Das letzte Programm
Das letzte Programm
Es war einer der hektischsten Vorabende des Jahres. Die Geschäfte waren zum Bersten voll mit großzügigen Müttern, verschwenderischen Vätern und gierigen Söhnen und Töchtern. Es war das Fest der Liebe: Weihnachten. die Orgie des Konsums und der schönste Tag im Leben von König Dollar.
Lichter, Leute und Geschrei wohin das weihnachtliche Auge blickte, kein Fleck der Ruhe in Sicht, stressfreie Zonen - wenn überhaupt, nur in den eigenen vier Wänden. Oh ihr armen Engel der heiligen Nacht...
Riesige menschliche Klumpen strömten, ja schossen regelrecht, auf die in Erwartung des rollenden Rubels aufgefahrenen Portale der schrill-bunt dekorierten Shopping-Malls zu. Santa Claus an jeder Ecke, unter jedem Tannenbaum, hinter jedem Kaugummiautomaten, in nahezu jedem Korridor der endlosen Spielwarenhallen. Das heißerwartete, rot-weiße Weihnachts-Phantom, Held aller Menschenkinder hier in beinahe tausendfacher Ausführung, bereit zum Schenken, bereit von seinen Schützlingen vergöttert zu werden. Hier ein Päckchen, da ein Päkchen, dort drüben eine sündhaft teure und voll bewegliche Model-Puppe, und hier vorne eine ferngesteuerte und hyperrealistische Miniatur eines Golfkrieg-Panzers inklusive einem Sechser-Pack Raketen plus Batterien. Es war die ganz normale Welt zur ganz normalen Weihnachtszeit, eine Welt verpackt in buntem Papier, geschmückt mit Lampen und Kerzen. Lustig blinkend, lustig singend.
Er mochte sie nicht. Er mochte das Singen nicht, er mochte die Lichter nicht. Er hasste diese Welt - und er wollte sie verbessern, so gut es eben ging. Und wenn dies nur mit Gewalt geschehen könnte, dann müsse es eben mit Gewalt geschehen. Nicht mit stumpfer, hirnloser Gewalt. Sondern mit der klugen Gewalt eines Menschen, der hofft, der Welt damit eine Lektion zu erteilen. Einen Denkzettel. Wie ein bitterer Brei der einem dummen Kind fast den Magen umstülpt, ihn zu essen es aber nicht bereut, als es erfährt, wie gesund und überaus hilfreich diese zweifelsohne schwere Kost doch war. Genau das war der Plan. Die Menschheit würde es ihm eines Tages danken.
Es gab viele Dinge, die es zu verbessern galt. Ach könnte er die Welt nach seinen Vorstellungen formen wie ein warmes weiches Stück Wachs, welches sich mehr und mehr verfestigt. Die Dinge die die Welt nicht braucht würde er einfach abknipsen und in einen Bottich zu dem restlichen Wachsabfall werfen. Niemand würde es je vermissen - man würde es nicht anders kennen.
Eine Handvoll Konsum, eimerweise Geldverschwendung und einen riesigen Sack unnützem Fortschritt, der uns sonst nur in Teufels Küche bringt.
Dinge die die Welt nicht braucht - und einfach nicht verdient.
Die Menschen könnten so gut sein, so herzlich. Und so offen und ehrlich. Wenn ihnen nicht die ätzende Wirkung des Geldes und der Gestank der Macht die Herzen zerfressen hätte. Und das Fest der Liebe war in Wirklichkeit nichts anderes als eine verdammt gute Möglichkeit, sein Gewissen zu beruhigen, die wahren Bedürfnisse der eigenen Kinder unter Bergen von bunten Päckchen in Glanzpapier zu verschütten. Nach dem Motto: ‘Was man jahrelang falsch gemacht hat, kann man mit nur einem Geschenk wieder in Ordnung bringen‘. Es klang in seinen Gedanken wie der Satz aus einer schlechten Commercial-Sendung.
