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Das Opfer

Monster-WG
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10.07.2020
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Das Opfer

Hauptsturmführer Moritz von Stetten stieg aus dem Fond des Mercedes-Benz und sah sich auf dem Fabrikhof um. Ein paar dutzend Wehrmachtssoldaten wuchteten Kisten auf die Ladeflächen schlammbespritzter Lastwagen. Der wochenlange Regen hatte den Boden aufgeweicht. Die Männer mussten achtgeben, nicht auszurutschen. Sie beeilen sich, dachte von Stetten. Sie wollen so schnell wie möglich weg von hier. Der Befehl zur Räumung der Fabrik war gerade mal sechs Stunden her.

Von Stetten nahm seinen Lederkoffer von der Rückbank und bedeutete dem Fahrer, im Wagen zu bleiben. Zwei Soldaten eilten ihm entgegen. "Hauptsturmführer”, sagte einer der beiden, ein kleiner Mann mit pockenvernarbtem Gesicht und wässrigen Augen. “Der Direktor erwartet Sie.”
Von Stetten warf einen Blick auf seine Taschenuhr. 4:37 Uhr. “Das Urteil wird um 6 Uhr vollstreckt?”
Der Soldat nickte.
Der Hauptsturmführer zog ein Zigarettenetui aus der Innentasche seines Mantels, ließ den Verschluss aufschnappen und klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. “Geben wir dem Direktor noch ein paar Minuten, ehe wir ihn aus dem Bett holen.”
Der Pockennarbige gab ihm Feuer.
Von Stetten nahm einen langen Zug und stieß den Rauch durch die Nase aus. “Hat der Mann gestanden?”
“Das weiß ich nicht.”
“Was haben Sie denn gehört?”
“Der Direktor hat Sie gerufen, Hauptsturmführer. Er will wohl einen letzten Versuch machen, bevor Karl Adam hingerichtet wird.”
Von Stetten ließ seinen Blick über den Hof schweifen. Die Soldaten wirkten ausgezehrt, ihre Augen waren müde, die Hände schmutzig und geschwollen. Am hinteren Ende des Hofes erkannte er die Silhouette eines Galgens, eilends aufgerichtet für die bevorstehende Hinrichtung. Darüber erhoben sich die dunklen Gipfel der Ostkarpaten. Nach einer Minute schnippte er die Zigarette ins Dunkel und griff nach dem Lederkoffer. “Gehen wir.”

Das Büro des Gefängnisdirektors befand sich im Erdgeschoss der besetzten Fabrik. Der Wachmann führte von Stetten durch lange Gänge, von deren Decken nackte Glühbirnen hingen. Ein paar Mal mussten sie Wehrmachtssoldaten Platz machen, die weitere Kisten in den Hof trugen. Sie erreichten eine schmutzigweiße Tür, auf der DIRECTIA stand. Der Wachmann klopfte und trat ein, ohne eine Reaktion abzuwarten. Von Stetten folgte ihm in ein großes Büro. Helle Flecken verrieten, wo bis vor Kurzem Möbel gestanden hatten. Jetzt war davon nicht viel übrig: In der Mitte des Raums stand ein Schreibtisch, dahinter eine Kommode und zwei schmale Tische. Hunderte Akten waren an einer Wand aufgestellt. Darüber hingen zwei Karten: eine zeigte das Reich in den Grenzen vom Frühjahr 1941, die andere die Ostkarpaten.
Ein blasser, untersetzter Mann kam ihnen entgegen. “Hauptsturmführer von Stetten. Ich bin Max Erdmann. Danke, dass Sie gekommen sind.”
Von Stetten nickte.
“Ich kann die Hinrichtung nicht mehr aufschieben”, erklärte Erdmann. “Aber wenn wir noch eine Chance haben, zu erfahren, was da oben wirklich vorgefallen ist ...” Er zögerte. “Wir haben hier mit den Partisanen mehr als genug zu tun. Das Letzte, was wir brauchen, sind Schauermärchen über durchgedrehte SS-Leute.”
“Lassen Sie uns keine Zeit verlieren”, sagte von Stetten. “Bringen Sie mich zu Adam.”
“Einen Augenblick …” Der Direktor beugte sich über den Schreibtisch und zog ein kleines, ledergebundenes Buch hervor. “Ich möchte, dass Sie das hier sehen, bevor Sie mit ihm sprechen.”
Der Hauptsturmführer betrachtete den schmalen Druck. Der lederne Einband war spröde und bleich. Haarfeine Risse zogen sich wie Adern über den Umschlag. An einigen Stellen saßen erbsengroße Verdickungen auf dem Einband; kleine Polypen, die von Stetten unwillkürlich an Muttermale denken ließen. Angewidert verzog er den Mund. “Was ist das?”
Der Direktor schüttelte den Kopf. “Das wissen wir nicht.”
Von Stetten schlug den Band auf. Die Seiten waren eng bedruckt. Winzige Buchstaben reihten sich in scheinbar endloser Folge aneinander. Er erkannte weder Leerstellen noch Interpunktion. Auf den ersten Blick wirkten die Buchstaben vertraut, aber bei näherem Hinsehen stellte er fest, dass sie keiner ihm bekannten Schrift angehörten. Er blätterte das Buch rasch durch und schlug es zu. “Der Gruppenführer hatte irgendein altes Buch dabei. Warum sollte mich das kümmern?”
Max Erdmann kratzte sich am Kopf. “Offenbar war Karl Adam im Begriff, es abzuschreiben, als unser Spähtrupp ihn entdeckte.”
Von Stetten zog die Augenbrauen hoch.
Der Gefängnisdirektor schluckte. “Was ich Ihnen jetzt sage, steht nicht in meinem Bericht. Es ... es klingt verrückt.” Er nahm das Buch wieder an sich und schlug die erste Seite auf. “Es sieht so aus, als habe der Gruppenführer versucht, diesen Text mit einem Skalpell in die Häute seiner Männer zu ritzen.”
Von Stetten blickte den Gefängnisdirektor skeptisch an. “Was sagen Sie da?”
“Ich weiß, es klingt wie ein Ammenmärchen ...”
Von Stetten schnaubte. “Karl Adam hat seine eigenen Männer gefoltert?”
“Nein, das nicht. Als er sie geschnitten hat, waren sie schon tot.”
Von Stetten musterte den Gefängnisdirektor. War Max Erdmann hier oben verrückt geworden? War es das, was die Karpaten mit Fremden machten?
“Geben Sie mir das Buch.” Er steckte den Band in die Außentasche seines Lederkoffers. “Bringen Sie mich zu ihm. Unterwegs schildern Sie mir, wie er aufgefunden wurde.”
Der Direktor bedeutete dem Wachmann, ihnen zu folgen. Sie verließen das Büro, durchquerten einen mit Munitionskisten vollgestellten Flur und stiegen über eine enge Treppe in den Keller hinab.

Erdmanns Bericht enthielt nichts, was von Stetten nicht bereits wusste. Gruppenführer Karl Adam und sechs seiner Männer waren kurz vor Neujahr in einem der abgelegenen Hochtäler verschollen. Man war davon ausgegangen, dass sie Partisanen in die Hände gefallen waren. Niemand hatte geglaubt, dass man sie lebendig wiederfinden würde. Bis zum gestrigen Morgen. Ein Spähtrupp hatte den Gruppenführer und seine Männer in den Ruinen einer verfallenen Kapelle entdeckt. Nur Adam war am Leben. Ein Späher hatte zu Protokoll gegeben, dass er eine unverständliche Formel rezitiert habe. Ein anderer erklärte, er habe apathisch gewirkt.
“Wir haben die Späher stundenlang befragt”, schloss der Gefängnisdirektor. “Aber mehr haben wir nicht aus ihnen herausbekommen. Sie haben Schwierigkeiten, sich an Details zu erinnern, und widersprechen einander häufig.”
Sie durchquerten einen Vorraum. Zwei Wachmänner sprangen auf und hoben die Arme zum Gruß. Eine Stahltür führte in einen schmalen Gang, von dem zu beiden Seiten dutzende Türen abgingen. “Hier haben sie bis vor ein paar Wochen Chemikalien gelagert”, sagte Erdmann.
Ein weiterer Wachmann saß vor einer Tür am Ende des Ganges. Auch er sprang auf und grüßte.
“Herr Direktor!”
Erdmann nickte. “Wir ...”
Von Stetten trat vor und hielt den Direktor an der Schulter fest. “Warten Sie”, sagte er. “Ich möchte alleine mit ihm sprechen. Mich kennt er nicht.”
Der Direktor runzelte die Stirn. Dann zuckte er mit den Achseln. “Nur zu, Hauptsturmführer”, sagte er. “Karl Adam gehört Ihnen, bis 5:45 Uhr. Dann holen wir ihn ab. Um Punkt 6 Uhr wird er hingerichtet.“

