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Das Mädchen

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11.03.2003
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Das Mädchen

Das Mädchen

Ein eisiger Windzug fegte durch die leeren Strassen. Keine Menschenseele befand sich hier. Alles war einsam. Mitten in diesem Wintergeschehen stand ein Mädchen. Es war in Lumpen gehüllt, die es kaum vor der Kälte schützten. Die Lumpen waren alt und teilweise zerrissen. Zerrissen von den harten Kämpfen, die hier stattgefunden hatten. Die Hand, die beinahe erfroren war, hing leblos am Körper. Aus grossen, traurigen Augen blickte es in die Welt und versuchte, einige Schritte zu machen. Das Mädchen konzentrierte sich stark. Ihre Füsse waren nackt. Langsam, Schritt für Schritt, durchquerte das Mädchen die lange Strasse. Noch immer war keiner da. Keiner, der ihr helfen konnte. Auf einmal nahm das Mädchen einen feinen Duft wahr. Von irgendwoher wehte der eisige Wind einen leckeren Geruch her. Das Mädchen schnupperte. Zimt und Koriander. Es war Weihnachtszeit.
Es seufzte. Jeder wärmte sich nun drinnen an einem angenehm warmen, mit knisternden Holzscheiten gefüllten Kamin. Vielleicht packte gerade ein kleines Mädchen ihr Geschenk aus. Es sass vermutlich auf einem bequemen Sofa und freute sich an Weihnachten, gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Grosseltern. War das Geschenk ein kleines Plüschtier? Ein Bärchen, das dieses Mädchen in langen, dunklen Nächten beschützte? Das Mädchen wusste es nicht. Es war auch egal. Sie hatte nichts – absolut nichts. Keine warme Mahlzeit, kein Ofen, keine Familie. Traurig wandte es sich der Strasse zu. Mit langsamen Schritten näherte sie sich einer Kreuzung. Ein blaues Schild stand da. Doch das Mädchen konnte nicht lesen, was darauf stand. Nie hatte sie das Lesen erlernt. Ein kleiner, weisser Pfeil zeigte die rechte Strasse hinab. Das Mädchen blickte in die angegebene Richtung. Was dort wohl sein mochte? Sie wusste es nicht. Das Mädchen lief nach rechts. Vielleicht gab es dort einen Unterschlupf für die Weihnachtsnacht. Die Strasse erweckte jedoch den Anschein, dass es eine ebenso leere Strasse sein würde, wie die vorherige. Traurig lief das Mädchen weiter. Auf einmal fiel eine riesige Schneeflocke auf die Nase des Mädchens. Sofort schmolz sie. Das Mädchen blickte nach oben, wie kleine Kinder es tun. Ein unendliches Meer aus kleinen und grossen Schneeflocken begann durch die klirrende Kälte der sternenlosen Nacht zu tanzen. In düstere Gedanken versunken setzte das Mädchen einen Fuss vor den anderen. Ihre Füsse schmerzten, doch das Mädchen kannte das Gefühl. Plötzlich stand sie vor einem grossen Eisentor. Die Stäbe waren längst verrostet und verbogen. Das Schloss war aufgesprungen und das Tor einen Spalt weit offen. Vorsichtig schob das Mädchen das Tor weiter auf, gerade soweit, dass es hindurchpasste. Das Tor quietschte fürchterlich. Hier gab es kein Anwesen, das einen Unterschlupf für die Nacht hätte bieten können. Nur viele Bäume und einen Kiesweg. Der fallende Schnee hatte die spitzen Kiesel zum Teil schon überdeckt.
Das Mädchen schaute nach rechts, schaute nach links. Kein Zeichen einer menschlichen Behausung. In der Hoffnung, trotzdem noch einen Unterschlupf zu finden, wagte sich das Mädchen in den Park vor. Je weiter sie vordrang, desto weniger glaubte es, dass hier irgendwann einmal jemand gewohnt haben könnte. Aber wer hatte dann den Kiesweg geschaffen? Von ganz alleine war der bestimmt nicht hierher gekommen. Das Mädchen wagte sich weiter vor. Ein brechender Ast liess sie erschrecken. Wie erstarrt blieb sie stehen. Erst einige Minuten später getraute sie sich, weiterzugehen. Die Bäume standen immer dichter. Auch der Kiesweg verkleinerte sich zu einem Pfad. Das Mädchen zögerte. Was nun? Einfach weitergehen? Sehen, ob irgendwo ein Platz zum Schlafen sei?
Plötzlich wich sie erschrocken zurück. Etwas hatte sich hinter den Bäumen bewegt. Da – wieder! Starr vor Angst tastete sie sich rückwärts. Das Etwas hinter den Bäumen wartete ab. Doch gleich darauf bewegte es sich erneut. Und diesmal blieb es nicht einfach stehen. Es ging weiter. Immer näher kam es. Das Mädchen wollte schreien, doch es gelang ihm nicht. Der Schreck schnürte ihm die Luft ab. Mit weit geöffneten Augen starrte sie in die Richtung aus der das Wesen kann. Der Schatten löste sich aus dem Dunkel der Bäume. Undeutlich erkannte das Mädchen eine dunkle, furchteinflössende Gestalt, die scheinbar auf allen Vieren ging. Das Mädchen tat einen Schritt rückwärts. Da stolperte es über ihre Beine und fiel zu Boden. Es schloss die Augen und verwünschte diesen Park oder was auch immer es war. Als nichts geschah, öffnete es die Augen einen Spalt weit. Doch was war das? Ein grauer Wolf stand vor ihr und blickte das Mädchen mit bernsteinfarbenen Augen an. Das Mädchen schluckte. Ein Wolf. Dieser aber legte sich winselnd hin und wedelte sanft mit dem Schwanz. So als wolle er sagen, er sei lieb und wolle dem Mädchen nur helfen. Immer noch ängstlich blieb das Mädchen auf Distanz. Der Wolf schaute sie mit schief gelegtem Kopf an. Sein Fell glänzte dunkel. Das Mädchen schaute den grossen Wolf prüfend an. Er war anmutig. Seinen Kopf stolz erhoben sass er nun vor ihr. Dem Mädchen schien es, als leuchteten winzige Sterne in den nachdenklichen Augen. Kleine Sterne, die das Wesen von Milliarden von Lichtjahren entfernt geholt hatte. Zu sich. In seine Augen und sein Herz. Der Wolf gab dem frierenden Kind etwas, das es noch nie zuvor gespürt hatte: Liebe und Wärme.
Nachdem sie eine Zeitlang still nebeneinander gehockt waren, erhob sich der Wolf. Er stupste das Mädchen sanft mit seiner Schnauze an. Das Mädchen verstand seine Botschaft. Sie sollte mitkommen. Also stand sie auch auf und folgte ihrem Gefährten, der leichtfüssig über die Schneedecke sprang. Noch immer schneite es, nur jetzt nicht mehr so heftig. Das Mädchen versuchte, der Spur des Wolfes zu folgen. Oft verlor sie diese. Dann kam der dunkle Wolf wieder zurück und lief eine Weile neben dem Mädchen. Auf einmal ertönte das leise Plätschern eines Baches. Es kam immer näher. Da blieb der Wolf stehen und wartete geduldig ab, bis das Mädchen neben ihm stand. Das Mädchen erblickte eine kleine, verwitterte und doch hübsche Bank. Eine feine Decke aus Schnee lag darauf. Der Wolf sprang hinauf und scharrte den Schnee weg. Als kein einziger Schneekristall mehr auf der Bank war, sprang der Wolf wieder herunter. Er kam zum Mädchen zurück und zog es am Ärmel ihres zerschlissenen Kleides zur Bank. Das Mädchen setzte sich und der Wolf lehnte sich an sie. Gemeinsam schliefen sie ein. Der Wolf und das Mädchen konnten einander in der eisigen Weihnachtsnacht ein bisschen Wärme und Trost spenden.

