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Das Schicksal im roten Cabrio
»Sie gaffen, als hätten Sie noch nie eine halbierte Leiche gesehen«, brummt der Polizeihauptkommissar.
Er hat Recht. Als Redakteur des Nobel-Klatschblättchens »Medienhafen-Journal« bin ich den Anblick von Cabriolets und Anzugträgern gewohnt. Gewöhnlich sind sie allerdings nicht in der Mitte zerteilt.
Ich schlucke und zeige auf den halbierten Autofahrer, dessen bunt gemusterte Krawatte einen auffälligen Kontrast zum blutbespritzten Hemd bildet. »Glauben Sie, dass das ein Unfall war?«
Der Kommissar sieht mich abschätzend an. Vermutlich überlegt er, wie er sich ausdrücken kann, ohne mich kriminologisch zu überfordern. »Wissen Sie«, sagt er dann, »ich ziehe überhaupt keine Schlussfolgerungen. Das Tiefgaragentor ist einfach im falschen Moment runtergefahren. Die Sicherheitsschaltung hat versagt, vermutlich lange nicht gewartet worden. Hätte auch nicht gedacht, dass man auf diese Weise abtreten kann.«
Sanft klopft der Komissar gegen das Tor, bevor er mich ansieht und fortfährt: »Dass es sich bei dem Opfer um einen Vorstandsvorsitzenden handelt, der vorgestern hundertfünfzehn Arbeitsplätze abgebaut hat und gestern sein Gehalt erhöht ... sagen Sie mir, ob das was mit der Sache zu tun hat.«
»Darf ich Sie zitieren?«
»Nur, wenn Sie meinen Namen richtig buchstabieren. Karczaczinscky. Mit zweimal c-z und s-c-k.«
Ich kritzle den Namen auf meinen Notziblock. Für die zittrigen Buchstaben gibt es eine einfache Erklärung: Sowohl über die abgebauten Arbeitsplätze als auch über das erhöhte Gehalt habe ich in der Zeitung berichtet – unter der dickenbuchstabigen, dunkelroten Überschrift »Selbstbedienung an der Firmenkasse« und zwar nicht ohne gewisse Ausschmückungen, die die Leser bei der Stange halten. Anders ausgedrückt: Ich habe maßlos übertrieben.
Mit langen Schritten lasse ich die Traube Schaulustiger hinter mir. Die Leute balancieren mit gezückten Digicams auf Zehenspitzen und benutzen ihre Ellenbogen, als würde gerade der Papst höchstpersönlich einen platten Reifen am Papamobil wechseln.
Ich muss in Ruhe telefonieren. Mit Doro reden. Vielleicht hört sie mir ausnahmsweise mal zu. Schließlich geht es diesmal nicht um die x-te Beteuerung meiner Gefühle, sondern um ... Huuup!
Ich pralle zurück. Aber der Benz direkt vor mir meint gar nicht mich, sondern einen Lieferanten, der die schmale Straße blockiert. Der tägliche Zollhof-Stau. Andere Wagen stimmen in das Hupkonzert ein, ein akustischer Orkan, der ungeduldige Empörung heraus schreit – in einem glasklaren Sound, den kein Mittelklassewagen zustande bringt.
Vorsichtig überquere ich die Straße zwischen zwei schwarzen BMWs. Das Handy schon in der Hand, trete ich endlich an die Kaimauer des Hafenbeckens. Unterhalb liegt die Terasse des Lido, vom Hochwasser bedeckt – ich kann die Tische des Nobelrestaurants unter der Oberfläche des überfüllten Rheins erahnen. Tagesgericht: Frischer Fisch.
Neben einem alten Hafenkran sehe ich mich um. Niemand beachtet mich.
Ich suche Doros Namen im Handy-Adressbuch und drücke die grüne Taste. Halte das Telefon ans Ohr, horche dem rauschenden Klingelzeichen.
Sie geht nicht ran. Schade für sie. Dabei hätte sie mich bestimmt gerne daran erinnert, dass sie etwas besseres als mich verdient und jetzt auch gefunden hat, und zwar in Person eines stets in Maßanzüge gekleideten New-Economy-Chefs, also verpiss dich gefälligst, du bedeutungsloser Käseblatt-Stänkerer!
