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Das Schönbergzimmer
Sonntags, nach dem Hochamt, versammelten wir uns zu einem kurzen Familientreffen in Omas großer, altmodischer Wohnküche. Mindestens zwölf Personen konnten am Tisch Platz finden. Heute waren es bloß acht, sechs Erwachsene und zwei Kinder, nämlich ich und Wolfi. Oma legte großen Wert auf diese Tradition. Zur Feier des Tages wurde weiß gedeckt und Mia holte das gute Geschirr mit dem Goldrand unten aus dem Küchenschrank. Mein Bruder und ich durften sie einfach „Mia“ nennen, obwohl sie unsere Tante war.
Im Winter dampfte Nudelsuppe mit Rindfleisch und Schnittlauch in der Terrine mit den Löwenkopfgriffen, im Sommer löffelten wir Gazpacho, eine kalte Gemüsesuppe, deren Rezept für meinen Bruder und mich ebenso geheimnisvoll blieb wie ihr Erfinder. Auch gab es französisches Stangenbrot, auf das wir besonders scharf waren. Angeblich stammte das Rezept für den Gazpacho von Mias verflossenem Freund, der sich wieder nach Teneriffa zu Frau und Kindern zurückgeschifft hatte, obwohl er doch mit Mia verlobt war.
„Dein Fausto“, sagte Onkel Willem, schlürfte genussvoll und ließ sich den Pfefferstreuer reichen, „dein Fausto hatte es faustdick hinter den Ohren. Von wegen 'fleißiger' Gastarbeiter, in der Werkstatt war er faul. Auf anderem Gebiet war er ja durchaus fleißig. Aber schnell kapiert hat er nichts, jeden Handgriff musste man ihm dreimal erklären.“
Mia, schmal und nicht so strahlend wie sonst, zuckte zusammen und öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Sie durfte sich gegenüber dem deutlich älteren Bruder keinen Widerspruch erlauben. Mama hatte kürzlich erwähnt, dass Onkel Willem ihr eine Reise nach Holland finanziert habe, deren Zweck uns Kindern verborgen blieb. Mia kam ziemlich erschöpft zurück, ohne das kleinste Mitbringsel für uns im Gepäck, obwohl wir ihre Lieblinge waren.
„Aber er hat so schön im Kirchenchor gesungen", sagte Oma und schielte zu Wally, "und kochen hat er besser können als alle Frauen in unserer Familie. Gell Mia, e bissle hasch ja doch von ihm glernt.“
„Oma, du bist ungerecht, an Weihnachten hat's dir ja recht gut geschmeckt bei uns. Mein Kartoffelsalat ...“ Tante Wally knallte den halbvollen Löffel auf den Tisch, wo sich sofort ein braunroter Fleck bildete. Auch Mama protestierte, während unser Vater wortlos grinste und schnell noch einmal seinen Teller füllte.
Mia verschluckte sich, hustete und musste kurz in Omas Schlafzimmer neben der Küche verschwinden. Ihr Zimmer lag ein Stockwerk höher unterm Dach. Als sie nach ein paar Minuten wiederkam, hatte sie leicht gerötete Augen und ein verknülltes Taschentuch im Ärmel. Sie räumte die Suppenteller weg und machte sich an der Spüle zu schaffen.
„Es gibt Vanillepudding mit Himbeersoße für die Kinder. Will jemand einen Schnaps oder lieber Tee?“
Der Friede hielt nicht lange an.
„Hast du's dir überlegt, Mutter? Das Haus ist zu alt, es lohnt sich einfach nicht, umzubauen. Die Nachbarn haben jetzt alle verkauft. Oder willst du warten, bis die Stadt dir den Stuhl unterm Hintern wegzieht?“
„Das dürfen die doch gar nicht. Das Haus gehört mir, ich bleib hier wohnen, bis ich sterbe, und die Mieter auch. Hab's ihnen versprochen.“
„Du könntest es viel besser haben. Ein Badezimmer, einen Balkon, kein zugiges Außenklo und keine steilen Treppen mehr. Wally hat schon Pläne für eine Einliegerwohnung bei uns. Es wär auch einfacher, wenn du mal Pflege brauchst.“
„Mia wird mich pflegen, wenn's so weit ist, das ist schon geklärt.“ Omas Schultern strafften sich und sie presste die Lippen zusammen.
