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Das Pflaster

MiK

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12.03.2006
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Das Pflaster

Ich weiß, dass all diese Zuschauer nur wegen mir hier sind. Ihre Blicke sind auf mich gerichtet. Ringsum ist es still, die Abendsonne wirft ihre geschwächten Strahlen auf meine Haut. Im Publikum sind die Erwartungen gespalten. Eine junge Eule nippt an ihrem Kaffee, zuppelt etwas nervös an der Zigarette und drängelt mit verrauchter Stimme:
„Nun spring schon endlich, Mann. Ich war die ganze Nacht unterwegs und habe heute wegen dir noch kein Auge zugemacht.“
Aus dem Augenwinkel kann ich sehen wie sich mir auf dem Geländer der Brüstung vorsichtig ein Eichhörnchen nähert. Es wirft mit einer Haselnuss nach mir und ich hefte sofort den düstersten Blick, den ich zu Stande bekomme, auf den kleinen Nager und gebe ihm somit zu verstehen, dass er verschwinden soll.
„Wenn du dich nicht sofort aus dem Staub machst, koche ich aus dir ein kleines Süppchen und verarbeite deinen roten Pelz zu einem Schlüsselanhänger“, untermauere ich meine Forderung.
Eine, für seine Verhältnisse, riesige Narbe zieht sich über sein linkes Auge. Vermutlich hat dieser Zwerg wegen seiner Einmischungen schon einmal riesigen Ärger bekommen. Tatsächlich bleibt der Fellball stehen und sagt in einem piepsigen Ton:
„Junger Mann, tun Sie das nicht. Sie haben doch noch so viel vor sich.“
Aus irgendeinem Grund beginne ich über das Gehörte nachzudenken. Noch so viel vor mir. Ja, all die Dinge, die ich mir noch vorgenommen hatte, fallen mir in diesem Moment wieder ein. Fast bin ich geneigt, die Brücke wieder auf dem üblichen Weg zu verlassen. Doch dann muss ich plötzlich wieder an sie denken. Es waren alles Dinge, die ich mit ihr unternehmen wollte.
„Ha, guter Versuch, Rothaut!“, fauche ich in die Richtung des Blausäurejunkies.
Meine Todessehnsucht ist jetzt noch größer als zuvor. Ich habe mir beim Überklettern der Brüstung nicht umsonst die Hose zerrissen. Das Einzige, was mich jetzt noch vom Springen zurückhält, ist das hämische Lachen des Eisvogels, der an einer Eiche am Ufer des Flusses aufgeregt hoch und runter wirbelt. Das blaugelbe Federkleid sieht ein wenig zerzaust aus. Seine Blut unterlaufenden Augen sind weit aufgerissen und die Augenlider schnellen immerfort auf und zu. Auf meine Ohren deutend, ruft er:
„Flieg Dumbo, flieg! Ha! Ha! Ha!“
Ich möchte ihm an den Hals springen und ihn würgen bis ... aber nein, deshalb bin ich nicht hier.
„Der Tod ist das Pflaster auf dem Schmerz des Lebens“, las ich einmal in einem Buch. Doch leider blieb mir dieses heilende Pflaster bisher verwehrt. Dies ist mein ... ich weiß nicht wievieltes Mal. Ich habe aufgehört zu zählen. Schon so oft hatte Gevatter Tod meine Bekanntschaft abgelehnt.

