Was ist neu

Das neue Haus

Seniors
Beitritt
24.04.2003
Beiträge
1.444
Zuletzt bearbeitet:

Das neue Haus

Die Straße verlief gleich neben den Bahngleisen. Ansonsten gab es hier nur Weizenfelder.
Das Haus stand ziemlich genau zwischen zwei Dörfern, unmittelbar neben den Schienen. Keine Nachbarn; drei Kilometer bis zum jeweils nächsten Ort.
Nicht gerade günstig für eine alte Frau.
"Und hier will deine Oma einziehen?"
Sebastian sah aus dem Fenster, während er die Frage stellte.
"Sie soll Essen auf Rädern bekommen", gab Claudia in einem Ton zurück, der verriet, dass sie die Situation ebenso unvorteilhaft wie ihr Freund einschätzte.
"Du kennst die Geschichte, die ich dir von dem Haus erzählt habe."
Claudia bremste den Wagen sachte ab, und bog auf den unebenen Schotterweg ein. Dichte Sträucher und Bäume gaben von hier aus lediglich den Blick auf das Dachgeschoss frei. Ein kleines Fenster, das eher an eine mittelalterliche Schießscharte erinnerte, befand sich in der weißen Wand.
"Ach komm schon, solche Geschichten machen es doch gerade erst interessant, oder?"
Das große Doppeltor stand offen. Als die beiden ausstiegen, kam ihnen ein hochgewachsener Mann entgegen, der die Hand zum Gruß ausstreckte.
"Hallo Onkel Benjamin", sagte Claudia und stellte ihm zügig Sebastian vor.
Die Farbflecken auf der Jogginghose ihres Onkels zeugten davon, dass er gerade mitten in den Renovierungsarbeiten steckte.
"Kommt rein ihr zwei. Wir sind schon seit heute morgen hier. Eine Menge Arbeit mit dem alten Kasten."
Jenseits des Tores wurde deutlich, wie lange hier schon niemand mehr gelebt hatte. Ein riesiger, rund um das Gebäude verlaufender Garten, der nicht wirkte, als sei er jemals gepflegt gewesen, offenbarte sich als überwucherte Ansammlung unzähliger Büsche, jahrelang ungemähtem Grases, und dicker, scheinbar zufällig aus dem Boden gewachsener Baumstämme. Eine rostige Kinderschaukel stand gleich neben dem Holzzaun.
Das Haus selbst war größer, als es vom Weg aus betrachtet den Anschein gehabt hatte. Hier war gut und gerne Platz für zwei Familien.
"Na ihr beiden." - Eine schief lächelnde Frau trat aus der Tür.
"Hallo Claudia. Sebastian, wir hatten uns ja schonmal kurz auf dem Geburtstag gesehen. Alles klar bei euch?"
Claudia nickte.
"Hallo Tante Elfriede. Und ... ihr seid heftig in die Arbeit vertieft?"
Die Frau wischte sich symbolisch mit dem Arm über die faltige Stirn.
"Hier gibt es so viel zu tun, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen."
Sebastian sah an der seitlichen Wand entlang. Hohes Geäst bildete zwischen Garten und Haus einen überdachten Korridor. Auf dem Boden lagen verrostete Harken und Schaufeln in wilder Anordnung.
"Kommt rein", befahl Benjamin eher, als dass er darum bat. Man musste kein Menschenkenner sein, um zu merken, dass ihn der Besuch der beiden störte.
Hinter der Tür befand sich ein schmaler Treppenaufgang. Hier war bereits alles renoviert worden. Saubere Granitstufen führten hinauf in das erste Stockwerk. Rechts war eine Wölbung in der Wand.
"Den Kleiderständer haben wir da noch nicht angebracht", bemerkte Elfriede, als sie Sebastians prüfenden Blick sah.
"War dahinter früher eine Tür?"
Jetzt lächelte sie noch schiefer, und verzog das Gesicht auf eine Weise, die eine mimische Zuordnung unmöglich machte.
"Du bist ein guter Beobachter. Ja, das Haus war früher eine komplette Einheit. Dieser Durchgang ist schon seit Jahren zugemauert."
Krampfhaft zog sie die Schultern nach oben.
"Mehr hat uns der Besitzer aber auch nicht gesagt. Ist aber auch egal. Das Erdgeschoss sieht schlimm aus. Da hat lange Zeit niemand mehr gewohnt. Man kann es noch über die Terrassentür betreten. Mir ist es viel zu schmutzig dort. Gehen wir jetzt nach oben?"
Obwohl bis auf die altmodische Couchgarnitur noch gänzlich unmöbliert, sah das Wohnzimmer äußerst einladend aus. Die großen Fensterfronten ließen einen sowohl die Weizenfelder, als auch den verwitterten Garten überblicken, und eine Menge Licht drang in den großzügig ausgelegten Raum. Das depressive Bild von unten verschwand hier mit einer Schnelligkeit, die Sebastian taumelnd machte. Dies war jetzt eine vollständig modernisierte Wohnung. In der geräumigen Küche fand sich ein teurer Herd nebst Designerkühlschrank; im Bad war eine neue Toilettenschüssel installiert, die Fliesen frisch verlegt.
