ist -, dass ich ab dem ersten Satz dabei bin und dabei bleibe. Es ist nacherzählend, ja, aber irgendwie ist es auch ergreifend und es wirkt so "echt", dass ich es durchaus glaube, was hier geschildert wird. Es kommt mir so vor, als ob hier "das Leben", wie es sich anfühlt, wie v.a. Zeit sich anfühlt und Veränderungen, sehr authentisch gezeigt werden. Nach meinem Gefühl. Ich mag die Ruhe, die der Text ausstrahlt, und die Echtheit. Mich würde mal interessieren, ob du mit dieser narrativen Struktur ("Tell") diesen Sog auch in anderen Shortstorys hinkriegen würdest, oder ob das ein Glückstreffer war. Ich hab keinen Bock, mir jetzt den Thread durchzusehen, weswegen du nicht mehr hier teilnehmen möchtest. Wieso? But not my business.

Grüße

 

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