Aus der Alptraum. Der heutige Tag würde eine Wendung mit sich bringen. Ob positiv oder negativ, das allein sollten die Menschen entscheiden. Heute würden sie die Gelegenheit bekommen, alles zu überdenken. Und falls sie die Zeichen erkennen, hätten sie die Macht, etwas gegen diesen Wahnsinn zu unternehmen. Und sie würden sie erkennen - vielmehr würden sie kaum zu übersehen sein.
So dachte der Mann mit den Ohrschützern, der sich die Worte “Ein Geschenk an die Welt” auf sämtliche Seiten des Wagens gesprüht hatte. Sehr professionell gestaltet. . Groß. Und leuchtend. Diese Zeichen waren wirklich nicht zu übersehen.
Der Text, der auf dem ganzen Wagen inklusive Dach insgesamt fünfmal zu lesen war, prangte dort in riesigen Lettern. Das Gefährt selbst war einem handelsüblichen Auto nicht sehr ähnlich. Es war beeindruckend, ohne Frage. Beängstigend groß, beängstigend hoch. Seit es die Heimatgarage im Norden verlassen hatte, hinterließ es eine ganze Autobahn voll von gaffenden, erschrockenen und begeisterten Gesichtern und seine gewaltige Länge, welche ungefähr zwei Linienbussen gleichkam, war für ein autobahntaugliches Gefährt auf der Reise ins Stadtzentrum mehr als genug, um nicht zu sagen haarscharf an der Zulässigkeit vorbei. Die Reifen hatten die übliche Größe, allerdings benötigte der Wagen davon gleich zwölf - auf jeder Seite. Zusätzlich war er ausgestattet mit einer Art Panzerung, sehr professionell und kein bisschen dilettantisch anmutend. Stahlplatten in glänzender Chromlackierung, verteilt über das gesamte Koloss, auch dort wo an einem gewöhnlichen Bus die Fenster saßen. Ein riesiger Wurm aus Stahl schlängelte sich also auf dem Seitenstreifen der Autobahn entlang und beschädigte erstaunlicherweise nicht einmal einen fremden Seitenspiegel. Keine Schramme, Kein Kratzer. Und das bei einer Geschwindigkeit von über hundert Stundenkilometern.
Der Mann mit den Ohrschützern im Innern hatte den Blick hart geradeaus gerichtet, kein Zwinkern unterbrach sein Starren. Seine Hände krallten sich um das überdimensionale Steuerrad und doch wirkte er auf eine merkwürdige Weise entspannt. Er dachte während der Fahrt viel nach, er träumte von seinem Plan. Aber er zweifelte keinen Augenblick an ihm. Er versetzte sich nicht in ein ‘WasWäreWenn’-Dilemma und er hatte keinerlei Angst vor dem, was noch bevor stand. Seine Überzeugung das Richtige zu tun lag etliche Stufen höher als seine kaum vorhandene Angst. Einzig und allein der Gedanke, die Welt um ein Quentchen Glück zu bereichern, indem lästige Dinge aus dem Weg geschafft würden, ließ ihn lächeln. Aber so zart, dass es kaum wahrnehmbar war. In ihm herrschte eine große Stille und gleichzeitig eine tiefe Zufriedenheit. Die Zeit war gekommen.
Die meisten Menschen, die um diese Zeit die Autobahn benutzten kamen gerade vom Shoppen oder waren auf dem Weg dorthin. Also einzig der Seitenstreifen bot dem chromfarbenen Metallkoloss die Möglichkeit, ohne Stau und Stress das dichtbevölkerte Stadt-Zentrum zu erreichen.
Karten, Beobachtungen, Karten. Dann ein Test am Computer, dann wieder Karten und wieder Beobachtungen. Das war sein Tagesablauf der letzten zwölf Monate gewesen. Zwischendurch kümmerte er sich um sein “Ross”, welches er bis zum großen Kampf gegen König Fortschritt hegte und pflegte, hier was schweißte, dort was schraubte.
