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Das Lied der Finsternis
Aufgeregt drängte sich Meister Lumbus an Brandor vorbei und begann sofort, die Höhle zu inspizieren.
Schwer auf seinen Wanderstab gestützt, schlurfte er von diesem in den nächsten Winkel der Höhle.
Sein röchelnder Atem übertönte fast die Worte der Begeisterung, die er leise in seinen bauschigen Bart murmelte. Plötzlich blieb der alte Gelehrte wie vom Schlag getroffen stehen und starrte auf die dem Eingang gegenüber liegende Wand.
“Bring die Fackel näher, Junge”, winkte er hastig seinem Schüler.
Unsicher ging Brandor auf seinen Meister zu und sah sich dabei in dem dunklen Gewölbe um.
Es war unverkennbar dass hier vor langer Zeit jemand gelebt hatte, aber ob es wirklich der Prophet war?
“Halt das Licht höher Junge und sieh dir das hier an!“ aufgeregt deutete Lumbus auf die Wand.
Im flackernden Lichtschein sah Brandor die sorgfältig in den Fels geschlagenen Schriftzeichen, die seinen Lehrer so beeindruckten. Er erkannte die Zeichen sofort, oft genug hatte er in den Hallen der Weisheit zu Windstett die heiligen Schriften gelesen.
Vorsichtig glitten Meister Lumbus zitternde Finger über den Fels, so vorsichtig als hätte er Angst die steinernen Lettern durch eine unbedachte Bewegung zu verwischen.
“Ich hatte also Recht, all den Zweiflern zum Trotz. Soll ihnen ihr Spott im Halse stecken bleiben! Wir sind endlich am Ziel unserer Reise!“ die Stimme des Gelehrten bebte vor Anspannung.
“Das ist unglaublich!”, keuchte er “Sieh nur, mein Junge. Lies was hier steht!”
“Ich kenne die Zeichen, Meister. Es ist die Prophezeiung des Weisen Herabald.”
“Richtig mein Junge. Und die Finsternis sandte den Mächtigen, einen unüberwindbaren Streiter von unglaublicher Gestalt, aus. Seine Stimme konnte einem jeden das Herz in der Brust verfaulen lassen. Doch auch das Licht entsandte einen Streiter von atemberaubendem Antlitz, den Reinen, der die Finsternis mit seinem Licht vertreiben sollte. Im ewigen Kreis trafen beide aufeinander. Dort wo Feuer und Eis einander begegnen, tobt ihr Kampf von Anbeginn, solange bis ein Mensch ihn entscheidet. Der Prophet Herabald hat die Worte hier persönlich in den Stein gemeißelt. Diese Zeilen sind der Beweis für meine Theorie dass die Prophezeiung nicht nur ein Gleichnis für den Kampf von gut und böse in jedem Menschenherz ist, sondern dass es sich um einen Tatsachenbericht mit einer Ortsangabe handelt und Herabald hat den Ort letztendlich doch gefunden!”
“Wie könnt Ihr euch so sicher sein, Meister? Ihr wisst doch, man munkelt der Prophet soll kurz vor seinem Verschwinden den Verstand verloren haben ...”
“Mein Junge, hör mir mit diesem Bauerngeschwätz auf. Herabald hatte die Vision der Streiter in jungen Jahren und hat sein ganzes Leben nach diesem Ort gesucht. Vielleicht ist er dadurch im Alter etwas wunderlich geworden, aber sieh dich doch um. Diese Höhle, der ganze Berg war einmal ein Vulkan. Verstehst du? Ein steinerner, ein ewiger Kreis mitten im schneebedeckten Nordland. Der Ort an dem Feuer und Eis aufeinander treffen. Und was ist mit dem Brüllen, das die Berge hier zum beben bringt?
Nein mein Junge, Herabald ist sicher nicht verrückt geworden.
Er hat den Ort seiner Vision gefunden!”
Brandor fröstelte bei dem Gedanken an das furchteinflössende Gebrüll, das der Wind schon seit Tagen immer wieder zu ihnen trug. Mal war es näher, dann wieder weiter entfernt zu hören; das Echo der Berge macht es unmöglich zu bestimmen woher es kam.
Wie zur Bestätigung ertönte das Brüllen nun erneut, brachte die Höhlenwände zum erzittern, erklang so nah wie nie zuvor - und diesmal schien etwas mit dem Brüllen mitzuschwingen, etwas das Brandor in seinem Inneren unangenehm aber auch verlockend zu berühren schien.
