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Das Osterfeuer
Das Feuer prasselte. Die Funken des riesigen Berges aus brennendem Holz flogen durch die kalte Luft, ein heller Schein erhellte die Nacht und die Hitze die von dem Feuer ausging, war schon mörderisch, wenn man näher als einen Meter herantrat.
Patrick beobachtete das Spektakel. Wie er, standen auch noch ein paar hundert Menschen in kleinen Grüppchen um das Feuer herum.
Sie unterhielten sich, scherzten, hatten Spaß in dieser kühlen, sternenklaren Osternacht.
Patrick stand alleine. Er starrte wie gebannt auf das Osterfeuer.
Ein Jugendlicher ohne Freunde war selten, in diesem Ort; aber Patrick war so einer- er war gerne allein.
Und so stand er auch jetzt ein wenig abseits von den anderen- wobei er jedoch wahrscheinlich am konzentriertesten die Flammen beobachtete.
Schön warm fühlt sich das Feuer an, fand er.
Ein Kleinkind wimmerte- das Stimmchen kam irgendwo aus dem dichten Gedränge der anderen Menschen.
Patrick horchte auf.
Nein, dass konnte nicht sein. Unmöglich...
Da war es wieder. Patrick riss seine Augen weit auf. Das konnte, nein, das DURFTE nicht sein.
Hatte er einen Fehler gemacht? Er bohrte seinen Blick durch die Flammen.
Noch am Nachmittag des vorigen Tages hatte er zu Hause mit seiner kleinen Schwester gespielt, wie es seine Mutter verlangt hatte.
Er hatte die Zweijährige auf seinen Knien reiten lassen, mit ihr Bauklötze gestapelt, und schließlich sogar geholfen, ihre Barbie zu frisieren.
Als seine Mutter wiedergekommen war, hatte sie ihn gelobt, ihn angelächelt. Stolz war er deswegen gewesen.
Doch dann ging es wieder nur um SIE- Sarah, den Mittelpunkt der Familie. Die Mutter hatte für SIE Essen gekocht, hatte SIE gebadet und ins Bett gebracht.
Abends in seinem Bett hatte sich Patrick deswegen eifersüchtig ausgemalt, wie es später sein würde, wenn Sarah erwachsen wäre und sich aller Welt zeigen würde, wie dumm sie doch in Wirklichkeit war. Ja, sie war dumm- hässlich und dumm. Sie konnte nicht einmal reden, und trotzdem bekam sie das Extra-Plätzchen von der Oma, das er doch immer bekommen hatte- es war SEINS. Er würde allen zeigen, dass er mehr galt, als dieses unmündige Würmchen. Er verdiente die Aufmerksamkeit.
Am folgenden Tag, dem Ostersamstag, hatte seine Mutter dann anscheinend vollkommen vergessen, dass es ihn gab. Sie hatte permanent mit dem Schwesterchen zu tun gehabt- hatte sie gefüttert, hatte Ostereier mit ihr bemalt; und als er sie vorsichtig angestoßen hatte, um sie um etwas Farbe für SEINE Ostereier zu bitten, hatte sie ihn nur wütend angeschaut. Er hatte doch nicht gewollt, dass sie seinetwegen Farbe auf der Tischdecke verschüttete. Wieso hatte sie ihn angeschrieen, er solle in sein Zimmer gehen und sie in Ruhe lassen? Er hatte es doch nicht mit Absicht gemacht...
Und hatte Sarah nicht während der ganzen Zeit hämisch grinsen zu ihm herübergeschaut? Sie war Schuld, dass seine Mutter ihn hasste. Und darüber freute sie sich auch noch.
Dagegen musste er sich wehren.
Deswegen hatte er am Abend, als das aufgeschichtete Osterfeuer verlassen auf dem großen Platz, außerhalb des Dorfes lag, seiner kleinen Schwester ihre Jacke angezogen.
Er hatte ihr die Schuhe angezogen und die Mütze aufgesetzt.
Keiner hatte das bemerkt- seine Mutter war bei einer Freundin gewesen.
Patrick hatte so viele Kekse, wie möglich in seine Jackentaschen gestopft, und hatte sich über den Trampelpfad durch den Wald, auf den Weg zum Osterfeuer gemacht- mit Sarah an der Hand.
Er hatte ihr immer wieder Kekse in den Mund geschoben, um zu verhindern, das sie quengelte.
Man sah zwar weit und breit keinen Menschen in der Abenddämmerung, aber man konnte ja nie wissen...
Am Osterfeuer angekommen hatte er Sarah auf einen erhöhten, flachen Felsen gestellt. „Iss deinen Keks und sei still!“, hatte er ihr zugerufen, während er daran gearbeitet hatte, einen Durchgang in das Innere des Holzberges zu schaffen. Er hatte kleine Bäumchen weggeschoben, ein Meer von Ästen hinter sich geworfen und schließlich einen kleinen Hohlraum in der Mitte des Feuers geschaffen.