Es begann vor ziemlich genau einem dreiviertel Jahr. Ich hatte gerade die Nachricht verdaut, dass Nicole, meine damalige Freundin, ein Kind erwartete. Der letzte Sex war dafür eigentlich schon zu lange her. Also konnte das Kind unmöglich von mir sein. Meinen gesamten weltlichen Besitz fand ich eines Abends fein säuberlich in einer Mülltonne vor unserem Haus gestapelt. Bei Nicole musste alles seine Ordnung haben. Nur in Sachen Geld war sie ein wenig schlampig:
„Von was für gemeinsamen Ersparnissen redest du überhaupt?“, fragte sie mit hochgezogenen Schultern.
Ich hatte sie wirklich geliebt, auf Händen getragen, ihr jeden Wunsch erfüllt und nun zahlte sie mir all die Jahre der Liebe auf so furchtbare Weise zurück.
Ich war Single, ohne Obdach und nahezu mittellos. Mein Selbstwertgefühl war nur noch ein löchriger Fetzen, eine Abstraktion meiner selbst. Also tat ich, was wohl meiner Meinung nach jeder andere in dieser Situation auch getan hätte. Ich ging in eine Bar. Mit einer Packung Schlaftabletten in der Tasche und einer Flasche Champagner wollte ich mein Ableben feiern. Ich würde als Zechpreller auf dem Tresen schlafend in die ewigen Jagdgründe einziehen. Kein schlechter Tod, wie ich fand. Ich warf mir die erste Pille in den Hals und setzte das Glas zum Hinunterspülen an, als mir jemand auf den Rücken schlug und fragte:
„Na, was gib es denn zu feiern?“
Den Champagner und die Tablette verteilte ich in einem riesigen Schwall über die Theke, wischte mir den Mund an meinem Ärmel trocken und sah sie das erste Mal in ihrem roten T-Shirt, der Jeans und den weißen Turnschuhen neben mir stehen.

„Hey, wie heißt du eigentlich?“, nervt mich der vorlaute Eisvogel.
„Das geht dich nichts an!“
„Das geht dich nichts an? Du bist schon der Dritte heute, der so heißt. Ha! Ha! Ha!“
Ich kann das pulsieren in meinem Hals deutlich spüren und reiße mir den linken Schuh vom Fuß.
„Nimm das, Piepmatz!“
Der Schuh schlägt etwa vier Meter neben der Eiche auf.

„Das geht dich nichts an?“, fragte sie übertrieben freundlich betont, aber ich drehte mich einfach nur weg. „Ist das vielleicht ein indianischer Name? Ich weiß, wir können alle nichts für unsere Namen. Ich bin übrigens die Anne“, sagte sie in dieser aufgesetzten Stimme, setzte sich auf den Barhocker neben mir und bestellte sich ein leeres Champagnerglas.
Ich drehte ihr meinen Rücken noch etwas weiter zu und zählte die aufsteigenden Bläschen in meinem Glas.
„Eins, zwei, drei ...“
Der Barkeeper brachte ihr das Glas, sah mich vorwurfsvoll an und wischte vor mir den Tresen sauber. Sie nahm sich die Flasche.
„Bedien dich ruhig“, sagte ich, „betrachte dich als eingeladen.“
Ich hoffte, dass sie nach erfolgreichem Schnorren endlich ginge. Ich fühlte, wie ihr musternder Blick an mir entlangglitt.
„Welcher Satellit?“, fragte sie plötzlich und ich fragte mich worauf sie damit anspielte.
„... einunddreißig, zweiunddreißig, dreiunddreißig ...“, fuhr ich jetzt etwas lauter fort.
„Astra oder Eutelsat?“
„... fünfunddreißig, sechsunddreißig, siebenunddreißig ...“
„Wie viele Kanäle kannst du mit diesen Ohren eigentlich empfangen? Prinz Charles soll auf einunddreißig kommen“, sagte sie grinsend und ein Lachen, dass mich an Filmfrauen aus den fünfziger Jahren erinnerte, platzte aus ihr heraus.
„Geh!“, befahl ich.
Wenn ich schon nicht sterben konnte, sollte mir wenigstens ein einsamer Rausch in bittersüßer Melancholie bleiben.

„He, was soll das? Du kannst doch deine stinkenden Treter hier nicht einfach abladen. Das ist doch keine Müllkippe“, nervt mich dieser Eisvogel. „Apropos abladen, du gedenkst doch nicht etwa deinen verwahrlosten Kadaver auch hier zu entsorgen?“
Meine Augenbrauen sind zu einem v geformt, dass für vorsicht verrückter Vogelgrippe-Virus steht.
„Hm, der ging wohl auch daneben“, kommentiert das Eichhörnchen an einer Eichel nagend das Einschlagen meines rechten Schuhs.
Meine schnaufende Atmung ist deutlich hörbar und mein Puls rast:
„KANN MAN DENN NICHT EINMAL MEHR IN RUHE STERBEN GEHN?“

Als ich nach der Flasche griff, merkte ich, dass sie plötzlich sehr viel leichter war. Ich hielt sie schräg vor mein Gesicht und meine tief heruntergezogenen Augenbrauen trafen ihre weit offenen, glasigen Augen. Sie zuckte mit den Schultern und sagte vorsichtig:
„Die muss wohl umgefallen sein.“ Ich bestellte eine Flasche Grappa und hoffte, allein weiter trinken zu können.
„Ich liebe alles, was aus Trauben gemacht ist“, kicherte sie.
Das ist in etwa das Letzte, was mir von diesem furchtbaren Abend in Erinnerung blieb. Danach folgten 274 Tage seelischer und körperlicher Schmerzen.

„Ich hoffe, ich habe nichts verpasst“, höre ich eine verrauchte Stimme sagen. „Entschuldige, dass ich dir für einen Moment meine Aufmerksamkeit nicht schenken konnte“, sagt die junge Eule mit einer Kippe im Schnabel und einem neuen Becher Kaffee in der Kralle.
Ich blicke in die Tiefe unter mir. In mir kommt allmählich das Verlangen zurück, mich mit dieser Tiefe zu vereinigen.
„Lass dich fallen und dein Geist wird folgen“, las ich einmal.
Ich bin bereit mich zu lösen.
„Sag mal, ...“
„WAS?“, reagiere ich gereizt.
„... wo ist eigentlich der Schneemann?“, fragt der rauchende Kauz.
„Du weißt schon, dass wir Juli haben?“
„Nein, dieser kleine Kollege von mir. Gelber Bauch, blauer Rücken und wegen seines hohen Kokainkonsums immer ein bisschen hypernervös“.

Ich griff mir an meinen brummenden Schädel und bemerkte den Verband an meinem linken Unterarm, dann den Verband um meinen Kopf und letztlich um meinen Bauch. In meiner Kehle fühlte ich ein Brennen und ein leicht säuerlich stechender Geruch stieg mir in die Nase. Ich sah mich um und erfasste nur langsam die fremde Umgebung. Neben der Couch, auf der ich lag, stand ein Eimer mit Erbrochenem. Zahlreiche Türen führten vermutlich in andere mir unbekannte Räume. Gegenüber der größten Tür war eine Garderobe an der Wand angebracht. Davor befand sich ein kleiner Teppich, auf dem eine Unmenge an Schuhen stand. Eine der Türen öffnete sich und sie kam heraus.
„Werde ich die denn nie los?“, fragte ich und sie antwortete:
„Auch dir einen guten Morgen“.
Aber ich drehte ihr nur den Rücken zu.

„Was sind das eigentlich für Narben, die du überall hast?“, fragt mich der Uhu.
Aber ich schweige.
„So eine wie an deinem linken Unterarm habe ich auch. Man kann sie wegen der Federn aber nicht mehr sehen.“
„Was hast du da gemacht?“, fragt das Eichhörnchen.
„Kaffee und Zigaretten.“ Er nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette. „Ich habe mir als Kind den Flügel mit meiner Zigarette verbrannt und wollte die Flammen mit etwas frisch gebrühten Kaffee löschen. Seitdem bin ich dabei. Ich vernichte jedes Gramm Tabak und jeden Schwapp Kaffee. Zum Wohl!“, sagt die Eule und nimmt einen Schluck aus ihrem Becher.

„Hast du dich schon gefragt, wo all diese Verbände herkommen?“
„Nein“, log ich.
Sie setzte sich auf die Kante des Sofas und ich rückte näher zur Wand.
„Zunächst einmal“, sagte sie und ließ eine kurze Pause folgen, vermutlich um sich die Reihenfolge der Ereignisse in Erinnerung zu holen. „Ja, zunächst einmal“, begann sie erneut, „wollte dir der Barkeeper jeden Cent einzeln herausprügeln. Die mögen dort keine Zechpreller. Wusstest du das etwa nicht? Na ja, nachdem ich dich lebend aus diesem Laden schleifen konnte, musstest du dich mit einer Straßenbahn anlegen. Die Notaufnahme war aber gleich um die Ecke.“
Warum glaubte sie eigentlich, dass ich all dieses Zeug wirklich hören wollte? Sie schlug mir auf eine Stelle, die bisher noch nicht geschmerzt hatte.
„Hörst du mir eigentlich zu? Der nette Doktor behandelt dich vor all den anderen verletzten Schnapsleichen und was machst du? Wir drehen dir eine Sekunde den Rücken und du versuchst dir mit einer Schere den Arm aufzuschneiden. Wenn du dich umbringen wolltest, warum hast du dann nicht die Tabletten genommen, die ich in deiner Hose gefunden habe?“
Ich drehte mich nun langsam zu ihr herum:
„Was hast du in meiner Hose zu suchen?“
„Das kann beim Sex schon mal vorkommen.“
Wieder war dieser gekünstelte Ton in ihrer Stimme. Ich rollte mich zusammen, zog die Decke bis über meine Augen und presste meinen geschändeten Leib an die Wand.

„Die Narbe an deinem Kopf ist echt beeindruckend“, sagt der Kauz zu mir.
„Hey, so was habe ich auch. Damals bei Schneemanns Party, weißt du noch?“, fragt der Rotpelz.
„Ja, er hatte gewettet, dass keiner im Park nüchtern bleibt! Selbst die Bienenkönigin war so dicht, dass sie mit einem Zitronenfalter ins Bett ging!“
„Auch bei mir hatte er es geschafft. Nach dem elften Bier wollte ich das erste Glas wieder wegbringen und bin dabei rückwärts von seinem Baum gefallen. Sechs Stiche hatte der Doc an meinem Kopf gebraucht.“
Die beiden Tiere ziehen sich lächelnd in ihre Erinnerungen zurück.
„Das war der schlimmste Kater, den ich jemals hatte“, sagt das Eichhörnchen und streift sich mit der Pfote über die Narbe oberhalb des linken Auges.

„Wo willst du denn hin?“, fragte sie, als ich mich anzog und die große Tür ansteuerte.
Aber noch bevor ich den Teppich mit den vielen Schuhen erreichte, sackten meine Beine zusammen und Dunkelheit trat an die Stelle meines Bewusstseins.
Ich kniete auf dem Boden und hielt mir den pulsierend schmerzenden Kopf, als ich wieder zu mir kam. Bei jedem Atemzug schienen sich Bauch und Brustkorb mit einem immensen Stechen gegen die einströmende Luft zu wehren. Sie trat neben mich.
„Der Doktor hatte wirklich Recht. Wenn du diese Tabletten nicht regelmäßig bekommst, hauen dich diese Schmerzen um.“
Sie warf eine Tablette neben mich auf den Boden, und ging mit der restlichen Packung.

„Wo warst du denn die ganze Zeit?“, fragt der Uhu.
„Was soll das heißen? Wo warst du denn? Ich bin dir doch keine Rechenschaft schuldig“, verteidigt sich der kleine Schneemann.
„Wie viel von dem Zeug hast du dir denn heute schon reingezogen?“
„Ich weiß nicht, wovon du redest.“

Nach drei Wochen ging es mir besser und ich beschloss diese Irre zu verlassen. Ich hatte bereits die Klinke der großen Tür in der Hand, als ich ihre Stimme hörte.
„Wo willst du hin?“
„Nach Hause“, antwortete ich und öffnete die Tür.
„Du hast kein Zuhause oder hast du das etwa vergessen?“

„Du weißt sehr wohl, wovon ich rede“, sagt der Uhu und nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette.
„In welchem neuen Jahr wolltest du eigentlich mit dem Rauchen aufhören?“, kontert der kleine Eisvogel.
„Das steht jetzt nicht zur Debatte! Du weißt ganz genau, dass dieser angebliche Schnupfen nicht von dem Ziehen weggeht.“
„Angeblicher Schnupfen? Ziehen? Das ist zu viel“, fügt er an und fliegt weg.

„Ich bin schwanger. Such uns eine Wohnung“, sagte sie, den Kopf in den Nacken und die Hand von sich werfend. „In dieser schrecklichen WG kann unser Kind schließlich nicht aufwachsen. Die Wohnung sollte aber...“, hörte ich sie noch sagen, als mein Puls in die Höhe schnellte.
Schwanger? ... von mir? ... uns? ... eine Wohnung? Komm ich denn nicht von ihr los?
Laut atmend und mit weit aufgerissenen Augen suchte ich einem Ausweg und fand ihn im Küchenfenster. Eine illegal entsorgte Matratze stellte sich zwischen mich und meine Erlösung. Mein Gesicht schlug in den gelblichen Zeugnissen eines Bettnässers auf. Statt den Hals brach ich mir nur ein Bein.
„Du glaubtest wohl, du könntest mit diesen Ohren fliegen?“, witzelte der Arzt anschließend im Krankenhaus. "Mit dem Gips springen Sie bitte nicht mehr aus Fenstern", sagte er und schickte mich wegen ihres ewigen Bittens nach Hause – zu ihr.

„Wir haben hier ständig Typen, wie dich“, sagt das Eichhörnchen. „Vor wenigen Monaten war dort drüben einer, der sich erschießen wollte. Aber seine Freundin hatte von der Sache Wind bekommen und den BGS gerufen“, sagt es und schmunzelt ein wenig. „Uniformierter Gruppenzwang, äußerte sich Schneemann damals über die grüne Kleidung und die schwarzen Stiefel, das sei typisch für den Homo sapiens sapiens“, erklärt es weiter. „Egal, nachdem die Bullen ihn überwältigt hatten und ihn abführten, prügelte das Weib auf den armen Kerl ein, weil er eine Menge Geld für die Knarre gezahlt hatte. Kannst du dir das vorstellen?“

Die neue Wohnung hatte sie bereits ausgesucht. Sie wollte wohl auf Nummer Sicher gehen und mietete eine Erdgeschoss-Wohnung mit drei Zimmern auf meinen Namen.
„Anstatt hier nutzlos vor dich hin zu gammeln, könntest du schon einmal die Wohnung renovieren. Ich habe die Tapeten und die Farben bereits liefern lassen. Du findest in der Küche eine Liste. Ich habe dir genauestens notiert, wie du die Zimmer zu malern hast“, sagte sie im Gehen.
Das machte sie immer, wenn sie eine Diskussion vermeiden wollte. Sie kehrte mir den Rücken zu und gab mir ihre Anweisungen. Meist hörte ich ihr dann ohnehin nicht mehr zu oder diese Frau war schon so weit weg, dass ich ihre Worte nicht mehr verstehen konnte. Dem imaginären Fragezeichen über meinem Kopf antwortete ich dann gewöhnlich mit einem Schulterzucken.

„Ich hoffe, du hast den Abschiedsbrief nicht mit wasserlöslicher Tinte geschrieben“, sagt das Eichhörnchen nach unten in das Wasser blickend.
„Natürlich nicht. Ich bin ja kein Anfänger“, antworte ich.
„Ach so, das wievielte Mal ist es denn?“
Ich zucke mit den Schultern.
„Ach Junge“, stöhnt es, „man soll keine Dummheit zweimal machen. Es gibt doch so viele davon.“

Ich beschloss für meinen Tod eine sicherere Methode zu wählen und über dubiose Wege kaufte ich eine Pistole. Eine ruhige Stelle im Park schien mir für meinen Plan geeignet. Ich steckte den Lauf in meinen Mund, schloss die Augen und drückte ab. Doch nichts passierte. Ich zog die Waffe wieder heraus und betrachtete sie von allen Seiten. Ich hörte noch jemanden zynisch sagen:
„Uniformierter Gruppenzwang, das ist typisch für den Homo sapiens sapiens“.
Dann ging alles ganz schnell. Jemand packte meinen Arm, riss ihn herum und bevor ich begriff, was mit mir passierte, lag ich auf dem Bauch und ich sah auf ein schwarzes Paar Stiefel und grüne Hosen.