„Dann räumt wenigstens mal die Rumpelkammer leer, damit ihr mehr Platz habt. Das ist doch kein Zustand! Einen Raum einfach vergeuden, das größte Zimmer hier auf dem Stockwerk und das mit der schönsten Aussicht.“
„Auf den Schönberg?“, fragte ich dazwischen. Am Schönberg wohnten nämlich wir, ungefähr eine Stunde zu Fuß von Omas Haus aus.
„Ja, auf den Schönberg, Kind. Das Zimmer bleibt, wie es ist, bis ich unter der Erde bin. So lange werdet ihr noch abwarten können. Auch wenn du jetzt Geld brauchst, Willem, für deine Autowerkstatt. Mia, ich leg mich jetzt hin. Mein Kreuz tut mir weh. Um drei kannst du Tee kochen.“
Das 'Schönbergzimmer' war ein gefangener Raum, man konnte ihn nur von der Küche aus betreten. Er war immer abgeschlossen, und Oma trug den Schlüssel ständig in der Kittelschürze, sogar Mia musste darum bitten. Über Nacht hing die Schürze an eben dieser Tür, neben einem Besen und einem kleinen Handspiegel, sowie einem Schuhlöffel und einer Taschenlampe. Immer in derselben Reihenfolge. Das Hakenbrett, eine Laubsägearbeit mit dem Spruch 'Ordnung ist das halbe Leben', hing seit Omas sechzigstem Geburtstag dort. Es war, glaube ich, ein Geschenk von ihren Mietern im Parterre.
Nachdem Onkel Willem den Raum für das schönste Zimmer hielt, war klar, dass mein Bruder und ich ein Geheimnis witterten.
„Wir brauchen den Schlüssel. Anni, du musst Oma mal ablenken, wenn der Kittel am Haken hängt.“
„Wie denn? Sie geht ja kaum aus dem Haus. Höchstens zu den Nachbarn. Oder auf den Friedhof.“
„Du könntest Oma dann begleiten. Ich bleibe hier und sage, ich hab mir den Fuß verstaucht.“
Typische Vorschläge von Wolfi. Natürlich wollte er der Entdecker sein.
„Nee, Brüderchen, entweder gehen wir beide in das Zimmer oder keiner.“
„Und wenn wir Mia fragen? Wegen der Aussicht?“
Aber wie befürchtet, war da nichts zu machen. Mia reagierte sehr kurz angebunden und überhaupt nicht freundlich wie sonst.
Und dann kam er doch, der günstige Moment. Als wir drei Wochen später zum Mittwochsbesuch in die Küche stürmten, saß Oma fein angezogen am Tisch. Die Kittelschürze hing über einer Stuhllehne.
„Ihr müsst heute allein Tee trinken. Oma muss zum Röntgen. Es kann zwei Stunden dauern, bis wir zurück sind. Ich hab euch den Kniffelblock und die Würfel hingelegt“, sagte Mia und goss heißes Wasser in die Teekanne, „im Schrank sind noch Kekse. Wenn was ist, könnt ihr zu Brenneisens runter gehen."
„Macht bloß keine Dummheiten.“ Oma drohte gerne mit dem Kochlöffel, aber sie meinte es nicht so.
„Aber Oma, ích doch nicht, versprochen. Ich pass gerne auf die Anni auf. Die mag das. Lasst euch ruhig Zeit.“
Wir warteten, bis unten die Tür ins Schloss fiel, dann stürzten wir uns auf die Schürze. Wolfi war schneller. Er drehte den Schlüssel zweimal um, dann stieß er die Tür auf.
Dunkelheit. Das Aussichtsfenster war durch schwere Holzjalousien verschlossen. Nur spärliches Licht drang herein. Es roch muffig, obwohl ein Fensterflügel offenstand. Vor uns türmte sich ein Berg auf bis kurz unter die Zimmerdecke. Wolfi fand den Lichtschalter an der Wand, aber es gab kein Licht. Wahrscheinlich war die Glühbirne im Deckenlicht kaputt.