Moritz von Stetten drückte die Türklinke herunter und trat über die niedrige Schwelle.
Die Kammer war drei mal drei Meter groß. Eine vergitterte Lampe spendete etwas Licht. Gruppenführer Karl Adam lag zusammengekrümmt in einer Ecke, das Gesicht zur Wand gedreht. Er trug eine schmutzige Uniformhose und ein dunkel verfärbtes Unterhemd. Seine Füße waren nackt, das Haar und der Vollbart verdreckt. Als der Hauptsturmführer in die Kammer trat, drehte sich der Gefangene um. Sein Gesicht war blutig und geschwollen. Nur seine Pupillen leuchteten hell.
“Karl Adam”, sagte von Stetten. “Können Sie mich hören?”
Der Gefangene stöhnte. Blutiger Schaum lief über sein Kinn.
Von Stetten ging in die Knie. “Ich bin Hauptsturmführer Moritz von Stetten”, sagte er, jedes Wort einzeln betonend.
“… Stetten.”
Der Hauptsturmführer streifte seine Lederhandschuhe ab und steckte sie in die Manteltaschen. Er fuhr mit einem Zeigefinger vorsichtig über Adams Schläfe. “Die Soldaten haben Sie übel zugerichtet.”
Karl Adam stemmte seinen Oberkörper in die Höhe und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.
Von Stetten öffnete den Lederkoffer und drehte ihn so, dass der Gefangene die Instrumente sehen konnte. “Erzählen Sie mir, was passiert ist”, sagte er.
“Moritz … von … Stetten.” Die abgebrochenen Schneidezähne des Gruppenführers glänzten im Licht der Deckenlampe. Irritiert erkannte von Stetten, dass Karl Adam lächelte.

“Der … Schlächter von … Hezberg …”
Von Stetten hielt kurz inne. Schlächter. So hatte man ihn schon lange nicht mehr genannt. Unwillkürlich dachte er an das trockene Knattern von Maschinenpistolen, an Leichengruben und den Geruch von Benzin. “Machen Sie es sich nicht unnötig schwer”, sagte er und nahm einen chirurgischen Hammer und eine lange Nadel aus dem Koffer.
Ein schrilles Lachen ließ frisches Blut über das Kinn des Gruppenführers fließen.
Ohne zu zögern ließ von Stetten den Hammer auf das linke Ohr des Mannes fallen. Adam taumelte und stürzte zur Seite. Von Stetten presste ein Knie auf den Nacken des Gruppenführers. Dann schob er den Nadelkopf in Adams Ohr, bis er auf Widerstand traf - und schlug zu. Die Nadel drang tief in den Gehörgang ein.
Adam brüllte und krampfte, konnte sich aber nicht befreien.
“Was ist mit Ihrem Trupp passiert?”
Gruppenführer Karl Adam lachte. Lachte laut. Wie ein Mann, der einen Triumph auskostet.
Von Stetten schlug erneut zu. Die Nadel bohrte sich tiefer in das Ohr. Schwarzes Blut schoss hervor. Adam krächzte. Seine Zähne glänzten rot.
Erst nach ein paar Sekunden begriff von Stetten, dass der Gruppenführer Wörter artikulierte.
Nghath’l ftaal nghath’l ftlorh nghath’l ftgn …
“Was zum Teufel ...?”, murmelte von Stetten.
Der Gruppenführer riss seinen gebrochenen Kiefer auf und ein langer, violetter Stachel schoss hervor. Von Stetten sah ein Geflecht schwarzer Adern und eine kleine, glänzende Spitze. Während der Stachel sich weiter und weiter aus der Kehle des Gruppenführers hervor stülpte, öffnete sich seine Spitze wie eine Blüte. Von Stetten blickte in ein kreisrundes Maul. Dann schloss die Blüte sich erneut, die schwarzen Krallen verbanden sich zu einem langen, scharfen Dorn – und stießen tief in seine Brust.

Von Stettens Augen waren leer und blind, aber er sah. Seine Ohren waren taub, aber er hörte. Er roch und schmeckte und fühlte. Während Gruppenführer Karl Adam auf seiner Brust saß und das Bewusstsein aus seinem Körper saugte, kniete Moritz von Stetten am Tor der Welten, und über ihm, in einem Mahlstrom aus Augen und Stacheln und Licht, wirbelte der Hüter des Tors, der Körperlose. Als von Stetten den Formlosen sah, wollte er lachen, ein wildes, wahnsinniges Lachen. Dann hatte Adam ihn ausgesaugt, er war körperlos und fiel in die Dunkelheit.

Und kam zurück.

“Schlächter. Kannst du mich hören?”
Das Erste, was er spürte, war ein heftiger Druck auf seinen Augen. Er wollte zwinkern, aber seine Lider gehorchten ihm nicht. Ein pulsierender Schmerz füllte seinen Brustkorb. Er schmeckte eine bittere Flüssigkeit im Mund. Panisch spuckte er aus, würgte und spuckte erneut.
“Schlächter”, sagte die Stimme erneut. Sie klang seltsam vertraut. Zwei Hände griffen seine Schultern und richteten ihn auf.
“Schlächter!”
Von Stetten riss seine Augen auf. Im ersten Moment, geblendet vom Licht der Deckenlampe, sah er nur die Silhouette: ein schlanker Mann in Uniform. Dann gewöhnten sich seine Augen an das Licht und er erkannte den Mann, der sich über ihn beugte.
Er sah sich selbst.
“Wir haben dich”, sagte das Ding in von Stettens Körper.
“Waa …?”, machte von Stetten.
Das Von-Stetten-Ding stand auf, klopfte Staub von der Uniform und zog das Zigarettenetui aus der Innentasche. Es nahm eine R6 und steckte sie zwischen die Zähne. Dann stutzte es.
“Schlächter, hast du … habe ich … Feuer ..?”, fragte es und tastete die Taschen der Uniformjacke ab, bis es das Feuerzeug in der Seitentasche entdeckte. “Ahh …!”, machte es, entzündete die Zigarette und nahm einen langen Zug.
Von Stetten starrte auf seine Beine, die schmutzige Uniformhose, das blutverklebte Unterhemd. Er hob eine Hand vor sein Gesicht: Sie war klein, die Finger feingliedrig, sämtliche Nägel ausgerissen. Sie hatte nichts gemein mit seinen eigenen groben Händen - Händen, die jetzt einem anderen gehorchten.
Das Von-Stetten-Ding ging in die Hocke und hielt ihm die Innenklappe des versilberten Zigarrettenetuis vors Gesicht. Auf der zerkratzten Oberfläche erkannte von Stetten die Züge des Gruppenführers Karl Adam.
“Jetzt bist du der Verurteilte, Schlächter”, sagte das Ding.
“Was hast du getan?”, stammelte er.
Das Ding beugte sich vor. “Ich habe ein Opfer gebracht, Hauptsturmführer. Ich habe meinen Leib hingegeben.”
Von Stetten spuckte erneut dunkles Blut. “Du hast … die Augen … das Licht …”
Das Ding in von Stettens Körper lächelte. “Du hast ihn gesehen, ja? Den ohne Form? Den auf der Schwelle?” Es blies Rauch aus und strich von Stetten ein paar klebrige Strähnen aus der Stirn. “Die Alten hatten einen Namen für ihn ….” Es beugte sich weit vor, bis seine Lippen wenige Zentimeter neben von Stettens unversehrtem Ohr waren, und flüsterte ein einziges Wort.
Yog-Sothoth.
Von Stetten erstarrte. Obwohl er den Namen noch nie gehört hatte, schien der Körper, in dem er gefangen war, zu reagieren. Als steckte eine alte, instinktive Furcht in ihm. Er wollte weg, weg aus dieser Zelle, aus der Fabrik und den verfluchten Bergen mit ihren wahnsinnigen Bewohnern.
Von Stetten stemmte sich hoch, aber erneut explodierte gleißender Schmerz in seiner Brust. Keuchend brach er zusammen. “Keine Sorge, Hauptsturmführer”, sagte das Ding. “Deine Schmerzen werden nicht von Dauer sein.” Er zog von Stettens Taschenuhr aus der Uniformtasche. “In einer halben Stunde wird Karl Adam gehängt.”
In diesem Moment klopfte es an der Zellentür.