„Sag mal, warum suchst du dir nicht ein nettes Mädel und gründest eine Familie?“, fragt mich das Eichhörnchen. Irgendwie scheine ich diesem kleinen Vegetarier vertrauen zu können. Ich entschließe mich, ein wenig von meinem seelischen Ballast abzuladen und ihm meine Geschichte zu erzählen. Aufmerksam hört es zu. Es nickt, schüttelt den Kopf oder beißt von Zeit zu Zeit schweigend in eine Eichel. Als ich fertig bin, sagt es zunächst nichts. Noch halb in Gedanken versunken, resümiert es:
„Ja, ich glaube du solltest wirklich springen“.
Dann verspeist es den Rest der Eichel, zuckt mit den Schultern und hüpft weg.

„Auf dich wartet eine Klage wegen illegalen Waffenbesitz“, erklärt mir der Beamte.
Noch immer auf der Erde liegend, drehte ich den Kopf zur Seite und erkannte zwischen all den schwarzen Stiefeln und grünen Hosen ein weißes Paar Turnschuhe mit einer Jeans.
„So verschleuderst du also unser Geld“, sagte die Stimme, die zu den Turnschuhen und der Jeans gehörte.
Als der Richter das überraschend schnelle und milde Urteil verlas, lächelte sie zufrieden. Drei Monate auf Bewährung. Selbst der Knast blieb mir verwehrt.
„Damit eines klar ist, ich bestehe auf getrennte Zimmer. Ich kann mich nur langsam von dem WG-Leben entwöhnen“, sagte sie, als wir die neue Wohnung bezogen.
Wenigstens musste ich mit dieser Person nicht auch noch ein Zimmer teilen.
„Ich habe einen Putzplan erstellt“, sagte sie die Hacken zusammengepresst und mir ein Stück Papier direkt vor die Nase haltend. Jedoch stand auf diesem Plan nur ein Name.
„Natürlich werde ich deine Arbeit überprüfen. Schließlich soll unser Kind in einer sauberen Umgebung aufwachsen“, sagte sie, als sie mir das Papier in die Hand drückte.
Im Gehen befahl sie noch:
„Vergiss nicht meine Sachen zu bügeln und keine Falten, sonst ... “. Der Rest dieser Anweisung war für einen menschlichen Gehörgang nicht mehr wahrnehmbar. Ich lebe also wieder in einer WG, dachte ich, nur, dass ich die gesamte Miete zahle und der Haussklave bin.

Die abendliche Stille lastet schwer auf meinem Gemüt. Ich nehme einen letzten tiefen Atemzug und ich bin bereit, meinen finalen Weg anzutreten.
Ein furchtbares Geschrei zerreißt die Stille. Sie sind zurück!
„Es ist doch nur Kalk. Wir sind Vögel und Vögel brauchen nun einmal Kalk, weil die Schale der Eier, die wir legen, aus Kalk ist. Des Weiteren, mein lieber Freund“, holt der Eisvogel erneut aus, „stellen diese Eier den Schutz unseres Nachwuchses dar, ohne den der Fortbestand unserer Arten gefährdet wäre!“
„Zum einen“, sagt nun der Uhu, „wird der Kalk mit der Nahrung über den Schnabel aufgenommen und nicht durch die beiden Löcher am oberen Ende des Schnabels gezogen.“
„Abe“
„Zum anderen“, schneidet er dem Eisvogel das Wort ab, „sind wir beide Männer und Männer legen keine Eier. Somit ist auch der Fortbestand deiner Art nicht davon abhängig, wie hoch der Kalkgehalt deiner Nahrung ist!“
„Du, du ... du musstest mir meine Fehler schon immer ...“
„RUHE!“, rufe ich. „Ich kann so nicht sterben!“
Mein Kopf fühlt sich an, als wär' ein aggressiver Bienenschwarm darin eingesperrt. Ich kann nicht springen. Wieder hat der eitle Gevatter Tod seine Schippe unter mir weggezogen. Ich drehe mich um und versuche meinen rechten Fuß über das Geländer zu hieven. Meine Socke hängt an dem Holzboden der Brücke fest und hindert mich so daran über das Geländer zu klettern. Ich rutsche ab, falle und stehe bis zu den Knöcheln in der schmutzigen Brühe, die dieser Bach mit sich führt. Meine Hände sind immer noch am Handlauf des Geländers und die beiden Vögel lachen aus voller Kehle. Ich verlasse in meinen triefend nassen Socken und der zerrissenen Hose die Szenerie und trotte nach Hause.
„Vergiss deine Schuhe nicht oder willst du Ärger mit dem Ordnungsamt?“, höre ich den Eisvogel noch rufen.
Als ich die Wohnung betrete, steht Anne nur mit einem Slip und einem engen Top bekleidet im Korridor. Ihre Arme sind eng um einen fremden Mann geschlungen. Beide stehen erstarrt vor mir und sehen mich mit offenen Mündern an. Sie löst sich plötzlich von ihm und sagt:
„Liebling, das ist mein Bruder“
„So wie die anderen neunzig Typen auch deine Brüder waren?“, frage ich, ohne eine Antwort zu erwarten.
Ihr Bauch ist nun urplötzlich wieder flach, wie an dem Tag, an dem sie begann, mir das Leben zur Hölle zu machen.
„Wie im neunten Monat sieht das jetzt nicht mehr aus“, sage ich, ihren Bauch betrachtend.