Keuchend vor Anstrengung hatte ein paar Minuten verschnauft und dann Sarah in den kleinen Hohlraum geführt.
Er hatte sie auf den Boden gesetzt und ihr die verbliebenen fünf Kekse in die kleinen Händchen gedrückt. „Bleib hier sitzen, ok? Iss deine Kekse auf und warte. Und nicht schreien, Mama ist sonst ganz böse und schimpft mit dir; das willst du doch nicht, oder?“
Und er hatte einen besonders schweren, harten Stock genommen...
Jetzt, einige Stunden später, hörte Patrick also dieses Wimmern. Er blickte sich suchend um: Ach so- es war nur der Nachbarsjunge- ein kleines Männchen von vier Jahren, dass mit Tränen in den großen Kulleraugen wimmerte, weil es keine Lust mehr hatte und das ganze Spektakel ihm Angst machte.
„Patrick, wo ist Sarah?“, rief Patricks Mutter, während sie mit schnellen Schritten vom Haus herübergelaufen kam. „Ich wollte mit ihr zum Feuer rausgehen! Sie war doch in ihrem Zimmer, als ich wiedergekommen bin, oder? Aber jetzt ist sie weg!“, klagte sie hysterisch.
Sie war jetzt bei Patrick angekommen und gestikulierte jetzt wild mit ihren Händen.
Ihr Gesicht drückte totale Verzweiflung aus. Sie war ganz rot und hatte ihre Augen weit aufgerissen.
Patrick schüttelte nur den Kopf: „Keine Ahnung.“
Am nächsten Morgen, als die Feuerwehr die Reste des Aschehaufens entsorgte, fiel einem Feuerwehrmann ein kleines, geschmolzenes Klümpchen Gold in den Ascheresten auf. Er warf es mit dem anderen Schutt in den Container.
Sarah wurde nie wieder gesehen, und ebenso wenig ihr Goldkettchen, das sie am Tag ihres Verschwindens getragen hatte.
*
Patrick war jetzt 35 Jahre alt. Sein Beruf- Bankangestellter- gefiel ihm, seine Frau liebte ihn und seine beiden kleinen Kinder waren einfach nur goldig.
Alles lief gut. Wären da nicht diese Träume...
Jede Nacht träumte Patrick von einem kleinen Mädchen. Alles war so real... Er konnte ihren Atem hören, während sie von Dunkelheit umhüllt in sein Schlafzimmer schlurfte. Jedes Mal kam sie immer näher an Patrick heran, und im dämmrigen Mondlicht, das durch das Schlafzimmerfenster schien, konnte er jedesmal ihr Gesicht erkennen: Hautfetzen hingen von ihren Schläfen, alles sah verbrannt aus und sie hielt ihren Kopf seltsam gekippt. Ihre Kleidung schien mit ihrem Körper verwachsen- sie bildeten eine einzige schwarz-rote Masse.
Wenn sie ganz nah herangekommen war, konnte Patrick ihr in die tiefschwarzen Augen sehen, die bedrohlich glänzten.
Und ihr Geruch.... süßlich, wie der eines Tierkadavers und verbrannt zugleich.
Jedesmal wachte Patrick schweißgebadet auf, bevor irgendetwas Weiteres passieren konnte.
Doch eines Nachts, als das unbekannte Mädchen wieder einmal ganz nah herangekommen war, beugte es sich zu Patrick herunter. Er lag wie immer im Bett und versuchte vor Angst, möglichst nicht zu atmen. Er wollte durch keinen Atemzug die Aufmerksamkeit auf sich lenken
Sie flüsterte mit krächzender, hohler Stimme etwas wie: "Du wirst bezahlen...."
Und im nächsten Moment wachte Patrick schweißgebadet und zitternd auf.
Er wälzte sich im Bett herum und schaute auf seinen Wecker: Erst 2.34 Uhr- nachts. Dennoch stand er auf und lief im Schlafanzug ersteinmal in die Küche, um sich ein Glas Milch zur Beruhigung zu holen.
Er hatte kein Licht gemacht, weil er seine Familie nicht wecken wollte. Plötzlich hörte er das zarte Stimmchen seiner kleinen Tochter, er musste sie geweckt haben: "Papa, wo bist du?" "Ich bin hier, in der Küche, mein Schatz. Komm her, dann bringe ich dich gleich wieder ins Bett."
Und eine kleine Gestalt schob sich im Dunkeln durch die Tür.
Als seine Tochter jedoch ans Fenster trat, gefror Patrick das Blut in den Adern: Vom Gesicht seiner Tochter hingen einzelne, verkohlte Hautfetzen.
Ihr Gesicht war vollkommen verbrannt. Und ihre schwarzen Augen funkelten bösartig.....