- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Das Mädchen und der lebensmüde Mann
Er hatte seine Entscheidung getroffen und war auf dem Weg zur U Bahn, wollte seinem verpfuschten und elenden Leben ein Ende machen. Seit drei Jahren ohne Job und alle diese ganzen vergeblichen Bemühungen, die immer die gleichen Enttäuschungen brachten und schließlich hatte auch Kathrin ihn verlassen - "Tut mir leid aber an Deiner Seite verkümmere ich wie eine Blume ohne Wasser" - , war gegangen einfach so.
Bitterkeit stieg in ihm hoch wie abgestandener Kaffee. Sein Herz raste, als er sich die hässlichen Szenen von vor drei Wochen in Erinnerung rief. Mitternacht war gerade vorbei und er stieg die Treppen zur U Bahn hinunter und in seinem Kopf war der Tod, der ihn lockte und der ihm versprach, all seinen Schmerz zu vergessen, der ihm Leichtigkeit und Ruhe zusicherte und es war ihm egal, dafür seine Existenz zu verlieren.
Die Halle war leer, die Stimmen einiger Nachtschwärmer hallten durch den Raum von irgendwoher und aus dem dunklen Schacht erklang das Dröhnen eines Zuges. Der Mann war etwa Mitte Dreißig und er trug ganz normale Straßenkleidung. Nichts an ihm schien Auffällig zu sein bis auf das nervösen Flackern seiner Augenlieder verriet nichts seine innere Unruhe, verriet nichts seine Angst vor dem Leben. Da fiel sein Blick auf den Kaffeeautomat. Einen letzten Becher noch, dachte er und ging auf das Gerät zu, kramte in seinen Taschen nach Kleingeld und als er vor dem Automaten stand und das Angebot auf den Tasten studierte, hörte er plötzlich hinter sich leise Schritte, die sich zaghaft näherten. Lasst mich in Ruhe dachte er, drehte sich aber trotzdem um. Ein Kind stand da, ein Mädchen von vielleicht sechs Jahren, die mit ängstlichem Blick ein paar Meter vor ihm stehen blieb und ihn erwartungsvoll anschaute.
"Was willst Du um diese Zeit hier?" fragte der Mann
"Bitte, können Sie helfen?", sagte das Mädchen und trat unruhig von einem Bein auf das andere.
"Meine Mutter ist krank und und..."
Das Mädchen weinte nun und der Mann ging auf es zu und schaute sie genauer an.
"Was ist denn mit Deiner Mutter?" wollte er wissen.
"Weiß nicht" schluchtzte das Kind und nun kam sie ganz nahe zu ihm und klammerte sich an ihn.
"Wo ist Deine Mutter? Ist das weit von hier?"
"Ist ganz nah" versicherte die Kleine und der Mann überlegte nicht mehr und bat das Mädchen ihn zu ihrer Mutter zu bringen, folgte ihr nach oben in die kalte Winternacht, für die das Kind viel zu dünn angezogen war.
"Wie heißt Du eigentlich?" rief er ihr zu und sie antwortete: "Elisabeth" und er dachte ein schöner altmodischer Name.
Tatsächlich war die Wohnung gleich um die Ecke. Sie lag im zweiten Stock und das Kind schloss die Tür auf, rannte hinein und er folgte ihr. Die Wohnung war recht klein und wirkte Ärmlich. Durch den engen Flur ging es in ein Wohnzimmer, wo eine Frau stöhnend und offenbar schwer fiebernd auf einem Schlafsofa lag, und das Mädchen rannte zu ihr und nahm flehend die Hände der Frau in ihre kleinen Händchen. Auf dem Tisch lag ein Telefon und der Mann ahnte was passieren würde als er es aufnahm und die Tastatur drückte. Nichts passierte. Er wählte die 112 und verlangte einen Krankenwagen in die - "Wie ist die Adresse Elisabeth" - und dann rief er das Kind zu sich und sagte:
"Die Notrufnummer kannst Du immer rufen, auch wenn Euer Telefon gesperrt ist!"
Sie nickte.
"Übrigens heiße ich Klaus."
Bald darauf klingelte es. Klaus öffnete und ließ die Sanitäter hinein, zeigte ihnen den Weg ins Wohnzimmer, wo sie sich um die Frau kümmerten.
"Vermutlich eine Lungenentzündung", meinte der eine, "ist aber auch kalt in der Bude!"
Nach einer Pause sezte er hinzu: "Wir nehmen Ihre Frau mit."
"Ist sie nicht", sagte er, "das Kind bat mich auf der Straße um Hilfe."
Der Sanitäter schaute ihn an.
"Und was wird nun mit dem kind?"
"Ich frage mal die Nachbarn."
An der Nachbarwohnung klingelte er Sturm, bis eine Frau öffnete. Er erklärte die Situation und sie war sofort bereit, sich um Elisabeth zu kümmern.
"Wahrscheinlich hat Elisabeth vorhin geklingelt aber ich hab schon geschlafen", erklärte sie. "Wissen Sie, die Mutter ist Alleinerziehend, lebt von Hartz 4 und nun ja....das ganze Elend halt."
Während die Sanitäter Elisabeths Mutter nach unten brachten, verabschiedete sich Klaus von dem Mädchen.
"Deine Mama kommt bald wieder", versicherte er und sie nickte zuversichtlich und glaubte ihm und dann ging er in die Nacht hinaus und nach Hause denn in seinem Kopf war das Leben und die Erinnerung an ein kleines tapferes Mädchen. Zuhause schlief er bis weit in den anderen Morgen hinein, bis ihn das Telefon weckte.
"Hallo, hier ist Dein alter Freund Paul", hörte er eine Stimme. "Lange nichts gehört. Hör mal ich hätte da vielleicht einen Job für dich, komm doch mal vorbei wenn du Zeit hast."