Sie ist nicht von mir schwanger. Das heißt, ich bin frei. Manchmal ist das Leben doch irgendwie fair, denke ich und bin entschlossen einen Teil meiner Schmerzen abzuwerfen. Dieses Mal allerdings ohne mich dabei umzubringen. Ich werde die Namen Anne und Nicole mit dem mir bekannten Ritual aus meiner Erinnerung und somit aus meinem Leben entfernen. Die lamentierende Anne und ihren leicht verstört guckenden, angeblichen Bruder Nummer einundneunzig setze ich vor die Tür und beginne damit, ihre Sachen in eine Mülltonne zu stapeln. Gebügelt und ohne Falten, so wie sie es mag.

 

Hallo Leute,

ich bin mir nicht sicher, ob diese Geschichte zu Humor passt. Vielleicht könnt ihr mir helfen, dafür den richtigen Platz zu finden.

MiK

 
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Hallo MiK!

sieht ein wenig zerzaußt aus
zerzaust

Ersparnissen redest du überhaupt?", fragt sie mit hochgezogenen Schultern
fragte

Ich bin übrigens die Anne.", sagte sie in
Punkt weg.

Ich fühlte, wie ihr musternden Blick
musternder

siebenunddreizig
siebenunddreißig

Meine schnaufende Atemung
Atmung

Ich hielt die sie schräg vor mein Gesicht
überflüssig

In meiner Kehle fühlte ich ein Brennen

"Such uns eine Wohnung", fuhr sie fort, den Kopf in den

Noch halb in Gedanken versunken, resümiert es, "Ja, ich glaube du solltest
:

Mein Kopf fühlt sich an, als wär ein aggressiver Bienenschwarm
wär'

Fuß über das Geländer zu hiefen
hieven

Ich werde die Namen Anne und Nicole mit dem mir bekannten Ritual aus meiner Erinnerung und somit aus meinem Leben zu entfernen.
überflüssig

Nummer einundneunzig setze ich vor die Tür und beginne ich damit
Entweder weg, oder vor beginne.

Also, ich bin zwiegespalten. Der Teil mit den Tieren ist wirklich unterhaltsam, auch wenn diese Szene oder das Thema nicht neu ist. Der Teil mit der herrischen Freundin hat mir nicht sonderlich zugesagt, da er viel zu auschweifend ist. Zumal ich nicht ganz verstehe, warum der Protagonist in diese Situation gerät und sich alles gefallen lässt.
Der Tipp ist immer blöd, wenn man eine längere Geschichte geschrieben hat, aber eine Straffung würde der KG mehr Dynamik verleihen. Vor allen Dingen der Teil mit der Frau kann gekürzt werden.