Er liebte es von dem Tag an, an welchem es in seine Gedanken in Form von rebellischen Fantasien eingedrungen war - bis heute. Dem größten und wichtigsten Tag seines Lebens. Er hatte alles studiert, die Straßen, die Kaufhäuser, die Stadt, ja sogar die Menschen selbst, welche blind und im Konsumwahn an ihrem potenziellen Gesellschaftsrächer vorbei gerannt waren. Wer kommt von wo, wer kommt von da, was kommt von wo. Wer will wohin, wer muss wohin und letztendlich: wo kreuzt sich der Weg aller? Ist es möglich, alle Kabel der Welt mit einer Schnur zu binden? Gibt es diesen strategischen Punkt überhaupt? Wenn ja, wie lange wird es dauern, ihn zu finden? - spätestens bis zum nächsten Weihnachtsfest, dachte er und lächelte jetzt ein wenig mehr. Er war überaus glücklich mit dem Gedanken, dass nun all das Grübeln, all das Planen ein Ende hatte und heute, ja heute, der Tag der Umkehrung gekommen war. Von Schwarz in weiß, von alt in jung, von klein in groß und von böse in gut. Gegen den Fortschritt und für eine bessere Zukunft.
Er saß ganz oben auf seinem silbergrauen Ross und fühlte sich unendlich gut. Vor seinem geistigen Auge sah er das Volk ihm zujubeln, wie man einem Superhelden zujubelt, der soeben die Gefahr eines tödlichen Kometen mit einem lässigen Fingerschnippen beendet hatte. Er saß siegessicher und fest im Sattel, bereit, endlich zu kämpfen, zu handeln. Seit er klar denken konnte lebte er nur für dieses Ziel, für dieses allein. Das Ziel, alles besser zu machen, das Ziel, die Menschheit vor einem allzu raschen Ende zu bewahren. Ihr die Augen nicht nur zu öffnen, sondern mit Gewalt und eisernen Spangen offen zu halten. Seht, seht her, was geschieht. Seht wohin euch der Fortschritt bringt. Was nützt er euch, wenn wir damit die Wesen von denen wir leben vergiften und verseuchen? Was nützt uns das Geld, wenn wir auf einer Insel stranden und was werden wir für Augen machen, wenn wir erkennen, dass wir an der Kokosnusspalme nicht mit American Express bezahlen können?
Wenn es soweit ist, wird es zu spät sein. Wayne muss handeln. Jetzt. Hier.
Er kann den strategischen Punkt bereits riechen, er ist nicht mehr weit.
Auf dem Seitenstreifen war für alle anderen nur noch ein silbergrauer Schweif wahrzunehmen, begleitet von einem blechernen hohlen Gedröhne. Die voll gestopfte Autobahn mit all ihren Auf- und Abfahrten schien zu stocken. Nur das silberne Ross war in stetiger Bewegung, wie ein Pegasus schien er über allem zu schweben, dürstend nach seinem Ziel. Große verängstigte Augen folgten ihm und wurden in gespannter Erwartung noch größer. Viele Fahrer konnten den Anblick des rasenden Metallkolosses und die dringend benötigte Konzentration auf den ohnehin schon unübersichtlichen Verkehr nicht unter einen Hut bringen - und einige Rempler und seltener größere Schäden waren die Folge. Obwohl dies nicht in der Absicht des Planes lag, so hätte Wayne sicher darüber geschmunzelt, würde seine ganze Konzentration nicht vom schmalen Seitenstreifen und der im Verhältnis viel zu hohen Geschwindigkeit beansprucht.