“Hauptsturmführer!” Die Stimme des Gefängnisdirektors klang schrill. “Hauptsturmführer!” Drei weitere Schläge.
Das Von-Stetting-Ding sah zur Tür. “Was ist denn?”
“Wir werden angegriffen! Kommen Sie raus da!”
Von Stetten sah zu, wie das Ding zwei Schritte machte und die Tür aufriss. Max Erdmann sah noch kleiner und blasser aus als zuvor.
“Partisanen”, sagte der Gefängnisdirektor. Im Flur hinter ihm waren hektische Schritte zu hören.
Das Ding in von Stettens Körper griff den kleinen Mann am Kragen und zerrte ihn in den Raum. “Die Exekution findet statt!”, sagte es.
Der Direktor sah von einem Mann zum anderen. “Sie wollen ihn hängen?”, fragte er. “Während geschossen wird?”
Das Ding in von Stettens Körper nickte. “Karl Adam hat sich mit der Sache der Partisanen gemein gemacht. Er stirbt.”
Der Direktor schüttelte ungläubig den Kopf. “Das können Sie vergessen. Der Hof ist nicht sicher. Wir werden ...” Der Rest seines Satzes ging im Dröhnen einer Explosion an der Oberfläche unter. Die Lampe an der Decke flackerte.
Das Ding beugte sich nah an das Gesicht des Gefängnisdirektors. “Karl Adam stirbt heute”, sagte er langsam. “Und wenn ich ihm selbst eine Kugel in den Kopf jage.”

Von Stetten dachte panisch nach. Er musste dem Gefängnisdirektor zu verstehen geben, dass er nicht Karl Adam war - er musste ihm zeigen, dass er über Wissen verfügte, das nur Moritz von Stetten hatte.
Das Buch!”, krächzte er. “Erdmann! Fragen Sie ihn, wo ich das Buch verwahre!”
Der Gefängnisdirektor blickte ihn verständnislos an. “Was soll …”
Der Stachel bohrte sich tief in die Kehle des Gefängnisdirektors. Max Erdmann verdrehte die Augen. Seine Arme zuckten unkontrolliert. Entsetzt beobachtete von Stetten, wie der Stachel mit ruckartigen Stößen in den Kopf des Gefängnisdirektors eindrang. Dunkles Blut floss aus den Mundwinkeln des kleinen Mannes, heftige Krämpfe fuhren durch seinen Körper. Mit einem saugenden Geräusch zog das Von-Stetten-Ding den Stachel heraus. Max Erdmann fiel zu Boden wie eine Marionette, deren Fäden abgeschnitten worden waren.
Das Ding wandte sich ihm zu. Der Stachel stülpte sich weiter hervor, die Blüte öffnete und schloss sich gierig.
Dann stürzte die Decke ein und von Stettens Welt wurde schwarz.

Ein heftiger Hustenanfall riss von Stetten aus der Bewusstlosigkeit. Staub, Erdbrocken und zersplittertes Mauerwerk waren um ihn herum verstreut. Kupferrohre und Bodendielen ragten aus dem Loch in der Decke herab. Die Lampe flackerte. Das Von-Stetten-Ding bewegte sich nicht. Er stemmte sich zitternd auf seine Ellenbogen - und schrie laut auf. Brennender Schmerz bohrte sich in sein Brustbein. Er schluckte, um seinen Brechreiz zu unterdrücken. Das Ding bewegte sich immer noch nicht. Von Stetten arbeitete sich weiter hoch, erst auf die Knie, dann auf die Beine. Sein Körper - Karl Adams Körper - war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Als er sich ganz aufgerichtet hatte, taumelte er zur Seite. Seine linke Kopfhälfte fühlte sich an, als würde sie in glühenden Kohlen gewälzt.
Die Nadel steckte immer noch in seinem Ohr.
Stöhnend zog er sie heraus. Warmes Blut rann über seine Wange. Dann machte er einen Schritt auf die Tür zu.

Das Von-Stetten-Ding würde nicht mehr aufstehen: Ein schwerer Mauerbrocken hatte seinen Kopf zertrümmert. Helle Hirnmasse vermischte sich mit Staub und Steinen. Einen Augenblick lang fragte von Stetten sich, ob der Stachel sich noch bewegte, ob er unter all dem Schutt noch zuckte.
Er machte einen großen Schritt, um über den toten Gefängnisdirektor zu steigen. Die Schmerzen in Brust und Ohr waren so stark, dass ihm zeitweise schwarz vor Augen wurde. Aber er musste gehen. Wenn er hier bliebe, würde er getötet.
Schwankend trat er auf den Gang. Eine einzige Lampe brannte noch. Aus der Ferne hörte er Geräusche - Schüsse, Schreie, das Röhren von Motoren. Stöhnend vor Schmerz schleppte er sich in den Wachraum. Die Kaffeetassen der Soldaten standen auf dem Tisch, als wären ihre Besitzer vor wenigen Sekunden aufgestanden. Von Stetten taumelte weiter, bis zur Treppe ins Erdgeschoss. Der Kampflärm wurde lauter. Er hörte einzelne Schüsse und Salven aus automatischen Waffen, außerdem die Knallgeräusche explodierender Granaten. Er stolperte durch den Flur mit den Munitionskisten. Kurz vor der Tür des Direktorenbüros blieb er stehen. Alles drehte sich. Keuchend lehnte er sich an die Wand, übergab sich. Er würgte und spuckte, bis die Krämpfe nachließen. Eine weitere Explosion erschütterte das Mauerwerk.

Vor dem Schreibtisch des Direktors lag ein Mann ohne Gesicht. Von Stetten versuchte, nicht hinzusehen, während er die Schreibtischschubladen herausriss. Papiere, Stempel, eine Tabakdose - keine Waffe. Er fluchte leise und schleppte sich weiter, durch die Flure zur Hoftür.

Jetzt bemerkte er, dass die Kampfgeräusche verstummt waren. Keine Schüsse, keine Detonationen, keine Motoren, keine Schreie - nichts. Oder fast nichts. Aus dem Innenhof der Fabrik drang ein Geräusch wie das Surren eines kleinen elektrischen Motors.

Einen Moment lang stand er zitternd da. Die Kämpfe hatten geendet. Aber etwas in ihm ahnte, dass die Stille auf der anderen Seite der Tür entsetzlicher war als jeder Kampf. Er drückte die Klinke hinunter.

Die Morgensonne tauchte den Hof in blutrotes Licht. Einige Lastwagen standen in Flammen, einer war auf die Seite gekippt. Von Stettens Mercedes lag auf dem Dach.

Dann sah er das Opfer.

Hunderte Soldaten wälzten sich im Schlamm hin und her, warfen ihre Köpfe nach oben, zuckten mit Armen und Beinen - und summten. Die Männer, die ihm noch vor einer Stunde müde, ausgezehrt und verzweifelt erschienen waren, lagen jetzt nackt im Dreck, intonierten eine bizarre Lautfolge und bewegten sich in fast perfekter Synchronizität. Ihre Gesichter - vor wenigen Minuten noch grau, erschöpft und ohne Hoffnung - waren zu ekstatischen Grimassen verzerrt. Sie waren wie ein Organismus, der einem einzigen Zweck diente: der Anbetung des Wesens in ihrer Mitte.

Das Ding war ohne Form und Körper. Es hatte Pupillen, aber keine Augen, Mäuler, aber keinen Leib, Klauen, aber keine Glieder. In einem Moment erschien es von Stetten wie eine Wolke aus Licht und Schatten. Dann war es ein reiner Ton, körperlos. Einen Augenblick später war es ein pulsierendes Geflecht aus Stacheln und Tentakeln.

Von Stetten lachte und heulte zugleich.

Er begriff, dass der Anblick des Formlosen ein Geschenk war, dessen er nicht würdig war. Ein Geschenk, das sein Leben wert war - das alle Leben aller Menschen in allen Zeiten wert war und noch viel mehr - und das er freudig und dankbar annehmen würde.

Während er sich die Kleider vom Leib riss, begann er zu summen.

 
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Hi! Diese Story habe ich mehr oder weniger über Nacht für eine Lovecraft-Ausschreibung runtergeschrieben - wenn sie extrem pulpy wirken sollte, dann, äh, ist das vermutlich beabsichtigt. ;-)

 

über Nacht
Hääää??? Ich glaub, ich spinne. Was hast du an den Händen? Schnellschreibgriffel? Und was machen deine Gehirnwürstchen? Salsastakkato? Heftig, von einer solchen Geschwindigkeit kann ich nur träumen. Und beachtlich ist dann umso mehr deine sprachliche Klarheit. Also du schreibst total gut, das muss ich wieder einmal loswerden. Klar, irgendwelche ausgefuchsten Bilder und Metaphern fehlen, aber das ist ja auch Geschmackssache und deine Sprache treibt extrem nach vorne. Keine Hänger, keine aufgeblasenen Satzbildungen. Gerade bei Leuten, die Lovecroft nachempfinden wollen, sieht man das furchtbar oft. Da weiß man am Ende des Satzes nicht mehr, was der Anfang war. Und das Schlimmste ist, der Autor weiß es auch nicht. Fürchterlich aufgeblähten Wortungetüme. Nein alles nicht. Die Entscheidung, so klar udn prägnant zu schreiben finde ich sehr gut. Und dann: Du spielst mit der Spannung und den Zwischenstationen eines Spannungsaufbaus. Das ist gut.

Und pulpy ist das Dings, keine Frage.

