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Das Lied des Mihalis

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13.03.2013
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Das Lied des Mihalis

Der Ort, der Held und die Sache

Auf der Insel Korfu, wo das Dorf Paleo Perithia an den Hängen des Pantokrators liegt, gibt es einen Pfad, der eine gute Wegstunde lang ist, der an Kalkfelsen vorbei und zwischen Dornenstauden hindurch zu einem schmalen Tal führt, in dem eine Wiese liegt und ein alter Feigenbaum steht. Geht man zu dem Baum, erkennt man in seinem Schatten ein Geviert zerfallener Mauern. Diese Mauern waren einmal ein Pferch. Nachts wurden dort Ziegen eingefriedet. Sie gehörten einem Hirten. Er hiess Mihalis und wohnte nahebei in einer Hütte.

Seine Hütte war klein und einfach eingerichtet. Es gab darin eine Feuerstelle mit Koch- und Käsekessel, an der Wand ein Gestell für Kleider, Geschirr und Werkzeug, weiter einen Tisch mit Hocker und eine mit Laub gepolsterte Bettstatt. Mehr hätte auch kaum Platz gehabt. Das Gebiet der Hütte war jedoch alles andere als bescheiden. Seine Weideplätze waren zahlreich und weit verstreut. Pfade führten nach allen Seiten hin, schlängelten sich durch das Dornengestrüpp, formten in dem Dickicht aus Akazien, Oleander und Tamarisken ein Labyrinth, dessen Wege sich viele Male kreuzten und verzweigten. Wer sich darin nicht auskannte, konnte sich leicht verirren und lange nach dem Weg heraus suchen. Tatsächlich war das Gebiet so weitläufig und schwer zu überblicken, dass Mihalis mehr noch als andere Hirten auf seine Flöte angewiesen war.

Wollte Mihalis melken, hatte er die Wahl: Er nahm den Stecken, suchte in dem Labyrinth der Pfade nach den Ziegen und trieb sie entgegen ihrem Eigensinn in den Pferch, oder er streute in der Koppel Heu aus, setzte sich auf die Mauer und nahm die Flöte zur Hand. Spielte er ein Lied, konnte er die Ziegen locken. Mühelos konnte er so gar die eigenwilligste Ziege herbeirufen. Natürlich benutzten darum auch andere Hirten ihre Flöte und selbstverständlich fielen ihre Lieder in jeder Gegend ein wenig verschieden aus und unterschieden sich genauso von Hirt' zu Hirt'. Schriftlich erfasst beeinflussten diese Lieder selbst Komponisten wie Wagner und Rossini. Doch unter den Hirten gab es auch den einen oder anderen Wagner oder Rossini. Sie eiferten untereinander um das schönste Lied, um die innigste Klangfolge, um die Tonreihe, die sich am verlockendsten ins Ohr schmeichelte. Das war ihre Sache.