Während sich in meinem Kopf ein Artikel von alleine schreibt, starre ich zum Rheinturm hinauf, der die grauen Wolken zu kitzeln scheint. Ich hätte Doro damals beinahe in das Restaurant da oben eingeladen, bis ich die Preise gesehen habe. Vermutlich hätte ich die Zähne zusammenbeißen sollen, statt Pizza an der Ecke zu bestellen. Mein Artikel ist fast fertig, bloß eine reißerische Überschrift will mir nicht einfallen. Hm ... vielleicht »Managergehalt halbiert?«
Mein Handy piept. Eine SMS.
Von Doro.
»Am alten Hammer Fähranleger, heute Abend um 11!«
Ein romantischer Ort für ein Date mit der Ex?
Ich stehe im nassen Gras, genau an der Stelle, wo bis vor x Jahren die Fähre nach Neuss abgelegt hat. Eine schiefe Ebene erinnert an die Zeit vor dem Bau der großen Straßenbrücke, und ein graues Bronzeschild in der Mauer hilft ihr ein bisschen dabei. Nieselregen weht vom unruhigen Fluss herüber, und eine S-Bahn rollt mit erleuchteten Fenstern über die Hammer Brücke. Dieser Düsseldorfer Stadtteil ist auch heute noch ein Dorf, mit Gewächshäusern, eigenem Karnevalsverein und einer Straßenbahnlinie, deren Schienen mitten auf einem Feldweg enden.
Natürlich ist die SMS eine Falle.
Nicht Doro, sondern drei Schlägertypen kommen durch das Fluttor auf mich zu. Im Gegenlicht erkenne ich ihre stämmigen Figuren – Muskelberge und Testosteronärsche, in Szene gesetzt von nie gewaschenen Baggyjeans, drauf und dran, soziale Frustration damit ausgleichen, jemanden gründlich zu verhauen, der sich nicht wehren kann. Falls das Opfer dabei versehentlich in den Rhein fällt und alleine nicht wieder raus kommt, weil es sich irgendwelche Gliedmaßen gebrochen hat und die Strömung heute ziemlich stark ist, was soll's – dann werden irgendwann Spaziergänger in den Rheinwiesen eine unansehnliche Wasserleiche entdecken, und die Zeitungsleute haben wieder was zu schreiben, bloß ich nicht, weil ich ebenjene Leiche wäre.
Die Typen können nicht sehen, was ich in der Hand halte.
Sie gehen langsam, das Gras ist glitschig und Turnschuhsohlen sind heutzutage hauptsächlich dazu da, rot zu blinken, statt festen Halt zu bieten. Ich dagegen habe meine alten Fußballschuhe aus dem Schrank geholt. Mit zentimeterlangen Stollen kann man prima über ein matschiges Ufer rennen.
Ich lasse sie bis auf zehn Meter herankommen. Dann hebe ich die Digicam, ziele, schließe die Augen, drücke ab. Flash!
Ich öffne die Augen, renne los.
Geblendet vom Blitz verharren die Männer, können weder sehen noch hören, dass ich schon längst auf Höhe des Ruderclubs über den Uferweg haste, um die Ecke biege, die Seitenstraße hinunter laufe und in mein Auto springe. Ich lasse es an, sehe auf die Uhr im Armaturenbrett ... Viertel nach Elf.
Vielleicht schaffe ich es noch vor Redaktionsschluss.
Meine Socken sind kalt und nass, aber in meiner Kamera steckt ein Foto, dass sich prima für einen reißerischen Artikel eignet. Bloß eine protzige Überschrift fällt mir wieder nicht ein. »Geliebte des Mordopfers schickt Schlägertrupp!« ist einfach zu lang.
»Steig ein, Süßer!«
Die Härchen an meinen Unterarmen stellen sich auf. Ich gaffe Doro an. Sie sitzt in einem schwarzen TT Cabrio und hält direkt neben mir. Unschlüssig starre ich das Werbeplakat neben mir an, als hätten Vierklingenrasierer irgendwas mit Frauen zu tun.
»Du stehst mitten auf der Straße«, sage ich schließlich schwächlich.
