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Das Lagerfeuer
Die Flammen des Lagerfeuers loderten auf. Feuerzungen stiegen empor und verschwanden in der Dunkelheit, leuchtende Punkte wirbelten umher und die Luft war erfüllt von einem rauchigen, in der Nase brennenden Geruch. Eine wohltuende Wärme ging vom Feuer aus, und Jack warf noch einen Holzscheit hinein und lehnte sich dann zurück. Um ihn herum herrschte Dunkelheit. Das Gras, auf dem er saß, war feucht und der Felsen von Glastonbury verschwand im nebeligen Dunste der Nacht. Langsam fing es an zu nieseln. Jack störte das nicht. Der Himmel weint mit mir, dachte er und seine Augen füllten sich mit Tränen, die langsam, im Flackerlicht glitzernd, seine Wangen hinunter liefen. Er fühlte sich allein gelassen und traurig. Seiner Familie war er egal, die suchte ihn nicht mal. Nein, die suchte ihn nicht. "Wenn man traurig ist, soll man reden", das hatte er schon von so Vielen gehört. - Reden? Mit wem denn? Und wie? Wussten die Leute überhaupt, wie es war, allein zu sein, wussten sie, wie man sich fühlte, wenn niemand bemerkt, dass man gar nicht zu Hause war? Nein! -
Plötzlich war die Luft erfüllt mit leiser, fröhlicher Tanzmusik. Lichter flammten auf dem Felsen auf und Jack vernahm freudige Ausrufe und ausgelassene Stimmen. "Was ist denn das jetzt?" Langsam stand er auf und ging den Felsen hoch. Das Feuer flackerte weiter und erfüllte die Luft rundherum mit der wohltuender Wärme. Nach wenigen Minuten hatte Jack den Gipfel erreicht. Dort, wo man sonst nur öde Grasflächen sah, stand plötzlich ein prunkvolles Schloss. Die Türen öffneten sich, Leute vom kleinen Volk und Elfen kamen auf ihn zu und tanzten um ihn herum. Sie trugen blaue und rote Gewänder, die mit Rüschen und Knöpfen verziert waren. Auf ihren Häuptern saßen hüte, an denen sie entweder eine rote oder eine blaue Feder gesteckt hatten. Mit sanfter Gewalt zogen sie ihn ins Innere des Schlosses, wo eine reich gedeckte Tafel auf ihn wartete. Die wunderbarsten Speisen, die Jack je gesehen hatte, erstreckten sich über den ganzen Tisch, der sich unter der Last schon bedenklich krümmte. Ein in prachtvolle Gewänder gehüllter Elf kam auf ihn zu und bot ihm einen Stuhl an, der direkt neben dem seinen stand. Auch er trug einen Hut, nur war dieser mit vier Federn geschmückt. Zwei in grün und zwei in gelb. Das Gewand des Elfen war nicht wie die der anderen rot oder blau. Gefertigt hatte man es aus grünem Samtstoff, auf dem mit gelbem Zwirn kleine Halbmonde gestickt waren, doch genau wie die anderen Gewänder hatte man es reich verziert. "Ich bin Oberon, Herrscher dieses Schlosses, und begrüße dich als meinen Gast und lade dich ein, von meinen Speisen zu kosten und dir Wein einschenken zu lassen." Essen! Genau das war das Richtige. Essen! Alles in sich hinein stopfen, all den Kummer, den Frust und die Wut einfach herunter zu schlucken und damit aus seinem Leben zu verbannen. Genau das wollte Jack. Der Elf sprach ihm aus der Seele. Jack bekam einen Teller in die Hand gedrückt, ging an der Tafel entlang und nahm sich hier von ein wenig und davon ein Häppchen. Nach und nach füllte sich sein Teller und fast schon glaubte Jack, er bräuchte einen neuen. Die Elfen und Feen tanzten um ihn herum und ein jeder ermunterte ihn zum Essen. Jack kam dass allmählich etwas komisch vor. Er besann sich und dachte an frühere Geschichten die er schon über diesen Ort gehört hatte.
Eine besagte das derjenige, der in diesem Schloss etwas aß auf hundert Jahre darin gefangen bleiben sollte. Jack verwarf den Gedanken. Das kann doch nicht sein. Er schaute auf seinen Teller, er dachte nach. Seine Mutter wollte nie, dass er hier hin ging, früher hatte sie ihm diese Geschichte immer erzählt. Aber nur um mich abzuschrecken, dachte Jack. Außerdem war seine Mutter nicht hier, nein sie war nie bei ihm.
Da fiel plötzlich ein Zettel aus seiner Tasche. "Hallo, mein Schätzchen. Es tut mir leid, wenn wir uns heute nicht sehen, aber es gibt zu viel Arbeit. Und denk dran, geh nie alleine zum Felsen von Glastonbury. Bis Morgen. Kuss. Deine Mutter." Mein Schätzchen? Kuss? Hatte das wirklich seine Mutter geschrieben? Tat es ihr wirklich leid, dass sie ihn heute nicht sehen konnte? Suchte sie deshalb nicht nach ihm? Und warum warnte sie ihn davor alleine hier hin zu gehen? Stimmte doch etwas an der Geschichte? Jack stellte seinen Teller beiseite. Oberon kam auf ihn zu. "Was ist los, mein Freund? Hast du Kummer? Los, iss etwas, dann vergisst du ihn schnell! All diese Speisen warten doch nur darauf, von dir verzehrt zu werden." Zu viel Essen verursacht Bauchweh, dachte Jack, bei Problemen ist es genau so. „Nein“ sagte Jack entschieden, „mich werdet ihr nicht hundert Jahre hier einsperren.“
Plötzlich fiel ihm das Lagerfeuer wieder ein. "Das Lagerfeuer", sagte er, "das Lagerfeuer. Ich habe das Lagerfeuer brennen lassen. Ich muss sofort zurück." Dann lief er los, er verließ das Schloss und rannte den Berg hinunter. Hinter sich hörte er die Rufe von Oberon, er wollte ihn zurückholen. „Bleib stehen, iss etwas, du musst bei uns bleiben.“ Beim Lagerfeuer angekommen, blieb Jack stehen. Die wohltuende Wärme umfasste ihn. Das flackernde Licht spendete Geborgenheit und langsam wurden die Rufe leiser. Als Jack sich umdrehte, war das Schloss verschwunden. Dort, wo er es zu erblicken suchte, klaffte ein Loch in der Nebelwand und all die Lichter und die Musik waren fort. Nachdenklich machte sich Jack auf den Weg. Zurück blieb das Feuer, das noch immer vor sich hin flackerte und kleine Flammenzungen und glühende Punkte in die Nacht entließ. Es spendete Geborgenheit und wohltuende Wärme.