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Das Mädchen

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12.07.2005
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Das Mädchen

Ich schaute kurz in meine Jackentasche und stellte fest, daß ich keine Kaugummis mehr hatte. Na prima, nun durfte ich also noch bis zum Kiosk und welche besorgen... was soll's, dachte ich mir, fährst du die paar Meter eben mit dem Auto.

Es war warm an diesem Samstag Abend, so gegen halb neun. Die letzten Sonnenstrahlen versuchten, die kleine Stadt zu wärmen, obwohl der Asphalt der Straßen fleißig dabei war, die Hitze der letzten Stunden in seine nähere Umgebung abzugeben.
An den Bäumen wuchs das erste Grün, die Luft transportierte einen wohligen Geruch mit sich. Alles wirkte wie aus einem kitschigen Roman, irgendwie unnatürlich friedlich, aber es war real. Ich stand ein paar Minuten gedankenverloren vor meinem Wagen, atmete tief die warme Abendluft ein und genoß einfach nur die Schönheit des Augenblicks. Irgendwann schwang ich mich ins Auto und düste los in Richtung Kiosk.

Die Jungs warteten schon auf mich. Grillen im großen Kreis war angesagt. Einige der Chaoten hatten ein paar weibliche Bekannte organisiert und wollten jetzt bei Harry im Garten die große Sause veranstalten: Steaks und Bier. Und wenn schon mal Damen anwesend sind, brauchst Du auch Kaugummis. Wenn es nämlich doch zu einer näheren oralen Bekanntschaft kommen soll, will man ja auch geschmacklich einen guten Eindruck hinterlassen.

Ich gab etwas mehr Gas, schließlich war ich mittlerweile schon reichlich spät dran. Ich hielt gegenüber des Kiosks, stand halb auf dem Bürgersteig, schnippte schnell den Schalter für die Warnblinkanlage auf "Ein" und stürmte aus dem Auto. Im Herumwirbeln betätigte ich den Knopf für die Zentralverriegelung, und als ich meine Drehung vollendet hatte, stand ich millimetergenau vor der Tür.

Als ich sie öffnete, ertönte die kleine Türklingel oben am Türrahmen.
Niemand da.
Also, keine Kunden. Der kleine Kiosk war leer, weder an den Zeitschriftenregalen noch vor den zwei drehbaren Bücherständern hielten sich Leute auf. Kein Wunder, samstags um fast halb neun am Abend.
Schnellen Schrittes eilte ich zur Theke und erspähte sofort das Verkaufsdisplay mit den Kaugummis.

Ich griff mir ein Päckchen meiner Lieblingsmarke, warf es achtlos auf die Theke und packte in die Gesäßtaschen meiner Jeans, um mein Portemonnaie zu greifen.

In dem Moment sah ich auf.
Ich schaute genau in ihre Augen.

Ich schwöre, so etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen.
Das waren nicht nur blaue Augen. Das war die Schönheit aller Ozeane, das waren alle blauen wolkenlosen Sommerhimmel, das war ein gigantisches Feld von Kornblumen.

Es war, als würde ich von einem Augenblick auf den anderen in ihre Seele eintauchen. Ich stand einfach nur da und versank in ihren Augen. Ich hatte schon längst vergessen, zu atmen. Wir standen uns regungslos gegenüber.
Sie sagte keinen Ton, machte keinen Mucks.
Ihr geschminkter Mund war wenige Millimeter geöffnet. Sie wagte es kaum, zu blinzeln. Ich bemerkte, daß sie genau in meine Augen starrte wie ich in ihre.

Die Kirchturmuhr schlug halb neun. Es klang, als wäre sie Kilometer entfernt. Genau wie das Auto, das in diesem Moment auf der Straße vor dem Kiosk vorbeifuhr. Dessen Geräusch hörte sich an, als wäre es vierfach mit Watte umwickelt worden.

Irgendwann merkte ich, daß ich die Kaugummis in der Hand hielt, die Stunden zuvor noch meine Brieftasche gesucht hatte. Jedenfalls war ich der Meinung, daß es Stunden waren.

Ich machte wie automatisch kehrt und ging zurück zum Auto. Ich ging durch die kleine Tür des Kiosks, über die Straße, setzte mich in mein Auto und warf die Kaugummis auf den Beifahrersitz.

Ich hatte nicht gezahlt.

Die Warnblinkanlage war schnell ausgeschaltet, der erste Gang flott eingelegt. Schon war ich um die Ecke gefahren. Aber war ich es überhaupt, der da fuhr? Stand ich nicht in diesen Momenten viel mehr neben mir? Hatte ich noch die Kontrolle über das, was ich tat?