Tante und Onkel hatten einiges geleistet für die alte Frau, die bald schon hier wohnen sollte.
Während Benjamin sich einen Tritt zurecht rückte, um mit der unterbrochenen Installation einer Deckenlampe fortzufahren, entfernte sich Elfriedes Stimme mit den Worten: "Und hier ist das Schlafzimmer, wobei wir noch ..."
Claudia war ihr bereits hinterhergeeilt.
Sebastian schaute weiterhin aus dem Fenster. Die Ausmaße dieser ersten Etage waren wirklich beeindruckend. Ihm ging die Geschichte nicht aus dem Kopf.
Wie oft schon war er an diesem Haus vorbeigefahren; hatte dabei ein komisches Gefühl gehabt. Und jetzt stand er plötzlich selbst hier drin. Es war ... seltsam.
Er schaute zu dem Durchgang, an dessem Einlass noch die Tür fehlte. Claudia und ihre Tante befanden sich irgendwo weiter hinten. Dann blieb sein Blick an Benjamin haften, der leise fluchend mit der Lampe beschäftigt war.
Sebastian brachte die Stufen hinter sich, und als er zurück in den Garten kam, war ihm, als betrete er eine andere Welt.
Es hatte leicht zu regnen angefangen, und als er seinen Kopf nach links drehte, sah er die vermeintliche Tür.
Das es vorne einmal eine Terrasse gegeben hatte, ließ sich bloß noch erahnen. Verwitterte und gänzlich zerbrochene Überreste einstiger Platten zeichneten sich träge zwischen dem hohen Gras ab.
Die Tür stand offen. Sebastian betrat den unteren Teil des Hauses.
Steine waren abgebröckelt; hatten große Löcher in den vermoosten Wänden hinterlassen.
Alles hier war vollständig eingerichtet. Garnituren und Schränke, die Sebastian spontan den sechziger Jahren zuordnete, lagen von Würmern und anderem Getier zerfressen dort, wo sie seit langen Zeiten niemand mehr gebraucht hatte. Sogar ein alter Fernsehapparat stand noch in der Ecke.
Das ehemalige Wohnzimmer wurde von dem müden Licht, das durch blinde Fenster fiel, in eine seltsame Dämmerung getaucht. Es war ekelhaft hier unten. Ein türloser Rahmen gab das einstige Badezimmer preis. Aus der Toilette kroch Ungeziefer. Aus der Badewanne zahlreiche andere Insekten. Hier unten gab es keine Küche. Wie auch? Das Haus war eine Einheit gewesen ... irgendwann einmal.
Sebastian verließ den Raum und fand sich in einem kleinen Zimmer wieder, von dem aus zwei noch eingehängte Türen abgingen. Angewidert drückte er die glitschige Klinke der ihm nächsten Tür nach unten.
Dahinter lag eine Treppe. Mit grünem Schimmel bewachsene, abgewetzte Stufen führten in eine undefinierbare Dunkelheit.
An einen möglichen Keller hatte er bislang überhaupt nicht gedacht.
Zu seiner Überraschung ging das Licht an, als er den abgewetzten Schalter betätigte, der lose aus den Steinen baumelte.
Es kostete ihn einige Überwindung, nach unten zu gehen, trotz der Neugier, die aus der Geschichte entstand, die er vor Jahren gehört hatte.
Sebastian war fast schon enttäuscht, als er feststellte, dass der Keller nur aus einem Heizraum für die Kessel bestand. Uralte, gigantische Dinger zwar, aber mehr war da nicht. Nur zwei große Kessel.
Dann hörte er das Trampeln.
Was machten die da oben bloß? Kurz kam ihm der Gedanke, Benjamin sei mit dem Tritt umgestürzt, aber dafür war das Geräusch zu anhaltend. Es endete gar nicht mehr.
Er wandte sich von den Kesseln ab, als das Licht ausging. Und genau da bekam er Panik.
Er schlich so vorsichtig wie möglich in die Richtung, in der er die Treppe vermutete; aber seine Fingerkuppen fanden nur die alten Steine der Wände. Keinen Durchgang mehr.
Und dann wurde das Trampeln zu einem Stampfen, und entgegen aller Erwartungen, tat sich da plötzlich Luft auf, und Sebastian hatte den Gang gefunden, und da oben stand jemand. Selbst im Dunkeln konnte er sehen, dass da jemand stand, und er lief die Stufen hoch, ohne zu sehen, das da weder Claudia, noch Benjamin, noch Elfriede stand, und ...

