Das Nekrologium
I
Der Wind brach an der steilen Nordwand ab und sog kleine Luftwirbel mit sich, die an den Kleidern zerrten wie die Hände eines Ertrinkenden und die einen mit in die Tiefe reißen wollten, vorbei an den Lüftungsschächten und Panoramafenstern, von denen eines im neunzehnten Stock sperrweit offenstand, wie ein gähnender alles verschlingender Schlund, der nur darauf wartete, das Frank Farmer sich ihm hingab.
Starr und bleich stand er am Rande des Abgrundes und starrte in die dunkle Tiefe, als blicke er durch ein Sternentor in eine andere ihm unverständlich gewordene Welt.
Und entsprach das nicht den Tatsachen?
Hatte sich die Welt nicht auf erschreckende Weise verändert?
Doch, das hatte sie. Sie hatte sich sogar dramatisch verändert und jetzt war sie ihm sehr fremd und unheimlich geworden. Sie war zu einem fremden Haus geworden, in dem er sich nicht mehr zurechtfand. Und das war kein Wunder. Es war eine Welt, die beherrscht wurde von Angst und Schrecken, von absonderlichen Wesen und von einer alles bestimmenden unbeschreiblichen Enge.
Er erinnerte sich noch gut an jenes Ereignis vor einer Woche, dass seine Entität vollends aus dem Gefüge der weltlichen Struktur riss und zu diesem erschaudernden Dasein der Angst und der Geistlosigkeit machte. Aber das es eventuell so enden sollte, das hätte er nie zu träumen gewagt, und wenn er diesen letzen unverzeihlichen Schritt wagen sollte, so möge ihm Gott vergeben.
Traurig starrte er in die kalte Nacht. Lichter funkelten zu seinen Füssen, wie kleine Glimmersteinchen. Das Rauschen vom Regen, das ferne Grummeln der Wolken, der Straßenlärm der Stadt und das Ticken der Wanduhr hinter ihm aus dem Zimmer, berauschten seine Sinne. Wenngleich keines dieser Laute ihm so zusetzte, wie jenes mysteriöse Poltern und Schaben im Hintergrund.
Verzweifelt blickte er zurück ins Zimmer und starrte auf die Tür, die sich zitternd den Kräften wiedersetzte, die von der anderen Seite auf sie einwirkten. Doch wie lange noch? Wie stark waren jene Kräfte, die aus den Untiefen der Hölle stammten, um ihn zu holen, damit er für all seine Sünden bezahlte?
Ein erneutes Donnern, als wieder etwas gegen die Tür einwirkte. Putz bröckelte vom Rahmen und es sah so aus, als hätten sich die Scharniere ein Stück bewegt.
Nicht mehr lange, dann würde es bei ihm sein, dachte er und verzog die Lippen zu einem entstellten Grinsen zusammen. Seine Augen funkelten unter Tränen, seine Hände zitterten schrecklich und seine Hose fühlte sich warm und feucht im Schritt an. Ja, nicht mehr lange, dann würde es bei ihm sein, doch er würde schon dafür sorgen, das er entkam. Entweder auf die Eine oder auf die andere Art und Weise.
II
Die Nacht war an diesem Donnerstag, vor einer Woche, klar und mild, doch hatten die Sterne, leuchteten sie noch so hell, eine unheilschwangere Konstellation eingenommen, die für einen Sternendeuter nichts Gutes verhieß.
Frank Farmer hätte dies nur bestätigt, als in eben diesem Moment der neue Ford Van stotterte und hustete wie ein alter Hund der es nicht mehr über einen Hügel schaffte, ohne dabei einen Kreislaufkollaps zu bekommen. Ruckend kam der Van zum Stehen. Eine Warnleuchte blinkte gehässig auf und machte sich über ihn lustig. Er wusste was dieses Blinken zu bedeuten hatte und hätte sich am liebsten in den Arsch gebissen.
Kein Benzin mehr!
„Oh, du dummer alter Hund“, stöhnte Frank und blickte das trostlose Blinken an. Für zwei drei Sekunden versuchte er sich zu sammeln. „Beruhige dich Frank, alles in Ordnung, du hast Mist gebaut, schon OK, passiert jeden Mal, mach dir nichts draus, Ja? Atme tief ein, Atme tief aus. Langsam und gleichmäßig, langsam und gleichmäßig, langsam und…verfluchte Scheiße noch mal. Scheiße, Scheiße, Scheiße und nochmals Scheiße.“
Wütend haute er mit den Händen aufs Lenkrad, wobei er mit seinem kleinen Finger umständlich und äußerst schmerzvoll umknickte „So ein verdammter Mist.“
Nach diesem klitzekleinen Wutausbruch, schlug er die Arme über den Kopf und ließ sich in den Sitz fallen, dabei Atmete er gedehnt und lang. Scheiße noch mal, er musste sich beruhigen. „Bist nur Müde, Frank Farmer, kein Grund gereizt zu sein und wütend schon gar nicht.“ Dann fiel ihm etwas ein und er lächelte genervt. „Ja Frank, du bist echte ein toller Hund und dein Handy liegt natürlich im Büro. Wirklich, bist echt ein Held.“
Suchend blickte er auf die stockfinstere Straße, die sich vor ihm ausbreitete wie ein verlassenes Deck auf einem Geisterschiff. Da hatte er sich genau den richtigen Moment ausgesucht um mit der Karre stehenzubleiben.
Er stieg aus dem Wagen und sah die Straße beidseitig hinunter. Aber er wusste, dass es zwecklos war. In Cambridge machten alle Läden früh zu, nicht einmal eine Tankstelle würde geöffnet sein. Wütend trat er gegen den Vorderreifen und verfluchte Gott und die Welt, sich selbst, weil er sein Handy vergessen hatte und schlimmer noch, weil er vergessen hatte zu tanken. Danach verfluchte er noch den verdammten Stadtteil, weil hier alles geschlossen hatte und nach einer kurzen Phase der Besinnung, verabscheute er sich selbst nochmals, weil er so wütend geworden war.
„Warum nur bist du so gereizt, Frank?“, fragte er sich. Dabei kannte er natürlich die Antwort, entschloss aber, nicht weiter darauf einzugehen.
Er wusste, das er sich zu Fuß weiterbegeben würde müssen und dass er ungefähr drei Meilen quer durch Cambridge gehen musste, um einen belebteren Stadtteil zu erreichen. Prima Aussichten, dachte er und machte sich sodann auf den Weg. Er ging hastig die dreckigen Gassen entlang, vorbei an heruntergekommenen Häusern und Läden, entlang an einigen verwahrlosten Grundstücken, sowie einer geschlossenen Tankstelle, dessen Reklame noch schwach leuchtete.
Willkommen bei Chack´s Spritbude, stand auf einem Schild, darunter, Wir haben Alles um jeden vollzutanken!
Frank grinste verbissen, wie gerne würde er sich selbst jetzt gerne volltanken. Das war eigentlich nicht seine Art, er trank selten etwas Härteres als Bier und davon noch nicht einmal besonders viele hintereinander, doch in letzter Zeit hätte er gerne auch mal das Glas bis zur Kannte gefüllt, aber das würde er Jodie nicht antun, sie beide hatten auch so schon genug Probleme und kein Alkohol der Welt konnte die fortspülen. Er war klug genug, um das zu wissen. Aber er wusste auch, das es nicht unbedingt aufs wissen ankam, Klugheit schützte nicht vor Dummheit und ein betäubender Schluck konnte manchmal mehr Reiz versprühen, als die aufgeschlagenen Beine einer scharfen Hure.
Zügig schlenderte er weiter und ließ die Tanke hinter sich.
Nach der Tankstelle schien die Gegend noch heruntergekommener zu werden. Aus Angst lief er jetzt noch zügiger. Kein Mensch war auf den Straßen, das hätte ihn eigentlich beruhigen sollen, doch das genaue Gegenteil war der Fall. Er hörte Geräusche, bildete sich Schatten ein, dachte an Geschichten über diese verruchte Gegend. Leute die Verschwunden waren und die man nie wieder fand, zumindest nicht lebend. Straßenkriminalitäts-Statistiken die hier über den durchschnitt lagen. Über all die unheimlichen Geschichten die man sich erzählte, über Männer, die wie er, des Nachts durch die Straßen umherirrten und…Als erwache er aus einer krampfhaften Lethargie, schaute er benommen auf und blieb abrupt stehen. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt.
Langsam sah er sich um und erst dann sah er es wieder im Augenwinkel, eine aufflackernde Leuchtreklame, alt und klein. Sie hing im Schaufenster eines kleinen Ladens, der abseits des Weges lag. Doch was seine Aufmerksamkeit erregte war nicht der Laden selbst, sondern vielmehr die Tatsache, das dort ein Licht im Fenster brannte. Nicht gerade einladend, für seinen Geschmack, aber he, was solls? Vorsichtige stakste er darauf zu.
Bei näherer Betrachtung sah er, das es ein schäbig aussehender Ramschladen war der alles Mögliche beinhaltete und als Frank die Tür am Messingbügel aufdrückte und eintrat, kam ihm der Gestank von abgesetztem Tabak, sauren Schweiß und einen alles einnehmenden Geruch des Zerfalls entgegen. Innen war es schummrig und eng.
