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Das rote Herz
„Ein zerbrochenes Herz“, sagt man. Wie sieht das aus?
Vielleicht erkennt man gar nichts, und es ist nur in seinem Innern zerstört und zermatscht. Ich kann mir den blutigen Brei vorstellen, der in meinem Brustkorb vor sich hinvegetiert und niemals das Sonnenlicht zu sehen bekommt. Pulsierend, der ewige Rhythmus nur unterbrochen von einer leichten Aufregung, denn man achtet darauf, dass ich mich niemals anstrenge.
Ich drehe mich langsam um mich selbst, denke an das zerbrochene Herz. Ob es sich mitdreht? Muss es ja, denn sonst würden sich die vielen Adern, die ihm das Blut bringen, verknoten.
Immer schneller drehe ich mich und spüre das taunasse Gras unter meinen Füßen. Meine Arme fliegen mit, die Hände fühlen sich seltsam schwer an, ihr Gewicht zieht mich weiter, immer im Kreis.
Welche Farbe hat ein Herz? Rot, sagen sie. Woher weiß man, dass etwas Rotes auch wirklich rot ist? Ich weiß es gar nicht. Ich weiß nicht, wie rot aussieht, ich habe nie etwas Rotes gesehen.
Ich lasse mich fallen, für einen Moment schwebe ich durch Zeit und Raum, schwerelos auf der Suche nach mir selbst. Dann ruft mich der schmerzhafte Aufprall wieder zurück in mein Leben, zurück in die Welt. Es macht mir nichts aus, ich mag Schmerzen. Sie erinnern mich daran, dass ich überhaupt noch lebe. Wenn ich sehr einsam bin, brauche ich sie. Ich bin immer einsam.
Ich werfe meine Sonnenbrille, soweit ich kann, von mir. Ich brauche sie nicht mehr, sehe einfach so nach oben, wo ich den Himmel vermute, und lache. Die Schwestern wollten immer, dass ich die Brille aufbehalte. Sie fürchten, andere Leute könnten vor meinen Augen erschrecken.
Langsam stehe ich auf und taste mich mit den Füßen vorwärts, über die Wiese, den Weg und wieder eine Wiese. Meine weit ausgestreckten Arme stoßen auf ein Hindernis.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragt eine tiefe Männerstimme. Ich drehe ihm mein Gesicht zu und höre, wie er die Luft anhält.
„Zeigen Sie mir den See.“, bitte ich und lächle. Wir setzen uns in Bewegung.
...
„Das Wasser ist grün,“ hat er gesagt. Ich spüre nur, dass es eiskalt ist, mein ganzer Körper zittert, doch ich reiße die erstarrten Augen auf.
Mein zerbrochenes Herz klopft schneller, wehrt sich gegen die rüde Behandlung. Sein zerrüttetes Inneres bebt, es fühlt sich an, als fließe die Seele aus ihm heraus. Dann bleibt es stehen.
...
Ich kann sie sehen, die Schwestern aus dem Heim. Sie suchen nach mir. Zum ersten Mal sehe ich Menschen, sie sehen anders aus als in meiner Fantasie. Ich kann alles sehen, ihre Gesichter, Augen und auch ihre Herzen.
Tatsächlich. Sie sind rot.