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- 11.02.2009
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Das Imperium
Das Imperium
Die Sonne, der Quell des Lichts und des Lebens. Sie beschien an diesem Morgen das Land unter sich. Die Luft war erfüllt vom Duft tausender Blumen, die im Licht des Vollmonds erblüht waren. Nun, da die Sonne ihre Strahlen über die weiten Ebenen schickte und sich an den eisigen Bergen brach, da schlossen diese namenlosen Blüten wieder ihre Kelche. An ihre Stelle traten die Bäume, deren Kronen sich sanft im Wind wiegten. Ihr leises Rascheln hüllte die grünen Wiesen in eine anmutige Stille. Wer auch immer diese Ebene beschritt, wäre erfüllt gewesen von der majestätischen Schönheit.
Der Wind, der die Bäume, die Gräser und die schlafenden Blumen bestrich, schmeckte Salzig. Er kam wohl vom Meer, das sich einige Kilometer weit entfernt an den Gestaden des Landes brach. Dieser seichte Luftzug strich bedächtig weiter - ins Innere des Landes. Vorbei an den Hügeln und Tälern, den Flüssen, Bächen und Seen.
Überall, wohin der Wind auch kam, da regte sich das Leben. Es quellte förmlich über. Zwischen den Bäumen sah man Rehe und Hirsche. Auf den Wiesen tummelten sich die Feldhasen. Manche von ihnen fraßen, andere wiederrum lagen nur faul in der Sonne. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen. Sie waren ständig auf der Hut vor Raubvögeln.
Diese zogen derweilen ihre Kreise am Himmel. In den Bäumen sah man ihre Nester. Manche der Vögel brüteten, andere kümmerte sich bereits um den frisch geschlüpften Nachwusch. Zwischen ihnen summten und brummten derweil die Insekten.
Ihr geschäftiges Treiben führte sie in den Kronen der Obstbäume von einer Blüte zur nächsten. Sie sammelten frischen Nektar und bestäubten dabei andere Blüten. Sie waren also auch die Träger des Lebens – schlossen somit den Kreis. Sie kümmerten sich um ihre Königin und den Nachwuchs.
Der Wind indessen zog weiter, während die Sonne höher stieg. Gegen Mittag, als sich die meisten Tiere für eine Zeitlang in den Schatten der Bäume zurückzogen, erreichte er ein neues Stück Land. Hoch in die Berge trieb es ihn, denn da funkelte, einem Juwel gleich, ein Bergsee. Der See verbreitete eine angenehme Kühle. Sein intensives Blau ging mit seiner Tiefe einher. Am Grund musste es eisig sein. Trotzdem schwammen viele Fische in ihm. Ganz in der Nähe einiger trinkender Tiere saß an den Ufern eine Bärenfamilie. Die Mutter zeigte ihrem Nachwuchs wohl das fischen. Hätte ein stiller Beobachter diese Szene betrachtet, er hätte über die ungeschickten Versuche der Bärenjungen sicher geschmunzelt.
Lange hielt es den Lufthauch jedoch auch nicht an diesem Ort. Viel gab es noch zu entdecken, und die Sonne sank bereits dem Nachmittag entgegen. So kam es, dass der Wind an einem grauen Streifen vorüberkam. Ein Stück bröckelnden Asphalts, fast begraben unter Bäumen und Gras. Er zog sich von einem Ende des Horizonts zum anderen. Wohin der Weg wohl führt, würde man sich fragen. Der Wind zog hingegen eher zufällig in diese Richtung.
Nach einiger Zeit änderte sich das Land. Wo Bäume standen und Blumen blühten. Wo Hase, Reh und Bär herumgeisterten. Wo Insekten summten und tausend Düfte die Luft erfüllte. Da wuchsen steinerne Ungetüme in den Himmel. Die Umgebung gab kein Geräusch von sich, es herrschte eine seltsame, unnatürliche Stille an diesem Ort.
Diese Ungetüme aus Stein, Stahl, Beton und Glas, sie waren einst Häuser. Viele von ihnen waren eingefallen. Manche dagegen neigten sich bedrohlich. Hin und wieder stand auch einer der gewaltigsten, hunderte Meter hohen Türme noch Aufrecht. Doch hatte sie, neben dem zerbrochenen Glas auch eines gemeinsam – Sie waren verlassen und es nagte an ihnen der Zahn der Zeit.
Die Straßen, einst ein Quell des Lebens, lagen heute verlassen, rissig und vergessen in den Häuserschluchten. Es regte sich kein Tier und auch die Pflanzen mieden diesen Ort des Verfalls. Wo waren ihre Bewohner, wo war das Leben? Sie waren weg. Nur die bleichen Knochen erinnerten hier und dort an sie.
Das ist der Lauf der Dinge. So wie die Sonne an diesem Tag untergeht, so ging auch das Reich der Menschen hernieder, das das Land in Besitz nahm. Nun herrscht wieder das Imperium der Erde.