Er war froh, den wohl schwierigsten Teil in wenigen Sekunden hinter sich gebracht zu haben. Das nervenaufreibende Entwickeln des Planes, beobachten, Karten lesen, testen, hoffen. Dann die nicht weniger aufregende Fahrt zum Zielpunkt, immer begleitet vom Geist des unglücklichen Zufalls. Ein Auto mit Reifenpane auf dem Seitenstreifen beispielsweise. Natürlich würde dieses Hindernis seine Geschwindigkeit nicht wesentlich verringern können, alles war genauestens berechnet. Allerdings täte es ihm um denjenigen leid, der unglückseliger Weise zur falschen Zeit am falschen Ort einen Reifen wechselte. Es täte ihm wirklich aufrichtig leid, das wäre ganz sicher nicht im Sinne des Plans. Andererseits konnte er nur diesen Weg nehmen, um sein Ziel endlich zu erreichen. Und sollte er wirklich auf ein derartiges Hindernis treffen, ob menschlich oder nicht, tja, dann sollte es wohl so sein. Für große Ziele musste man eben auch große Opfer bringen.
Die Augen starr auf den Seitenstreifen gerichtet öffnete er ein metallenes Fach am mit Stahlplatten bepflasterten Armaturenbrett. Es gab ein leises Quietschen von sich, während Wayne dem ersten von drei dahinter verborgenen Knöpfen einen kurzen Blick widmete. Die Beschriftung von Knopf Nummer Eins lautete “Herhören”, der dazugehörige Knopf wurde gedrückt. Aus dem Nichts brach ein schmerzendes Gedröhn mitten in die konsumweihnachtliche Welt zwischen Jingle Bells und heiliger Stille. Sekundenbruchteile vor dem eigentlichen Alarm konnte man einen zuckenden Stich im Gehörgang spüren. Doch dann ging es erst richtig los und der Lärm war derart hart und schmerzhaft, dass die meisten der Autofahrer unwillkürlich ihre Hände vom Lenkrad rissen und sich die Ohren verschlossen. Die Folge waren etliche hundert Auffahrunfälle, Schrammen, Beulen, ein Feuerwerk an zersplittertem Glas und zerquetschtem Blech, dessen akustische Begleitung jedoch voll und ganz im dröhnenden Alarm untergingen. Schreie und Hilferufe verklangen scheinbar lautlos, die Intensität des durchgehend gleich bleibenden Lärms ließ alles verstummen, verschlang selbst die Polizeisirenen um ein vielfaches.
Ringsum zerschmetterten die Karossen, Autoteile flogen gegen die gepanzerten Wände des verchromten Rosses und hinterließen auf dem fast kratzfesten Lack jedoch wenige Spuren. Wayne genoss die erste Phase innerlich und hatte seinen Plan im Visier. Der erste Schritt zum Frieden war getan. Und immer wieder führte er sich vor Augen, dass Opfer gebracht werden müssten. Opfer wie jene Menschen die instinktiv ihre Hände vor die Ohren schlugen und damit ohne es zu wollen einer unangenehmen, gefährlichen, oder gar tödlichen Situation entgegen rollten. Bohrende Kopfschmerzen, oder Tod war wohl die Frage - eine Ironie des Selbsterhaltungstriebs.
Knopf Nummer Zwei war ebenso wie der Erste mit Klebeband beschriftet worden. Auf ihm stand “Herschauen” und ließ nicht vermuten, um was es sich dabei handelte.
Nur Sekunden nach dem Betätigen der Taste wurden zwei monströse Antriebsdüsen aus dem Heck des mutierten Busses gefahren und nach einem Strecken-Check durch einen nochmaligen Druck auf den Knopf in Gang gesetzt. Eins, Zwei Feuer!
Meterlange grüne Flammensäulen schossen waagerecht aus den Düsen hervor und ließen die Seitenfenster der links vom Seitenstreifen Fahrenden zerbersten.
Wieder ließen sich viele vor Schreck und Überraschung dazu hinreißen einen Autonachbar oder die Leitplanke hart zu begrüßen. Diese Unfälle waren zwar nicht Sinn und Zweck des “Pyroeffekts” gewesen, dennoch waren sie dem Plan nicht gerade unwillkommen, vielmehr verstärkten sie die Wirkung von Knopf Nummer Eins, welche übrigens noch immer die Trommelfelle zum explodieren brachte.