„Zieh die Jalousie hoch“, kommandierte er, „aber nur ein bisschen, damit es von der Straße her niemand sieht.“
Wir blieben erst mal eine Weile stehen und betrachteten den Berg, ein wahres Monster. Es erhob sich über alten Kästen, Schränken und Matratzen. Über diesem Sockel stapelten sich Kartons mit alten Zeitungen, Katalogen, ausrangiertem Küchengerät in schrägen Türmen. Auch an den Wänden entlang kletterten Schachteln voll Joghurtbechern und prallen Plastiktüten in die Höhe. Auf der linken Seite des Monsters diente eine Stehlampe als Kleider- und Hutständer. Die bucklige, rechte Seite war mit Teppichen und Tischtüchern zugedeckt, als ob sich darunter etwas Schreckliches verbergen müsste. Nach einigem Zögern hob ich vorsichtig eine Teppichecke hoch, da raschelte es und mehrere graue Biester mit langen Schwänzen flitzten davon. Ich ließ den Teppich fallen und machte einen Satz an die Tür.
„Was ist los, hast du Angst? Das sind bloß Mäuse, keine Ratten. Warte, wir gehen der Sache gleich auf den Grund.“
Wolfi holte die Taschenlampe und leuchtete in die dunkelste Ecke. Dort stand ein Kreuz aus schwarzem Schmiedeeisen, verziert mit vergoldeten Blättern und Blüten. Wolfi strich mit dem Zeigefinger an einer Ranke entlang. Wo der Staub entfernt war, blitzte das Gold im Strahl der Taschenlampe auf.
„Das muss noch vom Opa sein, der war doch Kunstschmied. Nicht schlecht. Ob er dieses Kreuz für das Familiengrab geschmiedet hat? Aber warum steht es hier?“
„Es gibt ja gar kein Familiengrab, Opa ist doch im Krieg gefallen. Wolfi, ich mag nicht mehr. Es ist unheimlich. Ich hab mir was ganz anderes vorgestellt. Komm jetzt, ich mach die Jalousie wieder runter. Mir reicht's.“
„Ja, gleich, ich will nur noch geschwind schauen, ob ich die obere Schublade von dem Kasten da aufkriege. Wetten, dass was Interessantes drin ist?“
Wolfi zog vorsichtig am Griff, es quietschte, und schon fing das Monster an, bedenklich zu wackeln. Die Stehlampe schwankte wie ein erhobener Zeigefinger hin und her, und ich verstand. Das Monster wollte in Ruhe gelassen werden. Das kapierte nun auch Wolfi.
„Wir dürfen keine Spuren hinterlassen“, sagte er und sorgte dafür, dass sich alles wieder an seinem Platz fand, Taschenlampe, Schürze und Schlüssel, während ich nach den Keksen suchte und zur Beruhigung Tee mit Vanillezucker trank. Beim Kniffeln war ich nicht so richtig bei der Sache. Es störte mich nicht mal, dass ich nur Schrott würfelte.
„Kein Wort zu niemandem, auch nicht zu Mama“, sagte Wolfi streng, der meine Neigung zum Ausplaudern kannte, „immerhin haben wir jetzt einen Namen für das Zimmer. Wir taufen es 'Schönbergzimmer', ha, ein prima Name für den Monsterberg.“
„Ich finde den Berg nicht schön, eher gruselig. Ich versteh' echt nicht, warum Oma den alten Kruscht aufhebt.“
„Alte Leute sind halt so, vielleicht hängen Erinnerungen daran“, sagte Wolfi, und das war seit langem der gescheiteste Satz von ihm.
Omas Geburtstag, drei Monate später, wurde in ihrem Haus gefeiert, kein Gedanke daran, auswärts essen zu gehen, denn Oma konnte nicht mehr lange auf einem Stuhl sitzen, sondern brauchte nach kurzer Zeit ein bequemes Sofa oder, noch besser, ihr eigenes Bett. Da sie sich hartnäckig geweigert hatte, einen Wunsch zu äußern, legten ihre drei Kinder zusammen und kauften ihr einen multifunktionalen Sessel, elektrisch verstellbar und auf Rollen. Oma konnte damit vorwärts, rückwärts und im Kreis fahren.