Erschrocken wirbelte Brandor zum Eingang herum, streckte die Fackel wie eine Waffe vor sich.
So schnell wie es anschwoll, ebbte das Gebrüll auch wieder ab und verstummte dann völlig.
Nichts weiter geschah, kein Monster kroch in die Höhle, kein Streiter der Finsternis tauchte aus dem Nichts auf.
Besorgt sah er in das Gesicht seines Meisters, das eben noch vor Aufregung gerötet, nun alle Farbe verloren hatte. Seinen Schüler keines Blickes würdigend starrte der Alte mit weit aufgerissenen Augen und zitternden Lippen in eine entfernte Ecke der Höhle. Als Brandor den Blick seines Meisters folgte, entdeckte auch er den grinsenden Schädel, der die beiden aus dem Halbdunkel zu beobachten schien. Die tanzenden Schatten der Fackel ließen die leeren Augenhöhlen zu einem unheimlichen Leben erwachen.
Schnell schlug Brandor mit der linken Hand den Kreis des Lebens vor seiner Brust, um sich vor dem Unheil zu schützen, das ein Toter, der nicht den reinigenden Flammen des Lichts übergeben wurde, einem Lebenden anhexen konnte.
Noch ehe er die Bewegung zu Ende führen konnte, hatte Meister Lumbus ihm die Fackel aus der anderen Hand genommen und schlurfte auf den Schädel zu. Bevor Brandor ihn aufhalten konnte war dieser bereits bei der Nische. Das Licht der Fackel erleuchtete nun den Winkel der Höhle, befreite den Schädel und die restlichen Knochen des Skeletts von der verhüllenden Dunkelheit.
“Nun sieh dir das an, mein Junge. Anscheinend sind die Gebeine des Propheten Herabald noch immer hier. Unglaublich!
Sieh doch worauf er liegt. Das muss der sagenumwobene ‚Befreier’ sein, das Schwert das Herabald aus den Resten der Urmaterie hat schmieden lassen. Was für ein Fund!” Das faltige Gesicht des Gelehrten hatte mittlerweile vor Erregung wieder die rötliche Tönung angenommen.
Unbehaglich betrachtete Brandor den Knochenmann am Boden.
Die verdrehten Gebeine waren mit Fetzen bedeckt, die einst wohl zu seiner Kleidung gehört hatten. Um die zerbrochenen Rippen lag der Lederriemen, der das riesige Schwert auf seinem Rücken und den Lederbeutel an seiner Seite selbst noch im Tod an ihn banden.
So nah bei einem Toten schien etwas seltsam fremdes nach seinem Herz zu greifen, doch bevor er es genauer erfassen konnte ertönte erneut das gewaltige, markerschütternde Brüllen. Es schien direkt aus der Nische auf seine Ohren einzuschlagen. Erschrocken wich Brandor einen Schritt zurück. Selbst Lumbus zuckte für einen Augenblick zusammen. Kaum war der Lärm verhallt, trat er selbstsicher wie eh und je zu den Knochen in die Nische und sah sich um.
“Brandor, komm her. Das musst du mit eigenen Augen sehen!”
Vorsichtig lugte sein Schüler in die Nische.
“Dort ist ein Ausgang. Wenn wir noch einen Beweis für meine Theorie brauchen werden wir ihn dort oben finden. Wenn ich recht habe, dann ist dort oben der Ort, an dem beiden Streiter seit Anbeginn der Zeit aneinander gebunden sind!” Er deutete zu einer kleinen Öffnung am Ende der Nische, die sich wie ein Kamin steil nach oben erstreckte.
“Jetzt mein guter Brandor kannst du beweisen ob ich eine gute Wahl traf, dich mitzunehmen. Meine alten Beine werden mir diesen Aufstieg wohl leider verwehren, du hingegen bist jung und kräftig. Nun wirst du meine Augen sein müssen und sehen ob ich der Narr bin, für den mich alle halten.”