Drei Geister und drei Gaben

Mihalis hatte mehr als nur eine Flöte und ein feines Ohr für deren Spiel. Er hatte auch einen leichten Schlaf. Eines Nachts weckte ihn ein Gieren. Zuerst dachte er, der Wind wehe über den Pferch hinweg und bewege dessen Gatter. Schlaftrunken richtete er sich auf. Er setzte sich an den Bettrand und griff nach Hose und Hemd. Er wollte sich ankleiden, wollte nach draussen gehen, wollte nach den Ziegen schauen und die Koppel wieder fest verschliessen. Doch dann bemerkte er, dass es draussen windstill war, und zu seinem Erstaunen hörte er die Stimme eines Mannes. Wer kann das sein, fragte er sich. Meine Hütte liegt weitab in der Wildnis. Hier ein Besuch und das auch noch mitten in der Nacht? Er streifte sich die Hosen über. Doch halt, dachte er, indessen er sich das Hemd in die Hosen stopfte, vielleicht war dieser Besucher mehr als nur ein Störenfried. Vielleicht war er ein Dieb oder irgendein anderer schlechter Mensch. Wer sonst käme denn hierher, wenn es dunkel war? An der Wand lehnte der Stecken. Er griff danach und wandte sich der Türe zu.
Doch als er die Türe öffnete und nach draussen treten wollte, schreckte er gleich wieder zurück. Bei dem Feigenbaum stand ein derart riesiger Mann, dass er sogleich verzagte, und in dem Pferch konnte er zwei weitere Gestalten sehen. Die eine Gestalt war ein Mann mit Hörnern und die andere war ein Jüngling mit goldenem Haar. Mihalis rieb sich die Augen. Nein, er hatte richtig gesehen. Dem einen Mann wuchsen die Hörner eines Widders und das Haar des anderen schimmerte golden wie eine Zwanziger-Drachme. Mihalis verbarg sich hinter der Tür. Der Vorsicht halber wollte er zuerst abwarten und beobachten. Leise und langsam zog er die Türe wieder so weit zu, dass sie noch einen Spalt breit offenstand, durch den er nach draussen spähen konnte.
Zuerst führte der Gehörnte eine Ziege aus dem Pferch, danach der goldgelockte Jüngling und zuletzt ging auch noch der Riese und griff sich ein Tier. Als wäre nichts dabei, führten sie die Ziegen an der Hütte vorbei und kehrten Mihalis den Rücken zu. Sie gingen ein Stück weit über die Weide und führten die geraubten Tiere auf einen Pfad, den auch Mihalis kaum je benutzte. Noch immer zögerte er. Doch als die drei Fremden im schwachen Licht des Mondes nur noch vage zu erkennen waren, fasste er Mut und trat aus der Hütte heraus. Leise schlich er ihnen nach.

Am Himmel leuchteten die Sterne. Zwischen ziehenden Wolken stand als Sichel der Mond. Schwach leuchtete er auf die Erde hinunter. Dort lag der Pantokrator und an seiner Seite das Tal mit der Wiese und dem Feigenbaum. Die Ziegenpfade wanden sich durch das Dickicht. Es war tiefe Nacht und zu beiden Seiten der Pfade stand Ginster und anderes Gestrüpp. Ging man auf den Pfaden, ragte das Gebüsch hoch über den Kopf hinaus. Die Sträucher hielten das Licht des Mondes ab und man konnte nur wenig sehen. Mihalis folgte den Fremden. Der Pfad führte den Hang hoch, bog nach rechts, kehrte, bog nach links, führte an dem Hang wieder nach unten, dann zweimal links, einmal rechts und wieder hinauf. Er prägte sich alles ein: Einmal rechts, zweimal links, dann hundert Schritte geradeaus, wieder links und noch zweimal nach rechts. Immer tiefer folgte er den drei Gestalten in das Labyrinth hinein. Doch bald waren sie so viele Kurven und Kehren gegangen, dass er aufhörte, sich alles einzuprägen. Weil zwischendurch auch Wolken den Mond verdeckten, war es überhaupt schwierig, sich zu orientieren. Schliesslich konnte er nicht einmal mehr sagen, ob sie nach Süden oder Norden, nach Westen oder Osten gingen. Doch dann wurde der Pfad wieder breiter und führte auf eine Wiese. Die drei Gestalten liefen nun langsamer. Leise folgte er. Vor ihm hob sich ein breiter und hoher Umriss gegen den Nachthimmel ab.
Plötzlich erkannte er, wessen Umriss er sah. Vor ihm stand der alte Feigenbaum. Er ging näher an den Baum heran und staunte. Auf den Blättern glänzte das Licht des Mondes, und zwar so stark wie er es noch nie gesehen hatte, und an seinen Ästen hingen so viele und so grosse Feigen wie sonst nie. Auf der Wiese stand das zuvor abgeweidete Gras wieder frisch und hoch wie im Frühling und von allen Seiten her konnte er unzählige Grillen zirpen hören. Im Pferch waren der Riese und der Jüngling dabei, zwei der Ziegen zu melken. Mihalis näherte sich auf Zehenspitzen und verbarg sich hinter dem Feigenbaum. In der Koppel sah er auch die dritte Ziege. Doch von den anderen Tieren war keines mehr zu sehen. Von seinem Versteck aus konnte Mihalis auch die Hütte erkennen. Die Tür stand offen und aus dem Innern drang der Schein des Herdfeuers. Mihalis konnte vor dem Feuer den Gehörnten erkennen. Er goss Milch in den Kupferkessel, hängte ihn an den Holmen über dem Herd und richtet ihn so aus, dass der Kessel über den Flammen hing. Kurze Zeit später trugen auch der Riese und der Jüngling ihre Milch in die Hütte. Sie leerten sie zu der anderen Milch. Der Riese nahm die lange Kelle von dem Gestell und begann zu rühren. Der Jüngling legte von Zeit zu Zeit ein Holzscheit nach. Als die Milch über dem Feuer zu dampfen begann, zog der Gehörnte ein Fläschchen aus einem Tragebeutel und leerte Lab in die Milch. Nachdem er das Gefäss wieder in dem Beutel verstaut hatte, trat er vor die Hütte heraus.

