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Das letzte Duell

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01.06.2005
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Das letzte Duell

»Beruhige dich!«, hörte ich Gardan sagen. »Ich habe dich sicherlich nicht mit Absicht angerempelt.«
»Oho!« Ulgurd zog theatralisch die Augenbrauen hoch, die daraufhin unter seiner vorhangartigen Ponyfrisur verschwanden. »Habt ihr es alle gehört? Graf Gardan nennt mich einen Lügner!« Er breitete die Ärmel seines weiten Hemdes wie Fledermausflügel aus und drehte sich im Kreis seiner Speichellecker. »Ich denke«, wandte er sich wieder an Gardan und mich, »das bedeutet ein Duell.«
Das fehlte noch!
Es war unser erstes Jahr auf der Lotetes-Akademie der Konjurer. Gleich mit einem Duell zu beginnen, wurde bestimmt nicht gern gesehen, ganz zu schweigen von der Lebensgefahr, die damit verbunden war.
»Hör mal!«, begann ich. »Gardan hat dich wirklich nicht ... ich meine er wird sich -«
»Lass nur«, unterbrach Gardan mich. Er stand ganz ruhig da, wie ein Standbild in der Galerie der Meisterkonjurer. Seine Miene zeigte keine Anspannung, wie man es erwarten sollte, wenn man gerade vom Mustermagier des Jahrgangs zum Duell gefordert worden ist. Eher sah er so aus, als deprimiere ihn Ulgurds aufbrausende und plumpe Art.
Ulgurd grinste siegessicher. »Gut. Ihr alle seid Zeugen. Das Duell findet nächste Woche Montag auf dem Platz der Hexen statt. Man sieht sich.« Er rauschte ab, und zwar im wörtlichen Sinne: Affektiert wie er war, trug er einen Umhang, wie die Konjurer der Roten Episode. Sein Gefolge - Terrier-Ralaf und Sibelius Stein-Steyn - wieselte hinterher.

»Mann!«, fluchte ich. »Du bist so gut wie tot! Okay, du bist gut, aber mit Ulgurd kannst du es nicht aufnehmen!«
Gardan zuckte mit den Schultern. »Wozu habe ich dich, mein genialer Freund? Ich vertraue darauf, dass du mir bis Samstag einen Plan ausarbeitest.« Er sah mich wieder undurchdringlich an und legte eine Hand auf meine Schulter. »Ich kann doch auf dich zählen, oder?«
Das Gewicht seiner Hand schien wie eine Baggerschaufel auf mir zu lasten. »Natürlich«, sagte ich, und dachte, dass dies ein perfekter Zeitpunkt wäre, die ersten grauen Haare zu bekommen.

»Natürlich« bedeutete, dass meine Loyalität ihm galt. Unsere Familien waren über Jahrhunderte alte Bande aneinander geschmiedet. Selbst wenn es das nicht wäre: Gardan war einfach mein bester Freund, mein einziger zudem auf der Akademie der Konjurer. Ein einzigartiges Paar gaben wir ab, er schlank und dunkel, ich leicht zum Dicklichen neigend, rotblond und leberfleckig - sommersprossig, wie ich in fröhlichen Momenten sagte. Ein Duo wie Sherlock Holmes und Doktor Watson.
Ich hatte knapp eine Woche Zeit, also begab ich mich sofort in die Bibliothek.