... als er schwer atmend wieder im Garten war, da sahen sie ihn alle fragend an. Er selbst heulte wie ein kleines Kind.

"Genauso war es", begann Elfriede.
"Halt den Mund", unterbrach Benjamin sie. - "Das muss niemand wissen."
Elfriede stütze zusammen mit Claudia den wankenden Freund ab.
"Aber so war es. Sie haben das Erdgeschoss zugemauert. Und der Sohn ist vor die Bahn gesprungen!"
"Du sollst den Mund halten, Frau! Du sollst den Mund halten."
"Das ist ein böses Haus."

Benjamin winkte ab.

"Deine Mutter wird es hier gut haben", sagte er.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Cerberus,

stilistisch ist mir spontan nur eine Sache aufgefallen:

und als er zurück in den Garten kam, war ihm, als betrete er eine andere Welt.
Es hatte leicht zu regnen angefangen, und als er seinen Kopf nach links drehte

Die Entdeckung des versifften Inneren des Hauses fand ich schoen beschrieben, aber ich muss zu meiner Schande gestehen: Ich hab’ die Geschichte nicht geschnallt. Mag daran liegen, dass ich sie nach der Arbeit gelesen habe und meinen Augen lieber mal 'ne Bildschirmpause goennen sollte, anstatt mich gleich wieder vor die alte Roehre zu haengen. Nach neun Stunden loest sich schon mal die Netzhaut ab und die Birne wird weich. :drool:

Aber so war es. Sie haben das Erdgeschoss zugemauert. Und der Sohn ist vor die Bahn gesprungen!"

Das ist der Clou der Geschichte, soviel habe ich verstanden. Glaub’ ich. Aber worin genau liegt er denn jetzt, der Kluh?

Kannst du nicht einfach aus dem Nichts ein paar Zombies auftauchen lassen? Das entspraeche meinem Wunsch nach leichtfuessiger Feierabendunterhaltung schon eher. ;)

Bitte um Aufklaerung,

Jan-Christoph

 

Hallo Cerb!

Ich kann nicht sagen, dass ich die Story verstanden habe, komischerweise hatte ich beim Lesen (vor allen Dingen den Absatz in dem Sebastian das Haus erkundet) immer wieder den ollen Freud vor Augen, mit seinem Es und dem Ich. Es kam mir so vor, als sei die Reise Sebastians eine Erkundung menschlicher Triebe und Scheuslichkeiten.
Aber, wie oben gesagt, kann auch ganz anders sein.:D

Ich würde mir von dir mal wieder eine längere, strukturiertere Geschichte wünschen, eine, in die du mehr Arbeit gesteckt hast. Eine, die du auch überarbeitet hast!:naughty:

"Du kennst die Geschichte, die ich dir von dem Haus erzählt habe."

Ich habe erwartet, die Antwort lautet "Nein."
Aber das hast du mir dann doch erspart.:D Aber ich weiß ja, was du meinst.

Grüße von meiner Seite!

 

Servus Cerberus!

Naja, nicht gerade das Gelbe vom Ei, dein Haus des Schreckens. Der Anfang ist toll beschrieben mit wirkungsvollen Sätzen wie:

Dichte Sträucher und Bäume gaben von hier aus lediglich den Blick auf das Dachgeschoss frei. Ein kleines Fenster, das eher an eine mittelalterliche Schießscharte erinnerte, befand sich in der weißen Wand.