Der Gehörnte kam bis an den Pferch, lehnte sich an die Mauer und holte aus seinem Beutel eine Flöte hervor. Und als er das Instrument an den Mund setzte und hineinblies, hörte Mihalis ein Lied, wie er es in seinem ganzen Leben noch nie gehört hatte. Es war, als würde gejubelt und über die ganze Flur hin frohlockt und dann wieder ertönte tiefe Sehnsucht und grosse Schwermut. Danach begann der Flötenspieler die bestimmende Klangfolge des Liedes in abgewandelter Form zu wiederholen. Mihalis wurde das Herz warm. Im nahen Dickicht begann es zu rascheln. Zwei Eulen flogen heran und setzten sich auf einen Ast des Feigenbaumes. Darauf kamen die vermissten Ziegen über die Wiese heran. Von den zauberhaften Tönen angezogen drängten sie sich an dem Rand der Koppel und reckten ihre Köpfe. Mihalis bemerkte, wie das Gezirpe der Grillen in das Flötenspiel einstimmte. Es war, als würden sich zu allen Seiten hin Tiere und Pflanzen regen. Kurz hielt der Gehörnte inne, dann setzte er die Flöte erneut an und ließ sie in die Nacht hinausklingen, nur diesmal langsamer und gezogener als vorher. Da lebten rundherum Berg und Tal auf. Das Echo gab die Klänge von den Felsen herab wieder und zwar zeitlich so versetzt, dass alle Töne zu einem reizvollen und vielstimmigen Lied verschmolzen. Es war, als wäre der Himmel davon erfüllt. Noch nie hatte Mihalis ein Lied so berührt.

Unterdessen hatte der Riese am Herd die Kelle beiseite gelegt. Er schöpfte aus dem Kessel heisse Molke in drei Bottiche. Aber wie seltsam: In dem einen Gefäss erschien die Molke blutrot, in dem zweiten buttergelb und in dem dritten schneeweiß.
Plötzlich erschrak Mihalis, denn der Riese schaute genau zu ihm hin, und das Herz klopfte Mihalis bis in den Hals, als jener ihm zurief: "Komm her, kleiner Mann, du sollst dir eine Gabe wählen."

Mihalis wäre lieber weggerannt. Aber wozu wegrennen, wenn der Riese einen Schritt machen konnte, wo Mihalis zwei machen musste. Er trat zögerlich und bangend hinter dem Stamm hervor und näherte sich langsam der Hütte. Als er stehen blieb, nahm jeder der drei Fremden einen Bottich und stellte ihn vor Mihalis hin. Danach sagte wiederum der Riese: "Schau, aus einem musst du trinken. Du darfst wählen. Aber überlege es dir gut. Die rote Molke ist meine Gabe. Trinkst du sie, wirst du stark und riesig. Du wirst kräftiger sein als jeder andere Mann. Keiner wird es mit dir aufnehmen können. Jedem wirst du widerstehen können. Greif zu der roten Gebse, wenn du alles das willst." Danach trat der gelockte Jüngling vor und sagte: "Trink lieber meine Gabe. Es ist die gelbe Molke. Trinkst du sie, schenke ich dir tausend Goldstücke. Hörst du, wie es klingelt?" Er schüttete Goldmünzen auf den Boden. Mihalis hörte sie klimpern und sah sie im Schein des Mondes glänzen. "Heute sind es tausend und morgen zweitausend," sagte der Jüngling. "Jeden Tag werden es mehr sein. Du wirst reich sein wie sonst niemand. Wenn du der reichste Mann der Welt werden willst, dann wähle meine Gabe." Danach trat der Mann mit den Hörnern vor und sagte mit melodischer Stimme: "Trink die weiße Molke. Sie ist von allen die beste. Trink sie, dann wirst du schon morgen singen und Flöte spielen können, so schön, wie du's eben von mir gehört hast. Trink die weisse Molke. Es ist eine gute Gabe."