Ich fands zum Teil schwer erträglich, (jetzt im guten, im Horrorsinne) damit meine ich die Stelle, als der echte Stetten den verletzten Adam foltert. Besonders fies kommt das daher, weil du hiermit anfängst:

Er fuhr mit einem Zeigefinger vorsichtig über Adams Schläfe. “Die Soldaten haben Sie übel zugerichtet.”
Das klingt ja fast wie Mitgefühl. Um so fieser wird dann die Fortsetzung, weil man das nicht so schlimm erwartet, obwohl der Koffer ja schon ahnen lässt, was folgen wird.
Alles danach, also der Angriff auf Stetten, das Lovecroftwesen, das war ein wenig vorauszusehen, natürlich auch durch deine Ankündigung im zweiten Post.
Also was Horrorunterhaltung angeht, das machst du wirklich gut. Aber mir fehlt auch was, damit es irgendwie nachdrücklicher wird. keine Sorge, ich meine damit nicht, so einen höhere Literaturstempel, sondern die Elemente deiner Geschichte erscheinen mir noch etwas unrund und noch nicht genügend miteinander in Beziehung gesetzt. Dazu gleich mehr.

Zu dem Verlauf hab ich ein paar Anmerkungen:
Die erste betrifft das Atmosphärische.

Von Stetten ließ seinen Blick über die Berghänge schweifen, die das Fabrikgelände auf drei Seiten umgaben. Kein Wunder, dass sie hier oben durchdrehen.
Das kommt aus meiner Sicht ein bisschen spät. Eine frühere Verortung hätte ich aus Orientierungsgründen nicht schlecht gefunden. Aber ich hätte auch ein bisschen Einbezug der Umgebung schöner gefunden. Gar nicht viel, nur so ein Stimmungsaufbau. Meine Lovecroftlektüre liegt lange zurück, aber ich glaube mich daran zu erinnern, dass er fremdartige Landschaften und jedenfalls sehr viel Schauerliches am Wickel hatte. Deine Lovecroftauseinandersetzung ist ja sehr sachlich, aber ein bisschen mehr bedrückende Landschaft, wuchtige Berge, was weiß ich, wäre nicht schlecht gewesen. Das kann man ja auch mit einer klaren, nach vorne gehenden Sprache machen.

Dann (ich hab nur einmal insgesamt gelesen, daher kann sein, ich habe was überlesen:

Oder von den Partisanen, weil sie wussten, dass einer von ihnen sich geopfert hatte, um in den Körper des Hauptsturmführers zu fahren.
Wieso sollen die Partisanen das wissen? Das hab ich nicht verstanden. Bin drüber gestolpert, als ich so gespannt und angespannt nach vorne las. Den Hintergrund versteh ich natürlich, aber wieso weiß Stetten das schon hier?

Du erklärst den Hintergrund später (recht tellig) wie ich finde, hier:

Er begriff, dass die Partisanen den Gruppenführer und seine Männer in eine Falle gelockt hatten. Sie hatten sie einem Wesen ausgeliefert, das lange vor den Menschen dagewesen war und das lange nach den Menschen bleiben würde. Einem Wesen, von dem die Menschen in diesen Bergen seit Jahrtausenden wussten und das sie fürchteten. Einer Kraft, die so groß und entsetzlich war, dass das Wissen um sie nur im Verborgenen weitergegeben wurde, fern von jeder weltlichen Wissenschaft.
Ja, das ist klar aus dem Verlauf, ich weiß nicht, ob es so geschickt ist, das einfach so erklärend zusammenzufassen oder ob es nicht besser wäre, die Erklärungen eher szenisch aufzuarbeiten. Wie du es ja vorher auch gemacht hast. Müsste man mal überlegen, bin mir selbst nicht sicher. Aber so kommt dieser letzte Teil, also die Auslieferung an die fremdartige macht doch sehr knapp daher.

Und es fällt halt auf, dass die Geschichte dadurch eine Art Ungleichgewicht erhält. Ich könnte jetzt aus dem Verlauf her nicht sagen, was dein Schwerpunkt ist. Und das macht die Geschichte halt noch etwas unwuchtig und unrund.
Ist es die Gestalt des Stetten? In welchem Zusammenang stehen dann der Ekel, das Entsetzen, das die Folterszene auslöst? Nur um Horrorfeeling auszuüben? Oder ist/soll es Teil eines Charakters sein? Und im Anschluss die Verwandlung des Schlächters in ein sich einer fremden, seltsamen Macht überantwortendes Wesen? Dann hätte man mehr an der Charakteristik von Stettens arbeiten müssen. Und warum muss man dann ausgerechnet so einen ekligen SS-Fritzen nehmen? Also die "Mitleidsschwelle" mit Stetten müsstest du noch ein bisschen hochsetzen. Im Moment ist das sehr schwieirg, um es mal harmlos zu sagen, wenn man an die Folterszene denkt. Also da fehlt mir ganz viel, um das Ganze nicht nur einen kleinen Ekelspaß sein zu lassen, sondern zu etwas, wo man die irgendwie auch tragische Verwandlung eines Menschen mit ansieht. Eines Menschen, der Teil eines üblen Regimes ist, der aber auch ein Mensch ist.
Oder ist dein Fokus die vermeintliche Überlegenheit der deutschen Soldaten, die durch ein übernatürliches Wesen bekämpft werden? Das wäre dann recht kurz.

Lieber Christophe, so viel mal fürs Erste an Überlegungen für deine Geschichte.
Bis dann
Novak

Also

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Novak,

vielen Dank für deinen ausführlichen und klugen Kommentar - ich habe mich sehr darüber gefreut. Du nennst viele Knackpunkte, an denen ich intensiver arbeiten werde. Vielen Dank dafür!

Ich gehe mal durch:

über Nacht
Hääää??? Ich glaub, ich spinne. Was hast du an den Händen? Schnellschreibgriffel? Und was machen deine Gehirnwürstchen? Salsastakkato? Heftig, von einer solchen Geschwindigkeit kann ich nur träumen. Und beachtlich ist dann umso mehr deine sprachliche Klarheit. Also du schreibst total gut, das muss ich wieder einmal loswerden.

Vielen Dank! Ich komme aus dem Journalismus und habe dieses nüchterne Runterschreiben einfach tausendmal gemacht, ich denke, das spielt dabei rein. Dafür leidet der Text - da hast du völlig recht - an seiner Bericht-Artigkeit. Es soll eine Lovecraft-Hommage sein, aber de facto gibt's nur zwei kurze Abschnitte, in denen ich mal - zaghaft - die Handbremse löse und gucke, was sprachlich noch so machbar wäre (von Stettens Out-of-Body-Experience und das Finale). Ich muss mich, glaube ich, einfach mal mit meinem Hand zum Bericht-Artigen auseinandersetzen. :hmm:

Klar, irgendwelche ausgefuchsten Bilder und Metaphern fehlen, aber das ist ja auch Geschmackssache
Ja, da bin ich völlig bei dir. In meinem Fall ist es so: Ich mag gute Bilder, Metaphern usw. - mir fällt aber meistens nix Gescheites ein, und dann halte ich mich lieber zurück. Ich hoffe wirklich, dass ich da mal hinkomme, aber momentan ist mir das zu heiß ...

Gerade bei Leuten, die Lovecroft nachempfinden wollen, sieht man das furchtbar oft. Da weiß man am Ende des Satzes nicht mehr, was der Anfang war. Und das Schlimmste ist, der Autor weiß es auch nicht. Fürchterlich aufgeblähten Wortungetüme. Nein alles nicht. Die Entscheidung, so klar udn prägnant zu schreiben finde ich sehr gut.
Dito. Es gibt sicher Leute, die diesen barocken Stil draufhaben, aber mir würde das (zumindest momentan) nicht liegen.

Und pulpy ist das Dings, keine Frage.
Bedankt.

Ich fands zum Teil schwer erträglich, (jetzt im guten, im Horrorsinne) damit meine ich die Stelle, als der echte Stetten den verletzten Adam foltert.
Das, äh, betrachte ich mal als Kompliment. ;-)

Von Stetten ließ seinen Blick über die Berghänge schweifen, die das Fabrikgelände auf drei Seiten umgaben. Kein Wunder, dass sie hier oben durchdrehen.
Das kommt aus meiner Sicht ein bisschen spät. Eine frühere Verortung hätte ich aus Orientierungsgründen nicht schlecht gefunden. Aber ich hätte auch ein bisschen Einbezug der Umgebung schöner gefunden. Gar nicht viel, nur so ein Stimmungsaufbau. Meine Lovecroftlektüre liegt lange zurück, aber ich glaube mich daran zu erinnern, dass er fremdartige Landschaften und jedenfalls sehr viel Schauerliches am Wickel hatte. Deine Lovecroftauseinandersetzung ist ja sehr sachlich, aber ein bisschen mehr bedrückende Landschaft, wuchtige Berge, was weiß ich, wäre nicht schlecht gewesen. Das kann man ja auch mit einer klaren, nach vorne gehenden Sprache machen.
Danke - das ist ein sehr guter Hinweis! Der erste Absatz gefällt mir selbst nicht so recht, ich versuche mal, deine Vorschläge umzusetzen.
EDIT: Erledigt. Ich weiß nicht, ob das gut ist so, aber es ist definitiv besser. DANKE!