„Ha, jetzt lern ich noch zu guter Letzt das Chauffieren“, sagte sie aufgeräumt, „aber nächstes Jahr wünsch ich mir einen Porsche, hörst du, Willem, oder einen Mercedes. Das gibt deine Firma doch her? Oder?“ Onkel Willem lachte verkniffen. Aber es stimmte, seine Werkstatt nannte sich jetzt „Autohaus Ehret OHG“.
Auch Wolfi und ich hatten ein Geschenk. Wolfi hatte sich das ausgedacht. Ich hätte der Oma lieber was anderes gebastelt. Aber Wolfi war ganz vernarrt in seine Idee. Es war ein großes Poster, eins zwanzig auf eins zwanzig. Im oberen Drittel stand „Schönbergzimmer“. Wir hatten aus Katalogen und Prospekten farbige Druckbuchstaben ausgeschnitten und aufgeklebt, eine gezackte Bergkette war im Hintergrund angedeutet. In der Mitte darunter stand in einem dreieckigen Warnschild: Achtung! Lebensgefahr, betreten nur mit Erlaubnis der Bergwacht.
Wolfi hatte darauf bestanden, auch ein Bergseil, Bergschuhe und eine Gämse auszuschneiden und in die unteren Ecken zu kleben. Ich fand, dass diese Dekoration überflüssig war und überhaupt,
würden wir uns dadurch nicht verraten?
Aber ich hatte keine Chance.
„Es ist eine Collage, Schwesterchen, und da darf man alles, je mehr, desto besser.“ Dreizehnjährige Jungen sind ganz schön besserwisserisch. Dabei war Wolfi in künstlerischen Dingen eine glatte Null. Aber ich war ja nur seine kleine Schwester.
Oma sagte nicht viel, nur, sie freue sich, dass wir so viel Zeit und Mühe aufgewendet hätten. Mia schaute auch nicht besonders begeistert auf das Poster und ließ sich erst nach einigem Drängen dazu überreden, es mit Tesa an der Tür zu befestigen. Dazu musste man natürlich alles andere abhängen, so dass jetzt die geballte Botschaft zu entziffern war:
Ordnung ist das halbe Leben
sonst besteht Lebensgefahr.
Die Gäste, die keine Familienmitglieder waren, lachten beim Anblick höflich oder verlegen, weil sie sich wahrscheinlich nichts zusammenreimen konnten.
Ich glaube, Oma hat die Zusammenhänge sofort erkannt. Jedenfalls fuhr sie auf ihrem Rollstuhl nur mit dem Rücken zum Schönbergzimmer durch die Küche. Mia rümpfte die Nase und sagte, sie müsse erst überlegen, wo man das Kunstwerk sonst noch unterbringen könne, schließlich hätten Kittelschürze, Spiegel und die anderen Sachen ältere Rechte. Und dann sagte sie noch über die Schulter:
„Haltet ihr mich für doof?“
Da streifte mich ein erster Anflug von schlechtem Gewissen. Hatten wir durch das Poster ein Familiengeheimnis verraten?
Dann ging alles sehr schnell. Oma starb friedlich in ihrem Bett, den Rosenkranz um die rechte Hand gewickelt. Bei der Beerdigung rühmte der Pfarrer sie als Kriegerwitwe, die, ganz allein auf sich gestellt, ihre drei Kinder zu guten Christen und Bürgern erzogen habe und ein treues Mitglied der Michaelsgemeinde gewesen sei.
Das Haus sollte abgerissen werden. Onkel Willem hatte sich durchgesetzt. Er wollte auf dem Grundstück selber bauen und seine Geschwister auszahlen. Mia bot er als Entschädigung eine lebenslange Mietwohnung an. Außerdem könne sie bei ihm arbeiten, er brauche eine Bürokraft. Mit Mama musste er sich erst noch über die Höhe der Auszahlung einigen. Mama war nicht besonders gut auf ihren Bruder zu sprechen.
Für Mia war die Veränderung am größten. Ich durfte ihr beim Ausräumen der Wohnung helfen. Auch Mama beteiligte sich daran. Es war nicht leicht zu entscheiden, was aufbewahrt und was weggegeben oder entsorgt werden sollte.