Die Wahl

Mihalis schaute auf die drei Gefässe. Danach betrachtete er die drei Männer, den Riesen, der stärker und grösser als Herkules war, den Jüngling, der reicher als Krösus war, und zuletzt den Gehörnten, der die Flöte so schön spielen konnte, dass einem das Herz aufging. Mihalis trat vor und griff nach dem Gefäss, das die weisse Molke enthielt. Er setze es an die Lippen und trank.

Erfreut trat der Mann mit den Hörnern vor ihn hin und sagte: "Du hast gut gewählt. Hättest du eine der anderen Gaben gewählt, wärest du bald tot und ich hätte wieder viele Jahre warten müssen, bis jemand gekommen wäre, dem ich hätte vorspielen können. Hier, nimm meine Flöte. Sie gehört dir."
Plötzlich waren die Hütte und die drei Gestalten verschwunden. Mihalis erwachte auf seinem Bett und dachte zuerst, dass er geträumt habe. Doch als er aufstand, sah er auf dem Tisch die Flöte des Gehörnten. Er nahm sie und begann das Lied zu spielen, das er gehört hatte und als er zwei Wochen später eine Ziege ins Dorf brachte, spielte er es auch. Die Dorfbewohner hörten es und kamen an die Fenster, in die Türen und Hofeingänge, um zu lauschen. Passanten blieben stehen und eine Frau, die Wasser an einem Brunnen holte, vergass über den Tönen ihre Arbeit. Der Kessel unter dem Brunnenrohr lief über. Aber die Frau hörte selbstvergessen und wie gebannt auf das Lied des Mihalis. Gleich bei dem Brunnen stand auch das einzige Gasthaus des Dorfes. Ein Gast trat auf den Balkon des Hauses und wandte ergriffen das Ohr dem Flötenspiel zu. Als Mihalis seine Melodie in einer leichten Variation wiederholte, ging er kurz zurück ins Haus, trat aber gleich wieder mit einem Stift und einem Blatt Papier auf den Balkon heraus. Er notierte sich, was Mihalis spielte.

 
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Hallo @Chai ,

freut mich ja sehr, wenn dich das interessiert. :)

Wenn ich das richtig verstanden habe, war Pan ja auch Teil des Dionysos-Kults, und auch wenn Wollust und Extase in erster Linie positiv bewertet und nicht so verteufelt werden wie im Christentum, lese ich auch da eine Kehrseite heraus, das durch die Dämonen und Satyre repräsentiert wird, die dunkle Seite des Rausches, die in den Wahnsinn führen kann. Die hat mir in der Geschichte gefehlt.
Nicht ganz: Pan wird mit Hermes assoziiert, die Verbindung mit Bacchus und damit der Idee des Wahnsinns und des Rausches ist vergleichsweise neu (20. Jhd. wohl u.a. durch R. Ranke Graves). Diese Feld/Wald/Frucht-Götter haben eigentlich keine dunkle Seite bzw. Kehrseite, da sie ganz grob gesehen für das Leben selbst stehen. Und bestimmte Aspekte des Lebens - wie die Sexualität / Lust - wurden, wie du sagst, in Europa erst seit dem Einfall des Christentums negativ konnotiert.

Es gibt da ikonografisch ohnehin sehr viele Schichten freizulegen, denn - ich beziehe mich jetzt auf Nord-/West-und Osteuropa - die Völker mit diesen Konzepten hatten entweder keine schriftlichen Aufzeichnungen oder ihre Schrift wurde durch die Missionare ausgelöscht (z.B. die der Altprußen in Litauen durch den Deutschen Ritterorden, vgl. Diego de Landas Zerstörung des Maya-Alphabets). Ihre Weltbilder und Götter wurden von Missionaren nach dem einzigen heidnischen Konzept interpretiert, das sie kannten: das der römischen und griechischen Antike. Sämtliche europäische vorchristlichen Weltkonzepte und Gottheiten sind entweder christliche Fiktion oder v.a. seit dem 18. Jhd. stark fantasiegestützte Rekonstruktion. Dazu kamen später Neuinterpretationen der Romantik, der ersten Ethnografen, der Politik und der Psychoanalyse ... Die einzigen verlässlichen Quellen bieten daher Archäologie und (originales) Kunsthandwerk. Die Christen waren gründlich: Wir können nicht mehr sagen, wie alte Gottheiten in unseren Regionen wirklich hießen, wofür sie standen und wie entsprechende Rituale aussahen.