Dann (ich hab nur einmal insgesamt gelesen, daher kann sein, ich habe was überlesen:
Oder von den Partisanen, weil sie wussten, dass einer von ihnen sich geopfert hatte, um in den Körper des Hauptsturmführers zu fahren.
Wieso sollen die Partisanen das wissen? Das hab ich nicht verstanden. Bin drüber gestolpert, als ich so gespannt und angespannt nach vorne las. Den Hintergrund versteh ich natürlich, aber wieso weiß Stetten das schon hier?
Stimmt. Das ist schlicht falsch. Danke!
EDIT: Habe ich rausgenommen.

Du erklärst den Hintergrund später (recht tellig) wie ich finde, hier:
Er begriff, dass die Partisanen den Gruppenführer und seine Männer in eine Falle gelockt hatten. Sie hatten sie einem Wesen ausgeliefert, das lange vor den Menschen dagewesen war und das lange nach den Menschen bleiben würde. Einem Wesen, von dem die Menschen in diesen Bergen seit Jahrtausenden wussten und das sie fürchteten. Einer Kraft, die so groß und entsetzlich war, dass das Wissen um sie nur im Verborgenen weitergegeben wurde, fern von jeder weltlichen Wissenschaft.
Ja, das ist klar aus dem Verlauf, ich weiß nicht, ob es so geschickt ist, das einfach so erklärend zusammenzufassen oder ob es nicht besser wäre, die Erklärungen eher szenisch aufzuarbeiten. Wie du es ja vorher auch gemacht hast. Müsste man mal überlegen, bin mir selbst nicht sicher. Aber so kommt dieser letzte Teil, also die Auslieferung an die fremdartige macht doch sehr knapp daher.
Stimme völlig mit dir überein. Dieser Teil ist extremes tell - auch beim Schreiben habe ich darüber gegrübelt. Das Problem, aus meiner Sicht, ist Folgendes: Die kosmische Dimension lässt sich fast nur in Tell-Teilen anreißen. Aber vielleicht war ich da auch kurzsichtig? (Wie gesagt, ist schnell entstanden.) Ich wusste nur einfach nicht, wie ich diese Idee von kosmischem Grauen, das sich per Definition jeder Erklärung - und den meisten Wahrnehmungen - entzieht, szenisch einfangen könnte. Aber, mmh, ja, du hast schon recht ... *grübelt*.

EDIT: Habe den Absatz komplett gestrichen. Braucht's ja eigentlich wirklich nicht. Mal sehen, wie das funktioniert.

Und es fällt halt auf, dass die Geschichte dadurch eine Art Ungleichgewicht erhält. Ich könnte jetzt aus dem Verlauf her nicht sagen, was dein Schwerpunkt ist. Und das macht die Geschichte halt noch etwas unwuchtig und unrund.
Ist es die Gestalt des Stetten? In welchem Zusammenang stehen dann der Ekel, das Entsetzen, das die Folterszene auslöst? Nur um Horrorfeeling auszuüben? Oder ist/soll es Teil eines Charakters sein? Und im Anschluss die Verwandlung des Schlächters in ein sich einer fremden, seltsamen Macht überantwortendes Wesen? Dann hätte man mehr an der Charakteristik von Stettens arbeiten müssen. Und warum muss man dann ausgerechnet so einen ekligen SS-Fritzen nehmen?
Das sind sehr gute Fragen. Eine oder zwei kann ich beantworten, aber ich sehe, was du mit "unrund" meinst.

Zur Figur und zum Setting: Die Story sollte tatsächlich ein Thema haben (man lernt ja dazu ;-) ), und zwar Hybris. Der Folter-Nazi sieht sich als der Überlegene, als Raubtier, als "Herrenmensch" usw. an - und landet plötzlich selbst im Leib seines Opfers. Das ist das Eine, die Umkehrung dieser Jäger-Gejagter-Dynamik. Und dann ist da natürlich diese Konfrontation der Nazis mit etwas, das noch größer, böser, nihilistischer ist als sie. Dabei hat sich beim Schreiben eingeschlichen, dass dieses Yog-Sothoth-Ding letztlich so groß und sp böse ist, dass ihm alle zum Opfer fallen, Nazis und Partisanen und wahrscheinlich auch der Hausmeister (:Pfeif:. ... stimmt schon, ist ein bisschen unterkomplex ...) Das waren so ein paar Gedanken, die ich im Vorfeld hatte, und ich würde sagen, dass sie mein Schreiben etwas gelenkt haben. Aber - da hast du völlig recht - ich glaube nicht, dass diese Themen im Text herausgearbeitet sind.

Lieber @Novak, vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Die Story wird überarbeitet, ich glaube, irgendwo da drin steckt ein rundes Ding ... :-)

Viele Grüße!

Christophe

 

Hallo @Rob F,

vielen Dank für deinen Kommentar!

Lovecraft war für mich als Leser einer der wichtigsten Autoren. Ich habe ihn mit 11, 12 in der Stadtbibliothek entdeckt, die 80er-Ausgaben der Phantastischen Bibliothek von Suhrkamp, und er hat einen echten Eindruck hinterlassen. Inzwischen weiß ich, dass er auch problematisch ist, trotzdem ist und bleibt er ein Fixstern für mich. (Wobei ich bis zu dieser Story hier nie versucht habe, selbst etwas in seinem Kosmos zu schreiben.) Er hat diese Idee des "kosmischen Grauens" entwickelt, einen Horror, der nicht mehr persönlich und intim ist, sondern indifferent, kalt, abstrakt, und das war für mich sehr prägend. Er lohnt sich natürlich auch, damit man die ganzen Referenzen bei neueren Autoren erkennt, von Stephen King und Ramsey Campbell und Clive Barker bis zu Thomas Ligotti. Michel Houellbecq hat vor Jahren mal einen interessanten Essay über Lovecraft geschrieben - "Gegen die Kunst, gegen das Leben" -, der macht auch Spaß.

Uargh, sorry, jetzt bin ich abgedriftet. Zur Kritik!

Erstmal: Vielen Dank, auch du sprichst jede Menge Nützliches an. Einiges habe ich schon umgesetzt. Der Reihe nach:

Hi @Christophe ,
Nach dem Ende habe ich mich, genau wie @Novak schon geschrieben hat, gefragt, was denn der Schwerpunkt der Handlung ist. Was ich jedoch bei dieser Geschichte nicht schlimm finde, da jede Szene für sich gut geschrieben und unterhaltsam ist, und die Szenen ja auch gut ineinander übergehen.
Das ist eine sehr gute Frage, die ja auch @Novak stellt. Meine - zerknirschte - Antwort lautet: Im Moment kann ich sie euch noch nicht beantworten. Ernsthaft. Ich habe die Story sehr, sehr schnell geschrieben, und bin noch extrem "nah dran" :eek: - ich sehe sie noch nicht mit genug Distanz, um diese übergreifenden Strukturen (was ist der Schwerpunkt? das Thema?) einordnen zu können. Deshalb bitte ich hier um Geduld - ich hoffe, dass ich in ein paar Tagen aufwache und die Story weit genug weg ist, damit ich hier nochmal gründlich überarbeiten kann.

Also insgesamt gute Horror-Unterhaltung, gerne gelesen!
Danke!

Hauptsturmführer Moritz von Stetten stieg aus dem Fond des Mercedes-Benz 170V und sah sich auf dem Hof der besetzten Fabrik um.
Ist nur eine Kleinigkeit, ich habe mich nur gefragt, ob die markierte Information wichtig ist.
Guter Hinweis, auch der spätere Hinweis auf die Zigarettenmarke. Diese Story ist meine erste Story in einem "historischen" Setting, und ich glaube, ich habe halt ein paar Abkürzungen genommen, um dem Ding einen Anschein von Authentizität zu geben. Die Marken- und Modellnamen gehören dazu. (Die Lastwagen hießen bis gestern auch noch "Opel-Blitz-Lastwagen"). Das muss ich auf jeden Fall drastisch reduzieren, denn wenn's dem Leser auffällt, taugt es nix ...

Der wochenlange Regen in den östlichen Karpaten hatte den Boden aufgeweicht, die Männer mussten achtgeben, um nicht auszurutschen.
Ich würde nach "aufgeweicht" einen Punkt setzen ; "um" könntest du streichen.
Check.

“Hauptsturmführer”, sagte einer der beiden - ein kleiner Mann mit pockenvernarbtem Gesicht und wässrigen Augen.
Warum ein Bindestrich statt einem Komma?
Check again!