Alte Fernseher und Radios standen auf einem Regal, umzingelt von Uhren aller Art, von uralten Telefonen und Handys, mottenzerfressenen Pelzmänteln und zerfallene Büchern, sowie unzählige anderen Dingen, die keiner mehr gebrauchen, geschweige den haben wollte. Dennoch zog etwas, auf fast magische Weise, seinen Blick auf sich. Es lag auf einem Tresen für zerflederte Bücher die billig verramscht wurden. Dabei handelte es sich um ein in Leder gebundenes Buch, das mit angelaufenen Silberscharnieren versehen und mit alten goldenen Lettern verziert war. Vorsichtig nahm er das schwere Buch und schlug es auf, die Scharniere knarrten in der Stille, als würde sich ein gewaltiges Tor öffnen. Fast augenblicklich erkannte er zweierlei. Erstens handelte es sich um ein handgeschriebenes Exemplar, zweitens war es auf Hebräisch. Vorsichtig blätterte er die ersten Seiten durch, merkwürdige detaillierte Zeichnungen von bizarren Kreaturen, zierten die Seiten, dann schien ein neuer Abschnitt zu beginnen und sonderbare Symbole und Zeichen folgten den nächsten Seiten. Frank blätterte voller Begeisterung weiter. Das wäre ein phantastisches Geschenk für Jodie. Als Übersetzerin dieser uralten Sprache würde sie es vermutlich lieben, dachte er und blickte zum ersten Mal in eine kleine Ecke des Ladens, wo ein kleiner alter Mann hinter einem Tresen stand und ihn stillschweigend beobachtete. Der Mann blickte ihn starr und stumm durch eine schwere Brille an, die ihm schief auf der buckeligen Nase lag.
„Guten Abend Sir“, sagte Frank und blickte den Mann gewinnend an. Der Mann starrte ihn eine weitere Weile an, seine rechte Augenbraue zuckte leicht und ohne etwas zu sagen, deutete er ein grüssendes Nicken an.
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie um diese Zeit belästige“, sprach Frank unsicher weiter. „Doch mein Wagen ist hier in der Nähe stehen geblieben und ich wollte sie fragen, ob ich vielleicht von hier aus, kurz telefonieren könnte?“
Der Mann blickte ihn abschätzend an, sein Gesichtsausdruck verkniff sich zu einem Grinsen, dann nickte er, als habe er sich seine Meinung gebildet.
„Wenn se das Buch für nen Fünfer kaufen, is die Sache geritzt.“
Die Sache war geritzt. Und so erstand Frank etwas, von dem er noch nicht ahnen konnte, welch übles Schicksal damit einherging.
III
Als Frank am Freitagmorgen nach Hause kam, war Jodie bereits wach und hatte das Frühstück gemacht.
Sorgenvoll blickte sie auf, als er in die Küche eintrat, stellte die Tasse Kaffe ab, kam auf ihn zu, umarmte ihn und gab ihm einen Kuss. Dann rümpfte sie die Nase, nahm einen Schritt abstand und blickte ihn fragend an.
„Frank Farmer, wo bist du solange gewesen?“, tadelte sie ihn und setzte nun einen strengen Blick auf.
„Entschuldige Schatz, der Wagen hatte in Cambridge seinen Geist aufgeben und...“
„Und dein Handy, wozu hast du das verdammte Ding?“, unterbrach sie ihn wütend. „Ich hab mir Sorgen gemacht, du wolltest schon viel früher da sein. Doktor Phillips kommt gleich, wegen der Untersuchung und du riechst wie ein Penner.“
Frank setzte eine beleidigte Miene auf. „Wie ein Penner, so schlimm?“ Sie lachte.
„Nein, nicht wie ein Penner, sondern wie ein verwahrloster Köter und nun dusch dich, bevor du hier die Mücken anziehst“, sagte Sie und gab ihm lächelnd einen Kuss auf die Wange.
Frank erwiderte das Lächeln, zog das Buch hinter seinen Rücken hervor und legte es auf den Küchentisch. „Das habe ich heute Nacht entdeckt. Als ich es sah, dachte ich sofort an dich“, sagte er und ging an ihr vorbei Richtung Bad. „Vielleicht ist es sogar etwas wert“, witzelte er mit einem verschwitzten Lächeln und ließ sie mit dem Buch allein.
IV
Jodie Farmer war gerade von der Bibliothek nach Hause gekommen. Sie hatte noch einige Arbeiten geholt, damit sie diese in aller Ruhe beenden, zugleich aber auch bei ihrer Tochter Trisha sein konnte. Sie ging durch das kleine Kinderzimmer zu ihrer Tochter hin, legte eine Hand auf die kleine blasse Stirn, lauschte dem monotonen Summen des EKG und sah, wie sich die zierliche Brust hob und senkte.
„Oh meine süße Kleine, was hat Gott bloß mit dir vor?“, fragte sie traurig in den Raum hinein und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Schluchzend versuchte sie sich von dem Anblick ihrer Tochter abzuwenden und starrte auf die Bücher die sie dort auf dem Schreibtisch abgelegt hatte.
Das Bild, das die kleine Trisha Farmer abgab, war zu schrecklich. Sie war erst sechs Jahre alt und vor etwa einem Jahr an einer schlimmen Gürtelrose erkrankt. Keiner wusste, wie lange sie noch in diesem traumatischen Zustand verweilen würde, die Ärzte wussten nur eines, nämlich, dass das junge Leben der kleinen Trisha nicht von all zu langer Dauer sein würde und dass der Zerfall, der schon sehr weit fortgeschritten war, ein noch schlimmeres Ausmaß annehmen konnte. Schon jetzt war ihre Haut aufgedunsen und wund, ihre Haare waren dünn, der Körper knochig und abgemagert und das sonst so niedliche Gesicht war eingefallen, mit dunklen Augenringen und blassen Teint, die von seltsamen hellroten Flecken, bedeckt wurden.