Cernunnos, Leshy, der Green Man, Pan und ggfs. Veles gelten eher als Hüter von Nutz- und Wildtieren, von menschgenutzter (Feld) wie auch wilder Natur (Wald, Wiese). Vielleicht werden sie gern mit Bacchus verwechselt, weil auch der oft mit weinumkränztem Kopf und dargestellt wird - wie eben viele der Genannten, die zusätzlich oft noch mit Geweih oder Hörnern ausgestattet sind. Die Verbindung zum Ziegenbock wie auch zum Hirsch läuft über das Licht (Sonne, Blitze) wie auch männliche Sexualität, Macht, und daher eben Leben. Leshy z.B. ist ein Hüter des Waldes, heilige Haine waren in Europa oft No-Go Zones, in denen kein Krieg / Angriff geführt werden durfte - also eine Befriedungstaktik zwischen benachbarten Volksgruppen.
Die Verbindung dieser 'Lebensgötter' zur negativen Unterwelt - wie bei Hermes, aber auch als Rekonstruktion bei Veles - ist auf nicht-antike Kulturen bezogen sehr heikel und nicht gesichert.

Dass hier der wilde, dunkle Aspekt des Bacchus fehlt, passt also. Das Element der Musik passt auch, denn reimender (ggfs. ritueller) Gesang wurde oft als weltenschöpfend gesehen - im Sinne von: Dinge faktisch in die Realität / Welt singen. Was nicht passt, ist die eigenartige Willkür bei der Aufgabenstellung / Wahl und das im Grunde grausame Spiel mit dem Menschen, die auch noch als eine Art 'Moral' verkauft wird. Das eben ist sehr christlich, nicht heidnisch - weder antik noch rest-europäisch heidnisch, sozusagen.

Das mag alles auch nicht Intention gewesen sein, aber ein Text bekommt ja in dem Moment der Veröffentlichung eine Eigenständigkeit durch die Interpretation der Leser, gerät außer Kontrolle des Erstellers, daher halte ich das alles hier für gut diskutierbar.

Herzlichst,
Katla

 

Pan wird mit Hermes assoziiert, die Verbindung mit Bacchus und damit der Idee des Wahnsinns und des Rausches ist vergleichsweise neu (20. Jhd. wohl u.a. durch R. Ranke Graves). Diese Feld/Wald/Frucht-Götter haben eigentlich keine dunkle Seite bzw. Kehrseite, da sie ganz grob gesehen für das Leben selbst stehen.
Dank dir nochmals, liebe @Katla, so weit reicht mein frisch erworbenes Halbwissen natürlich nicht zurück. :D
Aber wie du schon sagst, die Aufgabenstellung ist in der Geschichte willkürlich, also müsste da mMn irgendwo eine Gefahr für Mihalis lauern, die von dem Gehörnten ausgeht, ansonsten ergibt das Ganze für mich wenig Sinn.

 

Hallo @Chai

Der innere Konflikt? Mihalis werden drei Ziegen gestohlen. Wozu einen inneren Konflikt basteln, wenn der äussere so klar und offen, so augenfällig ist. Soll ich in den äusseren Konflikt noch einen zweiten, inneren hineinstopfen? Was käme heraus? - Eine Babuschka, oder schlimmer eine Geschichte mit Kropf, ein armes geblähtes Ding, oder?

Fragt sich höchstens, ob es sinnvoll oder notwendig wäre, den äusseren Konflikt im Verlauf des Mittelteils ein- oder zweimal "aufzuwärmen". Das könnt sein.

weil die Geschichte wie ein Märchen angelegt ist, warte ich darauf, dass Mihalis für den Preis des Flötenspiels etwas anderes verliert

Du willst die Geschichte in eine Schablone drücken.