»Duellkunde?«, quäkte der Katalogist und wandte mir seinen polierten Sprachgrill zu. Der Kontakt mit magischen Maschinen wie ihm war mir immer etwas unangenehm, Animation war eines meiner schwächsten Fächer.
Er gab ein schleifendes Geräusch von sich, als müsste er geölt werden. »Die Duelle sind verboten, seit sie vor etwa zehn Jahren derart eskalierten, dass meist beide Kandidaten zu Tode kamen. Warum interssieren Sie sich dafür?«
»Ein Referat in Stratematik«, log ich.
Vom Katalogisten einen Gesichtsausdruck zu erwarten hieße, auch einem Bus eine Mimik zuzugestehen, aber er schwieg genau lange genug, um mir klarzumachen, dass er mir nicht glaubte. Dann sagte er: »Gang A14, Regal 9«
Ich bedankte mich und eilte zum angegebenen Regal, ehe er es sich anders überlegen konnte.
Die Regale waren aus Platzgründen dicht aneinander gedrängt. Über Eisenräder von Armlänge Durchmesser konnten sie verschoben werden, so dass jeweils ein Regal zugängig war. Ich rollte Regal 9 frei und überflog die Titel.
Gesammelte Jahrgänge der Duelle.
Die Anfänge waren uninteressant. Es hatte harmlos begonnen: Brennende Achselhaare beim Kontrahenten, ein zusätzlicher Zeh, der das Tragen von Schuhen von der Stange unmöglich machte.
Dann, während der Gelben Episode, die erste Regelfestschreibung von Roderich Alpagga. Jeder Duellist hat einen Spruch. Alles ist erlaubt: Animation, Koerzion, Kreation und Dislokation, sowie jede beliebige Kombination aus allen. Keine Taktik darf schon einmal angewandt worden sein, also muss jeder Kämpfer mit etwas Neuem, nie Dagewesenen aufwarten. Eine Wiederholung ist eine Schande und führt zur sofortigen Niederlage. Andererseits muss der Zauber ehrenhaft sein, der Gegner muss würdig sein und die Gegenmaßnahme ebenbürtig.
Ein unlösbares Dilemma!
Band um Band zog ich aus dem Regal, und der aufwirbelnde Staub erstickte jeden Funken von Inspiration, den ich bisher noch in mir gehabt hatte: Erstarren zu Eis, die Idee hatte schon Ehrwald von Giebel (Graue Episode) vor mir gehabt. Dislokation einzelner Körperteile: Tantwald Siebenbück (Graue Episode). Dislokation innerer Organe: Zimbo Federles (Rote Episode). Koerzion von Milbenschwärmen, um den Gegner zu blenden: Arto Podo (Grüne Episode). Animation einer Lehmschlange und anschließende Koerzion, um den Antagonisten unter sich zu begraben: Phytia Netzer (Unsichtbare Episode). Und so weiter. Seite um Seite genialer Einfälle, und nicht die geringste Chance für mich, mit meinen beschränkten Kenntnissen, etwas Neues zu finden.

Gardan trug es mir Fassung, als ich am Sonntag in seinem Zimmer erschien. »Du hast tatsächlich keine Strategie gefunden?«
Ich schüttelte betrübt den Kopf. Tatsächlich schien die einzige Möglichkeit eine Flucht von der Akademie zu sein. Ich hatte einen Rucksack mit hochprozentigen Getränken gepackt, und erwog, Gardan diesen Vorschlag zu machen. Abhauen und sich betrinken, denn finden würden sie uns garantiert.
»Du bist dir absolut sicher? Es gibt keine Möglichkeit?«
Hatte er Spaß daran, meine Unfähigkeit auszuloten?
Er lächelte ganz seltsam. »Gut. Dann können wir uns dem vergnüglichen Teil des Sonntags widmen. Ich sehe, du hast etwas zu Trinken dabei.«
Gardans seherische Fähigkeiten waren bemerkenswert, oft hatte ich mich gefragt, warum er auf der Konjurer-Akademie war, anstatt die Präkognitoren zu besuchen.

Wir betranken uns fachgerecht und erschienen entsprechend verkatert am Montagmorgen auf dem Platz der Hexen, einer Lichtung voll niedergetrampelten Gestrüpps hinter dem Krematorium, auf dem die Akademie alte Kühlschränke, leere Fässer und Kisten voll abgelaufener Ingredienzen lagerte.
Trotz des Gerümpels war genug Platz, um die Kontrahenten auf zehn Meter Abstand aufzustellen, wie es die Regeln vorschrieben.
Während Sibelius die Regeln verlas - nicht alle, das hätte zwei Tage gedauert, nur die Duellordnung - feixte Terrier-Ralaf mich an: »Dein Meister wird zu Mus zermahlen! Mal es dir aus!«
»Oh, da hat jemand einen Dichter in den Cornflakes gehabt«, antwortete ich mit mehr Enthusiasmus, als ich empfand. In Wahrheit sah ich Gardan tatsächlich schon zu Brei werden. Meine Kopfschmerzen schnitten mir den Schädel in Scheiben.
»Regel einundsiebzig, Abschnitt A«, las Sibelius. »Den Duellisten ist es nicht gestattet, Gürtelschnallen aus Wolfram, Gürteltierleder oder Polyvinylchlorid zu tragen. Der gleichzeitige Verzehr von frittierten Speisen am Kampfplatz ist nur zu erlauben, falls -«
»Genug!«, unterbrach ihn Ulgurd. »Siehst du hier jemanden Pommes essen? Wir kennen die Regeln, lass uns anfangen!«
»Kleinen Moment noch«, sagte Gardan ruhig.
»Hmm?« Ulgurd brannte darauf, anzufangen. »Ich sage, es geht los!«
»Nein, nein.« Gardan winkte beschwichtigend. »Regel neunzehn, Abschnitt drei: Ein Kontrahent darf die vorherige Verlesung ausgewählter Regeln verlangen.«
Ulgurd lief rot an. »Darf er das?«, wandte er sich an Sibelius. Der nickte.
»Na gut. Du willst Zeit schinden. Aber das nützt dir nichts.«
Sibelius sah Gardan fragend an. »Welchen Abschnitt willst du hören?«
Gardan lächelte milde. »Den zweiten Grundsatz.«
»Nun, ja, ein Klassiker«, kommentierte Sibelius und hob an: »Keine Taktik darf schon einmal angewandt worden sein. Daraus folgt, dass ein jeder Duellist mit etwas Neuem, nie Dagewesenen aufwarten muss.«
»Jedes Kind weiß das«, platzte Ulgurd heraus.
»Und, wie steht es mit deiner Kombination?«, fragte Gardan.
»Neu, natürlich. Und deine?«
»Nie dagewesen.«
»Dann kann's ja losgehen. Ich -«
»Moment«, unterbrach Gardan wieder. »Ich würde gern den dritten Grundsatz hören.«
Was sollte das? Terrier-Ralaf scharrte ungeduldig mit den Füßen und auch ich hielt die Spannung langsam kaum noch aus. Ulgurd sah aus, als würde sich ihm jeden Moment die Kopfhaut abheben.
Sibelius rezitierte: »Der Anwendung findende Zauber muss ehrenhaft sein, in dem Sinne, dass die Gegenmaßnahme ebenbürtig der Maßnahme zu sein hat.«
»Nun?«, fragte Gardan.
»Wie soll ich das wissen?«, explodierte Ulgurd. »Ich weiß doch nicht, was dein degeneriertes Faktotum ersonnen hat.«
Diese Beleidigung zielte auf mich, verfehlte aber ihr Ziel, weil ich ja gar nichts ersonnen hatte. Gardan hatte seine Strategie, wenn er denn eine hatte, ganz allein ausgebrütet.
»Was ist denn deine Kombination?«, gab Gardan eine weitere Frage.
»Das werde ich dir sicher verraten!«, höhnte Ulgurd. »Damit du dich aus der Affäre ziehst, indem du dasselbe tust!«
Das geht nicht, dachte ich. Gojurt der Graue gegen Winti-Yenga (Violette Episode).
Ulgurd fühlte sich auf der Siegerseite, wurde aber zusehends ungeduldiger. »Warum verrätst du uns nicht deine ach-so-geniale Idee?«
»Gut.«
»Was?«
»Mach ich.«
Sekundenlang starrten wir alle Gardan an. Schließlich fand Ulgurd die Sprache wieder: »Dann raus mit der Sprache.«
Gardan atmete kurz durch, dann sagte er: »Ich werde nichts tun.«
Erneute Verblüffung.
»Oh, das ist genial«, flüsterte Sibelius.
Ulgurd war es endgültig zu viel. »Wieso denn das?«, brüllte er. »Er verliert, wenn er nichts tut! Ich brenne ihn mit einem Anfängerspruch in den Lehm! So einfach ist das!«
Eine wahnsinnige Idee nahm Gestalt in meinem Kopf an. Konnte es sein, dass ... »Tut mir leid, das geht nicht!«, rief ich.
»Misch dich nicht ein, Kröte!«, blaffte Ulgurd.
»Er hat aber Recht«, sagte Sibelius. »Einen unbewaffneten, unvorbereiteten Gegner anzugreifen ist eine Schande und würde, nach dem dritten und dem vierten Grundsatz die sofortige Niederlage bedeuten.«
»Aha!«, triumphierte Ulgurd. »Aber es ist nicht den Regeln gemäß, nichts zu tun! Denn nichts ist keine Kombination der Grunddisziplinen Koerzion, Animation, Krea -«
»Ich fürchte, doch«, fuhr Sibelius bedauernd dazwischen.
Gardan grinste breit und nickte. »Die leere Menge ist Teil jeder Menge«, zitierte er Totaris Lotetes, einen der Urmeister der Kreation.
Ulgurd dachte einige Augenblicke angestrengt nach und wurde dabei immer bleicher. Sein weißes Gesicht bildete einen reizvollen Kontrast zu seinem blutroten Umhang. »Heißt das, ich habe verloren, ohne überhaupt etwas getan zu haben?«
Sibelius nickte traurig.
»Kann ich nicht auch einfach nichts tun?«
Sibelius schüttelte den Kopf. »Nein, die Idee hatte schon Gojurt der Graue gegen Winti-Yenga (Violette Episode).«
Ulgurd machte ein Geräusch wie ein lungenkranker Radlader. Dann stürmte er vom Platz.