Jodie versuchte, das entsetzliche Bild zu verbannen und holte farbigere und schönere Bilder aus ihrem Geist hervor. Bilder voller Leben und Glück. Bilder auf denen jemand lachte oder auch weinte. Alles war besser als diese todergreifende Lethargie, doch im Grunde ihres Herzens spürte sie, dass es nichts weiter als Verzweiflung war und kein Bild der Welt, die Gegenwart aufwiegen konnte.
Sie versuchte es mit einer einfacheren Methode. Sie wandte sich ihrer Arbeit zu und ihr Blick blieb auf jenem Buch haften, das sie gestern von Frank geschenkt bekommen hatte. Es war auch der eigentliche Grund gewesen, warum sie heute, an diesem Samstagnachmittag, zur Arbeit gegangen war. Sie hatte es dem Professor zeigen wollen, der sich genauer mit diesem Sagentum auskannte. Doch was hieß hier Sagentum? Das Buch gab es wirklich und was noch viel schrecklicher war, sie hatte ein eigenes Exemplare davon.
Es war in ihrer Anfangszeit gewesen, als sie noch in der Bibliothek alte Schriften restaurierte. Damals war sie noch ein eifriges freches Ding, das mit ihrem Talent ein wenig überheblich war. Wie immer hatte sie sich das älteste und zerfallenste Buch auserkoren, eine fast tausend Jahre alte Bibel, in der sie ein Bild entdeckte, das sie faszinierte. Mehr noch. Sie war regelrecht ergriffen worden, als sie den Text dazu gelesen hatte. Sie erinnerte sich noch, wie sehr sie gezittert hatte, denn was dort stand klang so absonderlich, so unmöglich, dass es einfach wahr sein musste. Keiner konnte sich so etwas Schreckliches ausdenken. Niemals.
Es handelte sich um das verdammenswerte Nekrologium, jenen Zwillingsbruder des berühmten und verabscheuungswürdigen Necronomicon. Es war das Buch der Toten und handelte von einem uralten Glauben, der älter war als die Zeit und von Hexerei handelte, die über denn Tod hinaus ging, bis hin zu Sphären der Unsterblichkeit.
Doch nun, wo sie es selbst vor sich sah, es sogar besaß, überkam sie keine Faszination wie damals, sondern eine eisige Hand des Schreckens und der Angst. Sie wollte es loswerden und der Professor wäre der richtige Mann dafür gewesen, doch leider war er auf Reisen und sie hatte es wieder mit nach Hause genommen. Dort wo es sie anstarrte und ihr leise zuflüsterte, wie etwas Verbotenes und Unerreichbares. Es erweckte wirklich den Eindruck, als rufe es ihren Namen. Als flüstere es ihr zu, welch fantastische Geheimnisse es ihr offenbaren würde. Mit unentschlossenen, fast teilnahmslosen Bewegungen öffnete sie das Buch. Sie würde es nur mal kurz durchblättern, dachte sie. Doch schon nach den nächsten Seiten vergaß sie ihre Zurückhaltung und später sogar all ihre Absichten.
V
Am Sonntagabend klingelte das Telefon und als Frank die sanfte Stimme von Doktor Phillips hörte, da wusste er, dass die Zeit gekommen war.
„...Sind sie sicher, Doktor?“, fragte Frank, den Hörer mit blutleeren Fingern, ans Ohr gepresst. Er zitterte am ganzen Leib und fast überwältigte ihn ein Gefühl der Ohnmacht. Es schien fast so, als wenn alle Lebensenergien aus ihm strömten. „Dann ist es soweit. Sind die Blutergebnisse eindeutig?...In dieser Woche noch? Oh mein Gott...aber wahrscheinlich ist es besser so. Es ist nur...wie soll ich Jodie das nur erklären...Kommen sie Morgen vorbei?...OK, bis dann. Auf wiedersehen.“
Frank starrte auf denn toten Hörer in seiner Hand, dann setzte er sich zitternd auf den Stuhl neben der Anrichte und fühlte wie ihm schlecht wurde. Nach so langer Zeit war es soweit, die Gürtelrose würde in den folgenden Tagen ihr Werk vollenden. Vielleicht ist es besser so, aber Jodie wird es nie akzeptieren können, dachte er und glaubte jeden Moment sich übergeben zu müssen, doch er würde es einfach kommen lassen, er fühlte sich viel zu schwach um sich zu bewegen.
Dann glaubte er Jemanden neben sich zu spüren und als er müde zur Seite blickte, wusste er, dass sich seine schlimmste Befürchtung bewahrheitet hatte. Jodie stand dort und ihre grünen Augen blickten ihn zornig funkelnd an. Wie betäubt beugte er sich nach vorne, er fühlte sich ein wenig erleichtert, denn jetzt brauchte er sich nicht mehr fragen, wie er es ihr beibringen sollte. Doch von nun an, würde sie ihn für immer hassen, das Bindeglied ihrer Liebe würde am Ende dieser Woche für immer fort sein.