Eine Fee besucht ein Ehepaar, gewährt drei Wünsche und mahnt zur Besonnenheit. Die beiden sind aufgeregt. Zum Abendessen wünscht die Frau versehentlich eine Bratwurst. Der Mann erzürnt und wünscht der Frau die Wurst an die Nase gewachsen. Da bleibt als dritter Wunsch nur, sie wieder abzunehmen. (Drei Wünsche, Johann Peter Hebel)

Witzig ja, aber was hat die Fee dem Paar abverlangt, ab- oder weggenommen? Nichts, rein gar nichts hat sie als Gegenleistung von den Leuten verlangt. Die stehen am Schluss so arm oder reich da wie zuvor. Herrje, wir sollten darauf dringen, dass dieses dumme Märchen umgeschrieben wird, nicht wahr? - Wenn eine Geschichte nicht dem entspricht, das wir erwartet haben, dann sehen wir nicht ein, dass wir uns getäuscht haben, sondern wollen, dass der Verfasser die Geschichte umschreibt.

Ähnliche Märchen: Die törichten Wünsche, Charles Perrault; Der Arme und der Reiche, Gebrüder Grimm; Die drei Wünsche, Ludwig Bechstein; Die Affenpfote, William Wymark Jacobs.

Es gibt noch mehr davon. Es gibt auch ähnliche Märchen, darin der Held tatsächlich so etwa wie einen Preis zahlt. Aber selbst dann, wenn es nur Märchen gäbe, darin ein Preis für die drei Wünsche bezahlt wird, hätte ich - oh Wunder! - das Recht und die Freiheit und die Möglichkeit ein ganz neues Märchen zu schreiben.

bin davon ausgegangen, dass der Gehörnte das Böse ist (der Teufel), der gelockte Jüngling ein Engel, und der Riese ... keine Ahnung ... Gott? Von daher habe ich immer darauf gewartet, dass der Gehörnte Mihalis in eine Falle lockt

Als ob du dazu einen Grund gehabt hättest. Es gibt keinen Grund, dem Mann mit den Hörnern teuflische Züge oder Absichten zu unterstellen. Nur weil Hörner hat, heisst das noch lange nicht, dass er der Teufel ist.

Sicher, der Teufel der Christen hat Hörner und der antike Pan hat Hörner. Dass da ein paar Leser vielleicht eine Parallele sehen, dachte ich mir und habe darum die Beine des Gehörnten nirgends beschrieben. In meiner Vorstellung hatte er immer auch Ziegenbeine, war aber doch nie der Teufel sondern immer Pan.

Wenn ich das richtig verstanden habe, war Pan ja auch Teil des Dionysos-Kults, und auch wenn Wollust und Extase in erster Linie positiv bewertet und nicht so verteufelt werden wie im Christentum, lese ich auch da eine Kehrseite heraus, das durch die Dämonen und Satyre repräsentiert wird, die dunkle Seite des Rausches, die in den Wahnsinn führen kann. Die hat mir in der Geschichte gefehlt.

Was kümmern mich deine Dämonen! Nun geht es dir um die dunkle Seite des Rausches, um den Weg in den Wahnsinn. Am 9. hattest du noch keine Satyre Augen. Ich kann dir zuschauen, wie du Bilder und Gedanken entwickelst. Du wanderst auf dem Weg der Assoziationen ins Blaue. Nur gut, dass ich weiss, dass ich keine dunkle Seite des Lebens beschreiben wollte sondern eine helle.

Versteh mich bitte nicht falsch. Ich finde spannend, was du schreibst. Aufrichtig danke ich für deine beiden Kommentare. (Den dritten habe ich erst flüchtig gelesen.) Ich hoffe, dass du und Katla noch mehr Beiträge schreiben. Erstens weil ich sehen möchte, wohin das führt, zweitens bleibt die Geschichte so auf der ersten Seite der Geschichtenliste und drittens regt es an.

