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Das Paradies der roten Backsteine

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01.06.2005
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Das Paradies der roten Backsteine

Ich habe immer vom Paradies geträumt, seit ich es das erste Mal sah. Es liegt in Zeeland, in einem Ort am Meer. Da und überall in diesen kleinen, niederländischen Städten. Es ist nicht nur dort, sondern auch dann: Anfang der 1980er Jahre.
Wir hatten nur diese Spielplätze aus schwarzen Hartgummiplatten und Betonpflaster. Die Zeeländer spielten zwischen roten Backsteinen, Wege, die selbst im Herbst warm aussahen. Die Reihenhäuser eine freundliche Herde, bewacht von rundlichen Glascontainern wie von einer Gruppe Barbapapas. Ja, Glascontainer. So etwas gab es bei uns damals noch nicht.
Auf den Spielplätzen dann die Überraschung: Buntbemalte Holztiere auf blauen Metallspiralen. Wie kann ich das Gefühl beschreiben, ich, die ich nur die deutsche Wippe kannte, eine völlig nutzlose Einrichtung, wenn man nicht zufällig eine Freundin exakt gleichen Gewichts hatte?

Meine Schwester lachte, obwohl ich vier Jahre schwerer war, konnten wir gemeinsam wippen. Ihre Locken waren so viel heller als meine schmutzig blonden Wellen. Sie gab so ausgelassen Schwung, ohne mich als Beifahrerin würde sie die Kontrolle verlieren und auf dem Boden aufsetzen.

Ich habe immer davon geträumt, ins Paradies zu ziehen. Ein Haus zu besitzen mit freundlichen Klinkern an der Fassade, die Wege gepflastert und geordnet gerahmt von Bohlen aus dunklem Holz.

Sie haben auch vor unseren Türen Glascontainer aufgestellt. Umgeben von Hundekot und zerbrochenen Vasen lauern sie vor Kindergärten und Dönerbuden.
Rost sitzt auf den blauen Spiralen der Holztiere, und Graffiti läuft schwarz aus ihren Augen. Roter Backstein, befallen von getrocknetem Kaugummi füllt die Plätze vor dem Krankenhaus.

Meine Schwester lacht und Qualm dringt aus ihrem Mund. Vier Jahre hängen wie zigarettenschwere, braungelbe Vorhänge zwischen uns. Ich habe meine Haare schwarz gefärbt.
"Ich meine das ernst", sage ich. "Ich hätte immer gern in einem Reihenhaus in Zeeland gewohnt."
"Du warst schon als Kind spießig." Sie drückt die Zigarette aus und sieht aus dem Fenster. Nur ein Auge bewegt sich. "Ich kann diese Backsteine nicht mehr ertragen."
Dann ist die Besuchszeit um.

 

bewacht von rundlichen Glascontainern wie von einer Gruppe Barba-Papas.
von einer Gruppe was?
Meine Schwester lachte, obwohl ich vier Jahre schwerer war, konnten wir gemeinsam wippen.
für die Formulierung: :thumbsup:
Hi Naut,
also, zum Ende: Wer ist denn jetzt im KH, Prot oder Schwetser? :confused:
Vom Schreibstil her finde ich deine Geschichte ziemlich gut, schön flüssig zu lesen.
Der Inhalt ist glaub ich auch ganz gut, aber ich check halt gar nix ;)
Bruder Tserk

 

Hallo Naut,

Ich habe mir deine Geschichte mehrmals durchgelesen, weiß aber immer noch nicht worum es geht.
Eine kurze Momentaufnahme einer glücklichen Kindheit, danach eine Szene in einem Krankenhaus, die Schwester scheinbar verletzt, die Geschwisterliebe zu Ende.
Braucht es historisches Wissen, um diese Geschichte zu verstehen?
Die Schwester irgendeine Terroristin, Aktivistin, die bei einem Anschlag, einer Aktion verletzt wurde?
Es wäre interessant, wenn du deine Intentionen darlegen würdest.

MfG

Miller

 

Hallo Naut,

von mir ein Kompliment für eine gute Geschichte. Nur die schmutzigblonden Wellen finde ich nicht so schön, vier Jahre schwerer dagegen ist eine super Formulierung.
Und ich habe es verstanden, (glaube ich zumindest)... obwohl ich mir nicht sicher bin, ob Gefängnisse heute noch aus Backstein gebaut werden.

Gruss

Bluomo

 

Hi Tserk,

danke für's Lob. Zu Deiner Frage: Die Schwester, aber außerhalb des KH ist auch im KH, in gewisser Weise.
Barba-Papas sind die Hippie-Tele-Tubbies der 70er.

Hallo Miller,

nein, man muss nur Geschichten kennen, keine Geschichte. Die Schwester kann eine Terroristin sein, oder eine Bergsteigerin, oder eine Testfahrerin. Eben jemand, der die Wippe aufsetzen lässt und ohne Beifahrer die Kontrolle verliert.

Hi Bluomo,

ich glaub schon, dass Du verstanden hast. Über das Schmutzigblonde werde ich nachdenken.

Und hallo Jynx,

ich hoffe, Du bist wieder gesund? Wir verstehen uns, derselbe Jahrgang eben. *knuddel*

Lieben Dank Euch,
Naut

 

Diese Geschichte gefällt mir sehr gut. Sie arbeitet mit guten Beschreibungen und ansprechenden Bildern, zwischen denen aber auch Raum bleibt, den man mit eigenen Überlegungen füllen kann. Man muss sich darauf einlassen. Ein bisschen Melancholie senkt sich am Ende über den nicht alle Fragen beantwortenden Schluss. Prägnanz in Konzept und Ausdruck, was ich sehr bewundere. Toll.

Grüße von Rick

 

Mann, danke Rick! Da werd ich ja richtig verlegen ...

 

Hi Naut!

Ganz nettes Stimmungsbild, das du da zeichnest. Hat nicht gerade ein Feuerwerk an Assoziationen in mir ausgelöst, aber es war ganz gut zu lesen, so wie alle deine Stories.

Es geht also um eine Schwester, die in ihrer Kindheit mal in Zeeland, Holland gewesen ist und seitdem immer davon geträumt hat, selbst dort leben zu können.
Das kann ich persönlich gut verstehen. Wenn ich in Groningen bin, fällt mir auch immer wieder die gemütliche Art auf, wie die Holländer ihren öffentlichen Raum gestalten. Andererseits ist mir dann auch immer ein wenig unbehaglich, weil das so spießig wirkt. ;)

Jedenfalls - jetzt ist die Schwester erwachsen, und die Träume haben ihren Zauber verloren. Schön findet sie die Umgebung freilich immer noch.

Darüber hinaus geht es auch um eine Geschwisterbeziehung, die du allerdings nur andeutest - vielleicht ist das ein bisschen zu wenig. Denn alles, was ich weiß, ist, dass sie früher als Team gut funktioniert haben und dass es heute - nun ja, anders ist? Ein wenig mehr würde ich als Leser schon gern erfahren.

Ein paar Einzelheiten:

Es ist nicht nur dort, sondern auch dann: Mitte der 1980er-Jahre.

Der Bindestrich kann weg. Und die Formulierung finde ich komisch. Was willst du damit sagen? Zumindest habe ich mich dran aufgehängt beim Lesen.

Die Reihenhäuser eine freundliche Herde, bewacht von rundlichen Glascontainern wie von einer Gruppe Barba-Papas.

Was Barba-Papas sind, ist mir immer noch schleierhaft. Hippie-Teletubbies? Häh?!
Auch die Glascontainer kann ich nicht so recht einordnen. Welche Funktion haben die? Fragen über Fragen, die mich vom Lesen abhalten ...

ohne mich als Beifahrerin würde sie die Kontrolle verlieren und auf dem Boden aufsetzen.

Na ja, die Kontrolle verlieren und auf dem Boden aufsetzen - das passt irgendwie nicht zueinander, findest du nicht? Wenn man die Kontrolle verliert, dann sollte eigentlich Schlimmeres passieren. Und auf dem Boden kann man beim Wippen auch freiwillig aufsetzen. Das habe ich als Kind auch immer gemacht, damit meine Schwester vom Sitz fliegt ... und um schwungvoller ausholen zu können, damit sie härter aufschlägt ...

Aber bis auf diese Kleinigkeiten finde ich die Geschichte okay. Nicht schlecht, aber auch keine deiner besten. :D

Wir verstehen uns, derselbe Jahrgang eben.

Äh, Moment, derselbe Jahrgang wie Jynx, und die ist 29 ... Dann bist ja doch fast in meinem Alter. Und ich dachte schon, weil du zu "deiner Zeit" die Wendung "Sinn machen" nicht kannstest, müsstest du mindestens ein Jahrzehnt mehr auf dem Buckel haben ... Ich muss dich völlig neu einschätzen. Und ich hatte schon so viel Respekt, verdammt ...

Ciao, Megabjörnie

 

Hi Mega,

das ist ein kleiner Assoziationstext, der auf mehreren Ebenen arbeitet: Es gibt die "obere" Ebene, die eine Handlung erzählt und eine Ebene darunter, die den Hintergrund beleuchtet. Zum Beispiel: Die Vorhänge hängen sowohl tatsächlich im Raucherzimmer des KH, als auch symbolisch zwischen den Schwestern. Genauso muss jedes Element des Textes betrachtet werden.

Wenn Dir das aber zuviel ist, finde ich das okay, mir ist solche Krypto-Prosa auch oft zu anstrengend. Das zu schreiben macht aber Spaß. :)

Wg. der Barba-Papas frag einfach Wikipedia.

Das Wippengleichnis ist ein solches doppeltes Textelement.

Und ja: Ich bin noch nicht so alt, wie ich manchmal wirke ;)

Besten Dank für die Anmerkungen,
Naut

 

Hi groper,

schön, dass es Dir gefallen hat. :)

Mögen wir sie noch, oder sind wir schon sie? Wieviele Menschen leben im Ikea-Land und merken, dass es ihnen doch nicht so gut gefällt? Vielleicht erst, wenn das Furnier vom Billy-Regal platzt.

Fröhliches Schwimmen wünscht:
Naut

 

Hallo Naut,

ich habe deine Geschichte schon heute Morgen gelesen, war aber im Zweifel darüber, ob ich überhaupt einen Kommentar schreiben soll. Meine Meinung unterscheidet sich von denen der anderen Kritiker und ich schätze, dass es bei diesem Punkt nur noch um persönlichen Geschmack geht. Trotz allem: Auch derartiges Feedback ist wichtig.

Die Intention deiner Geschichte finde ich sehr gut. Gerade mit deinem Schlusssatz arbeitest du das sehr schön heraus. Allerdings konnte ich in den Rest deiner Geschichte nicht wirklich eintauchen, die Stimmung hat mich nicht erreicht. Ich habe überlegt, warum das so ist - die Thematik spricht mich durchaus an. Ich habe eher ein "Problem" mit dem Stil. Manches wirkt auf mich zu gewollt, zu angestrengt - es kann wirklich sein, dass ich mich täusche und ich einfach diese Art von Stil nicht besonders mag - aber das war zumindest mein Empfinden, beim Lesen. Ständig bin ich an bestimmten Formulierungen hängen geblieben, hab nochmal gelesen... und die eigentliche Geschichte ist dazwischen für mich irgendwie verlorengegangen. Jetzt nochmal gelesen - zwar flüssiger, aber letztendlich lief es auf das Gleiche heraus.

LG
Bella

 

Hallo Bella,

na, hier ist ja was los! In SF brauche ich Monate, um auf 13 Beiträge zu kommen.

Danke für Deine Einschätzung. Die gewählte Form ist sehr komprimiert, und ich verstehe Dich sehr gut, wenn Du so etwas nicht lesen magst, mir ist auch eher selten danach. Trotzdem finde ich manche Formulierungen lohnend, auch wenn ich sicher keinen Roman in dem Stil lesen wollte. Es ist vielleicht auch ein wenig Lyrik, aber davon habe ich keine Ahnung.

Viele Grüße,
Naut

 

Ich wollte noch anmerken, dass ich die Doppelbödigkeit sehr wohl verstanden habe. Was ich nicht so gut fand, war der Abstraktionsgrad. Was die beiden entzweit haben könnte, dafür kommt nach dem Lesen immer noch alles Mögliche in Frage. Das verhindert den persönlichen Bezug zum Text.

 

Stimmt wohl. Ich hatte nur die Befürchtung, dass es sonst zu platt würde.