Die ganze Figurenkonstellation ist dafür reichlich verwirrend, die Charaktere haben einfach nicht genug Aufmerksamkeit vom Autor (einem gewissen Höllenhund glaube ich :D ) bekommen. Der Prot. bleibt blass und die Hintergrundgeschichte mit der Oma wirkt wie ein Mc Guffin von Hitchcock, also nur ein eingebauter Vorwand, um den Besuch im Horrorhaus zu rechtfertigen.

Die Pointe kommt auch sehr plötzlich aber keinesfalls unerwartet. Eine gruselige Gestalt im Keller ... also bitte, was besseres ist dir nicht eingefallen?

Fazit: Nach der Lektüre werde ich den Eindruck nicht los, dass du eigentlich eine längere Erzählung geplant hattest, dann aber die Lust daran verloren hast und das Ganze nur schnell beenden wolltest. Das würde ich dann wiederum verstehen. Bitte um ein paar klärende Worte.

Gruß, Marvin

PS: Was zum Geier soll bitteschön dieser neue Smiley aussagen? :chaosqueen:

 

Hi Cerberus,
Guter Einstieg aber auch ich verstehe das Ende nicht. Es scheint, dass Sebastian ja noch einmal entkommen ist. Aber warum?
Und dadurch, das Sebastian sie ja gleich aufklären wird, ist Benjamins letzter Satz völlig entkräftet.
Besser wäre ein Hirngewaschener Sebastian, der HErauskommt, während der echte noch unten leidet, und dann Benjamin mit ihm gemeinsam alles für die liebe Oma vorbereitet.
Irgendwie bin ich bei den Figuren auch durcheinander gekommen:

Man musste kein Menschenkenner sein, um zu merken, dass ihn der Besuch der beiden störte.
das wirkt etwas mit dem Holzhammer reingedrückt. Da könntest du in der Sprache der Protagonisten noch viel mehr herausarbeiten
"Hallo Onkel Benjamin", sagte Claudia und stellte ihm zügig Sebastian vor.
Hier hättest du Platz die Protagonisten sprechen zu lassen und so ihren Charakter herauszuarbeiten. Damit wirkt es viel echter

Insgtesamt macht die Geschichte auch auf mich einen unfertigen Eindruck. Das Setting und die Einleitung gefallen mir aber sehr gut und machen Lust auf mehr

L.G.
Bernhard

 

Hallo Cerberus, jajaja. Nach langer langer Zeit bin ich wieder auf dieser Seite gelandet - und ich hoffe dass ich dass jetzt auch wieder regelmäßiger tun werde. Aber die Geschichte hat mich jetzt irgendwie hellhörig werden lassen.
Ich glaube, ich sollte mir die Hütte mal beizeiten ansehen. Klingt ja irgendwie doch ganz interessant, wenn auch als Hintergrund für eine Geschichte nur bedingt tauglich, da all der Lokalklatsch wohl zuwenig Substanz übrigläßt.
Aber ich denke du hast das Beste draus gemacht.
Die Szene im keller hätte ich mir etwas länger gewünscht.
Du hättest etwas mehr Fiktion reinbringen sollen, um die Geschichte etwas aufzuplustern (das ist jetzt konstruktiv gemeint), dann wäre sicherlich mehr drin gewesen. Aber grundsätzlich stehe ich ja auf den guten alten klassischen Horror.

Na denne - alter Geisterjäger.

 

Schönen guten Abend.

Erstmal vielen Dank für die zahlreichen Kommentare.

Zur Erklärung des scheinbar doch etwas undurchsichtigen Endes:

Onkel und Tante wissen über das Haus scheinbar mehr, als sie zugeben möchten. Die nicht näher beschriebene Geschichte, die von Anfang an Thema ist, lässt ja bereits erahnen, dass über das Haus gemunkelt wird. Und wenn eine Oma hingeht, sich ein Haus kauft, in dem locker Platz für zwei Familien ist, sich einen Designerkühlschrank etc. leistet, da liegt die Vermutung nahe, dass Onkel und Tante auf ein alsbaldiges Ableben der Oma zwecks Erbschaft hoffen, und dass sie wissen, dass dieses in jenem Haus etwas schneller als natürlich stattfinden könnte.
Sebastian begegnet im Keller dann ja auch gleich einer Geistergestalt.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom