Das Instrument
Anton S. schloss die Tür seiner Wohnung hinter sich und verriegelte sie sorgfältig. Dann schlich er durch den dunklen Raum( wer wäre denn so dämlich, jetzt Licht einzuschalten!) zum Fenster und spähte durch das rauchige Weiß der Gardinen auf die Straße. Er stand an der Ecke, ein alter, mit einem dunklen Mantel bekleideter Mann, und blickte unbeteiligt in die Ferne. Eine glitschige Kröte fing an, in Antons Brust zu strampeln, er fühlte, wie alles irgendwohin zum Teufel raste. Er wich vom Fenster zurück und lehnte sich an den Schrank, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Aber die Angst war zu groß, um sie nur durch bloße Willensanstrengung zu überwinden, er musste unbedingt etwas trinken. In der Küche stand eine angebrochene Flasche Rum, an der er sich dankbar für eine Weile festsaugte.
Der Alkohol gab ihm die Fähigkeit zurück, die Situation wieder nüchtern zu betrachten. Es sah nun so aus, als hätte er einen Feind. Der Mantel war keineswegs zufällig hier, kein gewöhnlicher Fremde würde ihn so verfolgen. Schon seit einigen Tagen ließ er Anton seine Anwesenheit spüren, sein hämisch-mitwissendes Lächeln tauchte mal hier, mal da auf, immer an der Peripherie von Antons Aufmerksamkeit, aber unverkennbar. Man hat ihn also doch gefunden. Trotz all seiner Sorgfalt und Mühe hat man ihn gefunden. Anton war sich keines Fehlers, den er gemacht haben könnte, bewusst. Es sei denn, damals in Lourdes... Oh, Gott, nein! Allerdings war es jetzt zu spät, um irgendetwas zu bereuen. Es könnte aber auch sein, dass der Mantel mit der Sache nichts zu tun hat, sondern einfach nur ein müßiger Perversling ist, der seinem verkümmerten Schwanz folgt. Wie schön das doch wäre! Vielleicht ist er ja schon weg. Es ist doch ziemlich kalt draußen und selbst Perverse sind gegen Kälte nicht immun. Von einer wagen Hoffnung erfasst, trat Anton wieder ans Fenster. Der Mantel stand unverändert da, aber diesmal blickte er ihn an. Hart und herausfordernd. Unter diesem Blick fühlte Anton, wie seine ganze Macht, seine Jugend und Entschlossenheit von ihm abfielen, wie eingetrockneter Dreck. Er heulte leise auf und unterdrückte mit aller ihm gebliebenen Kraft den Drang, sofort panisch loszurennen. Nein, so nicht. Er wird abwarten, bis der Feind
(es bestand nun kein Zweifel mehr) seine Partie eröffnen wird. Und dann, wenn er sich konzentriert, würde er sogar gewinnen. Möglicherweise wendet der Mantel gerade seine ganze Macht an, um ihn in Angst zu versetzen, und wenn Anton lange genug widersteht, wird der sich bald verbraucht haben. Also abwarten.
Den ganzen nächsten Tag verbrachte Anton in der Wohnung und zwang sich, ruhig zu bleiben, obwohl ihm die Zigaretten ausgegangen waren. Der Mantel machte sich immer noch durch nichts bemerkbar, seine Präsenz war jedoch jede Minute zu spüren. Gegen Abend, als es dunkel wurde, steigerten sich die Ungewissheit und der Nikotinentzug ins Unermessliche, deswegen beschloss Anton, eine Aufklärungsmission zum Tabakladen an der Ecke zu unternehmen. Als er zurückkam, merkte er, dass die Dunkelheit in der Wohnung sich auf eine unangenehme Art verändert hatte. Aber es war schon zu spät. Die Tür hinter ihm schnappte wie von alleine zu und etwas zog ihn unüberwindbar in das Innere des Zimmers.
„Guten Abend, Sim-Do“, sagte eine Stimme hinter ihm. Anton drehte sich widerwillig um, und sah den Mantel, der sich in seinem Sessel breitgemacht hatte. „Gib dir keine Mühe“, fuhr er fort, „es bringt doch nichts.“ Das Geräusch dieser selbstgefällig-kalter Stimme versetzte Anton von einem Augenblick zum nächsten in schreckliche Wut. Er entfesselte die „Weiße Schlange“. Eine seiner Lieblingsformeln, verstärkt durch die Furcht der letzten Tage und den panischen Hass des Augenblicks, konnte nicht versagen. Seit er sie beherrschte, hatte sie es noch nie getan. „Ha, stirb!“
Dann geschah alles sehr schnell. Eine unsichtbare Hand riss den Alten zusammen mit dem Sessel zur Seite, seine Lippen spuckten ein Wort aus, und Anton fand sich auf dem Boden wieder. Ein nagender Schmerz fraß sich durch seine Eingeweide. „Ich sagte doch, gib dir keine Mühe“, wiederholte der Mantel, der nicht einmal außer Atem zu sein schien, „ sie war bis jetzt doch auch vergeblich. Du hast Haken geschlagen, fast wie ein Häschen, und nun liegst du am Boden, was auch irgendwie Sinn macht, findest du nicht? Bedenke das, ehe du versuchst, weiter zu zappeln.“
„Ich habe dir nichts zu sagen, du sadistischer Schweinehund“, keuchte Anton. Seine Beine schabten am Boden. „ Solltest du aber, sonst hört das, was du gerade fühlst, noch eine ganze Weile nicht auf. Und es kann noch unangenehmer werden. Du weißt, warum ich hier bin, also rück` es raus. Dann geht alles schnell.“ „ Leck´ mich!“, brüllte Anton. Er faltete seine Finger zusammen und merkte mit finsterer Freude, wie sich die Lüft um den Mantel herum zu verdichten begann. Der Alte machte darauf eine fast unscheinbare Bewegung und beugte sich plötzlich über ihn. Eine Kupfernadel fuhr durch Antons Ellenbogen. Der neue Schmerz ließ ihn winseln, wie eine angeschossene Ziege. „ Du Missgeburt, du wichsgesichtige“, zischte der Alte, „dieser Kinderkram wirkt bei mir nicht, klar! Rück` den Zahn raus, oder ich weide dich aus, wie einen Fisch! Wo ist er, rede!“ „ Er ist nicht hier“, schluchzte Anton, „ich muss ihn holen...Bitte, bitte, zieh die Nadel raus, du Arsch!!!“ „Was bist du nur für ein Idiot“, sagte der Mantel, „so etwas wertvolles muss man stets bei sich tragen. Aber ich glaube, du begreifst jetzt, wie die Dinge stehen und wirst keine Mäzchen mehr machen, so oder so. Ist die Annahme korrekt?“ „Ja“, presste Anton aus sich heraus, „ sie ist korrekt.“ „Ich lasse dir meine Karte da“, der Mantel holte eine Visitenkarte aus der Brieftasche und legte sie auf den Tisch. „Zu dieser Adresse bringst du das Artefakt, wenn du wieder laufen kannst. Und bedenke, ich habe dich schon Mal gefunden, wir verstehen uns?“ Er zog die Nadel aus Antons Ellenbogen und ging zu Tür. „Bis dann, Schwächling!“
Nachdem er gegangen war, lag Anton eine Weile da und erholte sich. Als er wieder aufstehen konnte, war er fest entschlossen. Die Zeit war gekommen, Zeit für das Instrument. Er hoffte, es nie wieder anwenden zu müssen, denn es war jedes Mal so, als würde er sich selbst einen Pfahl in den Hintern hämmern. Aber er hatte keine Wahl. Sie zwangen ihn regelrecht dazu. Um so schlimmer für sie. Er ging ins Badezimmer, wusch und rasierte sich sorgfältig. Dann zog er neue, noch nie getragene Kleidung an. Eine solche Angelegenheit duldete keine Unreinheiten. Danach holte er einen länglichen Kasten aus seinem Versteck hervor und steckte ihm in die Tasche. Er war bereit.
Am nächsten Tag fand man in der Nähe des Flusses die bestialisch entstellte Leiche eines alten Mannes. Um ihn herum lagen Fetzen eines dunklen Mantels verstreut. Dann entdeckte man noch einige andere. Die Presse berichtete von einem Satanistenmord, die Polizei hatte keine deutliche Spur zu dem Täter entdecken können. Nur die Untersuchung einer privaten Gesellschaft konnte die Ereignisse rekonstruieren, teilte ihre Erkenntnisse aber nur einen streng begrenzten Personenkreis mit.
Der Aufenthaltsort des Anton S. blieb jedoch unbekannt. Bisweilen.