Im Schönbergzimmer waren Fenster und Jalousien weit geöffnet. Der Modergeruch war aber noch nicht verschwunden. Unten im Hof stand ein Container, den hatte Onkel Willem herschaffen lassen. Ein Teil der Kisten und Schachteln war schon darin verschwunden.
„Du kannst in den Schubladen nachschauen, was drin ist. Leg alles, was du findest, auf den Küchentisch.“
Das war aufregend, weil ich mich erinnerte, dass Wolfi liebend gern die Schubladen durchsucht hätte.
Ich fand zwei Päckchen Briefe, sorgfältig verschnürt, mit Feldpost und Stempel gekennzeichnet und an Frau Amalie Ehret gerichtet, natürlich von Opa. Die würde ich gerne mal lesen.
In einer anderen Schublade fand ich ein weiteres Päckchen Briefe, auch an Oma und alle vom gleichen Absender. Der Name war mir nicht bekannt. Es waren aber Briefmarken der Bundesrepublik Deutschland darauf. Sie mussten also viel später als die Feldpostbriefe verfasst worden sein. Mia war gerade dabei, Tücher, Decken und Matratzen in den Container zu werfen, als ich ihr die Briefe unter die Nase hielt.
„Kennst du den Mann? Ist er ein Verwandter von uns?“
„Nicht jetzt, Anni, nicht jetzt. Später werd ich's dir erklären. Sei lieb und leg sie zu den anderen auf den Tisch. Und, Anni, denk dran, es gibt ein Briefgeheimnis. Diese Briefe gehen dich nichts an.“
„Ja, aber wenn es doch ein Verwandter ist ...“
„Kein Aber. Such weiter in den Schubladen. Wir reden später darüber.“
Ich wollte ja folgsam sein, aber dann konnte ich es doch nicht lassen. Nur einen kleinen Blick wollte ich riskieren, den Anfang eines Briefes lesen. Und so entdeckte ich Omas Geheimnis. Denn der erste Brief, den ich herauszog, begann so:
„Meine allerliebste Amalie, die Zeiten sind nicht günstig für uns. Anders, als ich gehofft habe, kann ich mein Versprechen nicht halten. Gerade jetzt, wo du kurz vor der Entb...“
Weiter las ich nicht, denn aus dem Schönbergzimmer kam ein Schreckensschrei von Mia und ein zweiter hinterher, von Mama. Ich stopfte den Brief wieder in das Bündel. Was war da los? Mia und Mama standen vor einer Puppenwiege und starrten auf ein Skelett.
„Es ist eine Katze, ganz bestimmt ist es eine Katze, schau dir doch den Schädel an, die Form, die spitzen Zähne.“ Mama hatte sich wieder gefangen, aber Mia zitterte und klammerte sich an ihre Schwester.
„Aber wie kommt die Katze in die Wiege? Die hat sich doch nicht freiwillig hineingelegt? Und ich habe in den letzten Tagen überall kleine Knochen gefunden. Und dann noch diese Schachtel mit den Babysachen! Oh Gott, wer weiß, was wir noch entdecken.“
„Du spinnst dir was zusammen, Mia, hier in diesem Zimmer sind im Lauf der Zeit allerhand Tiere gestorben, Marder und Tauben. Und wo ist überhaupt unsere Fiffi geblieben? Nein, Mia, hör auf, dir Gedanken zu machen, jetzt kommt alles in den Container, und Schluss ist.“
Die Feldpostbriefe nahm Mama an sich.
„Ich heb sie auf für dich und Willem. Wenn ihr mal Interesse habt. Oder die Kinder. Die anderen Briefe, da kümmerst du dich drum. Ich erinnere mich an einen Hermann, der eine Zeitlang um die Oma herumscharwenzelte. Du warst noch sehr klein. Ich möcht's gar nicht genauer wissen. Ich konnte ihn überhaupt nicht leiden.“
Mia hat, wie sie mir später erzählte, Hermanns Briefe noch am selben Abend verbrannt. „Es war zu traurig“, sagte sie, „niemand hat Oma so gut gekannt wie ich und ich weiß nun ziemlich genau, was sie durchgemacht hat. Bitte, erzähl es nicht weiter.“
Und jetzt habe ich ein Geheimnis vor Wolfi.