Gruss teoma

 

Aber selbst dann, wenn es nur Märchen gäbe, darin ein Preis für die drei Wünsche bezahlt wird, hätte ich - oh Wunder! - das Recht und die Freiheit und die Möglichkeit ein ganz neues Märchen zu schreiben.
Ich habe dir lediglich meinen Leseeindruck geschildert, meine Gedanken zum Text und warum er für mich nicht funktioniert. Von Recht- und Freiheitsberaubung war hier nicht die Rede.

Ein entspanntes Wochenende wünscht Chai

 

@Chai

Als Freiheitsberaubung habe ich es auch nicht empfunden. Ich hätte also auch einfach schreiben können: die Möglichkeit, ein neues Märchen zu schreiben.

Gruss und dir auch ein schönes Wochenende
teoma

 
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Ähnliche Märchen: Die törichten Wünsche, Charles Perrault; Der Arme und der Reiche, Gebrüder Grimm; Die drei Wünsche, Ludwig Bechstein; Die Affenpfote, William Wymark Jacobs.
:sconf: Argh! Das ist kein Märchen. So was von nicht ...

Es ist auch in keiner Weise ähnlich zu deinem Text, @teoma , weil es einen extrem raffinierten, psychologisch klugen und in sich vollkommen logischen Plot hat, der seitens des Lesers kein Fischen im Dunkeln benötigt, und diesem auch keine ausgesprochene Moral andient. Zudem eine spekulative Geschichte, deren Protagonisten nahezu alle (die Mutter schert in ihrer Trauer am Ende aus) strikte Realisten sind. Das ist ein ungeheuer gelungener Kunstgriff - nämlich die Figuren gegen das Paranormale zu positionieren, so zu schreiben, dass alles auch Zufall / Halluzination sein kann und trotzdem Grusel (sowie starke Empathie) auszulösen. Auch stilistisch eine der besten Kurzgeschichten, die je geschrieben wurden, ganz hohe Schule. Wie gesagt, in keiner Weise vergleichbar.

 

Hallo @Katla

Sieht so aus, als gäbe es zwei Katlas. Die eine ist wirr und redet von extrem christlichen Geschichten. Also nicht einfach christlich sondern extrem christlich. Die andere Katla, redet geordnet und verständlich. Ihre Lautstärke finde ich angenehm. Wahrscheinlich wendet man sich besser an die zweite Katla, wenn man etwas erfahren will.

Was nicht passt, ist die eigenartige Willkür bei der Aufgabenstellung / Wahl

Wieso Willkür?

Was nicht passt, ist [...] das im Grunde grausame Spiel mit dem Menschen

Auch das verstehe ich nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher, was du als grausam empfindest. Da müsstest du schon ein wenig mehr aufzeigen, was du meinst. Was kommt dir grausam vor?

Und welche Stellen in der Geschichte lassen dich denken, dass eine Art Moral verkauft wird?

Danke für deine Kommentare.
Gruss teoma

 

Hallo @Katla

ich denke, ich hab mich klar genug ausgedrückt.

Würde nicht nachfragen, wenn es so wäre.

Wegen Grausamkeit: Natürlich ist es nicht gerade ein Liebesbeweis, wenn man jemandem mit schönen Versprechungen etwas anbietet, bei dem er später umkommen würde. Allerdings hat er immerhin die Möglichkeit, auch etwas zu wählen, durch das ihn nicht der Tod sondern Glück erwartet. Zudem will wahrscheinlich niemand eine Geschichte lesen, bei der er wählen kann zwischen erstens Glück, zweitens Glück und drittens Glück.

Betreffend Willkür: ??????????? Keine Ahnung ????????????

Betreffend Moral: Vielleicht hast du meine Antwort auf den Beitrag von Mary gelesen, wer weiss?, oder es ist der Anfang der Geschichte, der dich an "verkaufte" Moral denken lässt. Er weicht von dem im Forum oft empfohlenen Ideal ab. Es gibt Leute, die in der Sache sehr kritisch sind und dann meistens von Leserbelehrung und Leserbevormundung reden. Vielleicht ist also der Anfang der Grund für deine Einschätzung. Oder du hast die Herz-Metapher als "Verkauf" einer Moral gedeutet. Es wird ja gesagt, die Musik des Gehörnten könne Herzen öffnen. - Vermutlich war der Anfang der Auslöser.

Gruss teoma

 

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