Die milde Wintersonne stand schon hoch am Himmel, als der Wolf erwachte. Er blinzelte geblendet. Dann blickte er sich um und suchte den Kontakt mit dem Mädchen. Doch dieses lag auf der Seite und rührte sich nicht. Beunruhigt sprang der Wolf von der Bank und lief auf die andere Seite der Bank. Dort stupste er das Mädchen mit der Schnauze an. Erst sanft, dann energischer. Doch das Mädchen wachte nicht auf. Im Schatten der Bäume war es sanft für immer eingeschlafen. Sein Antlitz war voller Ruhe und Geborgenheit. So wie es im Leben nie gewesen wäre.
Der Wolf aber stiess lautes Klagegeheul aus. Er war nun wieder alleine. Alleine in einer kalten Welt. Den ganzen Morgen über hielt er Trauerwache bei dem kleinen Mädchen. Dann leckte er ihm zum Abschied ein letztes Mal zärtlich übers Gesicht und wandte sich dann ab. Das Dunkel der Bäume verschluckte sein dunkles Fell. Zurück blieb das leise Plätschern des Flusses, das immer da sein würde.

 

Hi Herbert!
Danke für Deine Kritik! Am liebsten würde ich jetzt die von Dir empfohlenen Verbesserungen kopieren, aber das wäre wohl falsch :)
Ich überarbeite es nochmals, wenn ich Zeit dazu finde.

Liebe Grüsse,
Marana

 

Servus Marana!

Hab deine erste Geschichte erst jetzt entdeckt. Es ist seltsam, mir scheint die Geschichte vielleicht gerade deshalb so angenehm zu lesen, weil sie auf einen Spannungsbogen verzichtet. Sonst würde sie wirklich zum Märchen werden und ich denke, das war nicht deine Absicht. Aber der Text behält die Stille bei, wird dadurch einfühlsamer. Es stört mich dann auch nicht, dass der Wolf märchenhaft menschliche Gedanken hat und sich in einer Wohngegend aufhält. Es ist die Weihnachtsnacht - und da soll ja schon manches Wunder stattgefunden haben.

Zwei einsame Lebewesen haben sich gefunden und in der Geborgenheit schon wieder verloren. Fand ich schön zu lesen.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hallo Eva!
Vielen Dank fürs Lesen! Und es freut mich, dass Dir die Geschichte gefällen hat!!!:bounce:
Ja, eigentlich sollte es eine Art Märchen sein, für mich braucht es hier auch keine Spannung.

Vielen Dank nochmal fürs Lesen!
Liebe Grüsse,
Manuela

 

Hallo Marana,
klar kannst Du die Sätze kopieren, aber passen sie dann auch zum Gesamttext? Ich würde Dir vorschlagen, Du probierst etwas aus:
SChreib einfach nach meinen Sätzen weiter und versuche den Stil zu übernehmen. DIe Sätze müßten dadurch automatisch länger werden. Damit hättest Du das abgehackte weg.
Ach noch ein Tip: Kurze Sätze würde ich verwenden, um die Spannung zu steigern.

Viele Grüße Herbert

 

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