Der Hauptsturmführer zog ein Zigarettenetui aus der Innentasche seines Mantels, ließ den Verschluss aufschnappen und klemmte sich eine R6 zwischen die Lippen.
Auch hier nur, was ich spontan dachte: Warum nicht einfach Zigarette oder Zigarre ...
Jupp, siehe oben. Muss mir nochmal angucken, wie man historische Settings unauffällig etabliert.

“Aber wenn wir noch eine Chance haben, zu erfahren, was da oben wirklich vorgefallen ist ” Er zögerte.
Warum die drei Bindestriche? Wären nicht drei Punkte passender?
Erwischt. Ich war mit der Interpunktion sehr frei; ich mache es sauber.

An einigen Stellen saßen erbsengroße Verdickungen auf dem Einband; kleine Polypen, die von Stetten unwillkürlich an Muttermale denken ließen.
Ich würde einen Punkt statt dem Semikolen setzen.
Hier würde ich gerne das Semikolon behalten. Ist ein bisschen schwer zu beschreiben, ich versuche es mit einem Bild: Ich möchte, das die Informationen in den zweiten Satz überschwappen.

Winzige Buchstaben reihten sich in scheinbar endloser Folge aneinander - er erkannte weder Leerstellen noch Interpunktion.
Punkt statt Bindestrich?
Okay. Der Text wird gerade viel sauberer. :Pfeif:

Es - es klingt verrückt.”
"..." statt "-"
Mmhja ... ich versuche mal, zu erklären, wie ich "--" und "..." in wörtlicher Rede verwende: "--" markiert eine abrupte Vollbremsung: Hier spricht jemand mit hoher Geschwindigkeit, und plötzlich bricht sein Satz ab. "..." ist ein eher bewusstes Pausieren oder Abbrechen: Hier weiß der Sprecher schon zu Beginn des Satzes, dass er ihn nicht vollständig aussprechen wird. So in etwa. Aber das ist intuitiv, insofern kann es gut sein, dass ich das anders lösen sollte. Danke!

Niemand hatte geglaubt, dass man sie lebendig wiederfinden würde - bis zum gestrigen Morgen.
"." statt "-"
Ja, ich will.

Zwei Wachmänner sprangen auf und hoben ihre Arme zum Gruß.
die Arme
Stümmt.

Erdmann nickte. “Wir —”
Wieder die drei Bindestriche (?)
Mmh, siehe oben - aber grundsätzlich hast du natürlich Recht.

Als der Hauptsturmführer in die Kammer trat, drehte der Gefangene sich um.
Ich würde das "sich" hinter "drehte" schreiben.
Klingt richtig, gekauft!

Von Stetten öffnete den Lederkoffer und drehte ihn so, dass der Gefangene die Instrumente sehen konnte. “Erzählen Sie mir, was passiert ist”, sagte er.
Sehr gute Einstimmung auf die Szene!
Dankeschön!

“Was ist mit Ihrem Trupp passiert?”
"ihrem" wird glaube ich hier klein geschrieben
In wörtlicher Rede? Da bin ich mir nicht sicher.

“Was zum Teufel ..?”, murmelte von Stetten.
Ein Punkt fehlt
So, ich bestelle jetzt irgendein Buch zu Interpunktion! :drool:

Und dann kam er zurück.
würde "dann" und "er" streichen
Japp, das erhöht das Tempo, das mache ich. Danke!

“Schlächter.”, sagte die Stimme erneut.
Ein Punkt zuviel
Ich glaub', mich laust der ... Na, danke!

Von Stetten riss seine Augen auf.
die Augen
Stümmt agän!

“Schlächter, hast du habe ich Feuer ..?”, fragte er
Nur als allgemeiner Hinweis, du verwendest "..." recht häufig. Am Ende fehlt ein Punkt.
Ja, das stimmt. Liegt vielleicht am schnellen Schreiben. Der Text profitiert enorm von deinen Hinweisen!

“Was hast du getan?”, stammelte er.
Hier z.B. würde ich sie entfernen.
Jawohl!

Er beugte sich weit vor, bis seine Lippen wenige Zentimeter neben von Stettens unversehrtem Ohr waren, und flüsterte ein einziges Wort.
Kein Komma nach "waren", meine ich ...
Hier würde ich es stehenlassen: Der Teil von "bis" bis "waren" ist doch ein Einschub?

Der Hof ist nicht sicher. Wir werden --
"--" ?
!!!

Die Lampe an der Decke flackerte heftig.
würde "heftig" streichen
Ja, das ist Murks.

Dunkles Blut floss aus den Mundwinkeln des kleinen Mannes, dann fuhren heftige Krämpfe durch seinen Körper.
Vorschlag für den Nebensatz: "..., heftige Krämpfe fuhren durch seinen Körper."
(um den Nebensatzbeginn mit "dann" zu vermeiden)
Sehr schön - danke! (PS. Die ganzen "dann" nerven mich sehr, die kommen auch noch unter den Rasenmäher, diese kleinen ... argh.)

Das Ding machte ein Geräusch, dass einem Lachen ähnelte, und trat auf ihn zu.
das ; kein Komma nach "ähnelte"
Und jetzt auch noch ein dass-das-Fehler! Ich geb' mein Abi-Zeugnis zurück. :bounce:

Dann machte er einen Schritt auf die Tür zu.
Er machte einen Schritt auf die Tür zu.
Danke!

Helle Hirnmasse vermischte sich mit Staub und Steinen.
Muss ja erwähnt werden! ;)
Hihihi. Ich finde, die Story verträgt ein bisschen Splatter.

Wenn er hier bliebe, würde er getötet werden - Karl Adam war zum Tode verurteilt.
"werden" könntest du streichen ; den erklärenden, abschhließenden Satz könntest du entfernen, das ist ja aus der bisherigen Handlung schon bekannt.
Indeed.

Er hörte einzelne Schüsse und Salven aus automatischen Waffen, außerdem die Knallgeräusche explodierender Granaten.
"die" könntest du streichen
Inhaltlich stimme ich dir zu, es braucht keinen bestimmten Artikel. Aber rhythmisch bin ich mir unsicher: Ich finde, der Satz klingt dann nicht mehr gut. (Okay, das ist jetzt super-subjektiv ...)

Er würgte und spuckte, bis die Krämpfe nachließen. Eine weitere Explosion erschütterte das Mauerwerk. Er musste sich beeilen.
Zweimal "Er" kurz hintereinander.
Kommt weg!

Aber etwas in ihm ahnte, dass die Stille auf der anderen Seite der Tür entsetzlicher war als jeder Kampf. Dann drückte er die Klinke hinunter.
Oder: "..., die Stille auf der anderen Seite der Tür war entsetzlicher als jeder Kampf. Er drückte die Klinke hinunter."
Interessante Alternative! Ich bastle.

Ein paar Lastwagen standen in Flammen, einer war auf die Seite gekippt worden.
"Einige" statt "Ein paar" ; "worden" könntest du streichen
Danke - das mache ich!

Hunderte Soldaten wälzten sich im Schlamm hin und her, warfen ihre Köpfe nach oben, zuckten mit ihren Armen und Beinen - und summten.
"ihren" könntest du streichen
... und auch das.

Lieber @Rob F - Wahnsinn! Vielen Dank für deine ausführliche und präzise Kritik. Dein detailliertes Feedback macht den Text wesentlich besser. Vielen, vielen Dank!

Punkt Punkt Komma Strich:

Christophe

 

Hi Christophe,

ich habe das sehr gerne gelesen.
Sauber, flüssig geschrieben; spannend.

“Hauptsturmführer”, sagte einer der beiden,
Schau mal, die Gänsefüßchen sind überall "oben".

Von Stetten ließ seinen Blick über den dreckigen Hof schweifen.
Dass der Hof dreckig ist, wissen wir schon.

“Es sieht so aus, als habe der Gruppenführer versucht, diesen Text mit einem Skalpell in die Häute seiner Männer zu ritzen.”
Puh. Hart.

'Bis zum gestrigen Morgen.
Da ist ein Apostroph reingeraten oder da fehlt am Ende eins.

bis 5.45 Uhr.
5:45

4.37 Uhr
4:37

Die abgebrochene Schneidezähne
abgebrochenen

Dann schloss die Blüte sich erneut, die schwarzen Krallen verbanden sich zu einem langen, scharfen Dorn - und stießen tief in seine Brust.
Geviertelstrich anstatt Bindestrich, also lang: –
Hast du öfter.

der Mann in seinem Körper.
Das wiederholst du sehr oft.

das Von-Stetten-Ding
Schon besser :thumbsup:

Der Direktor schüttelte ungläubig den Kopf. “Das können Sie vergessen. Der Hof ist nicht sicher. Wir werden ...”
Ups, was nun?
Guter Plot.

Eine weitere Explosion erschütterte das Mauerwerk.