Die lodernden Feuersäulen, welche aus dem Heck von Waynes “Ross” fauchten, trieben das Gefährt in Richtung Innenstadt, und dass mit einer sagenhaften Geschwindigkeit, die denen, die das bisherige Spektakel heil überstanden hatten, einen Ausdruck von Ungläubigkeit und Wahnsinn ins Gesicht schrieb.
Wie ein rasender grün-silbriger Blitz zischte der noch immer laut dröhnende Panzerbus am konsumsüchtigen Volk vorüber, den Plan im Visier.
Zu diesem Zeitpunkt war es selbst Wayne gleichgültig ob ein unglückseliger Autofahrer mit einer Reifenpanne das Heil auf dem Seitenstreifen suchte, was unter diesen Umständen einem Selbstmord gleichkam. Vermeiden konnte UND wollte er es jetzt nicht mehr, Phase Drei stand kurz bevor - der Frieden war nah!
Die Innenstadt war hell erleuchtet, funkelnde Lämpchen, Lichterketten, bunter Tannenschmuck hier und da, weihnachtlich umdekorierte Leuchtreklamen - all das strahlte in den kühlen Abendhimmel. Geschäftiges Treiben in allen Gassen und Strassen. Niemand, der NICHT unterwegs war um entweder Geschenke zu kaufen oder in den eng beieinander gelegenen Gaststätten die Wirtschaft auf die hochprozentige Art anzukurbeln. Geld floss hier und Geld floss da, aus der einen Kasse heraus, in die andere hinein, von Hand zu Hand, von Tasche zu Tasche.
Der klimpernde Wohlstand erzeugte von Gier zerfressene Gesichter.
Wayne wünschte sich fort von der Welt, in eine, in der er viel früher hätte das Steuer in die Hand nehmen können. Ein Volk, dass sich nicht von ein paar Silbermünzen an der Nase hätte herumführen lassen. Er hätte eine Welt erschaffen in der wahres Glück und wahre Freude herrschten, nicht Macht und ein Haufen bedrucktes Papier.
Aber es war nicht zu ändern, man hatte ihn zu spät hierher beordert. Jetzt musste man tun, was zu tun war - und retten, was zu retten war. Phase Drei!
Die Schrift auf dem Klebeband war verwischt, und dennoch konnte man die Worte “Stehenbleiben” erstaunlich gut lesen. Wayne beobachtete abwechselnd die Strecke vor ihm, dann die Karte, welche er auf seinem Schoß ausgebreitet hatte. Alles musste nach Plan laufen. Sein Zeigefinger war nur wenige Millimeter vom dritten Knopf entfernt. Seine Pupillen sprangen unterdessen auf und ab, auf und ab, als warte sein vom Friedenswahn infiziertes Gehirn auf ein Zeichen.
Vom Dröhnen des noch immer andauernden Alarms begleitet schoss Waynes “Ross” auf den nur noch wenige Kilometer entfernten Stadtkern zu, und oben auf dem “Sattel” ein gelassener Wayne, mit einem Ziel vor Augen so hell und klar wie ein geschliffener Diamant. Die Landschaft rauschte an beiden Seiten vorbei wie ein hyperaktiver Naturfilm, nichts war zu erkennen außer Bäume und Gestrüpp und Bäume und Gestrüpp - untermalt von einem schrillen Alarmton und wenigen Blechgeräuschen, die es geschafft hatten diesen Tinitus gigantus zu übertönen.
Waynes Augen weiteten sich und in der nächsten Sekunde war Phase Drei eingeläutet:
Das Drücken des dritten Knopfes löste eine Reihe von mechanischen und elektronischen Abläufen aus, an deren Ende das Abfeuern von zwanzig Sprengsätzen stand: Mit einer unglaublichen Wucht wurden im Innern des Panzergefährts zwanzig zwei Meter lange Stahlbolzen Richtung Erdboden gerammt, gleichzeitig ergriff Wayne das riesige Steuerrad seines Rosses und lenkte das Monstrum aus Chrom und Stahl auf die Hauptverkehrsstrasse, den strategischen Punkt, wobei die bereits herausgeschossenen Bolzen tiefe Gräben in den Asphalt rissen. Steine, Sand und Erde flogen umher, Staub wurde herumgewirbelt. Wenige Autofahrer schafften es, ihren Wagen rechtzeitig zum Anhalten zu bewegen und krachten mit voller Wucht an die Seite des rasenden Kolosses, die meisten überlebten diesen Aufprall nicht.
Manch andere, die das Glück hatten, wenig später ihr Haus verlassen zu haben um ihre Einkäufe zu erledigen blieben zwar vom Crash auf den Vordermann verschont, wurden aber von einigen weniger vorsichtigen Hintermännern mitgerissen oder einfach zerquetscht.
Wayne betätigte einen Schalter mit der Aufschrift “Silver Jack“, bevor er sich abschnallte und seinen Fahrersitz verließ. Es war eine Art Autopilot, der eine genau vorberechnete Route fuhr, den Panzer am programmierten Zielpunkt zum Halten bekam und sich mit weiteren Sprengbolzen und Widerhaken im Erdboden verankerte.
Das letzte Programm von Silver Jack lautete: Bunker verschließen und versiegeln, Panzer verschließen und versiegeln, Transparente ausfahren und die installierte Telefonleitung auf Funktionstüchtigkeit überprüfen.
Das letzte Programm von Silver Jack waren die eigentlich letzten Bemühungen von Wayne mit seiner Vision für den Weltfrieden zu kämpfen.
Das letzte Programm war die für ihn unausweichliche Folge aus Macht und Geldgier, gleichzeitig aber eine allerletzte Chance für alle Erdenbürger, die Entscheidungen der Menschheit zu überdenken. Eine Chance alles anders und besser zu machen.
Wayne kauerte in seinem Sicherheitsbunker aus zentimeterdickem Stahl, versorgt mit Früchten und Gemüse aus eigenem Anbau. Silver Jack, das letzte Programm, hatte dafür gesorgt, dass alles ordnungsgemäß verschlossen und versiegelt wurde, kein Eingreifen von Außen sollte mehr möglich sein. Der Fortschritt sollte gestoppt sein, Ruhe sollte einkehren, Ruhe zum Nachdenken. Das war Waynes Radikalplan.
Die Luken auf dem Dach des Panzers wurden geöffnet, und kinoleinwandgroße Transparente wurden ausgefahren. Darauf zu lesen: Waynes schriftliche Version seiner Anleitung für den Weltfrieden: “Stoppt den Konsum, verehrt nicht euer Geld sondern eure Mitmenschen…” Eine Liste von unzähligen und völlig unrealistischen Forderungen, Bekenntnissen und Ideen für eine vermeintlich bessere Zukunft.
Wayne, der Kämpfer, ausgestattet mit einem funktionstüchtigem Telefon und der lächerlichen letzten Zeile auf dem Transparent:
“Wenn ihr bereit seid, den Opfern dieses Plans ihre verdiente Ehre zu erweisen und mit mir zusammen den Weltfrieden aufzubauen - dann ruft mich an - wir werden es schaffen! Wayne”
Diejenigen Wenigen unter den Opfern jener Autobahnkatastrophe, welche ihr Augenlicht noch besaßen, oder zumindest ihr Leben retten konnten, waren alles andere als in der Lage, ehrfürchtig und eine Hand hebend Waynes Plakat zu lesen und zu sagen “Ja Wayne, wir schaffen das!”
Keine Mensch sah Wayne als den Helden an, der er sein wollte.
Kein Politiker sprang auf und rief “Wayne hat recht, lasst ihn uns anrufen!”
Und niemand hatte jemals Respekt vor einem Fanatiker.
Noch am selben Abend wurden Rettungsmaßnahmen eingeleitet, die Straßen geräumt, die Toten geborgen und getrauert.
Ein Spezialkommando der Polizei rückte an, öffnete die Panzertüren mit einem Schneidbrenner und nahm Wayne keine Stunde nach Phase Drei fest.
Das letzte Programm war gescheitert.
ENDE