»Dann steig endlich ein«, beharrt Doro. Die Kombination aus großer, schwarzer Sonnenbrille, umrahmt von ungebändigten, schwarzen Haaren, die im Fahrtwind sicher unwiderstehlich um ihr Gesicht wehen, nimmt mir die Entscheidung ab. Ich schwinge mich auf den Beifahrersitz, wo mich irgendwas auf dem Polster unangenehm piekst.
Kurz darauf rollen wir die Kö entlang, und ungefähr dort setzt mein Erinnerungsvermögen aus. Doro lächelt mich an jeder roten Ampel an, als hätte ich rein gar nichts damit zu tun, dass der Kerl, wegen dem sie mich verlassen hat, in zwei Teilen ins Leichenschauhaus transportiert werden musste.
»Woher hast du den Wagen?«, frage ich irgendwann.
»Rainer hatte drei davon«, entgegnet sie. »Er fand sie cool.«
»In einen Kofferraum passt auch nicht viel.«
»Wer Geld hat, lässt sich die Einkäufe nach Hause liefern.«
Ich verziehe das Gesicht, die viele Sonne ist nicht gut für meinen Kopf. »Fahren wir zu mir oder zu dir?«
»Ich liebe dich, weil du so gut mit Worten umgehen kannst.« Doro klatscht mir auf den Oberschenkel, aber ich merke es kaum.
Sie meint nicht, was sie sagt. War das je anders? »Was hast du den Schlägern erzählt?«
»Rainer war ein Macho, aber im Bett eine Null, wusstest du das?«, fragt Doro.
»Dachte ich mir«, sage ich. »Die Sitze sind übrigens furchtbar unbequem. Mir schlafen schon die Beine ein.«
Doro nickt. »Stimmt, deshalb habe ich auch vor, den Wagen loszuwerden.«
Ich kriege einen Sonnenstich. Sternchen und Schlieren wirbeln vor meinen Augen. »Können wir kurz halten? Im ... Schatten?«
»Du kriegst gleich ne Abkühlung, keine Sorge. Rainer hat übrigens einen Haufen Aktien auf meinem Konto versteckt. Schlau von ihm, findest du nicht?«
Meine Zunge ist schwer. Ich antworte nicht, lasse Doro reden.
»Du hast diesen Artikel geschrieben, um dich an mir zu rächen. Eifersucht ist schon eine komische Sache. Tödlicher als Herzversagen, nur religiöser Fanatismus ist noch schlimmer. Wusstest du, dass Rainer unerträglich war? Abgesehen von seinem Geld, das war okay. Ich wollte sein Geld, aber nicht ihn und übrigens auch nicht dich. Die Lösung heißt Curare. Es hat Rainer gelähmt, als das Tor runtergefahren ist. Und es lähmt dich, wenn ich diesen Wagen im Rhein entsorge. Wie gesagt, ich brauche nur einen.«
Ich kann den Kopf nicht drehen, das Atmen fällt mir schwer. Mein Hirn dröhnt, schreit die Muskeln an: »Bewegt euch!« Erfolglos. Ich will um mein Leben betteln, bringe aber kein Wort heraus.
Durch bunte Schleier sehe ich den Fluss. Doro steigt aus, schlägt die Tür zu. Sie lehnt sich hinein, um die Handbremse zu lösen. »Weißt du«, sagt sie, »dass der dritte TT rot ist? Meine Lieblingsfarbe! Dieselbe Farbe wie deine hirnlosen Überschriften. Aber mit denen ist es ja jetzt zum Glück vorbei.«
Dann beginnt der Wagen, zu rollen. Ein Drama, ein perfekter Zeitungsartikel, fesselnd sogar ohne Übertreibung.
Das Wasser kommt näher ... plötzlich klatscht es gegen die Karosserie.
Ich spüre, wie der Rhein in meine Schuhe fließt und schon wieder meine Socken durchnässt. Mein Hirn schreibt noch schnell einen Text über meinen Tod von ganz alleine.
Und die Überschrift? »Eigener Artikel tötet Reporter!« Ja, die ist gut!
Hoffentlich kommt mein Nachfolger da drauf.