Der erbleichte Brandor nickte erst zaghaft, dann noch einmal bestimmter. Hatte er nicht dem Meister, der stets mehr Vater als Lehrmeister für ihn war, geschworen alles zu tun wenn er ihn nur auf diese Expedition mitnahm? Dies war der Moment sich dem Vertrauen seines Lehrers würdig zu erweisen. Mit einem seltsamen Kribbeln im Bauch sah er auf die zerschmetterten Knochen hinab. Der Weise musste bei dem Versuch den engen Kamin emporzusteigen abgestürzt sein. Lumbus schien seine Gedanken zu erraten. “Hab keine Furcht. Nach den Überlieferungen muss Herabald etwa in meinem Alter gewesen sein als er dort hinauf wollte, zudem hatte er noch dieses Monstrum von einem Schwert auf dem Rücken. Du hingegen hast die Kraft der Jugend und trägst nur die Neugierde des Forschers mit dir“, beruhigte er seinen Schüler.
Brandor verbannte seine Furcht in den hintersten Winkel seines Herzens, nickte noch einmal entschlossen seinem Meister zu und machte sich an den Aufstieg.
Vorsichtig kletterte er den engen Schacht empor, jede Spalte und jeden Felsvorsprung nutzend die seine schwitzigen Hände mühsam in der Dunkelheit ertasteten.
Brandors Herz fühlte sich wie von einer eisigen Hand berührt als er daran dachte welche Mühen der alte Prophet auf sich genommen hatte, um dann so nah an seinem Ziel doch noch abzustürzen.
Kurz vor dem Ausgang sprang ihn plötzlich das beängstigende Brüllen erneut an.
Mit äußerster Willenskraft widerstand Brandor dem Versuch die Hände auf seine schmerzenden Ohren zu pressen, um nicht das Schicksal Herabalds zu teilen.
Endlich, eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, verschwand der stechende Schmerz in seinem Gehörgang wieder, jedoch nicht ohne einen hohen Pfeifton zurückzulassen.
Mit klingelnden Ohren erreichte er die Öffnung und spähte über den Rand. Ein ekelerregender Schwefelgestank begrüßte ihn und geblendet von der Sonne schloss er für einen Moment die Augen.
Was er sah als er sie wieder öffnete, ließ sein Herz für eine Sekunde aussetzen.
Dort inmitten des Kraters schwebte ein Drache.
Allen Berichten zum Hohn, die vom Aussterben dieser Rasse kündeten war er da. Sein titanischer Leib wirkte an den ledernen Schwingen wie in der Luft aufgehangen. Kleine Rauchsäulen stiegen aus den Nüstern über dem aufgerissenen Maul, in dem eine Armee scharfer Zähne blitzten. Seine schlangenhaft geschlitzten Augen waren fest auf einen kleinen Felsvorsprung geheftet, auf dem ein lebendiger Traum stand.
Die goldenen Haare der Frau wehten im Wind. Ihr nackter Körper war makellos geformt, die Haut schien so zart, das die kleinste Berührung sie verletzen könnte. Die dunklen Augen auf das schuppige Ungetüm gerichtet stand sie aufrecht da, kein Zeichen der Furcht war in dem zarten Gesicht zu erkennen. Langsam öffneten sich die vollen Lippen, wollten Worte formen, doch ein erneutes Brüllen des Drachen verschluckte jeden Ton.
Brandor glaubte, seine Brust würde vor Gram über das Unrecht, das er sah, zerspringen. Schmerzerfüllt zog er den Kopf soweit es ging zwischen seine Schultern zurück, versuchte die gepeinigten Ohren vor der neuen Welle des Lärms zu schützen. Vergebens. Das Letzte was er sah, ehe er so schnell der Schacht es erlaubte wieder hinunter kletterte war, wie das blendend helle Drachenfeuer nach der Schönen leckte, die sich schutzsuchend in den kleinen Felsspalt hinter ihr zurückzog.
Bunte Kreise führten vor seinen Augen einen wilden Tanz auf.
Halb taub vom letzten Brüllen des Reptils und fast geblendet durch dessen Feuer erreichte er den Boden des Schachts, die letzten Meter mehr fallend als kletternd. Tränen des Schmerzes und der Verzweiflung standen in seinen Augen. Es kümmerte ihn nicht dass er mitten in den Gebeinen des Propheten auf die Knie fiel, spürte kaum wie sein Kopf hart gegen die Schachtwand schlug.
Dunkle Schleier wirbelten vor seinen Augen umher, griffen nach seinem Geist als er benommen aus der Nische taumelte und rissen ihn schließlich in den Abgrund der Bewusstlosigkeit.
Dann kamen die Bilder.
Der gigantische Drache. Das blendende Feuer. Die nackte Schöne, aus deren Mund die tonlosen Worte flossen, verschlungen vom schrecklichen Gebrüll des Ungetüms. Eine schwarze Hand griff nach seinem Herz, flutete seine Brust mit Eiseskälte.