Vor dem Schreibtisch des Direktors lag ein Mann ohne Gesicht. Von Stetten versuchte, nicht hinzusehen, während er die Schreibtischschubladen herausriss. Papiere, Stempel, eine Tabakdose - keine Waffe. Er fluchte leise und schleppte sich weiter, durch die Flure zur Hoftür.

Jetzt bemerkte er, dass die Kampfgeräusche verstummt waren. Keine Schüsse, keine Detonationen, keine Motoren, keine Schreie - nichts. Oder fast nichts. Aus dem Innenhof der Fabrik drang ein Geräusch wie das Surren eines kleinen elektrischen Motors.

Einen Moment lang stand er zitternd da. Die Kämpfe hatten geendet. Aber die Stille auf der anderen Seite der Tür war entsetzlicher als jeder Kampf. Er drückte die Klinke hinunter.

Die Morgensonne tauchte den Hof in blutrotes Licht. Einige Lastwagen standen in Flammen, einer war auf die Seite gekippt. Von Stettens Mercedes lag auf dem Dach.

Dann sah er das Opfer.

Hunderte

M.E. zu viele Absätze.

Ich bin beeindruckt. Sehr gut.

Liebe Grüße und ein tolles Wochenende,
GoMusic

 

Hallo @GoMusic,

vielen Dank für deinen Kommentar! Es freut mich sehr, dass dir die Story gefällt! :kuss:

Deine Anmerkungen sind sehr hilfreich, habe fast alles gleich umgesetzt:


“Hauptsturmführer”, sagte einer der beiden,
Schau mal, die Gänsefüßchen sind überall "oben".
... mit dieser Ausnahme. Das mache ich gleich noch!

Von Stetten ließ seinen Blick über den dreckigen Hof schweifen.
Dass der Hof dreckig ist, wissen wir schon.
Stimmt. Ist raus.

“Es sieht so aus, als habe der Gruppenführer versucht, diesen Text mit einem Skalpell in die Häute seiner Männer zu ritzen.”
Puh. Hart.
Die hatten halt keine gescheiten Kopierer damals!

'Bis zum gestrigen Morgen.
Da ist ein Apostroph reingeraten oder da fehlt am Ende eins.
Danke!

Erledigt!

... und auch das - check.

Die abgebrochene Schneidezähne
abgebrochenen
... und das.

Dann schloss die Blüte sich erneut, die schwarzen Krallen verbanden sich zu einem langen, scharfen Dorn - und stießen tief in seine Brust.
Geviertelstrich anstatt Bindestrich, also lang: –
Hast du öfter.
Danke! Das gehe ich, mit dem Anführungszeichen, nochmal im Detail durch.

der Mann in seinem Körper.
Das wiederholst du sehr oft.
Ja, das stimmt, das ist ein bisschen zäh. Ich habe jetzt mal das "Von-Stetten-Ding" reingebracht, da muss ich evtl. nochmal ran.

Der Direktor schüttelte ungläubig den Kopf. “Das können Sie vergessen. Der Hof ist nicht sicher. Wir werden ...”
Ups, was nun?
Guter Plot.
Life is what happens when you're busy making other plans. :naughty:

Eine weitere Explosion erschütterte das Mauerwerk.

Vor dem Schreibtisch des Direktors lag ein Mann ohne Gesicht. Von Stetten versuchte, nicht hinzusehen, während er die Schreibtischschubladen herausriss. Papiere, Stempel, eine Tabakdose - keine Waffe. Er fluchte leise und schleppte sich weiter, durch die Flure zur Hoftür.

Jetzt bemerkte er, dass die Kampfgeräusche verstummt waren. Keine Schüsse, keine Detonationen, keine Motoren, keine Schreie - nichts. Oder fast nichts. Aus dem Innenhof der Fabrik drang ein Geräusch wie das Surren eines kleinen elektrischen Motors.

Einen Moment lang stand er zitternd da. Die Kämpfe hatten geendet. Aber die Stille auf der anderen Seite der Tür war entsetzlicher als jeder Kampf. Er drückte die Klinke hinunter.

Die Morgensonne tauchte den Hof in blutrotes Licht. Einige Lastwagen standen in Flammen, einer war auf die Seite gekippt. Von Stettens Mercedes lag auf dem Dach.

Dann sah er das Opfer.

Hunderte

M.E. zu viele Absätze.
Ja, das stimmt. Zum Ende hin verändert sich das Erzähltempo, daher die vielen Absätze. Ich gehe nochmal ran!

Ich bin beeindruckt. Sehr gut.
:huldig:

Viele Grüße!

Christophe

 

Hi @Christophe,

Mit Lovecraft triffst du bei mir ins Schwarze. Ich kenne die meisten Kurzgeschichten des Cthulhu-Mythos, spiele das Cthulhu Pen & Paper, Arkham Horror und Eldritch-Horror Brettspiel und auch das Arkham Horror LCG.

Ich finde, dass du insgesamt sehr gut das Grauen und die typische Stimmung dieser Welt darstellst, ich befinde mich eindeutig in den Bergen bei Dunwich (weil du Yog-Sototh gewählt hast, gehe ich einfach mal von Dunwich aus ;))

Schlächter, hast du … habe ich … Feuer ..?”, fragte es und tastete die Taschen der Uniformjacke ab, bis es das Feuerzeug in der Seitentasche entdeckte. “Ahh …!”, machte es, entzündete die Zigarette und nahm einen langen Zug.
Das finde ich jedoch unpassend witzig. Ich fände es besser, wenn der Inkarnierte ruhig und selbstsicher die richtige Tasche mit dem Feuerzeug sucht und findet.
Während Gruppenführer Karl Adam auf seiner Brust saß und das Bewusstsein aus seinem Körper saugte, kniete Moritz von Stetten am Tor der Welten, und über ihm, in einem Mahlstrom aus Augen und Stacheln und Licht, wirbelte der Hüter des Tors, der Körperlose. Als von Stetten den Formlosen sah, wollte er lachen, ein wildes, wahnsinniges Lachen. Dann hatte Adam ihn ausgesaugt, er war körperlos und fiel in die Dunkelheit.
Das gefällt mir sehr gut um den Mythos und den Einfluss eines großen Älteren darzustellen, ich würde allerdings ein bisschen was streichen (markiert)
Von Stetten spuckte erneut dunkles Blut. “Du hast … die Augen … das Licht …”
Gerne schwammiger. "Was... Wer... ist das?"
“Ihr hättet nie herkommen sollen”, sagte das Ding in seinem Körper. "Ihr wisst nicht, welche Macht in diesen Bergen wohnt."
Sollte er nicht dankbar sein, dass er dann ihrer Anwesenheit eine Chance bekommen hat Yog-Sototh Zugang zu ermöglichen?
Das Buch!”, krächzte er. “Erdmann! Fragen Sie ihn, wo ich das Buch verwahre!”
Der Gefängnisdirektor blickte ihn verständnislos an. “Was soll …”
Der Stachel bohrte sich tief in die Kehle des Gefängnisdirektors. Max Erdmann verdrehte die Augen. Seine Arme zuckten unkontrolliert. Entsetzt beobachtete von Stetten, wie der Stachel mit ruckartigen Stößen in den Kopf des Gefängnisdirektors eindrang. Dunkles Blut floss aus den Mundwinkeln des kleinen Mannes, heftige Krämpfe fuhren durch seinen Körper. Mit einem saugenden Geräusch zog das Von-Stetten-Ding den Stachel heraus. Max Erdmann fiel zu Boden wie eine Marionette, deren Fäden abgeschnitten worden waren.
Gefällt mir sehr.
Sein Körper - Karl Adams Körper - war mit einer dicken Staubschicht bedeckt.
Dieser Satz hat mich verwirrt und ich musste ihn ein paar Mal lesen um ihn zu verstehen. Vielleicht kannst du das einfacher ausdrücken.
Während er sich die Kleider vom Leib riss, begann er zu summen.
Ein zum Mythos passendes Ende. Es gibt immer nur Verlierer (selbst wenn man verhindert, dass ein großer Alter Zugriff auf unsere Welt erhält) :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @feurig,

vielen Dank - das freut mich! Mich dünkt, wir teilen ein paar Interessen. ;)

Hi @Christophe,
Ich finde, dass du insgesamt sehr gut das Grauen und die typische Stimmung dieser Welt darstellst, ich befinde mich eindeutig in den Bergen bei Dunwich (weil du Yog-Sototh gewählt hast, gehe ich einfach mal von Dunwich aus ;))
Hier muss ich mir aber ein paar Freiheiten rausnehmen: Die Story spielt 1941 in den Karpaten, also im faschistischen Rumänien.