Er übergab sich.
VI
In der darauf folgenden Nacht schlug ein kalter Wind gegen die Flanken des Hauses und in der Ferne grummelte und donnerte es krachend. Die Fensterläden ruckten und knarrten, als schlügen unsichtbare Hände dort gegen.
Jodie blickte kurz von dem Buch, auf ihre Tochter. Das Röcheln eines schwachen Atmens drang zu ihr und das ruckende monotone Piepen des EKG, das sie mit seinem großen grünen Auge anstarrte, wie ein uraltes Monster, das über Leben und Tod entschied. Ihre Augen waren aufgequollen, errötet von der ständigen Wiederkehr ihrer Tränen und ihr Gesicht war fast so eingefallen wie das ihrer Tochter. Jodie fühlte sich schrecklich ausgelaugt, als entzöge ihr die Wahrheit über ihre Tochter den Lebenssaft.
Sie dachte über diesen und auch über den letzten Tag nach, wie sie das Telefonat mitgehört hatte. Die abscheulichen Gedanken, die ihr Mann geäußert hatte und ihren Gefühlen zu ihm und ihrer Tochter. Sie erinnerte sich an die aufdringliche gespielte Fürsorge des Arztes und wie sie ihn weinend weggeschickt hatte. Dann verdrängte sie das alles und rang nach einer Entscheidung. Es würde der Zeitpunkt kommen, da sie sich entscheiden würde müssen, zwischen dem Einen oder der Anderen. Doch in ihrem tiefsten Innern, dass wusste sie, war diese Entscheidung längst gefällt. Sie blätterte eine Seite des Buches weiter, das auf ihrem Schoß lag und lauschte dem leisen Atem ihrer Tochter.
Die nahm sich vor, das Zimmer in dieser Woche nicht mehr zu verlassen. Dann las sie weiter.
VII
Das EKG machte gewaltige Aussetzer, es piepte lauter als je zuvor, die Kurven auf dem Display machten ruckartige und ausschweifende Zacken.
Jodie kreischte und war zum Bett ihrer Tochter gesprungen, drückte sie, flehte sie an, weiter zu kämpfen. Sie weinte und verlor sich in Hysterie, dann kam Frank ins Zimmer gesprungen und mit seiner Anwesenheit schien auch Ruhe einzukehren. Das grüne Auge, blinkte und piepte wieder ruhig und monoton. Die Atmung von Trisha hörte auf zu rasseln und fuhr ganz normal fort. Ruhig und still und gleichmäßig.
Etwa eine Stunde lang blieb Frank bei ihnen im Zimmer, dann schien er einzusehen, dass er hier nicht erwünscht war und zog sich leise und zurückhaltend davon. Nachdem er den Raum verlassen hatte, griff Jodie unter ihren Stuhl und zog das Buch hervor. Es war Dienstag Abend.
VIII
Frank hatte einen unruhigen Schlaf, schon die ganze Woche über. Jede Nacht wachte er, von Alpträumen geplagt und gehetzt auf, wischte jedes Mal über seine verschwitze Stirn und starrte in die tiefe Finsternis, die ihn umhüllte. Das Verhältnis zu Jodie war kräftig ins Wanken geraten. Sie hatten seit dem Telefonat mit Doc Phillips kein Wort mehr miteinander gewechselt, selbst das gemeinsame Leid mochte sie nicht miteinander zu vereinen, im Gegenteil, je mehr das Unausweichliche näher rückte, um so aggressiver trat Jodie ihm entgegen, wie eine fauchende Katze, die ihr Junges beschützen wollte. Doch wovor? Doch nicht etwa vor ihm, oder vielleicht doch?
Plötzlich erschien ihm die Wohnung muffig und eng. Er stand auf, zog sich die Pantoffeln an und wollte gerade zum Bad, als er merkwürdige Laute hörte. Ein Murmeln und Stöhnen, dass fast einem keuchen gleichkam. Vorsichtig schlich er durch den Flur, bis er an der Tür zu Trisha´s Zimmer stand. Ein Lichtschimmer flackerte unter der Tür hervor und er glaubte einige Bewegungen auszumachen. Ganz leise griff er zur Türklinke und drückte diese hinunter, dann drückte er die Tür auf und blickte vorsichtig in den, im schalen Licht geworfenen Raum. Trisha lag dort auf ihrem Bett, unverändert, leise dahin vegetierend. Vor ihr, auf einen Stuhl, saß Jodie die Hände aufs Bett gelegt, mit dem Kopf auf einem Buch schlafend. Erleichtert atmete Frank durch und schaltete das Licht aus, dann trat er aus dem Zimmer. Doch im Unterbewusstsein glaubte er zu spüren, wie hinter ihm das Licht wieder eingeschaltet wurde.
IX
Jodie Farmer hatte an diesem Donnerstag Nachmittag grausames Leid erfahren, so wie es nur eine Mutter durchmachen konnte. Ihre kleine süße Tochter war im Schlaf verstorben. Still und sanft, nur das schrille Piepen hatte die Ruhe zerfetzt und die Tatsache, das ihr grausamer Mann erst viel später erschienen war, als alles schon vorbei war. Dafür hasste sie ihn nun noch viel mehr. Sie würde ihn nie wieder lieben können, denn er hatte sie und ihre Tochter verraten. Dafür hätte er eigentlich den Tod verdient, hätte sie nicht den Schlüssel in der Hand, mit dem sich alles ändern ließ. Sie hatte sich dazu entschlossen, lange noch, bevor sie überhaupt wusste, wie sie es anstellen sollte. Und jetzt war der Zeitpunkt gekommen, da sie das Schloss öffnen und in den unendlichen Tiefen und Sphären, Hilfe anfordern würde. Denn einem kleinen Kind stand es zu, dass es mit Lachen auf der Erde wandelte und sich an seinem Leben erfreute. Sie schlug eine der vorgemerkten Seiten im Nekrologium auf und sprach mit tiefer melodischer Stimme die fast unaussprechlichen Ferse und Beschwörungen, bis die Dunkelheit kam und mit ihr grollende Wolken. Und als die ersten Blitze am Himmel zuckten, drang ein tiefer Seufzer und ein schrilles, fast wahnsinniges Lachen aus dem kleinen Kinderzimmer.
X
Frank konnte es kaum glauben. Seine kleine Tochter war nun, nach über einem Jahr der Schmerzen und der Qual, im Schlaf versunken. Und obwohl dies allein Grund genug war, um sich am späten Nachmittag in eine Bar zu setzen und einen Jack Daniel´s nach dem anderen zu kippen, war dies nicht der Hauptgrund, denn er gestand sich ein, dass er sich schon lange mit den Folgen, die früher oder später hätten eintreten müssen, abgefunden hatte. Es war viel mehr die Tatsache, dass er nicht nur seine Tochter verloren hatte, sondern auch seine Frau. Schlimmer noch, er war sich sicher, dass sie dem Wahnsinn verfallen war und er glaubte, dass das alte Buch dazu beigetragen hatte. Er blickte den Barmann an, ließ sich noch einen einschenken, es sollte der letzte sein und machte sich auf den Weg nach Hause.
Er hatte Jodie drei Stunden geben wollen, doch jetzt würde er den Doktor verständigen müssen, damit der kleine Leichnam aus dem Zimmer seiner Tochter verschwand. Er ging in die nächste Telefonzelle, erledigte diesen Anruf schnell und stieg in die U-Bahn.
XI
Jodie legte den kleinen schlaffen Körper in die Badewanne. Dampf und Seifenschaum hüllten das kleine Mädchen ein und Jodie lächelte sanft und freundlich, dem noch bleichen Gesicht zu. Es war geschehen, sie konnte es kaum glauben. Sie hatte ihre Tochter gerettet.
Als die ersten Blitze vom Himmel prasselten, da hatte Trisha die Augen geöffnet und wie ein Baby, mit allen Gliedmaßen um sich geschlagen. Hatte geschrieen und gestöhnt, wie Kinder das halt machen und natürlich war alles so wie früher. Mit einem fast überraschtem Blick, sah sie auf ihren Arm. Blut strömte aus der Wunde an ihrem Handgelenk, in das heiße Wasser und vermengte sich dort, wie giftige Fäden in einer Brühe des Untodes.
Sie lächelte wahnsinnig, als sie sah, dass sich die kleinen Augen wieder öffneten und sie anstarrten.
XII
Frank kramte nach seinen Schlüsseln und öffnete unbeholfen die Tür. Er trank sonst kaum etwas und die wenigen Gläser, die er intus hatte, benebelten ihn schon ganz ordentlich, aber es machte die Sache durchaus ein wenig erträglicher. So dachte er, doch als er die Tür aufdrückte und ihn eine tiefgehende Leere empfing, da spürte er wieder jene Angst und Besorgnis. Vorsichtig betrat er die Wohnung, er konnte seinen unangenehmen Atem riechen und das entfernte Ticken einer Uhr hören. In der Ferne donnerte es, in der Wohnung aber, war es unheimlich still. Ganz langsam, als erwartete er ein Bild des Schreckens, betrat er die Wohnstube. Nichts. Er ging in die Küche, sie war leer, genau so wie das Schlafzimmer, aber das hatte er im Grunde erwartet.