Sein Kopf drohte zu zerspringen als er schweißnass von seinem Lager hochschreckte.
Kein wütendes Drachengebrüll erfüllte das halbdunkel der Höhle.
Benommen blickte er sich um und entdeckte seinen Lehrmeister einen Schritt entfernt mit dem Rücken an der Wand hockend, sein schnarchendes Haupt auf seine Brust gesunken.
Zu seinen Füßen lag das Schwert ‚Befreier’.
Brandor richtete sich vollends auf. Erst jetzt bemerkte er die Decke, die sein Meister über ihn ausgebreitet hatte.
Vorsichtig betastete er seinen schmerzenden Kopf.
Wie lange hatte er hier schon gelegen?
Beschämt sah er zum schlafenden Lumbus hinüber. Sein alter Lehrer hatte offenbar solange über ihn gewacht bis ihn selbst der Schlaf übermannte.
Brandor stand auf, um ihn zu wecken, wollte ihm berichten dass er den Beweis für seine These gesehen hatte als ein erneutes Brüllen die Höhle zum Erzittern brachte.
Während der Schlafende dies nur mit einem müden Brummeln quittierte, glaubte Brandor wieder die schwarze Hand an seinem Herzen zu spüren.
Wenn das Ungeheuer seine Stimme erhob, war die Schöne bestimmt wieder auf ihrem aussichtslosen Posten, ihre Makellosigkeit erneut vom Drachenodem bedroht. In seinem Geist sah er die Schöne, verzerrt vom Drachenfeuer. Ihr Körper wand sich unter der Qual.
Das konnte er nicht zulassen, er musste ihr helfen, und war der Preis dafür auch sein Leben. Dieser ungleiche Kampf musste enden. Sofort!
Vor ihm am Boden schimmerte ‚Befreier’ leicht im ersterbenden Licht der Fackel.
Eine verwegene Idee jagte durch Brandors Gedanken.
Langsam hob er den Beidhänder hoch, bestaunte die ausgezeichnete Balance der Waffe, wunderte sich ein wenig über das geringe Gewicht des riesigen Schwerts.
Was sollte er tun?
Den Meister wecken, ihn von seiner Idee erzählen?
Nein, wenn selbst ein Drache ihm nur ein verschlafenes Murmeln entlockte ...
Schlafe ruhig, Weiser Mann, wenn du erwachst wird die Schlacht entschieden sein, die Welt zum ewigen Traum werden.
Entschlossen packte er ‚Befreier’ fester und huschte zum Schacht.
Noch einmal besah er sich die Knochen.
Mit leichtem Zögern nahm er das Schwertgehänge aus den Gebeinen an sich und schnallte es sich um.
Zum zweiten Male machte er sich an den Aufstieg.
Obwohl er nun das große Schwert auf dem Rücken trug und der Schacht in völliger Dunkelheit lag, war er sicherer, wagemutiger.
Kein Fehltritt, kein Griff ins Leere, der Weg schien sich ihm unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt zu haben.
Das Bild der Schönen verlieh ihm Kraft, verschloss sein Herz gegen jeden Zweifel und Furcht, ließ ihn seinen schmerzenden Körper ertragen.
Am Kraterrand angelangt hatte Brandor fast das Gefühl nur noch ein unbeteiligter Beobachter in seinem eigenen Körper zu sein.
Der Drache kauerte am Boden vor einer Felsspalte, zeigte Brandor die Rückenschuppen, frostig im fahlen Mondschein glitzern.
Die Schöne war nirgendwo zu sehen.
Fast ehrfürchtig glitt Brandor entschlossen lautlos in den Krater.
Die Entscheidung musste fallen, hier und jetzt!
Jeden Fels, jeden Schatten als Deckung nutzend schlich er sich näher an das Untier sorgsam darauf bedacht keinen losen Stein zu berühren, kein knirschendes Geröll zu betreten.
Der letzte Felsen. Danach gab es kein Versteck mehr zwischen ihm und den wachsamen Drachenaugen.
Langsam, um jeden schleifenden Ton zu vermeiden, zog er ‚Befreier’ aus seinem ledernen Gefängnis.
Die nackte Schöne tauchte aus der dunklen Felsspalte auf.