Schlächter, hast du … habe ich … Feuer ..?”, fragte es und tastete die Taschen der Uniformjacke ab, bis es das Feuerzeug in der Seitentasche entdeckte. “Ahh …!”, machte es, entzündete die Zigarette und nahm einen langen Zug.
Das finde ich jedoch unpassend witzig. Ich fände es besser, wenn der Inkarnierte ruhig und selbstsicher die richtige Tasche mit dem Feuerzeug sucht und findet.
Das ist ein interessanter Hinweis. Witzig soll diese Stelle schon sein, aber auf eine groteske Art - wenn du sie anders gelesen hast (nämlich als "witzig" im Sinne von Gag), dann sollte ich da nochmal rangehen, das irgendwie nachschärfen ... ich denke nach.

Während Gruppenführer Karl Adam auf seiner Brust saß und das Bewusstsein aus seinem Körper saugte, kniete Moritz von Stetten am Tor der Welten, und über ihm, in einem Mahlstrom aus Augen und Stacheln und Licht, wirbelte der Hüter des Tors, der Körperlose. Als von Stetten den Formlosen sah, wollte er lachen, ein wildes, wahnsinniges Lachen. Dann hatte Adam ihn ausgesaugt, er war körperlos und fiel in die Dunkelheit.
Das gefällt mir sehr gut um den Mythos und den Einfluss eines großen Älteren darzustellen, ich würde allerdings ein bisschen was streichen (markiert)
Gute Ideen, danke, das mache ich!

Von Stetten spuckte erneut dunkles Blut. “Du hast … die Augen … das Licht …”
Gerne schwammiger. "Was... Wer... ist das?"
Interessant! Ich wollte die Augen nochmal betonen, weil das so ein Yog-Sothoth-Ding ist, aber klar, vager macht in so einem Lovecraft-Kontext immer Sinn.

“Ihr hättet nie herkommen sollen”, sagte das Ding in seinem Körper. "Ihr wisst nicht, welche Macht in diesen Bergen wohnt."
Sollte er nicht dankbar sein, dass er dann ihrer Anwesenheit eine Chance bekommen hat Yog-Sototh Zugang zu ermöglichen?
Stümmt! Du hast recht.

Sein Körper - Karl Adams Körper - war mit einer dicken Staubschicht bedeckt.
Dieser Satz hat mich verwirrt und ich musste ihn ein paar Mal lesen um ihn zu verstehen. Vielleicht kannst du das einfacher ausdrücken.
Ja, gerne! Es geht hier einfach darum, diesen Körpertausch beim Leser präsent zu halten. Das kann ich auch klarer machen. Danke!

Während er sich die Kleider vom Leib riss, begann er zu summen.
Ein zum Mythos passendes Ende. Es gibt immer nur Verlierer (selbst wenn man verhindert, dass ein großer Alter Zugriff auf unsere Welt erhält) :)
Genau, das war die Idee!

Liebe @feurig, vielen Dank für deine Kritik - ich bastle fleißig weiter.

cthulu fthagn:

Christophe

 

Mich dünkt, wir teilen ein paar Interessen
:D
Die Story spielt 1941 in den Karpaten, also im besetzten Rumänien
Schön abgelegen und rau.
Mein Vampire Dark Ages P&P Charakter ist Prinzessin von Kronstadt. :D
Witzig soll diese Stelle schon sein, aber auf eine groteske Art - wenn du sie anders gelesen hast (nämlich als "witzig" im Sinne von Gag), dann sollte ich da nochmal rangehen,
Grotesk empfand ich es nicht, eher unpassend. Liegt allerdings vielleicht auch an der Fallhöhe. Du kommst aus einer sehr guten Beschreibung des absoluten Grauens, da liegt jegliche Komik weit abseits. Vielleicht kommst du mit einem Anteil von gewisser Fremdartigkeit deinem Ziel näher? Der "andere" ist z. B. Linkshänder, sucht daher zuerst in der spiegelverkehrten Tasche, die Art wie er im Suchen die Stirn runzelt, sieht auf dem bekannten Gesicht falsch aus...
Ich wollte die Augen nochmal betonen, weil das so ein Yog-Sothoth-Ding ist,
I see. Mir ist die Stelle aufgefallen, weil es mir für die Nähe zum Wahnsinn, Grauen, Horror zu präzise beobachtet erschien. Zu konkret.

Viel Spaß im Grauen :)
Feurig

 

Hallo Christophe,

ich habe Deine Geschichte gern gelesen. Man könnte eine Menge zu dem Text sagen, ich will mich auf ein paar Punkte beschränken.

Sprache

Ich bin beim Lesen nicht auf problematische Stellen gestoßen, also keine merkwürdigen oder unpassenden Formulierungen, schiefe Vergleiche, Phrasen, schwülstige Wendungen etc. Wunderbar. Ich bin allerdings auch nicht auf besonders elegante, originelle oder poetische Stellen gestoßen. Meinem Empfinden nach fließt dieser Text bei »Neutral Null«, d.h. er fließt, er lässt sich ohne Probleme, ohne Hänger und Ecken durchlesen. Aber es mangelt ein wenig an Würze, dem besonderen Etwas, dem Schuss Originalität oder Poesie.

Selbst Leser, die z.B. den Geradeaus-Stil von Houellebecq schätzen, werden sich in Regel über ein wenig mehr Komplexität und Tiefe der Sprache freuen. Das wäre in meinen Augen eine Empfehlung, wenn natürlich auch keine sonderlich präzise. Eben nur ein Anstoß.

Aufbau

Die Idee mit der Exekution ist gut, die bevorstehende Hinrichtung gibt dem Ganzen etwas Dringliches, Drängendes. Natürlich sind die beschriebenen (in der Gegenwart der Geschichte zurückliegenden) Vorgänge rätselhaft. Für eine gewisse Grundspannung ist also gesorgt.

Aber: Die Relevanz eines Textes für den Leser steigt in dem Maße, in dem er sich für die handelnden Figuren (und nicht nur für den Ablauf der Ereignisse) zu interessieren beginnt und zwar primär in emotionaler Hinsicht. Figuren, die mir nichts bedeuten, können mich auch nur sehr schwer zum Mitfiebern anregen. Das schadet dann dem Genießen der Geschichte. Wir wollen – so eigenartig das im Grunde klingt - mit den Figuren leiden. Wir wollen uns identifizieren. Oder in umgekehrter Stoßrichtung: Wir wollen die üblen Gestalten Staub fressen sehen.

Wenn es einem Autor nicht gelingt, irgendeine Form von Empathie zwischen Leser und Figur zu erreichen, muss der Schwerpunkt seines Schreibens an anderer Stelle liegen, um insgesamt Lesegenuss zu erzeugen. Nehmen wir Kafkas Strafkolonie als Beispiel. Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber die Figuren in dieser (Kafkas) Geschichte reißen mich nicht mit. Ich fühle mich ihnen weder verbunden noch habe ich größere Aversionen gegen sie. Sie sind mir egal. Aber: Das Setting von Kafkas Geschichte und die Sprache sind so einzigartig, sonderbar und verstörend, dass das Ganze trotzdem ein herausragende Geschichte ist.

Im Fall Deiner Geschichte gibt es dieses andere Element aber nicht. Deshalb wäre bei zukünftigen Projekten zu überlegen, ob Du es Deinen Leser leichter machen könntest, die Figuren persönlicher zu erleben.

Natürlich hat der Text etwas von diesem abstrakten Grusel oder Schauder, der ganze Tentakel- und Dorn-sticht-ins-Auge-Kram. Das ist sicher nicht jedermanns Sache, aber geht als Genre-Thema in Ordnung. Dennoch spricht nichts dagegen, das mit dem Persönlichen zu verbinden. Oder irre ich mich?

Bin gespannt auf weitere Geschichten von Dir.

Gruß Achillus

 

Hallo @Achillus,

vielen Dank für Deinen Kommentar!

Deinen Denkanstoß zur Sprache nehme ich gerne an. Ich komme aus dem Journalismus, daher rührt vermutlich meine Tendenz, möglichst einfach und klar und reduziert zu schreiben. Aber auch das geht mit etwas mehr Witz, stimmigen Bildern, Melodie, Rhythmus - da gebe ich dir völlig recht. Ich nehme das mal mit, beobachte mich mal selbst beim Lesen und versuche mal, etwas komplexer zu schreiben. Kein einfacher Vorsatz - aber definitiv einer, der sich lohnen dürfte. Danke dafür!

Und auch der Anstoß zu den Figuren ist sehr wertvoll. Du hast völlig recht, die Story ist handlungsgetrieben, die Figuren blass. Im Grunde genommen ist das - in einem positiven, unterhaltenden Sinn! - Spektakel, es hat keinen Tiefgang, da wird nichts Menschliches verhandelt, die Figuren sind ein stückweit Variablen. Das möchte ich ändern, da möchte ich mehr Tiefe erreichen, mehr Komplexität. Auch kein einfaches Vorhaben - auch eines, auf das ich Bock habe! :-)

Du gibst mir sehr gute Impulse, die mich - weit über diesen Text hinaus - beschäftigen werden. Vielen Dank dafür!

Viele Grüße!

Christophe

 

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