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Das Labyrinth
Wir sind unterwegs. Wir sind auf dem Heimweg. Es ist Nacht. Starker Regen. Alle sind angeheitert. Laut lachend torkeln wir auf dem Bordstein gemeinsam unseren Betten entgegen. In dem Moment als uns der Polizist anspricht wird mir bewusst, dass ich Drogen genommen habe. Nein, nicht bloß Alkohol. Es war etwas, das hart bestraft werden würde, das weiß ich noch. Es ist kein Lachen mehr zu hören. Der Polizist steht vor mir und schaut mir tief in die Augen. Mein Puls wird schneller. Er bittet mich, ihm zu folgen. Die anderen dürfen ihren Marsch fortsetzen. Angst. Was tun? Ich muss hier raus! Wie?
Wir erreichen den Kastenwagen. Die mobile Polizei-Einheit hat bereits mehrere Personen in Gewahrsam genommen. Es wird gezerrt. Man hört Schreie. Mein Bewacher ist einen Moment unaufmerksam, da gelingt es mir in einem Hauseingang zu verschwinden. Die Türe ist nur angelehnt, so rette ich mich ins Treppenhaus. Mein erster Gedanke, der Keller. Ein Hinterfenster. Plötzlich werde ich festgehalten. Es ist kein Polizist. Es ist der Hausmeister, der mit ernster Miene auf meine dreckigen, nassen Schuhe deutet. Ich ziehe sie aus, zücke schnell meinen Geldbeutel und drücke ihm fünfzig Euro in die Hand. Verwirrt drein blickend entlässt er mich aus seiner Gewalt.
Ich entkomme ins Freie. Es hat aufgehört zu regnen. Es ist schon hell. Ich schmiede den Plan, mir in der Stadt neue Schuhe zu kaufen um nicht aufzufallen. Zu spät. Das Polizeiauto wendet bereits, als ich es wahrnehme. Adrenalin. Ich renne los. Das Auto stoppt, der Polizist folgt mir zu Fuß. Kaum um die Ecke merke ich, dass ich langsamer werde. Der Polizist kommt näher. Ich schaue zu Boden. Ich komme nicht vom Fleck. Panik. Stop! Das ist nicht real! Ich träume! Ich kenne dieses lähmende Gefühl nur zu gut aus ähnlichen Träumen. Entspannt drehe ich mich um und schaue den Polizisten an.
„Ich träume!", sage ich zu ihm, „du kannst mir nichts anhaben.“
In dem Moment komme ich zu mir. Meine Freundin liegt neben mir, auch sie kommt zu sich. Mühsam erhebe ich mich aus meinem Bett und gehe schlaftrunken ins Bad meiner Ein-Zimmerwohnung. Ich betrachte mich im Spiegel, der durch die glasigen Augen viel zu klein wirkt. Er ist zu klein!
„Was ist mit dem Spiegel?“, frage ich meine Freundin.
„Was soll damit sein?“, antwortet sie.
Als ich in den Flur schaue, sehe ich einen enormen Spiegel, der an der Wand lehnt. Ich muss ihn auf dem Weg ins Bad übersehen haben. Ich drehe mich um. Durch die offene Eingangstüre erkenne ich eine riesige Couch, die im Hausflur steht.
„Was ist hier los?“, frage ich meine Freundin.
Sie versucht mich zu beruhigen: „Es ist alles in Ordnung, Schatz.“
Ein Moment vergeht. Ich bilde mir ein, eine Zeitreise in die nahe Zukunft könnte die Ursache für diese verwirrenden Veränderungen sein.
„Sag mal, arbeite ich bereits?“, frage ich meine Freundin.
„Ja!“, sagt sie.
„Aber ich studiere doch noch“, geht es mir durch den Kopf.
Ich denke nach. Ich glaube Ihr nicht. Verwirrung. Stop! Das ist nicht real! Ich träume! Noch immer! Natürlich, auf diese Weise macht es Sinn. Deswegen der tote Gecko in der Toilette, der mir aufgefallen ist als ich vor dem Spiegel stand.
„Ich träume“, sage ich zu meiner Freundin.
„Nein!“ sagt sie. „Du träumst nicht!“
„Doch ich träume!“, sage ich, diesmal bestimmter.
Ich muss aufwachen. Wach auf!
Ich höre mich „Schatz“ rufen.
Wieder und wieder: „Schatz, weck mich auf!“
Ich hoffe, meine noch schlafende Freundin hört mich und weckt mich endlich auf aus diesem grauenhaften Traumlabyrinth.
Ich komme zu mir. Ich liege neben meiner Freundin. Ich erkenne das kleine Hotelzimmer, in dem wir uns befinden. Paris. Alles macht Sinn. Meine Freundin dreht sich zu mir.
„Hast du mich nicht rufen hören?“, frage ich.
„Doch“, sagt Sie noch leicht benommen.
„Warum hast du mich nicht geweckt?“, frage ich ernst.
„Was ist denn los?“, fragt Sie verwundert.
Ich erzähle Ihr von meiner Traumreise. Von dem Polizisten, dem Keller, der Flucht. Ich erzähle Ihr, dass ich weiter geträumt habe obwohl ich aufgewacht bin. Ausführlich erzähle ich Ihr, wie schwer es mir gefallen ist endlich wach zu werden. Ich bin mit meiner Geschichte fast zu Ende. Licht.
Ich komme zu mir. Scheiße! Ich habe noch immer geträumt. Meine Freundin liegt schlafend neben mir, in dem kleinen Pariser Hotelzimmer. Jetzt weiß ich es, bin mir ganz sicher. Ich bin wach. Fasziniert und zugleich schockiert von meiner Odyssee starre ich an die Zimmerdecke. Ich wecke meine Freundin auf und erzähle Ihr meine Geschichte. Ich kann nicht mehr einschlafen. Ich will auch nicht mehr.