Ihr Körper war makelloser denn je, ihr Erscheinen ließ die silbrigen Strahlen des Mondes beinahe verblassen. Es schien als ob die dunklen Augen das Licht der Sterne tranken, als ob ihr Leuchten von der rätselhaften Schwärze verschlungen würde.
Ein zorniges Knurren rollte aus der Drachenkehle, die geschlitzten Augen glühten. Der monströse Kopf begann sich zu heben, das Maul entblößte die dolchartigen Zähne.
Die Lippen der Schönen bewegten sich, wollten Worte formen.
Das Knurren des Reptils schwoll zu einem Grollen an.
Brandor spürte wieder wie die dunkle Hand nach seinem Herzen griff.
Mit einem nie gekannten Mut stürmte er auf den abgelenkten Drachen zu, das Schwert wie eine Lanze haltend und rammte die Klinge durch das glühende Drachenauge tief in sein Gehirn hinein.
Das ruckartige Aufbäumen des Giganten schleuderte Brandor quer durch den Krater, hart schlug er auf die Felsen auf. Wieder schwebten die schwarzen Schleier vor seinen Augen, die Ohren dröhnten vom Schmerzgebrüll der Bestie. Erneut versuchten die Schleier ihn in die Dunkelheit zu reißen, doch diesmal kämpfte er sie zurück.
Zögerlich klärte sich sein Blick und dann sah er das Biest.
Wild zuckend wälzte es sich im Todeskampf am Boden, versuchte einen letzten Feuerstoß aus seinem Rachen zu schleudern; zu spät. Wie ein nasser Sack schlug der Drachenschädel leblos auf einen Felsen, ‚Befreier’ zerbrach unter der Härte des Steins und der Wildheit der sterbenden Kreatur wie ein dünner Ast. Der ewige Kampf war entschieden, der letzte Drache der Welt tot, das Schwert ‚Befreier’ zerbrochen.
Brandors Schädel wollte zerbersten, das Dröhnen in den Ohren nicht verschwinden. Wo war die Schöne?
Aus den Augenwinkel sah er sie im Schachteingang verschwinden.
Sie war frei.
So hastig seine weichen Knie es ihm erlaubten hetzte er hinter ihr her, rief nach ihr, doch nicht einmal er selbst verstand die Worte durch das Dröhnen.
Mit Mühe kletterte er schwindend den Schacht hinunter, alle verbliebene Kraft brauchend um nicht abzustürzen. Warum hatte die schöne Streiterin des Lichts nicht auf ihn gewartet?
Erschöpft gelangte er endlich auf den Boden des Kamins, torkelnd verließ er die Nische. Dort stand sie, nackt und makellos. Ihre Lippen bewegten sich, doch kein Ton drang durch das Grollen in seinem Kopf.
Ihre rätselhaften Augen waren auf Meister Lumbus gerichtet. Der alte Mann lag mit ausdruckslosem Gesicht am Boden, die Hand auf seine Brust gedrückt. Ein kaltes Gefühl breitete sich in Brandor aus.
Hastig schritt er auf seinen Lehrmeister zu und fiel weinend neben ihm auf die Knie.
“Nein, Meister! Eure These war richtig. Wir können alles beweisen. Ihr dürft nicht gehen, nicht jetzt!” Nur dumpf hörte er seine eigenen Worte.
Doch Lumbus Augen blickten starr in die Unendlichkeit.
Verzweifelt sah Brandor zu der Schönen.
Ihr Blick schien ihn zu durchdringen, ihr rhythmisches Flüstern durchdrang nun langsam den Lärm in seinen Ohren.
Endlich verstand er, sie sprach nicht, sie sang.
Ihr Lied tröpfelte Ton für Ton zäh in sein Bewusstsein, wuchs zum rauschenden Fluss und schließlich zu einer tosenden Brandung, die fast alle Gedanken und Gefühle mit sich fort riss.
Für einen Bruchteil der Ewigkeit gab es für ihn keine Fragen mehr, alles wurde erschreckend klar.
Er spürte die Verzweiflung des erschlagenen Lichtstreiters, verstand dass sein Brüllen diese wundervolle, tödliche Melodie zu übertönen versuchte.
Fast hasste er den Drachen dafür, doch dann verschwanden auch diese letzten Gedanken. Nur noch der Gesang der Schönen und sein Herzschlag erfüllten ihn. Dann war er glücklich als das störende Pochen seines Herzens endlich verstummte und er für einen kurzen Moment eins mit dem Lied der Finsternis sein durfte.