Sie würde in Trisha´s Zimmer sein, dachte er und in seinen Gedanken traten grausame blutige Bilder hervor und er verabscheute sich dafür, weil er es zugelassen hatte. Sie hat sich umgebracht, dachte er nur und kämpfte mit sich selbst um Beherrschung. Langsam ging er weiter, seine Schritte klackten hohl und fern. Er betrat das kleine Schlafzimmer und der grelle Lichtschein der Tischlampe blendete ihn. Ein kühler Windzug streifte über seinen Nacken, wie eisige Hände und er wusste, dass ihn ein Bild des Schreckens erwarten würde. Er konnte schon das Blut riechen, dieser widerliche metallische Geruch. Seine Augen blinzelten wie die Schwirren einer Motte, gewöhnten sich ans Licht und überblickten den ganzen Raum. Er war leer. Selbst das Bett war gemacht. Verwundert und ein wenig irritiert sah er auf die Stelle, wo das Licht herkam und sein Blick blieb an einigen Blättern haften, die unordentlich auf einen Stapel gelegt worden waren. Als seine Hände die Zettel ergriffen, sie durchblätterten und die Texte und Zeichnungen erkannten und in der hier übersetzten Fassung begriffen, da taumelte er wie betäubt zurück und fiel fast über einen umgeworfenen Stuhl.
„Oh mein Gott“, keuchte er, als die wahre Bedeutung dessen, was er angerichtete hatte, zu ihm durchdrang, wenngleich er es nicht wirklich glauben konnte. Sofort sprang Frank auf und sah sich nochmals um.
„Hallo Schatz, bis du da?“, rief er nun und plötzlich hörte er ein leises schaben und kratzen, das von der Badezimmertür ausging. Diese beiden Geräusche klangen wie ein einziges unergründliches Etwas, das man nicht beschreiben konnte. Es berauschte seine Sinne, wie Schläge an einer kleinen Silberglocke. Dann klopfte etwas an die Tür, vielmehr hämmerte etwas gegen die Tür und Frank wollte erst zurückweichen, schloss dann aber wieder all seinen Mut zusammen und ging auf die Tür zu. Fast ohne sein zutun, ergriff seine Hand die Türklinke und drückte sie langsam nach unten. Und was dann kam, war der ultimative Schrecken und wäre sein Verstand nicht vom Alkohol berauscht, so wäre er ganz bestimmt, vor Angst gestorben.
Die Tür ging nach innen auf und eine kleine keifende Gestalt, mit leuchtend weißen Augen kam auf ihn zugesprungen, riss ihn zu Boden und biss ihn in den Hals. Blut schoss aus der klaffenden Wunde und besudelte ihn, wie einen räudigen Hund.
Frank wehrte sich, wollte das Ding von sich wegschleudern, doch all seine Kräfte wichen, in einer nie für möglich gehaltenen Geschwindigkeit, aus ihm und er spürte wie sich sein Leben in einen immer dichteren Nebel des Entsetzens auflöste.
Dennoch überwand er diese schreckliche Erkenntnis und trat das Ding von sich weg. Es faucht ihn an, krümmte sich zusammen und sprang Katzengleich in Trisha´s Kinderzimmer hinein. Dort verharrte es und starrte ihn aus ausdruckslosen trüben Augen an. Frank war speiübel, mit der Hand presste er die Wunde am Hals ab, aber der rote Saft sprudelte noch immer in großen Rinsällen aus der Wunde. Halb betäubt schaffte er es, sich aufzuraffen und ins Badezimmer zu blicken. Er machte das Licht an und stützte sich am Türrahmen ab. Doch als er Jodie sah, gaben seine Beine ihren Geist auf und er sackte kraftlos zu Boden. Im würde Augenblicklich schlecht und er übergab sich dort im Erbrochenen. Der Anblick war wie ein Anker der ihn in die Tiefe zog.
In der Badewanne lag Jodie und ihr Anblick war…unerträglich.
Etwas hatte ihr den Bauch aufgerissen und jetzt lagen ihre Innereien nach Außen, wie ein aufgerissener Kabelbaum. Gedärme und Organe lagen vollkommen zerfetzt in allen Himmelsrichtungen zerstreut und die Rippenknochen hingen im weiten Bogen aus der Brust, wie riesige Zahnstocher. Alles schimmerte rot glänzend, selbst die nackte Haut war schleimig und grau, wie mit giftigem Speichel bedeckt. Der Kopf war wie eine Haselnuss aufgeplatzt und graurote Gehirnmasse quoll wie kleine Schwammstücke aus dem weißen Likör heraus. Glanzlose Augen, eines davon zerquetscht und herausgerissen, lag einen Meter entfernt, das Andere hing wie eine abscheuliche Kaulquappe an einen Muskelstrang fest und baumelte aus der rechten Augenhöhle und schien ihn noch irgendwie anklagend anzustarren.
Und wie um das gesamte Grauen zu vervollständigen, lag in der Mitte, jenes Buch, das er vor einer Woche angeschleppt hatte. Die Erinnerung an die übersetzten Fragmente drangen wieder zu ihm durch und ließen ihn zusammenzucken.
Das Ritual des Blutes.
Der, der zuweilen den Tod besiegen will, der muss einen Packt mit dem Blut schließen, denn das Blut ist das Leben...Doch zu unterschätzen ist nicht das Wasser, das ein Aufbereiter des Lebens ist, wie auch das Tor zu jenen Sphären der Unsterblichkeit...
Mehr hatte er nicht gelesen, aber die Bedeutung des Ganzen wurde ihm nur zu sehr bewusst. Es handelte sich um ein Ritual, mit dem man die Toten wieder auferstehen lassen konnte. Zumindest in der Theorie, in Wirklichkeit aber, kamen ganz andere Gestallten in die Welt der Lebenden.
„Oh mein Gott, das kann doch nur ein abscheulicher Alptraum sein“, krächzte er und schüttelte den Kopf. Wie konnte so etwas nur möglich sein? War seine Tochter nun eine Art Zombie?
Die Frage sollte unbeantwortet bleiben, denn jetzt öffnete sich wieder die Tür zu Trisha´s Zimmer und er sah jenes Wesen, das dort wie eine Hyäne lauerte. Es bewegte sich nicht, es beobachtete ihn nur, auf eine schlaue intelligente Weise, die nichts mit einem Tier zutun hatte. Franke sammelte all seine Kräfte, dann drückte er sich am Türrahmen hoch und schätzte die Entfernung von ihm, der Wohnzimmertür und jenem Wesen ab. Er musste es wagen. Er sprang los, das Ding sprang los, mit einer unerwarteten Gewandtheit kam es auf ihn zu. Frank taumelte ins Wohnzimmer, riss die Tür zu, sah noch wie die weißen Augen auf ihn zuschossen, schloss sie ab, fiel rücklings nach hinten und ergoss einen dicken Strom Blutes. Dann donnerte etwas gegen die Tür. Etwas Gewaltiges und sehr Kräftiges. Frank erkannte, dass die Welt vor seinen Augen verschwamm, er hatte zuviel Blut verloren, dass wusste er und noch etwas drang in seinen Verstand, er durfte diese Welt nicht alleine verlassen. Er musste das Ding töten, das einst seine Tochter gewesen war und nun...er hatte keine Ahnung.
Er überlegte kurz. Versuchte durch den Nebelschleier vor seinen Augen klar zu denken und kroch schließlich zum Fenster, machte es auf und starrte auf die kleinen Lichter, die wie Glimmer funkelten. Die Tür erzitterte. Erneutes Donnern. Die Scharniere knarrten, Putz bröckelte vom Türrahmen. Das Ticken der Uhr, das Rauschen des Regens, das ferne Grummeln der Wolken, der Straßenlärm der Stadt berauschten seine Sinne und dann hörte er noch wie Holz knarrte, nachgab und zerbarst, wie etwas wild fauchend durch die Tür sprang und auf ihn zustürmte. Mit seinen letzten Kräften, drehte er sich um und als das Ding auf ihn zusprang, umarmte er es, hielt es mit all seinen Kräften fest an sich und spürte wie es ihm die Luftröhre zerfetzte und wie er nach hinten taumelte, direkt in den reißenden Schlund der Nacht fiel. Dann befand er sich in etwas Schwerelosem, der Wind fing ihn auf und ließ ihn, mit dem kleinen abscheulichen Bündel in seinen Armen, herumwirbeln. Lichter tanzten um ihn, alles drehte sich und dann wich der Schmerz von ihm und langsam verblassten die Lichter um ihn herum, bis sie in eine ewige Dunkelheit versanken. Er atmete ein letztes Mal aus, bevor die Wucht des Aufpralls seinen Körper zerschmetterte.
XIII
Terrenc Mc Klare, war seit dreiundzwanzig Jahren bei der Polizei und hatte nie etwas Grausameres gesehen, als das, was ihn in dieser Nacht erwartete. Er hatte sich drei Mal erleichtern müssen, ehe er die Wohnung wieder betreten konnte und selbst dann schien ihm die Galle hochzukommen. Wie konnte ein Mensch nur so ausflippen und seine Familie auf solche Weise hinrichten? Wie krank musste ein Mensch sein?
Vorsichtig lief er durch das Badezimmer, blickte auf die weise Plastikplane, die nur einen Teil des Übels bedeckte und dachte unweigerlich an seine todkranke Frau Mary, die mit einem bösartigen Gehirntumor zu Hause lag. Ihm wurde wieder übel und er stütze sich auf seine Knie ab. „Verdammte Scheiße“, keuchte er und fragte sich erneut, wie krank ein Mensch sein musste, um solche Dinge zu tun. Der Mann hatte seine Frau auf übelste Weise hingerichtet, hatte all seinen Hass auf sie gelenkt, das konnte man deutlich sehen und wie er sie gehasst haben musste! Doch warum die Tochter mit in den Tod reißen? Hatte es nicht gereicht, seine Frau abzuschlachten? Warum dieses zierliche Geschöpf mit in den eigenen Tod verschleppen? Würde er jemals eine Antwort darauf erhalten?
Plötzlich fiel sein Blick auf etwas, das am Boden. Er hob das schwere Bündel auf und untersuchte es. Mit einem Mal fühlte er sich irgendwie berauscht, als wenn das Ding in seinen Händen ihm etwas zuflüsterte, wie etwas Verbotenes und Unerreichbares. Es kam ihm wirklich so vor, als riefe es seinen Namen. Er schlug das Buch auf und blätterte durch die Seiten. Er würde es nur mal kurz durchblättern, dachte er und ahnte nicht, dass es bereits zu spät war.