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Das Paar
Das Paar
Ich ging spazieren. Es war ein geradezu berauschender Tag. Die sommerschweren Bäume wiegten ihr Grün und ihre vom Frühling zurückgelassenen Blüten in einem sanften Wind. Die Sonne schien aus aller Kraft, nur ein paar stilvolle Wölkchen tummelten sich am Himmel. Die Luft, geschwängert mit den prallen Düften der Erde, wirbelte wie ein Segen durch meine Lunge. Man musste nicht einmal angestrengt lauschen oder innehalten, um die Kinder des Windes singen zu hören. Sie sangen, auf ihren Ästen sitzend, tief im Gestrüpp verborgen oder übermutig durch die Baumkronen jagend. Ihre Stimmen waren so laut, wie sie sonst nur in der frühen Morgendämmerung zu hören sind. Dann, wenn sie keine Angst haben vor den Feinden der Nacht oder denen des Tageslichtes. Sie alle um mich herum schienen so ausgelassen fröhlich, so allessagend, ja fast schon verliebt, dass ihr Laune mich ansteckte.
Ich folgte der Landstraße, die zu meiner rechten von hohen Laubbäumen, zu meiner Linken von endlos freiem Feld gesäumt war. Ich ließ mir Zeit, jeden meiner Schritte auf dem Asphalt zu beobachten. Wenn man achtsam war, so fand man in ihm von Zeit zu Zeit bunte Kieselsteine eingebettet. Ich ließ mir alle Zeit, das stille Laut der Welt in mich aufzunehmen, denn ich hatte kein Ziel und niemand erwartete mich. Nicht mehr.
Als ich aufblickte, entdeckte ich ein junges Paar. Verspielt umkreisten sie sich in ihrem Element. Einer dem anderen ständig auf der Flügelspitze folgend vollführten sie virtuose Schleifen, Haken und Sturzflüge. Sie erschienen mit fast, wie ein und derselbe Vogel. Es war eine absolute Harmonie. Ich hielt inne und fragte mich, ob es so etwas wie Liebe zwischen Tieren überhaupt gab. Sie zu beobachten war herrlich.
Nach einer wilden Jagd ließen sich beide auf der Straße, nicht weit weg von der Stelle, an der ich stand, nieder. Sie hatten die Größe und auch die Farbe von Spatzen. Aber sie schienen schlanker, hatten kurze Schnäbel und lange, beim Picken auf den Asphalt hektische wippende, Schwanzfedern. Vergnügt hopsten sie pickend und piepsend auf der Straße herum.
Ich bemerkte es erst, als es schon zu spät war. Ich hörte das Geräusch des heranfahrenden Autos nicht. Ich nahm keine Gefahr wahr, vor allem, weil ich annahm, dass diese kleinen Wesen sich ihrer Situation bewusst waren und sich flink in spätestens in letzter Sekunde in Sicherheit bringen würde. Ich begann erst, es zu realisieren, als ich das diskrete Geräusch eines kleinen auf etwas hartem aufschlagenden Körper vernahm. Das Auto entfernte sich und ließ die Leiche eines Vogels zurück. Starr lag er auf dem sonnenwarmen Stein. Der Chor der Vogel verstummte.
Es brach mir das Herz, als ich den anderen Vogel neben dem Leichnam stehen sah. Er starrte auf ihn, wie unter Schock. Er flog nicht einfach weg. Er blieb tatsächlich. Er liebte. Sein Schnabel öffnete sich, ohne dass ein Laut ihm entfuhr. Seine zitternden Augen starrten auf den zertrümmerten Körper.
Er saß immer noch da, als ich beschloss, zu gehen. Ich sah mich immer wieder um, bis ich nur noch einen kleinen dunklen Fleck erkennen konnte.
Vielleicht hatte er Glück und starb ebenfalls.