Die Türklingel reißt mich aus meinen Tagträumen.
Ich schlurfe durch den Flur und öffne. Es ist Harry.
Wie jedes Jahr veranstaltet er heute wieder eine seiner Grillfeten, zu der er auch ein paar Mädels eingeladen hat. Heute holt er mich ab.
"Wie geht's denn so?", fragt Harry.
"Och", entgegne ich verträumt, "ich überlege gerade, wie es ihr gerade gehen mag. Ob sie glücklich ist?"
Und Harry seufzt.

 

Hallo Cruzha,

mich begeistern Geschichten, bei denen sich am Ende alles als Traum entpuppt, ehrlich gesagt, nicht. Ich finde das ziemlich einfallslos und wenn man schon über einen Traum schreiben möchte (was ja durchaus auch einmal interessant und spannend sein kann) sollte man das von vorneherein erwähnen.
Leider hat mich deine Geschichte auch sonst nicht vom Hocker gerissen - zum Beispiel finde ich, dass dem Kaugummi viel zu viel Bedeutung beigemessen wird. Einige Absätze drehen sich nur um den Kaugummi - die Begegnung mit dem Mädchen und die nachfolgende Verwirrung deines Prot. sind hingegen viel zu kurz gehalten. Dabei wäre das ja das Interessante deiner Geschichte.

Die Verwirrung deines Prot. hast du gut eingefangen, auch wenn ich finde, dass du es hier ein bisschen übertreibst:

Das war die Schönheit aller Ozeane, das waren alle blauen wolkenlosen Sommerhimmel, das war ein gigantisches Feld von Kornblumen.

Der letzte Satz hat mir aber gut gefallen, er kommt nach dieser Geschichte so trocken und das gefällt mir sehr. :)

Liebe Grüße, Nicole

 

Hallo Bella,

danke für deinen Kommentar.

Die beschriebene Situation ist ja kein Traum. Der Prot erinnert sich daran und verfällt dann einem Tagtraum ähnlich in seinen Erinnerungen. Die ganze Geschichte mit dem Mädel ist ja ein Jahr uvor wirklich passiert.

Gut, das mit dem Kaugummi scheint etwas überzogen, aber der Prot soll ja einen Grund haben, in den Kiosk zu laufen. :)

 

Hallo Cruzha,

für mich wurde deutlich, dass es sich um keinen Traum, sondern um eine Erinnerung handelt. Dennoch möchte ich Bellas Kritikpunkt bestätigen - es gibt sehr viele Geschichten, bei denen in den letzten Sätzen deutlich wird, dass es nicht so ist, wie es scheint. Und um diese Wirkung zu erzielen ist es unerheblich, ob es sich um einen Traum oder eine Erinnerung handelt. Ich hätte es besser gefunden, wenn du in der Gegenwart startest und dem Leser dann mitteilst, dass der Prot sich an eine ähnliche Situation erinnert.

Das Verhalten des Jungen im Kiosk war für mich nicht plausibel genug erklärt. Er trifft diese Frau und verlässt den Kiosk überstürzt, ohne mit ihr zu reden, das kann ich mir als Kurzschlussreaktion noch vorstellen. Aber er kehrt nachdem er sich gefasst hat nicht noch einmal zurück, am nächsten Tag, in der nächsten Woche? Das solltest du zumindest begründen.

Liebe Grüße,
Juschi

 

@Juschi
Hast du noch nie so Zwei-Sekunden-Begegnungen gehabt? Beispiel: Du gehst durch de Stadt und schaust per Zufall im Vorbeigehen einem Mädel in die Augen, und plötzlich denkst du dir - wow, die ist es. Sie schaut dich ebenfalls an und irgendwie bist du der Meinung, dass beide dasselbe denken.

Allerdings vergißt man, stehenzubleiben, sondern spaziert gemütlich weiter, bis man sich nach wenigen Sekunden aus den Augen verloren hat.
Ich hab solche Situationen schon ein paar Mal gehabt und habt versucht, sie hier darzustellen.

 

Hallo Cruzha,

doch, natürlich kenne ich das, und ich wollte gar nicht abstreiten, dass es soetwas gibt. Nur hier ist die Situation anders: Sie scheint in dem Kiosk zu arbeiten, und er weiß somit, wo er sie wieder finden kann. Natürlich gibt es Gründe dafür, es nicht zu tun. Nur diese hätte ich dann an deiner Stelle in der Geschichte zumindest angerissen.

Liebe Grüße
Juschi

 

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