 

Mir hat es gut gefallen. Ich mag zwar normalerweise auch lieber "geschlossenere" Texte, aber hier ist immer noch so viel vorhanden, dass sich eindeutig ein Sinn ergibt. Die eigentliche Ausgestaltung darf ruhig mal ein Häppchen für den Leser sein. Aber wie du selbst schon meintest, Naut, würde ich auch keinen längeren Text in diesem Stil lesen.

Trotz einiger wirklich gelungener Formulierungen bleibt diese Geschichte für mich ein Häppchen für zwischendurch. Ich denke, sie wird bei mir nicht hängenbleiben. Dafür fehlt wahrscheinlich tatsächlich die Tiefe. Aber sprachlich und stilistisch super. :thumbsup:

Noch eine Anmerkung (darum schreibe ich überhaupt diese Kritik):
Glascontainer gab's auch in Deutschland schon Mitte der 80er. Ich bin mir da ziemlich sicher. Ich meine auf jeden Fall, als Schülerin (war ich bis 1990) mit meiner Mutter zum Einkaufen gefahren zu sein, die damals schon Gläser und Flaschen für den Glascontainer mitnahm, der vor dem Supermarkt stand. Und das n icht nur in den letzten Wochen meines Schülerdaseins. Ein Blitzgooglen grade hat aber kein verlässliches Einführungsjahr für die Container ergeben. Glas wird aber immerhin schon seit 1972 (!) in Deutschland recycled (hab ich grade durch die Suche gelernt).

Viele Grüße
Kerstin

 

@katzano: Deine Daten stimmen für die großen Städte, eine flächendeckende Altglasrücknahme gab es aber meines Wissens nach nicht vor 1983, insofern sollte ich die Geschichte vielleicht auf Beginn der 80er rückdatieren (dann passt es auch besser zu den Barba-Papas).

Danke für das Lob!
Naut

 

Hey Naut,
ist schon 'ne Menge gesagt worden zu deiner Geschichte. Ich kann mich den positiven Kommentaren unbedingt anschließen. Ich mag die Form sehr gerne - vielleicht auch deshalb, weil ich selber gerade an etwas rumschreibe, was ich mit jedem Tag noch ein wenig mehr verdichte - ich muss dabei immer an das Wort "einreduzieren" aus der Kocherei denken. ;)

Eine Sache hab ich aber noch zu "bemängeln". Die Barbapapas bitte ohne Bindestrich. Hast du denn den Schriftzug aus der Sendung nicht mehr vor Augen? Warst wohl doch noch etwas jung. ;) Auch bei Wikipedia findet sich sonst in deiner Schreibweise kein Eintrag.

Gruß,
kira.

 

Ah, ein Fan, äh, eine Fännin, hmm, wie auch immer ;)

Ich würde ja jetzt das Barbapapalied zu Deinen Ehren anstimmen, aber da war ich wirklich noch sehr jung, ich kann mich nicht erinnern. :)
Einreduzieren trifft es sehr gut, manchmal wird's etwas salzig dadurch, aber immer ist das Ergebnis sehr interessant.

Danke,
BarbaNaut

 

Hallo Naut,

eine gut ausgearbeitete Geschichte ist dir gelungen. Indirekt, durch die Beschreibung was dem Prot. als Paradies vorkommt, vermittelst du Informationen über den Prot. In einer desillusionierenden Gegenüberstellung von früher erlebten Paradies und jetzt erlebter Realität zeigst du Verlust und Sehnsucht der Beteiligten.
Die `vierjahresschwere´, einst Grund zur Freude, ist nun „zigarettenschwere“ in trennenden Vorhängen. Alles sehr symbolisch, aber verstehbar und gut aufeinander abgestimmt. Als Stimmungsbild eine gute Geschichte. Doch mir geht es ähnlich wie Megabjörnie - etwas mehr will man wissen, ist schließlich ein zentraler Punkt.

Gruß,

tschüß… Woltochinon

 

Hi Woltochinon,

wenn mich die Inspiration nochmal heimsucht, werde ich versuchen das zu ergänzen. Im Moment befürchte ich jedoch, dass ich den Text dadurch eher versaue. Mal sehen.
Danke jedenfalls für die lobenden Worte.

Grüße,
Naut

 

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