Stellenweise ist der Text recht unübersichtlich. Es macht sich immer besser, wenn wörtliche Rede ihren eigenen Raum - also einen eigenen Absatz, bekommt.

Ach ja, die Geschichte ist gut in Humor aufgehoben.


LG
flash

 

Hallo MiK,

ich weiß auch nicht ganz genau wo die Geschichte hingehört, aber ich denke Humor ist schon ganz okay. Auch wenn ich nicht wirklich lachen oder schmunzeln konnte. Die Geschichte ist aber sprachlich schon gut erzählt. Das Einzige, irgendwann, so nach zwei Dritteln etwa, ging mir einfach der Überblick verloren. Wird von der Vergangenheit erzählt? Anfangs redest du von einer Brücke und einem Fluß und denn ist das Ganze doch in einer Wohnung? Wo kommt plötzlich der Arzt her? Haut der Uhu ab oder der "Selbstmörder"? Oder wie? Oder was? Wie gesagt, mir fehlt da einfach ein wenig Struktur um da nun die ganzen Leute / Tiere auseinander zu halten. Irgendwann habe ich denn leider auch nur noch quergelesen. Wobei, vom Stil her gefällt es mir schon. Sprachlich finde ich es schon okay.

ein wenig zerzaußt aus.
zerzaust

Meine schnaufende Atemung
Atmung

Ich hielt die sie schräg vor mein Gesicht und meine tief heruntergezogenen Augenbrauen trafen ihre weit offenen, glasigen Augen. Sie zuckte mit den Schultern und sagte vorsichtig:
Ich hielt sie...
Sie zuckte mit den Schultern und sagte vorsichtig: in dem Zusammenhang klingt es als wenn die Flasche da was sagt und nicht der Tresennachbar (der, wie ich vermute) gemeint sein soll

Neben der Couch, auf der ich lag, stand ein Eimer
Plötzlich liegst du?! Ich denke du willst dich irgendwo hinunterstürzen? Das sind diese Sprünge, die für meinen Geschmack nicht deutlich genug nachvollziehbar / erkennbar sind

Deutlich besser als dein erstes, von mir bewertetes Werk, aber nicht ganz stimmig.

Gruß
Lemmi

 

Hallo,

danke fürs Lesen und kritisieren. Die Fehler sind behoben.
@ flashbak
Der Prot kann nicht weg, weil er aufgrund seiner Selbstmordversuche ständig schwer verletzt ist. Zudem kann er ja auch nirgendwo hin, weil er nichts hat. Dann sagt sie, dass sie von ihm schwanger ist. Es gibt noch Menschen, die sich deshalb an einen anderen Menschen binden lassen. Er sollte solch ein Mensch sein.
Danke für den Tipp mit der Gliederung. Wegen der Kürzung hast du sicher Recht. Ich muss aber erst einmal sehen, was ich weglassen kann.
@ Lemmi
Danke, dass du immernoch an mich glaubst und meine Texte liest.
Ich habe die Sprünge, die du bemerkt hast, gekennzeichnet, indem zwischen den Szenenwechseln eine Zeile freigelassen habe.
Zudem habe ich die Zeitformen an die Sprünge angepasst. Der Erzählstrang auf der Brücke ist in der Gegenwart und der, der in Vorgeschichte erklärt, also den Grund erläutert, weshalb dieser Mensch überhaupt auf der Brücke steht, ist in der Vergangenheit geschrieben.

Ciao MiK

 

Der Prot kann nicht weg, weil er aufgrund seiner Selbstmordversuche ständig schwer verletzt ist. Zudem kann er ja auch nirgendwo hin, weil er nichts hat. Dann sagt sie, dass sie von ihm schwanger ist. Es gibt noch Menschen, die sich deshalb an einen anderen Menschen binden lassen. Er sollte solch ein Mensch sein.
Okay. Ich konnte mir dies aus dem Text nicht erklären. Vielleicht kannst Du das offensichtlicher verpacken. Weniger um den heißen Brei reden; den Leser auch mal vor vollendete Tatsachen stellen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Geht klar, ich werde weiter dran arbeiten.

Okay, ich hab noch ein bisschen dran rumgefeilt.

 

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