Wir gingen zum Wohngebäude zurück, um Gardans Sieg zu feiern. Mit etwas Tomatensaft, der Kater hatte noch nichts von seiner Kraft eingebüßt.
»Gardan?«
»Hmm?«
»Warum hast du mich dann die ganze Woche in der Bibliothek ackern lassen?«
»Ich musste sicher sein, dass noch niemand zuvor die Idee hatte, sonst wäre ich der Verlierer gewesen.«
»Ah so.«
Ich gönnte mir noch ein Glas Saft mit viel Worcestersauce.

Danach kamen die Duelle aus der Mode. Nicht, dass sie unmöglich wurden, Gardans Zug durfte ja nicht wiederholt werden, aber ich denke, die Studenten verloren einfach die Lust daran.
Wer darin eine Lehre sieht, ist klüger als ich.

 

Ja, danke Spectator (oder CCC). Du hast recht genau erfasst, was mir wichtig war. :)
(Aber warum bedankt sich Megries jetzt schon in meinem Namen? :susp: :schiel: )

 

Hi Naut,

hab die Story schon vor einiger Zeit gelesen, aber irgendwie nicht die Zeit zum kritisieren gefunden. Nun ist schon alles gesagt worden :( Na ja, egal, ich hab mich amüsiert. Eine nette kleine Geschichte für zwischendurch, origniell und kruzweilig geschrieben :)

Hab ich einfach gerne gelesen.

Liebe Grüße,

Ronja

 

Danke Ronja, mehr sollte es nicht sein. :)

Hmm, was schreibe ich noch? Die Inspiration zu der Geschichte geht auf das Thema des Monats "Die perfekte Waffe" zurück: Ich dachte mir, dass eine perfekte Waffe keine Waffe ist. Der Rest ergab sich von selbst.

Grüße,
Naut

 

@Naut
Spectator hatte in der Ursprungsversion unsere Nicknamen verwechselt. Da konnte ich nicht widerstehen.

 

Megries schrieb:
@Naut
Spectator hatte in der Ursprungsversion unsere Nicknamen verwechselt. Da konnte ich nicht widerstehen.
:D Irgendwie sind wir uns ja auch ähnlich. Vermute ich. Zumindest die Geschichten und so ... :Pfeif:

 

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